Aus: MIZ 2/91
Dietrich Bronder: Bronders Weltpanorama. Leben unter Riesen und Zwergen 1921-1988,
Haag + Herchen Verlag Frankfurt 1990, 796 S., 60 DM
Es ist in Mode gekommen, daß Zeitgenossen, die sich für wichtig halten, Prominente nachahmen und eigene Memoiren
publizieren. Auch Dr. Bronder, über drei Jahrzehnte leitender Funktionär der Freireligiösen Landesgemeinschaft
Niedersachsen (heute Freie Humanisten Niedersachsen) und 18 Jahre lang Bundessekretär im Bund der
Freireligiösen Gemeinden Deutschlands (BFGD), macht da keine Ausnahme. Bei seinem Zuzug nach Bad Gandersheim stellt er
z.B. bescheiden fest: Gandersheim hat eigentlich nur drei bedeutsame Bürger in ihren Mauern gehabt: die hier 968
verstorbene Nonne und Stiftsdame Roswitha ...Der zweite war der Pastor emeritus ...Den Namen des Dritten zu nennen, verbietet
mir meine Bescheidenheit. (S.727f.)
Nun böte solcher Größenwahn zwar Anlaß zu amüsiertem Schmunzeln, nicht aber zu einer Buchbesprechung, käme da nicht noch ein
sehr viel ernsterer Faktor hinzu: der militante Deutschnationalismus des Autors, den er als Humanismus verkaufen will. Obwohl
37 Jahre lang SPD-, dann CDU-Mitglied, verachtet er die etablierten Parteien grundsätzlich: Diese drei Lizenzparteien,
geschützt durch die unmögliche Fünf-Prozent-Klausel, sind niemals imstande, unserem Volk die verlorene Freiheit als Volk und
Nation wiederzugeben. Daher kann man sie kaum wählen und muß sich nach anderen Kräften umsehen, die sich etwa in der
NPD-Deutsche Volksunion/Liste Deutschland anboten, aber kaum
Chancen haben, etwas auszurichten, weil sie 'demokratisch' total gehemmt und unterdrückt werden. Ein weiterer Grund, die
Lizenzparteien nicht zu wählen. (S.723 f.)
Ein erheblicher Teil des Buches enthält politische Bewertungen, die den Verfasser als einen in der Wolle gefärbten
"gemäßigten Nazi" ausweisen, der zwar gewisse Übertreibungen des Nationalsozialismus nicht mitträgt (gleichwohl eher
herunterspielt als kritisiert; etwa die Massenvernichtung in Auschwitz, wo er um die Zahl der Opfer feilscht und schließlich
feststellt: Ich bin von Auschwitz nicht überzeugt worden, S.580), ansonsten aber die damalige Zucht und Ordnung als
vorbildlich ansieht: Lob auf Wehrmacht, Ritterkreuzträger, kerndeutsche Substanz, völkisches Bewußtsein, preußische Zackigkeit
und Pflichterfüllung; Verdammung von "Umerziehung", Asylgewährung (außer für Deutschstämmige), basisdemokratischen Ansätzen,
Pluralismus, Frauenemanzipation - also vieles, was eine demokratische Gesellschaft erst ausmacht. Sogar Ulbrichts Bau der
Berliner Mauer 1961 begrüßt er, denn es drohte die DDR als deutscher Staat im Osten und östliches Siedlungsgebiet unseres
Volkes auszubluten. Vor allem rückte ihr viel notwendige Intelligenz ab - die meisten als Wirtschaftsflüchtlinge. Damit wäre
auf die Dauer Ostdeutschland (das ja eigentlich Mitteldeutschland ist!) so ausgedünnt worden, daß eines Tages die Polen hätten
nachdrücken können, die sowieso von der Elbegrenze seit einem Jahrhundert und länger träumen. Wie aber wollen wir Deutschen
unseren Anspruch auf die von den Polen geraubten Ostgebiete aufrecht erhalten, wenn viele in unserem Volke nicht einmal mehr
bereit sind, ältestes deutsches Siedlungsgebiet in der DDR zu bewohnen und zu erhalten. Diesen pflichtvergessenen Menschen
mußte es Ulbricht ganz deutlich mittels einer Mauer sagen und gegen Flüchtlinge mit scharfen Mitteln vorgehen. Ich sehe im
Mauerbau Ulbrichts große gesamtdeutsche Leistung, das wohl einzig Deutsche, was er uns sonst unter allem Schaden getan hat. Es
ist eine uralte Lehre der Geschichte, daß in aufgegebene Räume der Nächststärkste einrückt. Hier in der BRD versuchen sich
Hunderte von Politikern in einer Besiedlung durch Afrikaner und Asiaten. Sie sind viel schlimmer und in ihren Nachwirkungen
