IBKA: Ein Nichtreligiöser als Exot

Aus: IBKA Rundbrief August 2004

Die Heinz-Schwarzkopf-Stiftung "Junges Europa" hat vom 17. bis 22. Februar 2004 in Berlin eine europäische Studentenkonferenz zum Thema "Religionen in Europa und ihre Rolle in der Zivilgesellschaft" durchgeführt. Einer der geladenen Experten war der IBKA-Vorsit­zende, Rudolf Ladwig.

Rudolf Ladwig

Ein Nichtreligiöser als Exot

Vom Versuch, die weltanschauliche Neutralität des Staates für die EU-Verfassung zu fordern und davon Religiöse zu überzeugen

Bereits vor der Tagung kam es zu einer Kontroverse. Die FAZ polemisierte am Vortag zur Veranstaltung: Denn vom kommenden Dienstag an dürfen in den SPD-Fraktionsräumen im Berliner Reichs­tag sowie im Willy-Brandt-Haus 80 aus­gewählte Studenten und Hochschulabsol­venten aus 26 Ländern fünf Tage lang über ,Religionen in Europa und ihre Rolle in der Zivilgesellschaft' mit Fach­leuten jeglicher Couleur diskutieren - mit Aus­nahme von Repräsentanten der ortho­doxen Kirchen und Vertretern der katho­lischen Kirche in Deutschland oder eines anderen westeuropäischen Landes. Dafür geben sich Protestanten ein munteres Stelldichein, was allerdings bei der per­sönlichen und politischen Nähe des EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber nicht verwundern sollte. So müßte das Konfe­renzprogramm auch weniger als kontra­faktischer Ausweis dessen gelesen werden, daß die Bundesrepublik protestantischer geworden sei. Das Land ist wahrschein­lich auch nicht preußischer oder nationa­ler oder nördlicher geworden. Aber dümmer.

Der Berliner Tagesspiegel schrieb: Zu einer Podiumsveranstaltung geladen sind der Ratsvorsitzende der Evangeli­schen Kirche, Bischof Wolfgang Huber, der Zentra­lratsvorsitzende der Muslime, Nadeem Elyas, ein jüdischer und ein anglikanischer Gelehrter, der General­sekretär des Europarates - aber keiner von der katholischen Kirche, der größten Glaubensgemeinschaft in Europa. Der Kirche, deren Chef, Papst Johannes Paul II., demnächst in Aachen den einmalig verliehenen außerordentlichen Karlspreis für sein Europa-Engagement erhält. Der Kirche, in der Franz Müntefering Ober­ministrant war.

Zutreffend an dieser Kritik ist, dass die christliche Religion bei der im Reichstag öffentlichkeitswirksam angesetzten Podi­ums­diskussion zum Tagungsauftakt nur mit einem evangelischen Repräsentanten vertreten war. Insofern aber unter den Referenten der Folgetage auch mehrere Katholiken waren, kann von einem Aus­schluss der Catholica gar nicht gesprochen werden. Allerdings war die evangelische Konfession eindeutig überproportional vertreten.

Der Tagesspiegel fährt also fehlinfor­mierend fort: Aber nicht nur dem künf­tigen SPD-Generalsekretär, auch den anderen Unterstützern der Konferenz scheint das Fehlen deutscher oder west­europäischer Katholiken unter den 20 Ex­perten nicht weiter aufgefallen zu sein: dem Auswärtigen Amt, der Europäischen Kommission, der Bundeszentrale für poli­tische Bildung und dem Bündnis für Demokratie und Toleranz. Dafür ist aber der Internationale Bund der Konfessions­losen und Atheisten zum Religionsdialog eingeladen.

Nun bestand aber die so inkriminierte Teilnahme überhaupt eines einzigen Vertreters der Nichtreligiösen - zugegebener­maßen bislang leider keine Selbstver­ständlichkeit! - gerade nicht im Rahmen der so begehrten öffentlichkeitswirksamen Podiumsdiskussion im Reichstag, sondern nur in einem kleinen internen Arbeitskreis von Studenten als geladener Experte. In der fünftägigen Konferenz fanden am Donnerstag von 15.15 - 16.00 Uhr acht parallele Experten-Hearings in separaten Arbeitsgruppen mit verschiedenen Frage­stellungen zu etwa je 10 Studenten statt. Aufgabe der Studenten war es, sich auf ihre jeweilige Arbeitsgruppe inhaltlich vorzubereiten, Informationen von dem je­weiligen Experten zu erhalten, diesen kritisch zu befragen und anschließend selbstständig ein Thesenpapier zu erar­beiten. Dieses Papier sollte dann - wie die anderen sieben Papiere der parallelen Gruppen auch - im Gesamtplenum disku­tiert und zu einem Abschlussdokument zusammen­geführt werden. Das mir übertragene Thema lautete:

"Schöpfend aus den kulturellen, reli­giösen und humanistischen Über­lieferungen Eu­ropas ?" (Entwurf über einen Vertrag über eine Verfassung für Europa, Juli 2003). In welchem Maße handelt es sich bei der christlichen Religion um das ultimative Fundament der Europäischen Union?

