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(3261) Berlin. Nur noch 39 Prozent der Deutschen, so wollen Meinungsforscher einer Online-Umfrage "Perspektive
Deutschland" herausgefunden haben, bezeichnen sich als religiös. 36 Prozent stuften sich als Atheisten oder als eher
nicht-religiös ein. Während Kardinal Karl Lehmann die Zahlen als "dramatisches Ergebnis" deutete, sehen es Religionssoziologen
gelassener als Ausdruck einer säkularisierten Gesellschaft. Zwar kommen die beiden Großkirchen noch immer auf die stolze Zahl
von 53 Millionen Mitgliedern (Katholiken: 26,66 Millionen; Protestanten 26,34 Millionen), aber vor allem im Osten gewinnt eine
neue, "dritte Konfession", die der Konfessionslosen, an Boden. 22 Prozent der Deutschen glaubten, auf Religion verzichten zu
können - meldete schon zu Jahresbeginn eine Allensbach-Studie.
Statistiken sagen allerdings wenig aus über die tatsächliche Gläubigkeit. Konfessionslos gleich religionslos - diese
Gleichung geht nicht auf. Jeder fünfte Konfessionslose in der "alten" Bundesrepublik, so hat der Pastoralsoziologe Michael
Ebertz herausgefunden, betrachtet sich durchaus als religiös - in den "neuen Ländern" sind es acht Prozent. Und wer sich als
"nichtreligiös" zu erkennen gibt, muss nicht unbedingt ein überzeugter Atheist sein. Umgekehrt können sich aber auch
Protestanten und Katholiken durchaus als "nichtreligiös" verstehen. Professor Ebertz, der an der Katholischen Fachhochschule
Freiburg lehrt, überraschte mit einem deutschen Ost-West-Vergleich: Von den Katholiken in Ostdeutschland bezeichnen sich
demnach 95 Prozent als "religiös", im Westen sind es nur 66 Prozent. Außerdem: Nicht einmal drei Viertel der deutschen
Katholiken beantworte die Gottesfrage mit Ja. Zwar fänden Vorstellungen, die Gott als (persönlichen) Schöpfer annähmen, unter
Katholiken noch die höchste Zustimmung. Aber mittlerweile seien es doch mehr als 40 Prozent unter ihnen, die nicht an einen
Schöpfer glaubten. Nur bei einem Viertel der Katholiken, so die Analyse von Ebertz, gehöre das Beichtsakrament noch zum festen
Glaubensbestand. Selbst 20 Prozent der Kirchentreuen glaubten überhaupt nicht oder eher nicht an ein Leben nach dem Tod oder an
die Auferstehung. Die Auferstehungsgläubigen sind damit zu einer Minderheit (45 Prozent) unter den Katholiken in Deutschland
geworden, wenn auch nicht eine so krasse Minorität wie unter den evangelischen Christen (27 Prozent).
In Ostdeutschland ist die Erosion des christlichen Glaubens am gravierendsten. Nach der internationalen Wertestudie aus dem
Jahr 1990 hatten sich 32 Prozent der Menschen in den neuen Bundesländern als religiös eingeschätzt und 37 Prozent als
areligiös, 17 Prozent nannten sich atheistisch. 1999, bei der letzten derartigen Studie, bezeichneten sich nur noch 29 Prozent
als religiös, der Anteil der Areligiösen stieg um zwölf Punkte auf 49 Prozent und der der Atheisten auf 22 Prozent (Die Welt,
28.4.03)
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(3262) Greifswald. Die Evangelischen Kirchen vor allem im Osten Deutschlands verlieren immer mehr Mitglieder.
Allein in Vorpommern schrumpfte die Mitgliederzahl der Pommerschen Evangelischen Kirche von 700 000 im Jahr 1958 auf rund 120
000 im Jahr 2003. Mitten im "Tal der Konfessionslosen" wagen Theologen jetzt einen kühnen Schritt. In Greifswald,
traditionsreicher Bischofssitz der Kirche, soll Deutschlands erstes "wissenschaftliches Missionsinstitut" entstehen. Spätestens
zum Sommersemester 2004 werden Theologiestudenten und gestandene Pfarrer in diesem Institut der Greifswalder Universität
lernen, wie man hart gesottenen Atheisten im eigenen Land erfolgreich das Evangelium verkündet. Der designierte Direktor und
Theologieprofessor Michael Herbst versteht die missionarische Ausbildung als eine "Grundqualifikation".
