Petition an den Niedersächsischen Landtag

Petition an den Niedersächsischen Landtag:
Bitte um Überprüfung des Gesetzes über Kirchenaustritt - Abschaffung der Gebühren

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, sehr geehrte Damen und Herren,

als Frau M. in Braunschweig aus der Kirche austreten wollte, erfuhr sie, daß sie dafür 40 DM Gebühren entrichten müsse, aufgrund eines Landesgesetzes. 40 DM sind viel Geld für eine Sozialhilfeempfängerin. Für sie wie für andere Bezieher niedriger Einkommen bedeutet eine solche Gebühr eine Härte. In einem Sozialstaat ist das Grund genug, darüber nachzudenken.

Ein weiterer Grund zum Nachdenken ist, daß diese Gebühr es den Beziehern niedriger Einkommen schwer macht, aus der Kirche auszutreten. Dadurch wird so mancher Kirchenaustritt verzögert (wie im Falle von Frau M.) oder sogar verhindert. Das ist ein unerträglicher Zustand. Denn dadurch werden Grundwerte unserer Verfassung in Frage gestellt:

"Die Würde des Menschen ist unantastbar", heißt es in Artikel 1 GG. Darum muß jeder Mensch die Möglichkeit haben, zu seiner Überzeugung zu stehen.
Auch in der Weise, daß er aus einer Kirche austreten kann, die seinen Überzeugungen nicht entspricht. Er darf darin nicht durch eine Austrittsgebühr behindert werden!

"Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich", heißt es in Artikel 4 GG. Diese Freiheit umfaßt die Freiheit, aus einer Kirche auszutreten. Diese Freiheit darf nicht durch eine Austrittsgebühr bedroht werden!

Problematisch sind Austrittsgebühren, insbesondere Kirchenaustrittsgebühren, auch im Hinblick auf die Rechtsgrundlage. Eine Kirchenmitgliedschaft kommt ja gewöhnlich ohne rechtsgültige Willenserklärung des neuen Mitglieds zustande, sogar ohne sein Zutun, durch die Taufe als Säugling. Also auf der Grundlage einer Übereinkunft zwischen Eltern und Kirche. Wenn ein derart in die Kirche gelangter Mensch später für sein selbstverständliches Recht, der Kirche nicht anzugehören, mit Gebühren belastet wird, dann wird aus der Übereinkunft zwischen Eltern und Kirche ein Vertrag zu Lasten Dritter. In einem Rechtsstaat sollte es das nicht geben!

Das Sozialstaatsgebot, die Würde des Menschen, das Menschenrecht auf Religionsfreiheit, und das Rechtsstaatsgebot - das sind Gründe genug, die Gebühren für den Kirchenaustritt abzuschaffen.

Das soll nicht heißen, daß staatliche oder kommunale Stellen auf den Verwaltungskosten von Kirchenaustritten sitzen bleiben sollen. Dann entstünden ja wieder Verträge zu Lasten Dritter, diesmal zu Lasten der Allgemeinheit. Kostenerstattung sollte verlangt werden, und zwar von den Kirchen. Denn sie sind es, die immer wieder Menschen ohne deren Zutun in eine Situation bringen, in der sie nur durch einen Kirchenaustritt den Einklang mit ihren Überzeugungen herstellen können.

Wir bitten Sie also, das Gesetz über den Kirchenaustritt dahingehend zu ändern, daß die Gebühren für die austretenden Bürgerinnen und Bürger abgeschafft werden und die Kosten künftig den Kirchen in Rechnung gestellt werden.

Braunschweig, den 14. Oktober 1998

Aus der Antwort des Landtagspräsidenten:
Stellungnahme des MK zur Landtagseingabe 720/02/14, Irene Nickel, 38 122 Braunschweig, betr. Gebühr für Kirchenaustrittserklärung

Die Petentin Irene Nickel und die Mitunterzeichnenden Sabine Marker und Axel Krause wenden sich in der Eingabe gegen die zu entrichtende Gebühr von DM 40,00 bei Erklärung des Kirchenaustritts. Sie sehen darin eine Beeinträchtigung der Menschenwürde und der religiösen Freiheitsrechte gem. Art.1 und 4 Grundgesetz. Diese Gebühr müsse für die Betroffenen entfallen und den kommunalen Stellen von den Kirchen erstattet werden.

Der Austritt aus einer Kirche, Religionsgemeinschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft, die die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt, vor dem Standesbeamten war nach § 6 des Kirchenaustrittgesetzes (KiAustrG) vom 4.7.1973 (Nds. GVBl. S. 221). geändert durch Gesetz vom 20.4.1978 (Nds. GVBl. S. 329) bis 1996 gebührenfrei. Durch Art. 10 und 11 des Gesetzes zur Verbesserung der komunalen Handlungsfähigkeit vom 28.5.1996 (Nds. GVBl. S. 242) ist § 6 des KiAustrG gerade dahingehend geändert worden, dass nun Gebühren und Auslagen erhoben werden, und zwar in Höhe von DM 40,00 nach der Allgemeinen Gebührenordnung. Mit dieser Gebühr ist der Verwaltungsaufwand der Kommunen (Niederschrift, Sachkosten, Unterrichtung der Religionsgemeinschaft) abgegolten.

Die Entrichtung einer Gebühr in dieser Höhe stellt keine Beeinträchtigung der Grundrechte nach Art.1 und 4 GG dar. Sie ist keine Maßnahme der betroffenen Kirchen zur Erschwerung des Kirchenaustritts, sondern ein Ausgleich für den Verwaltungsaufwand der Standesämter. Auch in anderen Bundesländern wird eine Gebühr für diese Amtshandlung erhoben

Eine Ermäßigung der Gebühr oder gar ihr Erlass in Härtefällen (§ 11 Abs.2 Nieders. Verwaltungskostengesetz - NVwkostG) steht im Ermessen der kommunalen Standesämter. Die Mitunterzeichnende Sabine Marker hat sich offenbar nicht als Sozialhilfeempfängerin ausgewiesen.

Eine Änderung des KiAustrG dahingehend, dass den Kirchen die Gebühr auferlegt wird, kommt nicht in Betracht. Nach dem Verwaltungskostenrecht sind Gebühren vom Veranlasser einer Amtshandlung zu tragen (§ 5 NVwkostG). Dies sind hier nicht die Kirchen.

Soweit in der Eingabe Kritk darüber anklingt, daß man ohne rechtsgültige Willenserklärung Kirchenmitglied durch die von den Eltern gewollte Taufe wird, ist auf das verfassungsgemäße Erziehungsrecht der Eltern (Art. 6 Abs. 2 GG) hinzuweisen. Das persönliche Recht aus Art. 4 Abs. 1 GG, aus einer Religionsgemeinschaft auszutreten, steht nach § 5 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung vom 15.7.1921 dem Kind nach der Vollendung des 14. Lebensjahres (Religionsmündigkeit) zu.