Der IBDK als Kampforganisation

Aus: MIZ 2/76

Anläßlich der Gründung des Internationalen Bundes der Konfessionslosen am 1. Mai 1976 in der Berliner Kongreßhalle hielt MIZ-Herausgeber Frank L. Schütte folgende Eröffnungsansprache, die wir ungekürzt veröffentlichen. (Die Marginalien wurden nachträglich eingefügt.)

Weltfeiertag 1. Mai

Gründungsmitglieder, Freunde, seit 1889 ist der 1. Mai Weltfeiertag der Arbeit, Signal des erwachenden politischen Bewußtseins der arbeitenden Menschen gegen Ausbeutung, Bevormundung und Unterdrückung. Dieser Aufbruch zielte nicht nur gegen Privilegien, Herrschaftsstrukturen und Absolutheitsansprüche der weltlichen, sondern auch der klerikalen Obrigkeit. Er war eine Antwort auf die Anmaßung des ,,Aftergottes in Rom'', wie eine Wiener Zeitung Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts den ,,Heiligen Vater'' titulierte, sich für unfehlbar erklären zu lassen.

Unfehlbarkeit des Papstes 1870

Beschäftigen wir uns kurz mit diesem Ereignis und seinen Folgen: Das 1869 zusammengetretene Vatikanische Konzil, das erste seit dem tridentinischen, beschloß am 18. Juli 1870, einen Tag vor der französischen Kriegserklärung an Preußen, die Infallibilität des Papstes, d.h. die Unfehlbarkeit in der Festsetzung dogmatischer Glaubenssätze, die der Papst ,,ex cathedra'' als Haupt der Kirche und Stellvertreter Christi auf Erden ausspricht. Die Verkundigung des Unfehlbarkeitsdogmas war von den Jesuiten durchgesetzt worden, ,,um sich Klerus und Episkopat mittels des von ihnen gelenkten Papstes für den beabsichtigten Kampf gegen den Staat - zunächst gegen das neue deutsche Reich - völlig zu unterwerfen'' (zitiert nach Walter Löhde, Das päpstliche Rom und das Deutsche Reich - eine Dokumentation, 1964, S.49).

Reaktion d. deutschen Bischöfe

Die Fuldaer Bischofskonferenz beschloß eine Adresse von 45 deutschen und österreichischen Bischöfen an den Papst, in der die Definition des Dogmas als unzeitgemäß bezeichnet wurde. Von den 19 am Konzil teilnehmenden deutschen Bischöfen gehörten 15 zur opponierenden Minorität. Sie nahmen an der Schlußabstimmung des Konzils nicht mehr teil. Unmittelbar nach der Unfehlbarkeitserklärung wurde das I. Vatikanum wegen des deutsch-französischen Krieges abgebrochen und nicht wieder einberufen.

Stellung des Papstes

Mit der Unfehlbarkeitserklärung sollte die Stellung des Papstes als ,,oberster Richter der bürgerlichen Gesetze'', ,,König der Könige und Herr der Herrschenden'', der ,,kraft seiner hohen Würde auf dem Gipfel beider Gewalten'' steht, gestärkt werden (zitiert nach civilta vom 18. März 1871 - offizielles Organ der römischen Kurie und der Jesuiten).

Papsttum und Politik

,,Daß der römische Papst von dem Lehramt, das er in bezug auf den Glauben und die Sitten besitzt, das Gebiet der Politik nicht trennen kann'', hat Pius X. in seiner Antrittsenzyklika vom 4. Oktober 1903 treffend bestätigt. Reichskanzler Bismarck erklärte am 10. März 1873 vor dem preußischen Herrenhaus: ,,Das Papsttum ist eine politische Macht jederzeit gewesen, die mit der größten Entschiedenheit und den größten Erfolg in die Verhältnisse dieser Welt eingegriffen hat, die diese Eingriffe erstrebt und zu ihrem Programm gemacht hat.''

