Erwin Fischer: Gedenken zum 100. Geburtstag
Wir erinnern an eine prägende Persönlichkeit des IBKA
Aus: IBKA Rundbrief August 2004
Am 7. August 2004 jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag von Erwin Fischer. Er war Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des IBKA und prägte die Position des Verbandes im Themenfeld "Trennung von Staat und Kirche".
Erwin Fischer, geboren 1904 in Reutlingen, trat 1919 aus der Kirche aus. Von 1922-1925 studierte er Rechtswissenschaften in München, Hamburg und Berlin; seit 1930 war er in Berlin als Rechtsanwalt tätig, seit Oktober 1930 auch als Geschäftsführer der Deutschen Hochschule für Politik.
1933 wurde er aus diesem Amt entlassen, zudem wegen seiner SPD-Mitgliedschaft mit einem Vorlesungsverbot belegt. Während der Nazi-Zeit arbeitete er als Anwalt (u. a. vertrat er Paul Hindemith), 1942 wurde er eingezogen.
Nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft 1945 ließ sich Erwin Fischer in Ulm als Anwalt nieder. Er gründete die "Gesellschaft für Bürgerrechte" und gehörte auch zu den Gründungsmitgliedern der Humanistischen Union (1961). Erwin Fischer vertrat Mandanten in Prozessen wegen Kirchensteuerpflicht des religionsfremden Ehepartners, gegen den Religionsunterricht als Versetzungsfach, gegen die christliche Gemeinschaftsschule als Zwang für alle, gegen Anstalts- und Militärseelsorge, gegen Konkordatslehrstühle - also etliche Punkte, welche sich aus der unzureichenden Trennung von Staat und Kirche als Gefährdung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit in Deutschland ergaben. "Um der Selbstbestimmung und Freiheit des Menschen willen hat er zahlreiche Prozesse geführt, war er doch einer der wenigen Juristen, die es wagten, den kirchlichen Ansprüchen zu widerstehen." (Johannes Neumann in Roßdorf am 14. Oktober 2000). Erwin Fischer konnte leider nicht in allen Fällen obsiegen, seine Erfolge sind jedoch - gerade angesichts einer gegen ihn aufgebotenen Phalanx von kirchennahen Rechtsgelehrten - mehr als respektabel! Erwin Fischer kämpfte nicht gegen die Religion, sondern gegen staatliche Bevorzugung und staatliche Bevormundung im Namen der Religion, gegen die Verachtung menschlicher Freiheit in Namen vorgeblich unveränderlicher "Werte" und "Wahrheiten".
Wer heute Texte von Erwin Fischer liest, wird mitnichten juristisches Kauderwelsch oder gar Verstaubtes finden, dagegen eine Klarheit und Stringenz, deren Radikalität sich nicht aus einer ideologischen Position begründet, sondern daraus, das Grundrecht des Einzelnen ohne falsche Kompromisse mit den Ansprüchen von Gemeinschaften oder des Staates abzuwägen. Erwin Fischers Verständnis von Weltanschauungsfreiheit richtet sich aber auch gegen jeden, vermeintlich doch so laizistisch-wohlmeinenden, Zwang, wie z.B. Kopftuchverbote. Eine solche Position ist sperrig und nicht leicht zu vereinnahmen.
Mit seinem Buch "Trennung von Staat und Kirche", das 1964 erstmals erschien, formulierte er präzise seine Zielvorstellung einer modernen Gesellschaft, in der es keine Privilegien für bestimmte Religionsgemeinschaften mehr geben sollte. Damit wurde er zu einem der Vordenker für eine Reform des so genannten Staatskirchenrechts - die bis heute nicht erfüllt ist. Reformhoffnungen vieler - wie sie auch in der Schrift Fischers von 1990 "Staat und Kirche im vereinigten Deutschland" zum Ausdruck kamen - erfüllten sich leider bislang politisch nicht. 1993 erschien Fischers Grundlagenwerk in einer völlig neu überarbeiteten Auflage unter dem Titel "Volkskirche ade!". Im selben Jahr wurde Erwin Fischer von der HU mit dem Fritz-Bauer-Preis ausgezeichnet.
Ab etwa 1984 verfolgte Erwin Fischer bereits die Hypothese, dass der vorzeitliche Mensch sich mittels bildlicher Darstellungen ("Menschwerdung durch Kunst") seine Lebenswelt zu gestalten, zu beschreiben und damit zu bannen suchte, bevor er sich dem Mythisch-Religiösen zuwandte. Dieser Denkansatz wurde durch die Entdeckung der paläolithischen Malereien in der Grotte Chauvet beflügelt und interessierte Erwin Fischer verstärkt nach 1993. In der Grotte Chauvet wurden die Nashörner, Löwen, Pferde, Leoparden und Mammuts schon mit Hilfe von Techniken gezeichnet, die andernorts erst viel später aufkamen: perspektivisches Zeichnen, Schattieren, Komponieren großer Ensembles mit klarem Bildaufbau.
Erwin Fischer starb am 15. Juli 1996. Sein Schriftennachlass befindet sich im Archiv der Geschäftsstelle der Humanistischen Union in Berlin im Haus der Demokratie und Menschenrechte.
Der IBKA beschloss im Frühjahr 1998, künftig etwa alle zwei Jahre einen Preis zu verleihen und diesen nach Erwin Fischer zu benennen, um damit dessen Andenken zu ehren. Mit dem Erwin-Fischer-Preis zeichnet der IBKA e.V. Personen aus, die sich in herausragender Weise um Weltanschauungsfreiheit, Trennung von Staat und Kirche, Förderung vernunftgeleiteten Denkens und Aufklärung über Wesen, Funktion, Strukturen und Herrschaftsansprüche von Religionen verdient gemacht haben. Der Preis ging im Jahr 2000 an Ursula und Johannes Neumann und 2001 an Karlheinz Deschner - die Erwin Fischer auch persönlich gut gekannt haben. Im Jahr 2002 erhielt Taslima Nasrin den Erwin-Fischer-Preis, am 25. September 2004 geht der diesjährige Preis an James Randi.
Weitergehende Information zum Leben Erwin Fischers und einigen seiner Verfassungsrechtsprozesse enthält die vom IBKA herausgegebene Festschrift
"Über die Gefährdung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland."
Aschaffenburg (Alibri) 2000, Seiten 48, ISBN 3-932710-95-9, (2,- Euro).