Von der "Apologetischen Centrale" zur EZW

Rudolf Ladwig

Aus: IBKA Rundbrief Dezember 2004

Der "Central-Ausschuß der Inneren Mission(1) der Deutschen Evangelischen Kirche" gründete 1921 - u.a. als Reaktion auf verzehnfachte Kirchenaustrittszahlen gegenüber der Vorkriegszeit - die "Apo­logetische Centrale".

Die AC(2) sollte als Teil der Volks­mission im Sinne einer "geschlossenen christlichen Weltanschauung" die Aus­einandersetzung mit nichtchristlichen Strömungen führen, also u. a. im Ver­hältnis von "Glaube und Wissen" den Kampf gegen Anthroposophie, Darwinis­mus, Monismus, Spiritismus, Okkultis­mus in Hinsicht auf die Verteidigung der "Absolutheit des Christentums"; im Verhältnis von "Glaube und Sittlichkeit" u.a. den Kampf gegen Marxismus und um die Sexualethik.

Die AC fungierte als Materialsammel- und Auskunftsstelle, führte apologetische Schulungen durch, organisierte Vorträge und publizierte mit der Fachzeitschrift "Wort und Tat" zu Fragen des Welt­anschauungskampfes.

Bereits 1928 rechnete der AC-Grün­dungsleiter, Carl Gunter Schweitzer, die Freidenker als "dritte Konfession". Insbe­sondere der Aufschwung der proletari­schen Freidenker im Rahmen des bürger­lichen Weimarer Verfassungsstaates - unter dem Burgfrieden von Sozialdemo­kratie und Zentrum - wurde kirchlicher­seits als Vorbote der Religionsverfolgung Stalins in Sowjetrussland verzeichnet, obgleich die KPD nicht einmal bereit war, die Parteimitgliedschaft vom vorhe­rigen Kirchenaustritt abhängig zu machen und der freidenkerische KPD-Politiker Peter Maslowski(3) beklagte, die Freiden­kerei werde innerhalb der KPD gar als "Störenfriede der Parteiarbeit" - im Hinblick auf die Gewinnung der Unter­stützung auch traditionell gläubiger Pro­letarier - betrachtet. Die "Wirklichkeit einer kämpfenden Kirche" bestand darin, mit Hilfe des Zen­surparagraphen 166 StGB gegen Reli­gionskritik vorzugehen und auf inoffiziellem Wege bei den Ländern die Bestrebungen des Frei­denkerverbandes, den Status der Kör­perschaft des öffentlichen Rechts zu erlangen, erfolgreich zu hinter­treiben.

Der Deutsche Evangelische Kirchen­rat gab der AC speziell für den "Kampf gegen die Gottlosenbewegung" finanziel­le Zuschüsse. Für den Zweck der Frei­denkerbekämpfung nahm die Kirche ab 1931 staatliche Subventionen des Reichs­innenministeriums bereitwillig an, welche formal als "Förderung der literarischen Arbeit" getarnt waren und zur Verschleie­rung dem Privatkonto eines Beauftragten der AC gutgeschrieben wurden. Eine genaue Rechenschaftslegung der Kirche über die Verwendung dieser Staatssub­vention wurde staatlicherseits bewusst vermieden. Bereits seit 1926 wurden von der AC Flugblätter und Zeitschriften der Frei­denker gesammelt und 1930 zu einem systematischen Freidenkerarchiv ausge­baut. 1932 publizierten die führenden AC-Mitarbeiter Schweitzer und Walter Künneth ein Handbuch "Freidenkertum und Kirche", welches sämtliche Frei­denkerischen Organisationen - die unter­einander ideologisch zerstritten waren - als "einheitliche Front" bekämpfen sollte. Das Handbuch propagierte als kirchlich-publizistische Gegenstrategie zur Frei­denkerbewegung die Schulungsarbeit der Pastoren und Laien, zur Heranbildung von "Führern" "an der Front des Welt­anschauungskampfes", um in Freidenker­versammlungen bei Rededuellen aufzu­treten und Gegenveranstaltungen durch­zuführen.

Bereitwillig stellten die Mitarbeiter der Apologetischen Centrale unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers dem Reichsinnen- und Propagandaministe­rium sowie der Geheimen Staatspolizei Material über die politische Haltung verschiedener religiöser Gemeinschaften zur Verfügung. Damit machte sich die Spandauer Stelle - wenn gleich nur kurze Zeit - zur Erfüllungsgehilfin im Kampf des NS-Regimes gegen vermeintliche wel­tanschauliche Staatsfeinde(4).