Aufklärung um 1900

So wird verständlich, warum sich im ausgehenden 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein allgemeines Bedürfnis nach wissenschaftlicher Aufklärung und Zerschlagung der Kirchenmacht entwickelte, wovon der Monistenbund und die Freidenkerbewegung am stärksten profitierten. Sie wurden zu echten Volks- und Massenbewegungen. In zahlreichen Arbeitervereinen war es verpönt, einer Kirche anzugehören. Als die europäische Öffentlichkeit zu Beginn des Jahres 1869 vom jesuitischen Plan einer Unfehlbarkeitserklärung für den Papst erfuhr, wuchs der antiklerikale Widerstand vor allem in Deutschland und Österreich, Berlin und Wien, den späteren Zentren der Freidenkerbewegung. Selbst Monarchen und Politiker erwogen Schritte gegen Rom. ,,Die Monarchie des 19. Jahrhunderts war fortschrittlicher als die Demokratie des 20. Jahrhunderts'', stellt der Historiker Walter Löhde (a. a. O., S.55) wohl nicht zu unrecht fest.

Widerstand gegen Rom

So schlug der bayerische Ministerpräsident Fürst Hohenlohe einen Kollektivschritt der europäischen Regierungen gegen die Unfehlbarkeitsanmaßung der römischen Kirche vor, der jedoch an der Unentschlossenheit und nationalen Rivalität der weltlichen Herrscher und Diplomaten scheiterte. Trotzdem legten die beiden führenden katholischen Staaten Frankreich und Österreich im voraus Verwahrung ein gegen zu erwartende Konzilsbeschlüsse, falls diese den staatlichen Gesetzen zuwiderliefen.

Dogma und Emanzipation

Es ist kein Zufall, daß das Unfehlbarkeitsdogma der katholischen Kirche mit dem Demokratisierungs- und Emanzipierungswillen der europäischen Arbeiterschaft zusammenfiel. Einhundert Jahre später erkennen wir, daß es der Kirche im Verein mit den politisch und wirtschaftlich Herrschenden noch immer oder schon wieder gelingt, Ansätze zu echter Demokratisierung, Emanzipation und Mitverantwortung abzuwürgen.

Kulturkampf in Preußen

Doch beschäftigen wir uns noch einmal mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. ,,Da die Jesuiten die Einführung dieses Dogmas (der Unfehlbarkeit) herbeigeführt hatten, waren diese letztlich auch die Urheber des Kulturkampfes (in Preußen), der der Regierung geradezu aufgezwungen wurde und den sie führen mußte, wollte sie sich nicht selbst aufgeben.'' (Zitiert nach Walter Löhde, a. a. O., S.71.)

Das Wort ,,Kulturkampf'' war von Rudolf Virchow als Abgeordneter der Fortschrittspartei geprägt worden. In dem Wahlaufruf der Fortschrittspartei vom 23. März 1873 heißt es, die Partei habe es ,,als eine Notwendigkeit erkannt, im Verein mit den anderen liberalen Parteien die Regierung in einem Kampf zu unterstützen, der mit jedem Tag den Charakter eines großen Kulturkampfes der Menschheit annimmt''.

Bei diesem Kulturkampf ging es um die Frage des weltlichen Anspruches und Besitzes von Papst und Kirche, um die Kirche als Staat im Staat, um klerikale Einmischung in Regierungsgeschäfte und weltliche Gesetze.

Kulturkampf 1871

Mitte 1871 löste Reichskanzler Bismarck die ,,Katholische Abteilung'' im preußischen Kultusministerium auf. Am 28. November 1871 wurde vom Reichstag mit 179 gegen 108 Stimmen folgendes Gesetz beschlossen: ,,Ein Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher ... vor mehreren (Personen) Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung macht, wird mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft.'' (Reichsgesetzblatt vom 14. Dezember 1871). - Gegen das Gesetz stimmten die Zentrumsabgeordneten gemeinsam mit den Sozialdemokraten.

1872

Am 13. Februar 1872 wurde vom deutschen Reichstag das sogenannte Schulaufsichtsgesetz angenommen, das die geistliche Orts- und Kreisschulinspektion beseitigte und alle privaten und kommunalen Schulen der alleinigen staatlichen Aufsicht unterstellte.