Statt in Burundi, China oder Kenia sollen nach dem Willen der Kirchen deutsche Missionare also künftig verstärkt in
Pasewalk, Annaberg-Buchholz oder Neuruppin den Glauben an Jesus Christus vermitteln. Lange haben sich die Kirchen im Osten in
der Überzeugung gewähnt, dass die Menschen sich nach der Wende wieder Gott zuwenden würden. Ein Trugschluss, wie sich
herausstellte. Die Konfessionslosigkeit im Osten habe sogar einen ganz eigenen Charakter, stellt der Westfale Herbst nach
sieben Jahren Ost-Erfahrung fest. "In der dritten Generation ohne Bindung an die Kirche sind Vokabular und Grammatik der
Religion ausgelöscht." Deshalb sollen die Studenten eine kommunikative Kompetenz erwerben, die sie zum Umgang mit nicht
kirchlich gebundenen Menschen befähigt, sagt Herbst. Vor allem aber sollen gemeindliche Angebote erarbeitet werden, die auch
Konfessionslosen Antworten auf wichtige Fragen der Zeit geben. (Schweriner Volkszeitung, 27.1.03)
Anm. MIZ: Auf diese "Angebote, die auch Konfessionslosen Antworten auf wichtige Fragen der Zeit geben", sind wir wirklich
gespannt! Auf jeden Fall werden wir dieses "wissenschaftliche Missionsinstitut" (wozu doch die "Wissenschaft" heutzutage alles
herhalten muss!) im Auge behalten. Bei Bedarf stellt sich die MIZ-Redaktion auch gerne als "wissenschaftlich-missionarisches"
Versuchsobjekt zur Verfügung?
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(3263) Karlsruhe. Kirchen müssen für ungerechtfertigte, abwertende Äußerungen ihrer Sektenbeauftragten über
Dritte haften. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied in einem Prozess gegen die Diözese Bamberg, dass öffentlich-rechtlich
verfasste Kirchen wegen ihres erhöhten Einflusses in Staat und Gesellschaft eine größere Sorgfaltspflicht treffe.
Sektenbeauftragte dürften keine folgenschweren Warnungen äußern, "ohne sich zuvor hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für
eine solche Abqualifizierung verschafft zu haben".
Der BGH wies ein Verfahren um Schadenersatzansprüche eines Psychotherapeuten an das Oberlandesgericht Nürnberg zurück. Der
auch als Heilpraktiker und Sozialpädagoge ausgebildete Kläger hatte Einzel- und Gruppentherapien veranstaltet, in denen eine
neuartige "Reittherapie" angeboten wurde. Ein bei der Diözese angestellter Sektenbeauftragter hatte den Mann seit Jahren
wiederholt als "Sektenführer" bezeichnet und von einer "eindeutigen Psychosekte" gesprochen. In Artikeln und einer
Rundfunksendung war von einer etwa 200 bis 300 Personen starken, hierarchisch strukturierten Gruppe die Rede, in der es
Gruppendruck und Abhängigkeiten gebe.
Der Therapeut sagte, er habe seine Klientel in keiner Weise organisiert und keine Weltverbesserungsideologie verfolgt. Er
und ein Kollege machten einen Schaden in Millionenhöhe geltend, von dem ein kleiner Teil eingeklagt wurde. Die Kampagne habe zu
erheblichem Verdienstausfall durch das Ausbleiben von Klienten, zur schweren Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts und
zu einem Gesundheitsschaden geführt. Eine Querschnittslähmung sei Folge der Rufschädigung.
