§ 166 - Der Ermittlungsausschuß informiert

Aus: MIZ 1/94

Der §166 StGB befindet sich in einer ernsten Krise. Nicht etwa, daß es dem liberalen Teil der Gesellschaft gelungen wäre, seine Streichung durchzusetzen. Der gesellschaftliche Wandel setzt den "Gotteslästerungs"paragraphen unter Druck.

Denn immer seltener richtet sich die Verfolgung gegen Kirchenkritik oder bewußte Provokationen. Die rasant fortschreitende Säkularisierung führt nämlich dazu, daß immer breitere Bevölkerungsschichten einen spielerischen Umgang mit religiösen Dingen als selbstverständlich ansehen; ehemals "Heiliges" wird so seines ursprünglichen Sinnes entkleidet und ins alltägliche Leben integriert, findet Verwendung in der Werbung oder als Partyattraktion. Die Kirchen und die ihnen traditionell zugetanen Staatsanwaltschaften haben sich auf diesen Trend noch nicht eingestellt. Was in der Bevölkerung schon fast niemanden mehr stört, wird weiterhin als Verletzung (kaum mehr vorhandener) religiöser Gefühle verfolgt.

Nürnberg

Verfahren gegen Disco eingeleitet

Die Nürnberger Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die BetreiberInnen der Nobeldisco Mach 1. Ihnen wird vorgeworfen, durch die Gestaltung einer Decadence-Party religiöse Bekenntnisse beschimpft zu haben. Stilecht habe ein Bischof in vollem Ornat das Eintrittsgeld kassiert, die Bedienungen seien als Nonnen mit Strapsen ausstaffiert gewesen; den Höhepunkt habe die "Kreuzigung" einer Tänzerin dargestellt. Im Hintergrund des Spektakels seien auf einer Leinwand Videos mit Auftritten von JP II. gezeigt worden.

Obwohl die katholische Kirche von einer Anzeige gegen die ihrer Auffassung nach "geschmacklose" Darbietung abgesehen hat, wurde die Staatsanwaltschaft von sich aus initiativ und leitete ein Ermittlungsverfahren ein.

Quelle: Main-Echo vom 4.11.1993

Kaiserslautern

Aufregung um Werbeplakat

Für Wirbel sorgt derzeit ein Werbeplakat des Modemachers Otto Kern. Mit zwei Abendmahlszenen hatte der für Bluejeans geworben. Das eine Bild zeigte einen weiblichen "Jesus" mit zwölf Jüngern, die zwar alle Jeans, aber kein Hemdchen anhaben; beim anderen ist das Geschlechterverhältnis umgekehrt: "Jesus" ist von zwölf Jüngerinnen umringt, die ebenfalls nur Beinkleider tragen.

Die Deutsche Bischofskonferenz hat dem Modemacher daraufhin die Verletzung religiöser Gefühle vorgeworfen. Kern wiegelte ab: "Wir glauben an Gott und wollten mit unserer Fotoserie nur eine aktuelle Umsetzung von biblischen Themen". Ob der katholische Kierus darauf geantwortet hat, daß biblische Themen weder aktuell noch umsetzbar seien, ist nicht bekannt.

Das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) hat mittlerweile eine Beschwerde der "Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs" gegen ein Urteil des Landgerichts Frankfürt zurückgewiesen. Das hatte nämlich eine einstweilige Verfügung gegen die Kern-Werbung in erster Instanz abgelehnt. In dem OLG-Urteil heißt es, die kritisierten Werbefotos stellten keinen Verstoß gegen die guten Sitten im Wettbewerb dar. Von den Motiven gehe keine "Diffamierung oder Verächtlichmachung" von Glaubensinhalten aus.

Quellen: Westfälische Rundschau vom 7.12.1993, Kinzigtal-Nachrichten vom 17.2.1994

Köln

Stunk um "Tünnes"

Der Regisseur der alternativen Karnevalsveranstaltung "Stunksitzung" (in Anspielung auf die Prunksitzung der humorlos-konventionellen Jecken) ist vor dem Kölner Amtsgericht vom Vorwurf der Gotteslästerung freigesprochen worden. Als auf den Sitzungen im Frühjahr 1993 ein Schild mit der Aufschrift "Tünnes" eher zufällig über einem Kruzifix angebracht wurde, erstattete ein katholischer Devotionaliensammler Anzeige. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte das gemeingefährliche Schild bei einer Hausdurchsuchung, ließ das Kreuz aber zurück, das in den folgenden Veranstaltungen mit der Inschrift "Welche Tünnes hat dat Schild?" verziert wurde und bei der Publikums-Antwort "die Staatsanwaltschaft" erst recht für Heiterkeit sorgte.

Gegen den Strafbefehl der staatlichen Sittenwächter über 6000 DM wegen Gotteslästerung erhob der Regisseur Einspruch, dem das Gericht wegen des Vorrangs der Kunstfreiheit stattgab.

Bereits 1992 hatte die Stunksitzung für klerikalen Unmut gesorgt, als sich der als "Irokesen-Heinz" bekannte Büttenredner des gerade inthronisierten Kardinals Meisner annahm. Die Wiedergabe im WDR war nur deshalb unangetastet geblieben, weil ein technischer Defekt auftrat, als der kölsche Satz fiel: "Evver ä Arschloch isser doch."

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 19.2.1993; Frankfurter Allgemeine vom 3.9.1993