verhängnisvoller für unser Volk als die national denkenden und preußisch handelnden Kommunisten von drüben. Das ist für uns
Nationaldeutsche im Westen das große Dilemma, das wir sehen müssen. Deutsche gehören allemal in die Gebiete zwischen Maas und
Memel, Etsch und Belt, niemals Türken und Tamilen, Afrikaner und Afghanen. Deutschland droht die Gefahr als Volk und Nation
nicht von der Zementmauer der DDR-Herren: vielmehr von der Menschenmauer der Fremden in der BRD, die mitten durch unsere Herzen
und Seelen geht! (S.448f.)
Solche Auslassungen, um der Authentizität willen bewußt ungekürzt zitiert, besagen mehr als jede kommentierende Bewertung.
Dabei erlaubt sich - eine Ironie des Schicksals - gerade dieser Deutschtum-Fanatiker in seinem Buch viele Schnitzer in
Rechtschreibung und Grammatik, so daß man an seiner völligen Beherrschung der deutschen Sprache durchaus Zweifel anmelden
kann.
Seine Idee vom militanten Humanismus, mit dem er sich von üblichen humanistischen Konzeptionen abgrenzen will, sei
auch anhand seines Kommentars zum Mordversuch an dem Studentenführer Rudi Dutschke 1968 dargestellt: Ich habe dieses
Attentat damals begrüßt, weil endlich ein Exempel statuiert wurde, das abschreckend wirken konnte. Man kann sich nicht alles
gefallen lassen. Gerade die Leute des roten Rudi wollten, wenn sie zur Macht kämen, ihren Gegnern keine Gnade schenken, wie RD
einmal betonte. Also war es richtig, sie nach ihrer eigenen Parole zu behandeln ,Macht kaputt, was euch kaputt macht'. So muß
der demokratische Staat mit seinen Feinden umspringen; und auch der Humanist, wenn er sich den Weg zur Humanität nicht von
Einzelnen verbauen lassen will. Das geschieht meistens im Sinne der Ordnung, des Rechts und letztlich der Humanität, um allen
das zu erhalten, was wenige zerstören wollen. Jeder Terror kann nur mit Gewalt gebrochen werden... (S.503f.) Kaum weniger
sanft kommt 1982 der ihn (völlig sachlich und gewaltfrei) kritisierende Frank L. Schütte weg, damals Chefredakteur der
MIZ: Klar, daß man mit solchen Typen keine Gespräche führt, sie sind nicht kooperativ, da bleibt oft nur der
Polizeiknüppel als eine Argumentationshilfe übrig. (S.713)
Da schmeichelt Bronder die Begegnung mit dem erzkonservativen Christen Carl Carstens schon mehr: Eine ganz besondere
Ehre und Freude war es für mich, daß ich einem der hervorragendsten und charakterlich wertvollsten Politiker unserer Zeit in
der BRD vorgestellt wurde, dem anwesenden Herrn Bundespräsidenten, Prof.Dr.Dr.h.c.mult. Carl Carstens, einem 1914 in Bremen
geborenen, hervorragend aussehenden Manne von kerndeutscher Haltung, dem meine Hochachtung gilt. Der gelernte Jurist war; wie
ich einst, Mitglied der NSDAP und von Hitlers SA gewesen, im Kriege Luftwaffen-Offizier. (S.676)
Da ist der Schritt zur Verehrung von Führers Stellvertreter Heß nicht mehr weit, der für ihn wohl der einzige Deutsche
dieses Jahrhunderts gewesen (ist), der den Friedens-Nobelpreis würdig verdient hätte. (S.772)
Freilich kommt auch er nicht an ein Vorbild aus Jugendzeiten heran, das Bronder offenbar noch in bester Erinnerung hat:
Ich war sofort fasziniert von ihm und bin auch im späteren Leben nie wieder einem Menschen begegnet, von dem eine so starke
Ausstrahlung ausging. Mir gefiel besonders das harte Gesicht mit dem energischen Kinn, das heute freundlich strahlte. Mich
bannten seine übergroßen blauen Augen, die einen förmlich festhielten und nie mehr loszulassen schienen. Sie machten mich
glauben, daß wohl auch die Augen des großen Preußenkönigs Friedrich so ausgesehen haben mochten ... Für mich war es eine
Sternstunde meines Lebens, Auge in Auge mit dem Gestalter des deutschen Schicksals (S.61).