Der BGH stellte klar, dass öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften im Wege der Amtshaftung für schuldhafte
Pflichtverletzungen ihrer Bediensteten einstehen müssten. Im öffentlichen Meinungskampf hätten sie mehr als jeder Bürger auf
das Persönlichkeitsrecht und die wirtschaftliche Existenz anderer zu achten. Bei amtlichen Äußerungen werde zwar keine
Neutralität verlangt, wohl aber "ein angemessener Grad an Sorgfalt, Sachlichkeit und Wahrhaftigkeit". (Süddeutsche Zeitung,
25.2.03)
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(3264) München. Die umstrittene Ausstellung "Körperwelten" ist doch eröffnet worden - allerdings in stark
zensierter Form. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hatte kurzfristig das von der Stadt verhängte Verbot mit einer Art
"Jein" zwar aufgehoben: Aber alle spektakulären Exponate durften nicht gezeigt werden. Auch der Souvenirverkauf war untersagt,
abgesehen von Katalogen und Videos. Damit wurde alles aus dem Blickfeld der Besucher geräumt, was umstritten ist. Der 10.
VGH-Senat hat in seinem Beschluss deutlich gesagt, dass Plastinate auf jeden Fall Leichen im Sinne des Bestattungsrechts seien.
Anhand des Kataloges und von Videos haben die Richter die Ausstellung begutachtet und festgestellt, dass einige Bereiche zur
populärwissenschaftlichen Vermittlung anatomischer Gegebenheiten geeignet sind. Im Sinne der Wissenschaftsfreiheit sei der
didaktische Einsatz eines Leichnams als Mittel der Erkenntnis der Menschheit über sich selbst legitim - auch unter dem
Blickwinkel der Menschenwürde. Der Einsatz von Toten zu künstlerischen Zwecken erschien den Richtern dagegen "höchst
problematisch".
Sie gingen deshalb das Angebot des Veranstalters zur Selbstzensur ein: Gunther von Hagens hatte nämlich in letzter Minute
dem Gericht vorgeschlagen, besonders umstrittene Plastinate nicht zu zeigen. Dazu gehören unter anderem: der "Prayer", das
"mystische Plastinat Harry Potter", der "Torwart nach unten", die "total expandierten Körper", der "Schubladenmann" sowie der
"Fechter". Damit seien die unter dem Aspekt der Menschenwürde "durchaus problematische Plastinate" weggefallen, befanden die
Richter. In anderen Fällen verlangten sie die "Entschärfung" der Präsentation: Etwa der "Basketballspieler" muss ohne Ball
gezeigt werden. "Der Senat vermochte aber auch bei dem 'Scheuenden Pferd mit Reiter' kein wirklich didaktisches Anliegen zu
erkennen." Dass es angeblich um den Vergleich zwischen Pferd und Mensch gehe, kritisierte er als "oberflächlich und
vorgeschoben". Dieses Plastinat durfte deshalb ebenfalls nicht ausgestellt werden.
Dem gegenüber erschien den Richtern der "Läufer" wegen des besonderen Anliegens, sowohl den Knochenapparat als auch die
Muskulatur in der Dynamik der Bewegung festzuhalten, "noch tragbar". Gleiches gelte für den "Lassowerfer" sowie das
"Ganzkörperplastinat mit Haut". Das Gericht: "Bei letzterem vermag die Gegenüberstellung von Haut und darunter liegendem Körper
die gewählte Darstellung gerade noch zu rechtfertigen." Die "zwei schwangeren Frauen" mit offenem Blick auf den Fötus sehen die
Richter dagegen "von dem pädagogischen Zweck getragen, die Entwicklung des vorgeburtlichen Lebens in enger Verbundenheit
zwischen der Schwangeren und dem heranwachsenden Kind zu vermitteln" (sic!!). Der VGH ging aber auch auf die "von vielen Seiten
zu Recht monierte" Werbestrategie von Hagens ein. Vor allem die "Geschmacklosigkeit", für eine Illustrierten-Reportage nachts
mit plastinierten Leichen durch München zu touren, könne sogar strafrechtlich relevant sein, stellte der Senat fest. Zwar
rechtfertige dieses "fragwürdige Verhalten" kein Totalverbot. Aber "solche Verhaltensweisen im Umgang mit Leichen können Anlass
geben, dagegen im Einzelnen vorzugehen" (Süddeutsche Zeitung, 21.2.03)
Anm. MIZ: Seltsamerweise hat das hohe Gericht die Ausstellung von Reliquien (u.a. Leichenteile sog. "Heiliger") in
katholischen Kirchen nicht bemängelt. Wahrscheinlich weil sie einen so enormen Beitrag zur "populärwissenschaftlichen
Vermittlung anatomischer Gegebenheiten" leisten?