Hierzu übermittelte ich der Arbeits­gruppe vorab eine Sammlung von Texten, welche die Kritik der säkularen Verbände in Europa an einem Gottesbezug in der Präambel wie am Kirchenartikel I 51 ver­deutlichten und auch dokumentierten, was die COMECE (Kommission der Bischofs­konferenzen der Europäischen Gemein­schaft) wirklich unter "Dialog" versteht: www.humanism.be/text.htm

Zur Sitzung legte ich einen 26-seitigen Referattext vor, in dem sämtliche Be­hauptungen mit Quellenverweis belegt waren. Daraus habe ich dann die wesent­lichen Punkte zusammengefasst in 20 Minuten vorgetragen. Mein Vortrag mün­dete in folgende Forderungen:

Die ersatzlose Streichung des Kir­chenartikels I 51. Religiöse Gemein­schaften können - wie andere Ge­meinschaften auch - nach Artikel I 46 in der EU partizipieren; alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften werden gleichermaßen als Nichtregie­rungsorganisationen eingestuft, sie ha­ben keinen darüber hinaus gehenden Status, d. h.: Einstufung insbesondere der katholischen Kirche in inter­nationalen Gremien als NGO - wie bei allen anderen Religionsgemeinschaften bereits üblich. Das Kirchenrecht (CIC) ist staatlicherseits nur wie Satzungen von Vereinen zu berücksichtigen. Kirchliche Einrichtungen sind bei der Zuwendung von Subventionen allen anderen gesellschaftlichen Organisa­tionen gleichzustellen; eine welt­an­schau­lich-neutrale und historisch aus­ge­wogene Formulierung der Präambel, die auf religiöse Zumutungen ver­zichtet; die EU begreift die Welt­anschauungsfreiheit insbesondere als Individualrecht, dessen Verwirk­lichung in seinen Mitgliedsstaaten zu überprüfen ist. Sie soll aktiv darauf hinwirken, bestehende Verletzungen dieser Freiheit abzubauen. Es wird die Stelle eines Ombudsmenschen beim Europäischen Parlament eingerichtet. Diese Stelle legt einen jährlichen Be­richt über die Religions- und Welt­anschauungsfreiheit in Europa vor. Die EU schreibt vor, dass auf allen Ebenen (EU, Mitgliedsstaat, Regionen, Kom­munen) ein Schlüssel vorhanden sein muss, nach dem sämtliche staatlichen Subventionen (direkte Mittelzuweisun­gen, indirekte Mittelzuweisungen, Steuervorteile) für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften er­fasst werden. Hieraus ist ein jährlicher Subventionsbericht zu erstellen. Die EU bindet die Vergabe von Mitteln an Organisationen daran, dass diese die Grund- und Menschenrechte uneinge­schränkt einhalten. Die EU bindet die Vergabe von Mitteln an Organisa­tionen daran, dass diese demo­kratisch verfasst sind.

Anschließend ergab sich eine lebhafte Diskussion. Die Studenten in dieser Ar­beitsgruppe waren fast ausschließlich reli­giös orientiert. Es wurde im Hinblick auf eine Erwähnung des Christentums in der Präambel disputiert, welche politischen Elemente des modernen Europa eigentlich unbestreitbar originär auf christliche Wur­zeln zurückgehen. Strittig war auch, ob der Staat einen Verweis auf vermeintlich höhere Mächte (Gottesbezug) letztbegrün­dend wirklich braucht oder damit nicht eher seine weltanschauliche Neutralität verletzt. Insbesondere die deutschen Ka­tholiken unter den Teilnehmern haben versucht, meine Darlegungen als "Lüge" abzuqualifizieren. Besonders fühlten sie sich durch religionskritische Bemerkun­gen provoziert, in denen ich das Chris­tentum als Montage aus älteren religiösen Versatzstücken beschrieb und die norma­tive Irrelevanz dessen für Nichtreligiöse betonte. Ganz auffallend war, dass Katho­liken aus dem angelsächsischen Raum viel weniger polemisch einen Streit austragen konnten. Interessanterweise befand sich die einzige Muslima mit Kopftuch der Konferenz ausgerechnet in "meiner" Ar­beitsgruppe und prompt ergab sich natür­lich auch eine Kopftuchdiskussion. Mit den Studenten aus Osteuropa war der Punkt "Staatsatheismus" zu klären. Was mich erstaunte war, wie viele Studenten offenbar ein Faible für autoritär vorgege­bene Werte haben, statt deren kulturelle und historische Gebundenheit zu erkennen und auf Wertebegründungen zu setzen, die sich aus einem säkularen Verständigungs­modell ergeben. Ich gebe zu, dass ich die Arbeitsgruppe nicht mit dem Eindruck verließ, dort sonderlich erfolgreich eine Auffassungsänderung herbeigeführt zu haben. Mir wurde hinterher jedoch zumin­dest übermittelt, dass, nachdem mein Part beendet war, die Diskussion in der Gruppe noch sehr vertiefend weiterging.