Millionen von KZ-Verfolgten, Kriegsopfern und Angehörigen werden diesen Schicksalsgestalter Adolf H. vielleicht in etwas
anderem Lichte sehen...
Wenn auch großenteils eine Mischung aus eitler Selbstbeweihräucherung, persönlicher Schilderung ohne Belang für
Außenstehende und völkischem Aufguß - drei Verdienste hat das Buch trotzdem. Zum einen macht es den jüngeren Leser, der heute
ja kaum mehr mit unverblümt daherredenden Altnazis in Berührung kommt, mit deren Vokabular und Denkweise bekannt. Man spürt
hautnah: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.
Zum zweiten gibt es einen Einblick in die Strömungen innerhalb der zahlenmäßig größten kirchenfreien deutschen Organisation,
die einstmals 80.000 Mitglieder zählte, mittlerweile aber auf ein Viertel geschrumpft ist. Bezeichnend sind die Ausführungen
zum Abschluß eines Staatsvertrags der Freireligiösen mit dem Land Niedersachsen 1970: Kernpunkt war eine finanzielle Regelung.
In Anerkennung unserer Arbeit für alle 400.000 kirchenfreien Bürger des Landes, die weitgehend von uns mit Trauerfeiern und
Jugendweihen betreut wurden, von denen aber nur rund 10.000 bei uns Mitglieder waren (heute weniger als halb so viele,
Anm.d.V.) wurde uns ein weit höherer Kopfsatz an Staatsgeld pro Mitglied gewährt als bei den Kirchen. ...Was den Kirchen recht
war, sollte uns billig sein. Viele Freidenker haben den Vertrag abgelehnt, aber wir waren - trotz der grundsätzlichen Forderung
nach Trennung von Kirche und Staat - der Meinung, solange das nicht geschehen sei, müßten wir gleiche Rechte fordern.
Bescheiden verlangten wir 120.000 DM jährliche Dotation als Zuschuß zu unseren (weit höheren) Personalkosten. Sie wurden
anstandslos bewilligt und machen heute bereits 280.000 DM p.a. aus, da sie an die steigenden Gehälter der Landesbeamten
gekoppelt sind. Ohne diesen Zuschuß wäre die freireligiöse Gemeinschaft aus eigener Kraft nicht mehr am Leben ... (S.532;
Hervorhebung durch den Rezensenten. Aus heutiger Sicht trifft das Schlußurteil für die meisten anderen Landesverbände eher zu,
da sich gerade in Niedersachsen nach des Autors Rückzug neue Ansätze entfaltet haben.) Bronder verrät auch, wie sich die
öffentliche Hand darüber hinaus immer wieder bei der Durchführung von Kongressen oder beim Erwerb von Immobilien äußerst
spendabel zeigt: Die Stadt Hannover schenkt 1959 den Grund in zentraler Lage für das Haus Humanitas (damaliger Wert
137.000 DM, heute über eine Million DM), und das Land Niedersachsen legt 1962 für die Fertigstellung neben umfangreichen
allgemeinen Fördermitteln noch einmal 60.000 DM verlorenen Zuschuß hin. Auch der Landeszuschuß von 12.000 DM zum Europäischen
Humanisten-Kongreß 1968 findet Bronders Rechtfertigung, da alle Länder und Großstädte z.B. für bei ihnen stattfindende
Kirchentage beider Konfessionen öffentliche Mittel jeweils in Millionenhöhe spendieren (S.505). Wieviel die öffentliche
Hand zu den 100.000 DM Kosten des Humanistischen Weltkongresses 1982 beisteuerte, läßt er indirekt durchblicken, ohne Zahlen zu
nennen: Sicher spielten meine guten Verbindungen zur CDU eine hilfreiche Rolle, daß gerade die christliche Landesregierung
Dr. Albrecht uns mit einer erheblichen Summe dotierte ... auch die Landeshauptstadt, SPD-beherrscht, gab einen ansehnlichen
Zuschuß (S.709).