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(3265) Essen. Wegen des anstehenden Umzugs von Coca Cola von Essen nach Berlin hat der Betriebsratschef des
Unternehmens, Gerhard Eisel, Mitarbeitern, deren Job wegfällt, einen Kirchenaustritt empfohlen. Die Mitarbeiter könnten so eine
höhere Abfindung erzielen, begründet Eisel. Die Kirchen reagierten empört, signalisierten aber Entgegenkommen. Betroffenen, die
der Kirche treu bleiben, wollen sie bei der Abfindung einen Großteil der Kirchensteuer erlassen. (Süddeutsche Zeitung,
23.2.03)
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(3266) Düsseldorf. Zunächst unbemerkt von der Öffentlichkeit erging im Dezember 2002 ein skurriles, bei genauerer
Betrachtung jedoch sehr viel sagendes Urteil, das möglicherweise noch weitreichende Folgen haben wird. Und zwar verurteilte das
OLG Düsseldorf einen Steuerberater, weil dieser "den ihm obliegenden Beratungspflichten schuldhaft nicht nachgekommen" sei.
Sein Vergehen: Er hätte von sich aus seinen Mandanten, einen Geschäftsmann, darauf hinweisen müssen, dass dieser eine höhere
Gewinnausschüttung erzielen könnte, wenn er nicht der Kirche angehören würde. "Bei einer ordnungsgemäßen Beratung", so das
Gericht, hätte sich der Mandant wahrscheinlich für einen Kirchenaustritt entschieden. Der Verurteilte muss seinem Mandanten nun
die Kirchensteuer ersetzen.
Da das OLG eine Revision nicht zuließ, werden sich kluge Kollegen des gestraften Steuerberaters auf einen neuen Sachverhalt
einstellen müssen. Von nun an wird wohl die Gretchenfrage am Anfang jedes ordentlichen Fiskalgespräches stehen: "Also, bevor
wir uns mit dem Kinderfreibetrag beschäftigen: Mandant, nun sag, wie hast du's mit der Religion?"
Interessant ist die Begründung des Urteils. Offenbar ist es dem Geschäftsmann gelungen, glaubhaft zu versichern, dass er
zuvor nichts von der Existenz der Kirchensteuer gewusst habe. Das Gericht erklärte, dass die Mitgliedschaft in der Kirche
(Taufe) "ohne Mitwirkung des Steuerpflichtigen" erfolgt sei. Die lange Zeit, die seit Beginn seiner Mitgliedschaft in der
Kirchensteuergemeinschaft vergangen sei, sei nicht im Sinne eines "schweigenden Einverständnisses" mit der "drohenden
Kirchensteuerlast" zu deuten. (Süddeutsche Zeitung, 20.5.03)
Anm. MIZ: Es ist zweifellos richtig, dass die durch die Taufe hervorgerufene Aufnahme in eine exklusive Steuergemeinschaft
rechtlich höchst fraglich ist, da dieser finanziell durchaus folgeträchtige Akt in der Regel ohne bewusste Mitwirkung des
Steuerpflichtigen in spe erfolgt. Die Unterstellung, der 48-jährige Kläger habe zuvor noch nie etwas von der Exis-tenz der
Kirchensteuer gehört und bedürfe daher der Aufklärung durch den Steuerberater, klingt aber doch etwas merkwürdig. Entsprechend
süffisant fiel auch der Kommentar der Süddeutsche Zeitung aus: "Der Mensch, lässt sich folgern, wird ungefragt getauft und
danach von den Verhältnissen daran gehindert, sich an seine Taufe zu erinnern - bis ein Steuerberater ihn aus dem Schlaf der
Ahnungslosigkeit weckt."