Jesuiten-Debatte im Reichstag

Mitte Mai 1872 hatte der Reichstag ein von Kanzler Bismarck entworfenes Gesetz über die Ausweisung der Jesuiten als zu schwächlich und unzulänglich abgelehnt. Während der Jesuitendebatte im Reichstag hielt der liberale katholische Abgeordnete Eduard Windthorst eine flammende Anklagerede gegen den Jesuitenorden, in der er u. a. ausführte: ,,Wer endlich sich davon überzeugt hat, daß der Jesuitenorden zur Zeit vollständig die Frauenwelt in katholischen Ländern beherrscht und daß er, um diese Herrschaft zu erreichen und zu behalten, den Marienkultus in seiner jetzigen Übertreibung bis zur vollständigen Idolatrie (Abgötterei) gebracht hat, - der wird es begreiflich finden, daß eine so große, internationale, staatlich organisierte, einem Willen gehorchende Gesellschaft... in der Tat zu einer ernstlichen, die Gesellschaft und den Staat bedrohenden Gefahr geworden ist... Portugal ist unter ihrer Herrschaft in den Abgrund von Unheil und Verfall gestürzt, aus dem es sich nicht wieder hat erheben können, obwohl gerade Portugal es war, welches im vorigen (achtzehnten) Jahrhundert den ersten Anstoß zur Vertreibung der Jesuiten gab. Und... was ist aus Spanien geworden, wo sie am längsten gewirkt und geherrscht haben? Sie haben dieses schöne reiche Land entvölkert, haben dem Volk ihren Geist aufgeprägt, seine Bildung unterdrückt, den wissenschaftlichen Geist erstickt und das Land derartig zerrüttet, daß es sich jetzt noch nicht von seinen Wunden zu erholen vermag... Gerade heute entrollt dort der Jesuitismus seine blutige Fähne und überliefert das der Ruhe und des Friedens so sehr bedürftige Land wieder dem Bruderkrieg! Zur Zeit scheint der Aufruhr gedämpft zu sein; aber jetzt beginnen die Kriegsgerichte ihre Blutarbeit, und die armen baskischen Bauern werden deportiert und erschossen, weil die jesuitische Geistlichkeit jenen elenden, ihren Interessen ergebenen Abkömmling der Bourbonen auf den Thron Karls V. setzen wollte... '' (vgl. Rudolf Eckert' Hundert Stimmen aus vier Jaltrhunderten über den Jesuitenorden, Leipzig: Wiegand, o. J., Band I, S. 141ff.). Zur Erinnerung: Der Abgeordnete Windthorst hielt seine Rede vor 104 Jahren. - Heute, am 1. Mai 1976, sind Demonstrationen in Spanien verboten.

Jesuitengesetz 1872

Am 19. Juni 1872 wurde das verschärfte Jesuitengesetz mit 181 gegen 93 Stimmen vom Reichstag angenommen. Es schloß den ,,Orden der Gesellschaft Jesu und die ihm verwandten und ordensähnlichen Kongregationen vom Gebiet des deutschen Reiches aus''.

Im Anschluß an die Abstimmung über das Jesuitengesetz wurde vom Reichstag ein Gesetz erlassen, das die staatliche Eheschließung und die Einrichtung von zivilen Standesregistern regelte.

Maigesetze 1873

Kernstück der staatlichen Gesetzgebung während des Kulturkampfes waren die Maigesetze von 1873. Sie unterstellten durch Verfassungsänderung die Kirchen den preußischen Staatsgesetzen und der staatlichen Aufsicht. Ein geistliches Amt durfte ,,nur einem Deutschen übertragen werden, welcher seine wissenschaftliche Vorbildung nach den Vorschriften dieses Gesetzes (,über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen') dargetan hat''. Jeder Geistliche mußte das Reifezeugnis eines deutschen Gymnasiums besitzen, um eine staatliche Universität besuchen zu können. Nach einem dreijährigen theologischen Studium hatte er dann eine wissenschaftliche Staatsprüfung zu bestehen. - Die Oberpräsidenten der Provinzen erhielten ein Einspruchsrecht gegen die Anstellung eines Geistlichen. Die kirchliche Disziplinargewalt wurde auf deutsche Kirchenbehörden beschränkt. Berufungsinstanz gegen kirchliche Disziplinarentscheidungen war ein königlicher Gerichtshof für geistliche Angelegenheiten. Schließlich wurde der Kirchenaustiltt geregelt.

1874

Im Mai 1874 wurden weitere Gesetze erlassen. Ein Gesetz verschärfte die bereits bestehende Regelung über die Vorbildung und Anstellung von Geistlichen. Nach dem Expatriierungsgesetz konnten Geistliche auf einen bestimmten Aufenthaltsort beschränkt oder sogar aus dem Reichsgebiet ausgewiesen werden. In Preußen erhielt der Kultusminister Vollmacht, vakant gewordene Bistümer einem staatlichen Kommissar zur Verwaltung zu übertragen.