Es liegt auf der Hand, daß Verbände, deren Existenz so stark von öffentlichen Steuermitteln abhängt, schon aus purem
Selbsterhaltungstrieb nicht ernsthaft an einer Trennung von Staat und Kirche interessiert sein können.
Zum dritten ist der Autor, so maßlos er seine gesamtgesellschaftliche Bedeutung überschätzt, innerhalb der freireligiösen
Bewegung nicht irgendwer. Zu deren fünf einflußreichsten Funktionären seit 1945 ist er allemal zu zählen, und seine
biografischen Details offenbaren so viele treudeutsche Verbindungen zu alten Kameraden, daß sie die angeblich so demokratische
und antifaschistische Fassade der freireligiösen und unitarischen Verbände schwer beschädigen. Der BFGD und verwandte
Organisationen sind nach Erscheinen dieses Buchs schon eine Erklärung schuldig, wie es möglich war, daß sich eine so tiefbraun
gefärbte Person samt unterstützendem Umfeld jahrzehntelang bis weit in die achtziger Jahre hinein als führender Funktionär
halten und bis 1980 sogar nahezu unangefochten seine nationalreligiösen Ideen als offizieller Verbandssprecher weiterverbreiten
konnte. Bei solchen SPD-Typen wird verständlich, wieso jeder vierte REP- oder NPD-Wähler aus dem SPD-Lager kommt.
Natürlich ist längst nicht jeder heutige BFGD-Aktive auf der äußersten rechten Ecke anzusiedeln (zumal nicht in Bronders
einstiger Hauptwirkungsstätte Niedersachsen sowie in Bayern und NRW), aber es ist höchste Zeit, daß sich die
demokratisch-humanistische Mehrheit eindeutig von der immer noch präsenten Lobby der Ewiggestrigen trennt, insbesondere von
jenen ehemaligen "Ludendorffern", deren Nachfolge-Organisation Bund für Gotterkenntnis 1959 als rechtsextrem verboten
worden war und die dann verschiedene benachbarte Organisationen infiltriert hatten.
Die DDR-Freidenker wurden schon ein Jahr nach ihrer Gründung zu einer offenen Diskussion über ihre Stasi-Vergangenheit
gezwungen; dieses Buch sollte Anlaß sein, nach 40 Jahren Totschweigen eine ähnliche Aufarbeitung innerhalb der Unitarier, des
Deutschen Volksbunds für Geistesfreiheit und des BFGD einzuleiten - spät, aber nicht zu spät.
Nachtrag: Am 15.3.1991 meldete die Frankfurter Rundschau den Austritt des umstrittenen
Historikers Dietrich Bronder aus der CDU, nachdem diese ein Ausschlußverfahren eingeleitet hatte, weil Bronder die
Nazi-Euthanasie und die Todesurteile des Volksgerichtshofs verteidigt hatte. Noch Ende Februar hatte ihn die Bad Gandersheimer
CDU mit einem Adenauer-Teller gewürdigt, obwohl Teilen der örtlichen Parteiführung das hier besprochene Buch bereits bekannt
war.
Gerhard Rampp