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(3267) Mainz. Weil sie sich weigert, ihre Vollverschleierung abzulegen, erhält eine junge Muslimin künftig keine
Sozialhilfe mehr. Dies geht aus einem Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz hervor. Die Begründung des Gerichts: Wegen der
Vollverschleierung sei die Frau auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbar. Da sie sich weigere, dieses "Vermittlungshindernis" zu
beseitigen, habe sie ihre Hilfebedürftigkeit selbst herbeigeführt (Az.: 1 L 98/03.MZ). Das Urteil bestätigte die Stadt Mainz in
ihrer Weigerung, der Muslimin weiterhin Sozialhilfe zu zahlen. Die Frau tritt in der Öffentlichkeit stets voll verschleiert
auf, indem sie ihren gesamten Körper mit einem schwarzen Kleid bedeckt, schwarze Handschuhe sowie ein Kopftuch und einen
Schleier vor ihrem Gesicht trägt. (Frankfurter Rundschau, 7.3.03)
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(3268) Berlin. Bei der großen Friedensdemonstration am 15. Februar in Berlin zeigte die Analyse einer Umfrage des
Wissenschaftszentrums Berlin, dass die meisten der 500.000 Demonstranten ziemlich gottlos waren. 1400 Fragebögen hatten die
Politforscher an unterschiedlichen Punkten des Protestzugs verteilt. Jeder zweite Bogen kam ausgefüllt zurück. Das Ergebnis:
Mit einem Anteil von 65 Prozent waren überdurchschnittlich viele Teilnehmer ohne jede Religionszugehörigkeit. Überwiegend
verorteten sie sich politisch links. Fast 53 Prozent würden Grün wählen, 21 Prozent SPD, 20 Prozent PDS. CDU und FDP erhielten
keine zwei Prozent. Noch frappierender war der Bildungsgrad der Friedensdemonstranten. Gut Dreiviertel von ihnen hatte Abitur.
Die Hälfte konnte sogar einen Hochschulabschluss vorweisen. Auch die These, der drohende Irak-Krieg habe viele erstmals auf die
Straße getrieben, relativierten die Forscher. Nur 22 Prozent hätten sich in den vergangenen fünf Jahren nicht an
Demonstrationen beteiligt. (Frankfurter Rundschau, 14.3.03)
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(3269) Rüsselsheim. "Damit hat die Islamische Föderation auf der ganzen Linie verloren", erklärte der aus
Rüsselsheim stammende SPD-Europaabgeordnete Ozan Ceyhun nach einem für ihn positiven Entscheid des Landgerichts Berlin. Das hat
jener in Berlin ansässigen Föderation untersagt, "unwahre und verleumderische Behauptungen" über Ceyhun zu verbreiten. In der
von dem aus der Türkei stammenden SPD-Politiker herausgegebenen Broschüre Politik im Namen Allahs werden kritisch die
Verbindungen islamischer Gruppen hierzulande zu politisch extremistischen und auch fundamentalistischen Gruppierungen
aufgezeigt. Deswegen war Ozan Ceyhun mit einer Vielzahl gerichtlicher und auch außergerichtlicher Verfahren überzogen worden.
Dazu zählten auch die Bemühungen der islamischen Förderation in Berlin. Nunmehr hat der Rüsselsheimer Europaabgeordnete nach
eigener Auskunft alle Verfahren gewonnen. Alle gegen ihn erhobenen diffamierenden Behauptungen seien untersagt worden. Durch
jene Behauptungen fühlte sich Ceyhun als Terrorist und Straftäter diffamiert. Weil außerdem seine Privatanschrift in
Rüsselsheim in diesem Zusammenhang veröffentlicht worden war, waren Ceyhun und seiner Familie wochenlang unter Polizeischutz
gestellt worden. Denn Übergriffe gegen ihn und seine Familie konnten nicht ausgeschlossen werden. Ceyhun wurde wegen alledem
gerichtlich ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 Euro zugebilligt. Nach Abzug seiner Prozesskosten will er den übrig
bleibenden Betrag einer Organisation spenden, die sich für Frauenrechte in der islamischen Gesellschaft einsetzt. (Frankfurter
Rundschau, 17.3.03)
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(3270) Dortmund. Priester und Nonnen misshandelten in den fünfziger und sechziger Jahren Tausende Jugendliche,
die ihnen in Heimen anvertraut waren. 1960 trimmten katholische und evangelische Erzieher in rund 3000 Heimen mit 200.000
Plätzen die ihnen Anvertrauten. Sobald sich die Tore der konfessionellen Besserungsanstalten hinter ihnen schlossen, mussten
viele von ihnen schmerzhaft erfahren, was damals Buße bedeutete: Misshandlungen, Ungerechtigkeiten, soziale Ausbeutung und
Menschenrechtsverletzungen im Namen Gottes und der Kirche, die bis heute unangeklagt und damit ungesühnt sind.