Zum Abschluss der Konferenz wurde aus der Gruppe, an der ich kurz als geladener Experte beteiligt war, folgendes Thesenpapier entwickelt und auch als Position der Gesamtkonferenz (ja = 45, nein = 24, Enthaltungen = 9) beschlossen:

Arbeitsgruppe 3

Schöpfend aus den kulturellen, religi­ösen und humanistischen Überlieferun­gen Europas?" (Entwurf über einen Ver­trag über eine Verfassung für Euro­pa, Juli 2003). In welchem Ausmaß konsti­tuiert das Christentum die ulti­mative Basis der europäischen Union?

1. Ist Europa historisch betrachtet christlich?

Der wichtigste religiöse Einfluss in Euro­pa war das Christentum 1 mit allen daraus folgenden sozio-politischen Konsequen­zen. Andere religiöse Traditionen in Euro­pa existierten, wurden aber entweder vom Christentum absorbiert oder hatten einen zu geringen Einfluss, um den christlichen Charakter Europas zu verändern.

2. Ist das heutige Europa in kultureller Hinsicht christlich?

Europäische Kultur ist vielfältig, in Ent­wicklung und heterogen. Generell spielt das Christentum eine gewichtige kultu­rel­le Rolle in Europa. Während das Christen­tum in einigen Teilen Europas an Bedeu­tung gewinnt, verliert es in den meisten europäischen Regionen an Be­deutung. Gleichzeitig wächst die Rolle anderer weltanschaulicher Überzeugun­gen. Obwohl die Präambel des Entwurfs über einen Vertrag über eine Verfassung für Europa nicht direkt rechtlich bindend wäre, sind wir davon überzeugt, dass sie wichtige Grund­lagen für die Europäische Identität legt und deswegen zentral für die weitere Entwicklung der Europäischen Union ist.

3. Die pragmatische Entscheidung für Vielfalt

Im Bewusstsein, dass das Christentum das zentrale religiöse Erbe Europas darstellt, akzeptieren wir aufgrund pragmatischer Erwägungen trotzdem die Formulierung des aktuellen Entwurfs einer Verfassung für Europa 2, der das Christentum nicht explizit erwähnt. Dadurch möchten wir die Integration aller EU-Bürger und poten­tieller EU-Bürger, die nicht christlich sind, ermöglichen.

4. Prinzipien

Wir treffen die im dritten Satz getroffene pragmatische Entscheidung, da wir uns auf die zwei folgenden Prinzipien einigen:

  • Freiheit kann Religion nicht unter­drücken, aber Religion kann Freiheit unterdrücken
  • Nur ein Staat, der darauf verzichtet Re­ligion abzuschaffen, kann ein wirklich säkularer Staat sein.

1 Wir akzeptieren die Möglichkeit, dass "das Christentum" keine zu essentialisie­rende Ein­heit, sondern ein konstruiertes Konzept sein könnte.

2 "Schöpfend aus den kulturellen, reli­giösen und kulturellen Überlieferungen Europas..." (Entwurf über einen Vertrag über eine Verfassung für Europa, Juli 2003)

Leider hat die studentische Arbeits­gruppe sich nicht auf eine Position zu dem von mir sehr ausführlich inkriminierten Kirchenartikel einigen können. Aber der von den Kirchen geforderte Gottesbezug wurde von einer mehrheitlich religiösen Studentengruppe zurückgewiesen. Das vollständige Tagungsergebnis mit den Positionspapieren der anderen sieben Ar­beits­gruppen ist als PDF-Datei im Web verfügbar. Der Vergleich der Einzelpapiere zeigt, dass die anderen Gruppen, die allesamt religionsgebundene Experten hatten, weit freundlicher und unkritischer sich zu Reli­gion und dem Verhältnis von Staat und Religionen geäußert haben. Insofern betrachte ich die Teilnahme für den IBKA durchaus auch inhaltlich als kleinen Erfolg.