1874 wurde die Zivilehe obligatorisch. Die neu errichteten Standesämter hatten den Personenstand zu beurkunden.

Kulturkampf 1875

Das sogenannte ,,Brotkorbgesetz'' vom 22. April 1875 sperrte der Kirche alle staatlichen finanziellen Zuwendungen. Am 31. Mai 1875 wurden ,,die geistlichen Orden und ordensähnliche Kongregationen der katholischen Kirche'' per Gesetz aufgelassen, sofern sie nicht in der Krankenpflege tätig waren. Ein Gesetz vom 20. Juni 1875 regelte ,,die Vermögensverwaltung in den katholischen Kirchengemeinden''.

Das historische Kapitel Kulturkampf kann nicht abgeschlossen und die heutige Situation im Verhältnis Staat-Kirche nicht durchschaubar werden ohne Darstellung der damaligen Ziele und Absichten der römischen Kirche.

Rom gegen Preußen

Im Oktober 1871 erklärte der Bischof von Passau in Gegenwart des bayerischen Kultusministers von Lutz, wenn man sich nicht mehr auf die konstitutionelle Monarchie verlassen könne, so werde man sich der Hilfe der Demokratie (gemeint war die Sozialdemokratie) und der Massen bedienen (zitiert nach Walter Löhde, a. a. O., S.62). Hier wurde bereits der Gedanke eines Zusammengehens zwischen der soeben gegründeten klerikal-katholischen Zentrumspartei mit der Sozialdemokratie angedeutet.

Der Geschichtsschreiber Konstantin Schlottmann schreibt 1879 im zweiten Kapitel seines lateinisch verfaßten ,,Erasmus redivivus'': ,,In der Tat hat es die Kurie . . . auf nichts mehr abgesehen, als auf die Besiegung und den Untergang des deutschen Reiches ...'' Bismarck beschuldigte 1874 während einer Reichstagsrede die Jesuiten, den deutsch-französischen Krieg 1870 entfesselt zu haben. Für die katho- lische Kirche war ,,Preußen in seinem Ursprung und seinem ganzen Wesen nach die Verneinung des Katholizismus, der innigste Verbündete der Freimaurerei, welche der Kirche den Untergang geschworen hat und eben jetzt alle Mittel in Bewegung setzt, um das neue deutsche Reich vom Christentum gänzlich zu säubern'' (in: Ellwanger katholisches Wochenblatt vom 13. August 1871).

Im Mai 1872 erklärte der Abgeordnete Eduard Windthorst während der Jesuitendebatte im Reichstag, daß der Jesuitenorden das deutsche Reich gefährde, ,,weil er mit allen Mitteln seiner Macht dessen Schwächung und Verderben betreibt''. Der Jesuitismus verfolge das Reich mit ,,glühendem Haß''. Es werde von der Gesellschaft Jesu ,,als das größte Hindernis ihrer Pläne betrachtet und verabscheut''.

Heutige Situation

Dieses Hindernis ist heute, einhundert Jahre später, beseitigt. Das Land, in dem wir leben, die Stadt, in der wir heute zur Gründung des Internationalen Bundes der Konfessionslosen zusammengekommen sind, wurden mehrfach geteilt. Wenn im historischen Rückblick und im Vergleich zur heutigen Situation Deutschland und Berlin als Beispiele genannt werden, so geschieht das nicht aus Patriotismus. Es gibt in der neuesten Geschichte kein deutlicheres und abschreckenderes Exempel für die systematische Zerstückelung eines Volkes bei gleichzeitiger Wiederherstellung der Kirchenmacht. Dieser Tage rüstet der Bischof von Regensburg zu einem neuen Teilungsfeldzug. Er kolportiert den alten klerikalen Gedanken einer Nord-Süd-Trennung, nunmehr für das bundesrepublikanische Staatsgebilde. ,,Divide et impera!''

Das Kapitel Nationalsozialismus muß in dieser Rede aus Zeitgründen ausgeklammert werden, obwohl es kirchenpolitisch noch aufschlußreicher ist als die wilhelminische und Weimarer Ära. Über die nationalsozialistische Epoche liegt uns umfangreiches, weithin unbekanntes dokumentarisches Material vor. Es ausführlich auszuwerten und darzustellen, wird eine Aufgabe des vom Internationalen Bund projektierten Dokumentations- und Informationszentrums sein.