Erst ein Kinofilm beendete vor kurzem die Sprachlosigkeit der Opfer: The Magdalene Sisters des britischen Regisseurs Peter
Mullan über die Demütigungen und Qualen "gefallener Mädchen" in katholischen Magdalenen-Heimen Irlands. Viele ehemalige
Heimkinder verstanden die Botschaft des Films, begriffen, dass die Traumata ihrer Kindheit auch deshalb oft noch heute
andauern, weil es hier zu Lande keine Aufarbeitung ihres Schicksals gegeben hat. Jetzt wollen sie reden über jene, die sie
heute noch in ihren Träumen verfolgen und die der deutsche Filmtitel benennt: "Die unbarmherzigen Schwestern".
In Amerika und England verlangen seit kurzem ehemalige Opfer katholischer Heime Entschuldigung und Wiedergutmachung. Sollten
sich auch die deutschen Heimkinder dazu entschließen, müssen sie sich wohl auf einen schweren Kampf gegen die Institution
Kirche einrichten. Der Vatikan reagierte bislang ähnlich abweisend wie vor zehn Jahren, als die ersten Missbrauchsvorwürfe
gegen Priester laut wurden. Und bei der Deutschen Bischofskonferenz, den Ordensgemeinschaften, bei Caritas und Diakonie will
man angeblich nicht wissen, was jahrzehntelang unter ihrer Verantwortung geschehen ist.
Nur ein Fall unter vielen: das Heim der "Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vincenz von Paul", Dortmund. Den Fluch der
Erbsünde bekämpften die Schwestern in Dortmund vor allem mit akkordähnlicher Arbeit. Gisela Nurthen wurde schon bald in jenen
Trakt beordert, in dem Dutzende Mädchen mit gesenktem Blick nähten und stopften, wuschen, mangelten und bügelten. Dabei
herrschte Sprechverbot, nur Marienlieder waren erlaubt. Arbeitsbeginn war sechs Uhr. Bis zu zehn Stunden schuftete die
15-Jährige fortan im immer gleichen Takt - erst beten, dann mangeln. Schon die geringsten Verfehlungen, erinnert sich die Frau,
hätten Schläge oder andere Bestrafungen durch die Nonnen nach sich gezogen. "Wir wurden nummeriert und durften nur in
Zweierreihen durchs Haus marschieren - zur Kirche, zur Toilette, zum Essen." Als sie im Schlafraum ein Elvis-Lied summte,
musste Nurthen zur Einzelhaft in die "Klabause", eine Isolationskammer mit Pritsche und Eimer.
Die hauseigene Großwäscherei war für die Schwestern ein lukratives Geschäft. Dortmunder Hotels, Firmen, Krankenhäuser und
viele Privathaushalte zahlten gut - und fragten nicht, wer da fürs Reinwaschen missbraucht wurde. "Die Kunden bekamen uns nie
zu sehen, es gab einen Abholraum, zu dem war uns der Zutritt streng verboten." Lohn für die Mädchen gab es keinen, nicht mal
Taschengeld - und als Folge auch keinen Rentenanspruch für diese Jahre. "Wir waren jugendliche Zwangsarbeiter", sagt Gisela
Nurthen. "Jede Minute des Tages wurden wir bewacht, auch während des Entkleidens zur Nacht, jede Schamgrenze wurde verletzt.
Sie spielten mit Schlüsseln oder Rosenkränzen und fixierten unsere jungen Körper." Die "Barmherzigen Schwestern" referierten
dann gern darüber, wie man sich wirklich "unten reinwäscht", und kontrollierten es auch.
