§166 StGB - Der Ermittlungsausschuß informiert

Aus: MIZ 3/93

Es wird zunehmend üblich, sich mit den Inhalten des Glaubens nicht "auf der Ebene der Argumente auseinanderzusetzen, sondern durch Spott und Hohn". Und "Spott und Hohn haben immer eine zersetzende und zerstörerische Wirkung für das Zusammenleben". Diese Auffassung vertritt zumindest Kardinal Franz König. Was auf solcherlei Feststellungen meist folgt, ist der Ruf nach der Staatsanwaltschaft. In einigen Fällen ist diese auch wieder gegen den "zersetzenden Geist der Zeit" (Kurt Tucholsky) aktiv geworden. Zunehmend seltener trifft es Texte; der Trend geht eindeutig dahin, Verbildlichung von Kritik zu unterbinden.

Während in Deutschland die Öffentlichkeit den "Gotteslästerungsprozessen" nur noch wenig Aufmerksamkeit schenkt, schlagen in Österreich die Wogen hoch und die christlichen Leitartikler drein. PolitikerInnen werden zum Rücktritt aufgefordert, KirchenkritikerInnen mit den Nationalsozialisten gleichgesetzt.


Wien

Erneut Verfahren gegen Theatergruppe "Habsburg Recycling"

Wie schon für ihr Programm Fröhliche X-Nacht haben sich Thomas Gratzer und Harald Posch von der Theatertruppe Habsburg Recycling auch für ihr neues Stück eine Anzeige wegen Verstoßes gegen den §188, den österreichischen Gotteslästerungsparagraphen, eingehandelt. Damals, zu Weihnachten 1991, hatte die "blasphemische" Darstellung der "Heiligen Familie" den Anstoß des Katholischen Familienverbandes erregt. Die Anzeige war nach Auskunft der Regisseure aber wegen eines Formfehlers im Sande verlaufen. Die diesjährige Neuevangelisierungstour 93 ist eine Collage aus Bibelzitaten und Äußerungen von Würdenträgern der katholischen Kirche sowie recht eigenwilligen Interpretationen von Gebeten und Kirchenliedern. In satirischer Weise setzen sich die Künstler mit Jungfrauengeburt und Fetischismus auseinander, verlachen katholische Dogmen und amtskirchliche Heuchelei.

Während das Kabarett, von der Zeitschrift Falter als "grobianisch und pointiert gearbeitet" gelobt, beim Publikum bestens ankam, echauffierte sich erneut der Generalsekretär des Katholischen Familienverbandes der Erzdiözese Wien und erstattete Anzeige. Die Verspottung religiöser Symbole, die Verdrehung von Bischofsworten und die Behauptung, Josef und Maria hätten miteinander Petting ... - dies alles gehe unter die Gürtellinie und müsse deshalb mit dem "letzten Mittel der Anzeige" beantwortet werden. An die Wiener Kulturstadträtin erging eine Rücktrittsforderung, weil ihre Behörde das Projekt finanziell gefördert hatte.

Noch bevor ein Verfahren überhaupt eröffnet ist, hat in der kirchenfreundlichen Presse ein Sturm der Entrüstung eingesetzt und eine Grundsatzdebatte darüber, wie weit die Freiheit der Kunst eigentlich gehe. Obwohl in Österreich nur das religiöse Bekenntnis (und nicht das weltanschauliche allgemein) geschützt ist, obwohl in Österreich bis heute Herbert Achternbuschs Film Das Gespenst verboten ist, obwohl der österreichische Verfassungsgerichtshof die ohnehin erst 1982 in die Grundrechtsbestimmungen aufgenommene Kunstfreiheit schon drei Jahre darauf an die "allgemeinen Gesetze" band - trotz alledem sahen einige Kommentatoren die "letzten Fundamente" der Gesellschaft bedroht. Der bereits zitierte Kardinal König fühlte sich an die anti-christliche Agitation der Nationalsozialisten erinnert, der Wiener Weihbischof Schönborn machte Religionskritik als eine der Ursachen von Fremdenfeindlichkeit aus. Von dem Philosophieprofessor Norbert Leser mußten sich all jene, die sich köstlich über die satirische Darstellung amüsieren konnten, gar sagen lassen, daß sie in Fragen der Kunst "einer elitären, viel eher faschistischen als demokratischen Arroganz huldigen".

Posch und Gratzer nehmen's bislang offensichtlich gelassen. Als nächstes Stück, so heißt es, wollen sie eine Messe inszenieren.

Quellen:

Der Falter 13/1993; Presse vom 13.3.1993; Kurier vom 21.3.1993; Wiener Kirchenzeitung vom 21.3.1993; Standard vom 10.4. und 14.4.1993

Mitteilung des Freidenkerbunds Österreichs vom 1.7.1993


Zweibrücken

Der Papst darf in die Peep-Show

Mit einem Freispruch in der Berufungsinstanz endete das Verfahren gegen die Tonkünstler Uli Franke und Fritz Weber von der Gruppe Negrosex. Ende 1989 war deren Platte "God and Evil" erschienen und zeigte auf dem Cover einen unter dem Amtsrock des Papstes hantierenden Priester vor einer Peep-Show. Als die verwendete Fotomontage in einem Lokalblatt abgedruckt wurde, erstattete das Bischöfliche Ordinariat Speyer Anzeige gemäß §166 StGB. Die Staatsanwaltschaft sah den Tatbestand der Beschimpfung einer Religionsgemeinschaft jedoch als nicht erfüllt an.

Trotzdem kam es zum Prozeß und zur Verurteilung. Da der §166 StGB nicht zur Verfügung stand, wich staatsanwalt auf jenen Paragraphen aus, der schon in Kaiserreich und Weimarer Republik eine Hintertür für religiös motivierte Zensur bot. Wegen "Vergehens gegen das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften" wurde damals verfolgt, was sich in einer anderen als in einer akademischen Weise mit Sexualität befaßte. Auch das Amtsgericht Pirmasens nutzte diese Möglichkeit und verurteilte die beiden Angeklagten zu Geldstrafen.

Eineinhalb Jahre nach dem ersten Prozeß hat das Landgericht Zweibrücken diesen Urteilsspruch nun aufgehoben und die beiden Künstler freigesprochen. Der Papst kann also getrost in die Peep-Show gehn.

Quelle:

Main-Echo vom 5.4.1993.


Ulm

Eröffnung eines Verfahrens abgelehnt

Die Staatsanwaltschaft Baden-Baden hat die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen das Schloß-Theater Rastatt abgelehnt. Anfang des Jahres hatte die Bühne mit einem Plakat für die Komödie Der Messias geworben, auf dem der vermeintliche Gottessohn zu sehen war, wie er mit einer Narrenkappe auf dem Querbalken des Kreuzes sitzt. Die überkonfessionelle Bewegung Christen für die Wahrheit hatte daraufhin Anzeige erstattet.

Ein - unerwartetes - juristisches Nachspiel hat die Sache nun doch noch. Ein Jurist, der kein Verständnis für die Niederschlagung des Verfahrens hatte, beharrte darauf, daß hier ein gotteslästerlicher Akt vorgelegen habe und wies den Staatsanwalt mit drastischen Worten auf sein Fehlverhalten hin. Dieser wiederum hatte dafür kein Verständnis, so daß nun anstelle der "Gotteslästerer" dem Streiter Gottes ein Strafbefehl ins Haus flatterte - so ungerecht kann die Welt sein.

Quelle:

Ulmer Wochenblatt vom 4.8.1993.