Berlin

Wie ist die gegenwärtige Situation im Verhältnis Staat-Kirche? Nehmen wir das Beispiel Berlin, richtiger: Berlin (West). Die Zustände sind in der BRD, in Österreich, in der Schweiz und selbst in Ländern, wo die strikte Trennung von Staat und Kirche verfassungsrechtlich geboten ist, nicht grundlegend anders. Dennoch gibt es einen wesentlichen Unterschied: Im sozialdemokratisch-liberal regierten Westberlin gestalten sich die Beziehungen zwischen Staat und Kirche, wird die Verflechtung konfessioneller und staatlicher Angelegenheiten in Politik, Wirtschaft und Kultur immer enger, ohne daß es eine verfassungsmäßige Grundlage für eine solche Kooperation gibt.

Berliner Konkordate

Die im Juli 1970 zwischen Staat (Senat) und Kirchen zustaudegekommenen Konkordate, irrtümlich oder bewußt irreführend als ,,Protokolle'' oder ,,Verwaltungsvereinbarungen'' deklariert, wurden vom zuständigen Parlament, dem Berliner Abgeordnetenhaus, niemals ratifiziert. Ausgehandelt von einem kleinen Kreis gleichgesinnter geistlicher und weltlicher Herren, nach Fertigstellung loyalen Fraktionsmitgliedern lediglich zur Kenntnis gebracht, der Öffentlichkeit nur bruchstückhaft, unter falschem Titel und in abgeschwächter Formulierung vorgestellt, werden diese Konkordate in aller Stille Zug um Zug von den Kirchen bei den staatlichen Stellen eingelöst - ein politisches Kabinettstück ohne Beispiel in der langen Geschichte der Beziehungen zwischen Staat und Kirche. 1976 erhält allein die katholische Kirche aufgrund dieser verfassungswidrigen Vereinbarungen neben der Kirchensteuer über 15 Millionen Mark aus Steuermitteln, von einer Bevölkerung, die bereits zu fast 25 Prozent aus der evangelischen und katholischen Kirche ausgetreten ist.

Kirchenabteilung beim Senat

1871 löste Bismarck die ,,Katholische Abteilung'' im preußischen Kultusministerium auf. Bismarck und Preußen sind Vergangenheit, beim Berliner Senator für Wissenschaft und Kunst gibt es heute wieder eine mächtige Kirchenabteilung, die Steuergelder in Form ,,öffentlicher Zuschüsse'' (seit 1970 über 35 Millionen Mark allein für die katholische Kirche) an die großen Kirchen weitergibt und darüber hinaus - so unglaublich das klingt - für die Vergabe bzw. Nichtvergabe öffentlicher Zuschüsse an konfessionslose Organisationen verantwortlich ist.

Heutige Situation
BRD
Volkshetze

Das preußische Gesetz von 1871 sah Gefängnis oder Festungshaft für Geistliche und Religionsdiener vor, die ,,Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung'' machten. 1976 dürfen Geistliche von Kanzeln und Kathedern mündige Bürger als Nazis beschimpfen oder das Volk verhetzen (§ 218!), ohne von irgendeiner Instanz zur Rechenschaft gezogen zu werden. Im Gegenteil: Der Gotteslästgerungsparagraph schützt die klerikalen Volksbelästiger vor Gegenangriffen und schirmt sie gegenüber berechtigter Kritik ab - schließlich ist dieser Paragraph auch nicht zum Schutz Gottes, sondern zugunsten der Amtsklrchen erlassen worden.

Bildungswesen und Kirchen

Das Schulaufsichtsgesetz von 1872, das alle privaten und kommunalen Schulen der alleinigen staatlichen Aufsicht unterstellte, ist für uns Bürger des 20. Jahrhunderts zu einem Fernziel geworden. Unter den sogenannten ,,freien Trägern'' haben sich die konfessionellen Trägerverbände im Bereich des Erziehungs- und Bildungswesens praktisch die Monopolstellung gesichert. Das Diakonische Werk und die Caritas unterhalten etwa 75 Prozent aller Kindergärten in der BRD, die zu 80 bis 90 Prozent von der öffentlichen Hand finanziert werden.