Es gibt heute kaum noch zugängliche Unterlagen über die düstere Realität in den Erziehungsheimen. Auch Gisela Nurthen hat
sich vergebens bemüht, irgendeine Spur ihrer Leidenszeit im Dortmunder Vincenzheim zu finden. Die Akten der beteiligten
Institutionen - vom Jugendamt bis zum Vormundschaftsgericht - sind angeblich unauffindbar oder vernichtet worden. Die
Geschädigten wollen dennoch nicht klein beigeben. Gemeinsam wollen sie die Konfrontation mit (den Peinigern) ihrer
Vergangenheit suchen. (Der Spiegel 21/2001, 19.5.03)
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(3271) Essen. Nach einer neuen Studie des Zentrums für Türkeistudien an der Universität Essen ist die
Integrationsbereitschaft von türkischen MigrantInnen seit den Anschlägen vom 11. September zurückgegangen. Dabei zeigten sich
gegenläufige Entwicklungen: Während bei Jugendlichen schon seit längerem eine zunehmende Abkapselung zu beobachten sei, legten
die Erwachsenen verstärkt Wert auf gute Kenntnisse der deutschen Sprache und eine Erfolg versprechende Ausbildung der Kinder.
Als Veränderungen seit dem 11. September beschreibt die Studie des ZfT, dass 38 Prozent der Türken eine Verschlechterung im
Verhältnis zu Deutschen empfinden und ein Drittel sich mehr als vorher fremd in Deutschland fühlen. Bei 25 Prozent bewirkten
die Anschläge und deren Folgen, dass sie sich stärker mit dem Islam identifizierten. (REMID-Newsletter, 22.5.03)
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(3272) Trier. Wegen ihrer Hochzeit mit einer Frau darf eine Pädagogin des Trierer Hindenburg-Gymnasiums künftig
keinen Religionsunterricht mehr erteilen. Die 33-jährige Frau hatte selbst das Bistum über die "Homo-Ehe" informiert. Daraufhin
entzog ihr das Generalvikariat die "Missio canonica". Ohne diese kirchliche Lehrbefugnis dürfen Katholiken auch an einer
staatlichen Schule wie dem Trierer Hindenburg-Gymnasium keinen Religionsunterricht erteilen. Nach Angaben der Organisation
Homosexuelle und Kirche (HuK) ist dies bundesweit erst der zweite Fall, bei dem einem katholischen Lehrer wegen einer
eingetragenen Le-benspartnerschaft die Lehr-Erlaubnis entzogen worden sei. "Menschenverachtend und unbarmherzig", nennt die HuK
das Vorgehen. Die deutschen Bischöfe sehen in der Homo-Ehe indes einen "schwerwiegenden Loyalitätsverstoß", der der
katholischen Lehre über Ehe und Familie widerspreche. Der Entzug der Lehr-Erlaubnis hat für die Trierer Pädagogin allerdings
keine schwerwiegenden Konsequenzen. Ab kommendem Schuljahr unterrichtet sie Ethik statt Religion. (Trierischer Volksfreund,
22.5.03)
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(3273) Berlin. Neben dem islamischen und alevitischen Religionsunterricht wird es ab dem Schuljahr 2003/2004 in
Berlin auch einen Bekenntnisunterricht für Buddhisten geben. An zwei Schulen soll das Pilotprojekt starten. Den Antrag dazu
hatte die Buddhistische Gesellschaft Berlin (BGB) im Auftrag der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) am 19. Dezember 2002 an
die Berliner Schulbehörde gestellt. Den Rahmenplan für den Unterricht der Klassen 1 bis 13 hat die AG Buddhismus und Schule in
Berlin mit Unterstützung der DBU, der BGB und der Buddhistischen Akademie Berlin-Brandenburg auf Basis der Pläne für Österreich
erarbeitet. In Berlin leben rund 6.000 SchülerInnen aus asiatischen Ländern. An sie sowie an alle anderen am Buddhismus
Interessierten richtet sich das Angebot. Dabei gelten folgende Grundsätze: Kein Teilnehmer des Unterrichts muss zum Buddhismus
konvertieren; angesichts der Vielfalt der buddhistischen Strömungen der Herkunftsländer von MigrantInnen sollen die gesamte