Der genaue Zusammenhang der AC-Auskünfte an das Berliner Polizeipräsi­dium und das Reichsinnenministerium, die Folgen der Übergabe von AC-Dossiers über Freidenker an die Gestapo, mit der anschließenden Verhaftungswelle des NS-Regimes gegen Freidenker, sind bislang noch nicht erforscht.(5)

Der Kollaborationsvorgang der AC mit der Nazidiktatur steht auch nicht isoliert, denn 1933 forderten etliche Kir­chenvertreter vom NS-Staat ein Verbot konkurrierender Bewegungen: Zeugen Jehovas, Neuapostolische Christen, Mor­monen, Adventisten - und insbesondere natürlich der Freidenker(6)! Weiterhin flos­sen staatliche Gelder an die AC, die nun allerdings über deren genaue Verwen­dung Rechenschaft ablegen musste. Auch AC-Mitarbeiter lieferten dem NS-Staat Verbotsempfehlungen. Die AC erwies sich "als willfähriger Partner des Natio­nalsozialismus im Kampf gegen vermeint­liche Feinde des Volkstums."(7)

Im Sommer 1933 wurden wesentliche Leitungsfunktionen in der AC kurzzeitig auf dezidiert nazifreundliche Pfarrer der "Glaubensgemeinschaft Deutsche Chris­ten" (GDC) übertragen. Jedoch stellten sich auch die - nur vorübergehend - Entmachteten (Künneth) in den Dienst für einen "Neuausbau des Reiches" im Sinne einer bereitwilligen Prüfung kirchlicher Kompatibilität mit der Naziprogrammatik vom "positiven Christentum" in Abgren­zung von allzu völkischer bzw. neu­heidnischer "Deutschgläubigkeit".

Dies bedeutete eine radikale Abrechnung mit der liberalen Theologie. Die AC sammelte nun insbesondere Materialien über völkisch-religiöse Gruppen. Der Evange­lische Preßverband (E.P.D.) für Deutsch­land stellte in seiner Publikation "Signale" sich 1933 offen in den Dienst der Abwehr einer angeblichen "jüdischen Zerset­zungsagitation des Bol­schewismus", wer beim "Widerstand gegen die Juden" nicht mitmache, "vergeht sich gegen Gottes Willen".

Der evangel. Theologe Kurt Hutten (1901-1979), Mitarbeiter des vorerwähn­ten Preßverbandes und Autor der AC, war gleichfalls Mitglied der GDC und Anhän­ger des "völkischen Denkens". Er strebte 1932 die Umbildung des Evang. Volks­bundes an, in dem das Führerprinzip zur Geltung kommen sollte. Der Württem­berger Hutten publizierte einen "Material­dienst" und entfaltete in Zusammenarbeit mit der AC 1933ff eine rege Vortrags­tätigkeit. "Die Veröffentlichungen Huttens in den 30er Jahren zeigen ihn auch als jemanden, der die notwendige Distanz zur Ideologie des Nationalsozia­lismus nicht immer eingehalten hat, was nicht verschwiegen werden soll."(8)

Die AC wurde 1937 vom NS-Staat zwangsaufgelöst. Einige Mitarbeiter der AC hatten sich mit Opposition gegen die GDC und zarter Kritik an "völkischer Religion" (u. a.: Rosenbergs "Mythos") beim totalitären Staat und den ideo­logischen Repräsentanten der NS-Bewe­gung ausreichend unbeliebt gemacht. Der Materialdienst Huttens wurde erst 1941 eingestellt.

Der ehemalige AC-Propagandist, Kurt Hutten(9), wurde 1960 zum Grün­dungsleiter der von der EKD neu ge­gründeten EZW mit Sitz in Stuttgart berufen und blieb dies bis 1968.

Die EZW sollte die als Bündelung fehlende apologetische Arbeit (Konkur­renzbeobachtung + Volksmission) der Vorgängerorganisation AC unter den veränderten Rahmenbedingungen wieder neu aufgreifen und systematisch fortent­wickeln. Gesucht waren "brauchbare Hilfsmittel für den modernen Geistes­kampf um Christus". Die früheren AC-Leiter Schweitzer und Künneth wurden in das neue Kuratorium der EZW berufen. Die Nachkriegskontinuität der EZW zur AC ist auch personell völlig eindeutig.

Die "Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland"(10) gründete 1994 das "Walter-Künneth-Institut, als weitere "Nachfolgeeinrichtung der Apologeti­schen Centrale". Dort wirft man der heutigen EZW mangelnde Bibeltreue vor und versteht sich selbst als "Angriff in missionarischer Perspektive". Als Geg-ner hat man sich insbesondere den "aggressiven Feminismus" und den "als Antifaschismus getarnten Sozialismus" auserkoren. Die zarte historische Kritik von Mitarbeitern der EZW an der Affi­nität der AC zum NS-Staat wird vom WKI, ebenso wie bei Sektenpfarrer Thomas Gandow, schlichtweg konse­quent apologetisch behandelt: Die AC sei der schärfste kirchliche Gegner des NS-Staates gewesen.