Vorrang d. christlichen Bekenntnisses
Konfessionsschulen

Erst im März 1976 hat das Bundesverfassungsgericht die Einrichtung von christlichen Gemeinschaftsschulen als einzige Form öffentlicher Volksschulen für verfassungsgemaß erklärt und damit dem von den großen Kirchen getragenen christlichen Bekenntnis eine absolute Vorrangstellung eingeräumt. Als Körperschaften des öffentlichen Rechts können die Kirchen allgemeinbildende Schulen, Sonderschulen und Berufsfachschulen in eigener Trägerschaft ohne staatliche Kontrolle, doch mit fast hundertprozentiger staatlicher Finanzierung unterhalten.

In Westberlin gibt es gegenwärtig vierzehn solcher Schulen in katholischer Trägerschaft. Ihr Etat beläuft sich 1976 auf DM 15 813 665, von denen das Land Berlin DM 10 394 910 zuschießt, die Deutsche Bischofskonferenz dagegen nur DM 2 500 000. In diesen Summen ist noch nicht der Zuschuß des Landes Berlin für den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen enthalten. Allein die katholische Kirche kassiert 1976 für diesen Unterricht vom Staat DM 2 264 700.

Religionsunterricht

Das herausgegriffene Zahlenmaterial verdeutlicht längst nicht alle Bütteldienste, die der Staat im Bildungswesen gegenüber den Kirchen erbringt, und es sagt auch nichts über die Gewissenskonflikte aus, die sich für Schüler und Eltern aus diesem unhaltbaren Zustand ergeben.

Fachhochschulen

Was die Fachhochschulen in. privater Trägerschaft betrifft, so sind hier erst in den letzten Jahren Gesetze entstanden, die der evangelischen und katholischen Kirche praktisch auch in diesem Bereich eine Monopolstellung sichern. ,,Noch nie waren die Kirchen im Bereich des tertiären Bildungswesens mit eigenen Einrichtungen so stark vertreten wie heute.'' (Wolfgang Schmitz, Hochschulen in ,,freier'' Trägerschaft der Kirchen, in: Trennung von Staat und Kirche? Herausgegeben von Peter Rath, S. 109ff.). Derzeit verfügen die beiden großen Kirchen in der BRD und Westberlin über je zwölf Fachhochschulen für Sozialwesen.

Die gegenwärtigen Gesetze für kirchliche Hochschulen enthalten die stereotype Formel, daß bestimmte Maßgaben der staatlichen Gesetzgebung zu befolgen seien. Theoretisch liegt der Bereich der Bildung und Ausbildung grundsätzlich in der Verantwortung des Staates. Durch den öffentlich-rechtlichen Status der Kirchen ist das kirchliche Bildungs- und Erziehungswesen jedoch dem staatlichen zumindest gleichgestellt. In jüngster Zeit verstärkt sich der Eindruck, daß kirchliche Bildungs- und Ausbildungsstätten nicht nur öffentliche ,,Ersatzschulen'' sind, sondern mit dem staatlichen Schulwesen gleichermaßen in einen ,,freien Wettbewerb'' treten. Es besteht die Gefahr, daß das klerikale Bildungswesen eines Tages das staatliche vielleicht ablösen oder gar überholen könnte.

SPD und Kirchen

Mutig erscheint uns heute der Beschluß des deutschen Reichstages von 1872, Jesuiten des Landes zu verweisen, geistliche Orden und ordensähnliche Kongregationen aufzulösen. Unwillkürlich denkt man an Bundestagsdebatten, in denen sozialdemokratische Abgeordnete stolz ihre jesuitischen Berater und Mitläufer zitieren, wie Oswald von Nell-Breuning, von dem man aufgrund der Lobhudeleien einiger Genossen geradezu annehinen muß, er habe den Sozialismus erfunden. Bismarck scheint mit seiner Voraussage, eines Tages würden Jesuiten an der Spitze der Sozialdemokraten stehen, nicht ganz daneben zu liegen...

In den Maigesetzen von 1873 wurde die Kirche den staatlichen Gesetzen unterstellt. Auf unsere Zeit bezogen könnte man ironisch so formulieren: Heute sind die Staatsgesetze der kirchlichen Kontrolle unterstellt bzw. macht die Kirche Staatsgesetze.