Vielfalt buddhistischer Lehre vermittelt werden; andere Religionen und die Orientierung auf Dialog und Konfliktlösung sind
Bestandteile des Unterrichts. Durch Evaluation unter Beteiligung der AG Buddhismus und Schule soll versucht werden, das
Berliner Projekt zum Modell auch für andere Bundesländer zu machen. Die Ausbildung der LehrerInnen soll unter wesentlicher
Einbeziehung der DBU länderübergreifend konzipiert werden - zurzeit denkt man an eine mehrjährige Zusatzausbildung von
BuddhistInnen mit abgeschlossenem 2. Staatsexamen durch Selbststudium und Ferienkurse. Religiöse Grundlage bildet das
Bekenntnis der DBU, durch das die verschiedensten Traditionslinien des Buddhismus von den Lehrkräften respektiert und
entsprechend vermittelt werden sollen. Die DBU ist ein Zusammenschluss von 50 Gemeinschaften und Landesorganisationen, die den
Anspruch vertritt, den Buddhismus in Deutschland, zunehmend einschließlich der Verbände von MigrantInnen, nach Außen zu
repräsentieren. (REMID-Newsletter, 22.5.03)
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(3274) Düsseldorf. In der Diskussion um die von CDU-Landeschef Jürgen Rüttgers geforderte Ausländer-Quote an
NRW-Schulen fordern die Grünen die Öffnung der kirchlichen Schulen für ausländische Kinder. "Vielerorts lehnen konfessionelle
Schulträger noch immer die Aufnahme von Migrantenkindern ab", sagte die Grüne-Landtagsabgeordnete Sybille Hausmann. So gebe es
etwa in Essen eine Grundschule mit einem Ausländeranteil von 97 Prozent. "An der gegenüberliegenden konfessionellen Schule
liegt er unter zehn Prozent. Hier ist der Hebel anzusetzen", sagte Hausmann.
Der IBKA hat dagegen darauf hingewiesen, dass eine solche "Öffnung" von Konfessionsschulen für anders- oder nichtgläubige
Kinder auf eine "Bestands- und Ausweitungsgarantie des staatlichen Konfessionsschulunwesens zu Lasten der Gemeinschaftsschulen"
hinauslaufen würde. Ohnehin bleibe ein solcher Appell an Kirche und Privatschulen politisch folgenlos - abgesehen davon, dass
nun einzelne Politiker auch islamische Konfessionsschulen forderten. Das sei aus der "herrschenden Logik staatlicher Subvention
weltanschaulicher Käseglocken" zwar konsequent, richte sich aber gegen die pluralen Bildungsinteressen der Schüler.
(Süddeutsche Zeitung, 24.2.03; IBKA-Rundbrief, Mai 2003)
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(3275) Berlin. Auf seiner Sitzung im März hat sich nun auch die Kultusminis-terkonferenz offiziell für die
Einführung eines islamischen Religionsunterrichts in deutscher Sprache ausgesprochen. Nach einem Bericht der Süddeutschen
Zeitung (SZ) seien die Kultusminister von der Linie abgerückt, dass es für den Unterricht einen einheitlichen Ansprechpartner
auf muslimischer Seite geben müsse, wenngleich die Muslime weiterhin angehalten werden, landesweite Religionsgemeinschaften zu
bilden, die den Unterricht mittragen. Diskussionen wird es sicherlich weiter über die Inhalte geben. Nach Angaben der SZ
präferierten die Kultusminister weiterhin das Fach Islamkunde, wie es in Nordrhein-Westfalen seit Jahren als Modellversuch
eingerichtet ist. Diese Islamkunde betont jedoch den religionskundlichen Charakter und ist kein bekennender
Religionsunterricht. Gleichwohl zeigen neuere Entwicklungen, dass über den Weg der Modellversuche an einigen Schulen eine
Flexibilisierung und Regionalisierung einsetzt: In Rheinland-Pfalz und in Bayern wird es einen islamischen Religionsunterricht
geben, der von örtlichen Initiativen getragen ist. Ungelöst ist hingegen weiterhin das Problem der Lehrerausbildung. Der erste
Lehrstuhl für die Ausbildung islamischer Lehrer wird erst 2004 an der Universität Münster eingerichtet werden. (Süddeutsche
Zeitung, 25.3.03; REMID-Newsletter, 22.5.03)