Offener Brief an den Ersten Bürgermeister von Hamburg und an den Hamburger Senat

Gemeinsamer Offener Brief des
Dachverbandes freier Weltanschauungsgemeinschaften e.V., des
Deutschen Freidenker-Verbandes Landesverband Hamburg/Schleswig-Holstein e.V., der
Freien Humanisten Hamburg e.V., des
Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten e.V. und des
Verbandes Freier Weltanschauungsgemeinschaften Hamburg e.V.

an den Ersten Bürgermeister von Hamburg und an den Hamburger Senat

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Senatorinnen und Senatoren der Freien und Hansestadt Hamburg,

die Stadt Hamburg hat mit Rudolf Augstein einen ihrer Ehrenbürger verloren. Zu seinem Lebenswerk gehört u.a. die entschiedene Kirchen- und Christentumskritik, die sich in zahlreichen Artikeln und vor allem in seinen Büchern "Jesus Menschensohn" (1972 und völlig neu herausgegeben erst 1999) zeigte.

Bereits seit 1968 gehörte Augstein keiner Kirche mehr an. Im Vorwort seines Buches "Jesus Menschensohn" schrieb er noch 1999: "Spekulationen darüber, dass ich - inzwischen 75 Jahre alt - die viel beschworene Umkehr vorgenommen und mich nun eines besseren besonnen hätte, gar in den 'Schoß der Kirche' zurückkehren würde, dürften sich nach der vorlegenden Lektüre erübrigen." In seinem letzten persönlichen Interview bekräftigte er diese Einstellung. Auf die Frage, ob er an Gott glaube, antwortete Augstein: "Nein. Ich kenne die Evangelien und die echten Briefe des Apostel Paulus. Ich glaube nicht an die Auferstehung irgendeines Toten, und dann muss ich mich damit weiter auch gar nicht beschäftigen."

Dies alles ist der Öffentlichkeit bekannt.

Wie die engen Angehörigen den Abschied von Rudolf Augstein andernorts (Sylt) zelebrieren, ist deren Privatsache, nicht jedoch, wie der - zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtete - Senat der Stadt Hamburg ihren berühmten Ehrenbürger, dezidierter Nicht-Christ und Nicht-Gläubiger, ausgerechnet mit einer offiziellen Trauerfeier in einer Kirche "ehrt". Und dabei handelt es sich nicht nur - unpassend genug! - lediglich um eine Inanspruchnahme des sakralen Gebäudes. Nein, die Kirchengemeinde ist Mitorganisator der Trauerfeier, wie der Pressereferent der Senatskanzlei erklärte. "Nun steht fest, dass die Trauerfeier einen gottesdienstlichen Charakter haben wird", äußerte sich der Hauptpastor des Hamburger Michels in DIE WELT und will zu Ehren des Verstorbenen, der nicht an die Auferstehung glaubte, von der christlichen Auferstehung predigen. "Es soll deutlich werden, dass dieser Staatsakt in einer Kirche stattfindet", so der zuständige Pfarrer.

Dies ist keine Ehrung, dies ist eine Verhöhnung des Verstorbenen, seiner Weltanschauung und seines Lebenswerkes.

"Da der Senat sich nicht mit der Religionszugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit seiner Ehrenbürger befasst, war die Kirche der anzunehmende Ort", erfuhren wir durch den Pressereferenten der Senatskanzlei.

Warum, fragen sich zu Recht die konfessionsfreien Bürger und Bürgerinnen (immerhin ist über ein Drittel der Hamburger Bevölkerung konfessionsfrei), ist eigentlich die Kirche immer "der anzunehmende Ort"? Wo doch lediglich 54 % der Hamburger noch einer der beiden großen christlichen Kirchen angehören.

Indem der Senat die Trauerfeier für seinen konfessionsfreien Ehrenbürger Augstein als Gottesdienst zelebrieren lässt, grenzt er entweder die konfessionsfreien Bürgerinnen und Bürger von einer Teilnahme systematisch aus, oder nötigt diese, sich zu Ehren des Gedenkens eines Konfessionsfreien einer religiösen Kulthandlung zu unterwerfen und erklärten kirchlichen Missionsabsichten auszusetzen.

Auf der zentralen Abschlussveranstaltung in der Hamburger Universität zum Tag der Weltreligionen: "In Hamburg Respekt vor den Werten anderer lernen" haben Sie, Herr von Beust ausgeführt: "Das Miteinander von Religionen erzeugt Respekt vor den Werten anderer. Der interreligiöse Dialog trägt zu mehr Menschlichkeit und Versöhnung bei." Besonders Hamburg sei seit jeher ein Ort, wo viele Völker und Religionen der Welt aufeinander treffen: "Wir können mit Stolz sagen, dass in Hamburg das Zusammenwirken der Religionen vorbildhaft ist".

Wir fordern den Senat auf, diesem Anspruch auf Respekt vor den Werten anderer auch im Hinblick auf die Konfessionsfreien endlich gerecht zu werden. Daher sollte die staatliche Trauerfeier für das Nichtkirchenmitglied, den Christentumskritiker Rudolf Augstein eine weltanschaulich neutrale Gestaltung bekommen, die das Andenken des Verstorbenen wirklich ehrt und es nicht verhöhnt und auch der Unterschiedlichkeit der Weltanschauungen der Bevölkerung gerecht wird!

Gezeichnet:

Carry-Anna Bär-Hermann (Vorsitzende der Freien Humanisten Hamburg e.V.)

Heiko Porsche (Vorsitzender des Verbandes freier Weltanschauungsgemeinschaften Hamburg e.V.)

Uwe Scheer (Vorsitzender des Landesverbandes Hamburg/Schleswig-Holstein des Deutschen Freidenker-Verbandes e.V.)

Dr. Volker Mueller (Präsident des Dachverbandes freier Weltanschauungsgemeinschaften e.V.)

Rudolf Ladwig (Zweiter Vorsitzender des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten e.V., IBKA)

Belege:

Die Welt, 13.11.02: Hauptpastor Adolphsen hält Predigt für Rudolf Augstein

Die Welt, 08.11.02: "Wenn ich weg bin, bin ich weg"

Rudolf Augstein, Jesus Menschensohn, Hoffmann und Campe, Hamburg, 1999

Adressen:

Büro Freie Humanisten Hamburg e.V., Struckholt 22 A, 22337 Hamburg, Telefon: 0 40 / 59 14 52, Fax: 0 40 / 50 016 850

Dachverband freier Weltanschauungsgemeinschaften e.V., Dr. Volker Mueller, Rudolf-Breitscheid-Str. 15, 14612 Falkensee, Tel.: 03322-2121322, Fax: 03322-2121323, www.dfw-dachverband.de/DFW/ E-Mail: dfw-praesidentSpamschutzBitteEntfernen@web.de

DEUTSCHER FREIDENKER - VERBAND, Landesverband Hamburg/Schleswig-Holstein e.V., Postfach 60 71 58, 22243 Hamburg, Tel./Fax. O40/631 62 60, E-Mail: UweScheerSpamschutzBitteEntfernen@web.de / freidenker-hhSpamschutzBitteEntfernen@freidenker-nord.de www.freidenker-nord.de

Verband Freier Weltanschauungsgemeinschaften Hamburg e.V., Vorsitzender: Heiko Porsche, Hamburg

Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V.