Gottglaube als Wissenschaft

Längst ist das Theologiestudium nicht mehr von einer wissenschaftlichen Staatsprüfung abhängig. Der Staat verleiht, verordnet kirchlichen Hochschulen, theologischen Fakultäten, Abteilungen, Seminaren usw. den wissenschaftlichen Status, und damit ist deren wissenschaftlicher Charakter staatlich verbürgt. ,,Der Senat von Berlin erkennt die Kirchliche Hochschule Berlin als wissenschaftliche Hochschule an. Der Hochschule steht neben dem Promotionsrecht auch das Habilitationsrecht zu; sie nimmt die Funktionen einer Evangelisch-Theologischen Fakultät wahr. Die Rechtsstellung der Hochschule als Einrichtung der Evangelischen Kirche bleibt unberührt. Die Hochschule ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts im Bereich der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Die planmäßigen Professoren werden vom Kuratorium der Kirchlichen Hochschule nach Einholung einer Stellungnahme der Kirchenleitung und nach Einholung der Zustimmung des Senators für Wissenschaft und Kunst berufen. Die Zustimmung kann nur versagt werden, wenn durch die Berufung der wissenschaftliche Charakter der Kirchlichen Hochschule gefährdet erscheint.'' (In: ,,Protokolle über Besprechungen zwischen Vertretern des Evangelischen Konsistoriums in Berlin (West) der evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und des Senats von Berlin über die Regelung gemeinsam interessierender Fragen'' = ,,Berliner Protokolle'' vom 2. Juli 1970.) Aus dieser Formulierung ist die Statistenrolle zu ersehen, die sich der Staat selbst zugedacht hat, gleichzeitig wird der Unterschied zu den Maigesetzen von 1873 deutlich, als sich noch niemand etwas auf einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat einbilden konnte.

Fazit: Im 20. Jahrhundert wird der Gottesglaube als Wissenschaft akzeptiert. Der Staat hat keinen Einfluß auf Berufungen an theologischen Fakultäten, wenn die Zustimmung des Bischofs fehlt. Feuerbach erhielte in der BRD Berufsverbot, Kant würde bestenfalls geduldet.

Zukünftiges Verhältnis Staat-Kirche

Während den Kirchen die Gläubigen fortlaufen, wird ihr politischer Einfluß vom Staat erhalten, abgesichert und ausgebaut. Die traurigste Rolle spielen hierbei die sozialdemokratischen Parteien und Funktionäre in den westeuropäischen Staaten. Das Abrücken von kämpferischen Positionen hat häufig zum Opportunismus geführt, zur Kritiklosigkeit, ja Unterwerfung gegenüber den Kirchen. Dennoch besteht Hoffnung, daß Sozialdemokraten wie Liberale in der Auseinandersetzung um Grundpositionen dem Kirchen- und Konfessionsthema nicht mehr länger ausweichen können. Ein tiefgreifender Wandel in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche erscheint in Zukunft nicht ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang ist auf das Dokument der Deutschen Jungdemokraten zum Verhältnis von Staat und Kirche (1973) hinzuweisen, das ein jahrzehntelanges Tabu durchbrach und allgemeine Beachtung fand.

Politisches Programm d. Konfessionslosen

Bereits im Oktober 1971 - zwei Jahre vor der Initiative der Jungdemokraten - war in Berlin ein ähnliches kirchenpolitisches Programm von Bürgern beschlossen worden, die sich auf der Basis der Konfessionslosigkeit neu organisierten. Auf diese Grundlagen und Vorarbeiten berufen wir uns am heutigen Gründungstag des Internationalen Bundes der Konfessionslosen. Er soll die Diskussion fortsetzen, vertiefen und weitertragen.

IBDK als Kampforganisation

Der IBDK ist eine Kampforganisation. So problematisch das Wort ,,Kampf'' angesichts der jüngsten Beispiele von Terror und Gewalt auch erscheinen mag, auf kämpferische, das heißt offensive aufklärerische Aktionen können wir nicht verzichten. Erfolg wird für uns vorerst nicht meßbar sein. Das Anliegen der Gründungsmitglieder des IBDK ist eine Aufgabe für Generationen. Trotzdem wagen wir heute den Neubeginn.

