Ethikunterricht wird juristisch überprüft

Aus: MIZ 2/87

Seit Jahren bemüht sich die Arbeitsgemeinschaft für die Trennung von Staat und Kirche um eine verfassungsrechtliche Prüfung des Ethikunterrichts als zwangsweisem Ersatzunterricht (statt dem Fach Religion). Ein Vorstoß des Staatskirchenrechtlers Erwin Fischer wurde seinerzeits zurückgewiesen, weil nur ein unmittelbar Betroffener klagen konnte. Der aber - so stellte sich bald heraus - war gar nicht so einfach zu finden, da die meisten Eltern wegen einer solchen vermeintlichen "Randfrage" nicht gleich einen jahrelangen Konflikt mit Schulbehörden und Justiz auf sich nehmen wollten. Als dann schließlich in München ein zur Klage bereites Ehepaar gefunden war, verzichtete das Schulamt kurzerhand auf die Durchführung des Ethikunterrichts an just dieser Schule, so daß einer Klage die Grundlage entzogen war.

Das änderte sich jedoch, als diese Familie nach Friedberg bei Augsburg umzog, in eine stramm katholische Region mit fast 70% CSU-Wählern. Hier wurde im Oktober 1986 extra wegen der beiden Kinder (Jahrgang 1973 und 1975), die aus eigener Überzeugung den Besuch des Ethikunterrichts ablehnen, erstmals ein solcher Unterricht angesetzt, der noch dazu von einem Lehrer erteilt wird, der zugleich in katholischer Religion unterrichtet. Selbst in den Richtlinien des Bayerischen Kultusministeriums heißt es jedoch, Ethikunterricht solle nicht von Religionslehrern erteilt werden!

Nachdem die beiden Hauptschüler dem Ethikunterricht wiederholt ferngeblieben waren, verhängten die Behörden gegen die Eltern ein Bußgeld von je 40 DM. Nach dem folgerichtigen Widerspruch kam es am 10. Februar 1987 vor dem Amtsgericht Aichach zur Verhandlung. Der Amtsrichter folgte dem Antrag des verteidigenden Rechtsanwalts Erwin Fischer, das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen, nicht und bestätigte in erster Instanz das Bußgeld. Im nachhinein ist dies nicht verwunderlich, arbeitet doch die Frau dieses Amtsrichters als Pastoralreferentin bei der Diözese Augsburg! Selbst wenn man daraus nicht automatisch auf die Einstellung des Ehemanns schließen darf, so ist es doch äußerst unwahrscheinlich, daß eine so engagierte Katholikin einen religiös gleichgültigen oder gar ungläubigen Partner heiraten würde. Korrekterweise hätte sich der übrigens noch sehr junge Amtsrichter wohl für befangen erklären müssen.

Bezeichnenderweise wurde das in der letzten MIZ (gelbe Seiten) abgedruckte Gutachten von Erwin Fischer in der Urteilsbegründung überhaupt nicht berücksichtigt - ein Grund mehr, Revision einzulegen, was bereits drei Tage später geschah.

Ein Erfolg am Rande war allerdings zu verzeichnen: Auch der Richter konnte nicht umhin, die in der Bayerischen Verfassung Art. 131, Abs. II verankerte Allgemeinverbindlichkeit christlicher Erziehungsziele als verfassungswidrig anzuerkennen: "Soweit das Bay. EUG (Bayerisches Erziehungs- und Unterrichtsgesetz, MIZ-Redaktion) auf die Bayerische Verfassung verweist, äußern die Betroffenen zu Recht Bedenken wegen Art. 131 Abs. II der Bayerischen Verfassung. In dieser Verfassungsnorm ist als oberstes Bildungsziel unter anderem die Ehrfurcht vor Gott genannt. Das Gericht hat erhebliche Bedenken dahingehend, daß ein Staat, der gemäß Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet ist, die Ehrfurcht vor Gott als oberstes Bildungsziel festlegt. ... Im übrigen ist das oberste Bildungsziel der Ehrfurcht vor Gott wegen Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verb. mit Art. 31 des Grundgesetzes nicht relevant. Insoweit dürfte Art. 131 Abs. II der Bayerischen Verfassung teilweise nichtig sein." (Urteil des Amtsgerichts Aichach vom 10. Februar 1987, AZ: OWi 312 Js 61092/86 Sch)

(rp)