1 Bereits 1931 betrieb der CA eine vertrauliche "Fachkonferenz zur Eugenik", in welcher die evangelischen Erbgesundheitsapostel, darunter etliche Leiter evangelischer Behin­derteneinrichtungen, der späteren Sterilisationspolitik der Nazis an Behinderten argu­mentativ Vorschub leisteten. Siehe: Ernst Klee: "Die SA Jesu Christi". Die Kirche im Banne Hitlers. Frankfurt 1989, S. 83-103.

2 Die Darstellung folgt i. W. der theologischen Dissertation von Matthias Pöhlmann: Kampf der Geister. Die Publizistik der "Apologetischen Centrale" (1921-1937). Stuttgart, Berlin, Köln 1998, deren Verfasser inzwischen für die EZW arbeitet.

3 Peter Maslowski: Klerikalismus und Proletariat. Aschaffenburg 2003, S. 43 u. 59.

4 Matthias Pöhlmann: Evangelische Apologetik im Wandel der Zeit. In: Die EZW im Zug der Zeit. EZW-Texte Nr. 154, Juli 2000, S. 10.

5 Pöhlmann gibt in seiner Dissertation exakt sein Quellenmaterial an: Ein kleinerer Teil der 1945 von der Roten Armee beschlagnahmten AC-Archivmaterialien lagert heute noch immer in Moskau, der größere Teil wurde 1959 der DDR übergeben und 1991 schlichtweg dem Archiv des Diakonischen Werkes Berlin überlassen, einiges ist offen­bar unwiederbringlich verschollen. Zumindest Teile der Bibliothek der AC wurden nach 1945 undokumentiert in andere kirchliche Bibliotheksbestände (Ev. OKR, Berlin, Innere Mission; Diakoniewiss. Inst. der Universität Heidelberg) eingegliedert, wie anhand von AC-Buchstempelungen nachweisbar ist. Der Internetinformationsdienst RELIGIO, welcher vom "Dialogzentrum Berlin" mitbe­trieben wird, hinter dem der Sektenbeauftragte der evangelischen Kirche Berlin-Bran­denburg, Thomas Gandow, steckt, behauptet jedoch sehr pauschal und damit irre­führend, "Archiv, Bibliothek usw. wurden von der Gestapo beschlagnahmt und sind seitdem verschollen" (www.religio.de/dialog/295/295s57.html#ez4).

6 Gemeint sind die sozialdemokratischen und bürgerlichen freidenkerischen Orga­nisationen, die der Kommunisten waren bereits verboten!

7 Pöhlmann, Kampf der Geister, S. 215.

8 So vorsichtig kommentiert Reinhard Hempelmann: Zum 100. Geburtstag von Kurt Hutten. In: Materialdienst der EZW, 64. Jahrgang, 3/2001, S. 81, die Vorgeschichte seines Gründungsvorgängers in der EZW.

9 In (west)deutschen Nachschlagewerken und Lexika war jahrzehntelang Hutten der Fachautor für die Darstellung zum Thema/Begriff "Freidenker". Ausgerechnet der Spezialist für die Bekämpfung der Kirchenkonkurrenz, Hutten, wurde 1970 zum "Beauftragten der EKD für religiöse Minderheiten" ernannt.

10 Die 1966 von dem früheren GDC Pfarrer und seinerzeitigen NPD-Bundes­tagskandidaten Werner Petersmann mitbegründete ENiD erstrebt: "Zweck des Vereins ist die Besinnung auf den Auftrag der Kirche, der in der rechten Verkündung des Evangeliums besteht. Daraus ergibt sich notwendig auch die Treue im Umkreis der irdischen Pflichten zur Familie, zum Nächsten, zu Volk und Vaterland." In dem Periodikum der Evangelischen Notgemeinschaft, der monatlich erscheinenden "Erneue­rung und Abwehr" wird vor der "Überfremdung" gewarnt, es wird die "Reinheit der Völker" und "nationale Identität" gefordert sowie "ethnopluralistische Maßnahmen". Als die Denkfabrik des Vereins gilt das Walter-Künneth-Institut e.V., das Teil der Evan­gelischen Notgemeinschaft ist. Siehe: Jens Mecklenburg (Hg.) Handbuch Deutscher Rechtsextremismus, Berlin 1996, S. 382.