Gründung des IBDK

Nach Unterzeichnung der Satzung und des Grundsatzprogrammes, der Wahl des Vorstands für das Zentrale Büro am Sitz Berlin sowie der Nominierung der ersten Mitglieder für den Arbeitskreis Archiv und den Jugendarbeitskreis ist die Gründungsphase des Internationalen Bundes der Konfessionslosen abgeschlossen. Die zweite Etappe wird nach der Ersten Ordentlichen Vollversammlung im Oktober 1980 hinter uns liegen.

Absage an Freigeistige

Mit der heutigen Grundsteiniegung des Internationalen Bundes geht gleichzeitig eine Reihe langwieriger Vorverhandlungen, Diskussionen und Gespräche mit freidenkerischen und freigeistigen Organisationen des In- und Auslands zu Ende. Das Ergebnis der Zusammenkünfte ist niederschmetternd und ermutigend zugleich. Niederschmetternd, weil die Verhandlungen mit vielen offrziellen Vertretern der genannten Vereinigungen deren widersprüchliche Positionen, Zerstrittenheit und teilweise sogar völlige Arbeitsunfähigkeit aufdeckten. Besonders schmerzlich ist für uns die Tatsache des Niederganges der Freidenkerbewegung im deutschsprachigen Raum.

Ein ermutigendes Zeichen sehen wir in der uns gegenüber bekundeten Bereitschaft zahlreicher Mitglieder freigeistiger Gruppen, sich auf internationaler Basis neu zu organisieren und am Aufbau des Internationalen Bundes der Konfessionslosen aktiv mitzuwirken. Solche Mitarbeiter sind uns willkommen. Den Vorwurf der Zersplitterung haben wir nicht zu fürchten. Wo Ohnmacht herrscht, ist nichts mehr zu zersplittern!

Eine internationale Zusammenarbeit mit sogenannten freigeistigen Organisationen - richtiger: Sekten - würde unser Anliegen der Lächerlichkeit preisgeben. Der Internationale Bund der Konfessionslosen versteht sich keineswegs als Nachfolge- oder gar Dachorganisation der freigeistigen Vereinigungen. Der Internationale Bund ist keine Weltanschauungsgemeinschaft im herkömmlichen Sinn, keine humanistische Vereinigung, sondern der internationale Zusammenschluß von konfessionslosen Gruppen und Personen, die den politischen Kampf gegen die organisierten und institutionalisierten Konfessionen und Kirchen aufnehmen.

Pflicht zu politischem Handeln

Einsicht in die Notwendigkeit, in die Pflicht zu politischem Handeln, Aufklärung, Information, Dokumentation, Entwicklung praktischer Modelle, Initiativen und Alternativen der Konfessionslosen zu bestehenden Einrichtungen der Kirchen und Konfessionen, teilweise auch des Staates, hat uns zur Gründung des Internationalen Bundes veranlaßt Unter den vier Schwerpunkten unserer Arbeit (Informations- und Dokumentationszentrum, Verlag, Jugend- und Öffentlichkeitsarbeit) sei besonders der schrittweise Aufbau des Internationalen Jugendbundes der Konfessionslosen hervorgehoben.

IBDK gegen religiöse u. politische Dogmen

Die Erkenntnis, daß es jetzt Pflicht der Konfessionslosen ist, sich zusammenzuschließen und politisch tätig zu werden, kann wissenschaftlich-ethisch begründet werden: Wir wissen, daß das religiöse und politische Dogma die geistigen Grundlagen unserer Gesellschaftsordnungen zerstört. Damit wird gleichzeitig menschliche Gemeinschaft und Übereinstimmung in Existenz- und Lebensfragen unmöglich. Mit der Propagierung des Währen, Guten und Schönen, mit der Verkündigung einer humanistischen Moral, kann diese Gefahr nicht abgewendet werden. Das Aufdecken der Gefahr selbst, das Bewußtmachen des gewalttätigen Einflusses der organisierten und institutionalisierten Konfessionen sowie politischer absolutistischer Doktrinen auf die Freiheit von Individuum und Gemeinschaft ist das Ziel unseres Internationalen Bundes.

Dank an Gründungsmitglieder

Abschließend ist festzustellen, daß sich der größte Teil unserer Gründungsmitglieder aus gewerblichen Arbeitnehmern zusammensetzt bzw. aus Personen, die aus der Arbeiterbewegung hervorgegangen sind und sich dazu bekennen. Ohne ihre Bereitschaft und ihren Einsatz wäre diese Gründung nie zustandegekommen.