Weg mit der Kirchensteuer?

Aus: MIZ 3/92

Kirchensteuer - nicht nur die Tatsache, daß diese Steuer vom Staat eingezogen wird, ist vielen ein Dorn im Auge, sondern auch ihre Verwendung. Die großen Kirchen erwecken immer wieder den Eindruck, daß sie diese Gelder vor allem dazu gebrauchen, um die kirchlichen Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser und andere sozialen Einrichtungen zu finanzieren. Doch dies ist schlicht Irreführung der Öffentlichkeit. Zwar hat in allen diesen Institutionen die Kirche das Sagen, doch finanziert werden sie zum überwiegenden Teil von der öffentlichen Hand. Die Kirche steuert nur einen Bruchteil Ihrer Einnahmen bei.

Nachdruck des gleichnamigen MONITOR-Beitrages vom 11. Mai 1992. Mit freundlicher Genehmigung der MONITOR-Redaktion.

Selbstzufrieden und unbeirrt - Klerus in Deutschland. Den Glaubenshütern laufen zwar jährlich Hunderttausende in den alten Bundesländern davon, doch seit der Einheit wittern die Kirchenmänner Morgenluft. Geistliche Eroberung der neuen Bundesländer mit Millionenbeträgen. Ganz oben auf der Tagesordnung steht die Renovierung baufälliger Kirchen und die Einführung des Kirchensteuersystems nach westlichem Muster.

Auch in den neuen Bundesländern wird die Kirchensteuer jetzt vom Staat, also den Finanzämtern, eingetrieben. Doch nicht allen Christen fällt der Abschied vom alten System leicht. Im Gemeindebüro wurde persönlich bezahlt. Kirchensteuer in kleiner Münze. Jetzt hofft die Kirche auf geregelte und stetig steigende Einnahmen mit staatlicher Hilfe. Klaus-Peter Hertzsch, Theologieprofessor: "Es ist bei uns alles viel primitiver und oft materiell schwieriger gewesen. Aber ich denke, das ist auch ein Vorteil für uns gewesen - auf der einen Seite, weil wir damit den Armen in dieser Welt immer ein Stück näher gewesen sind und sie uns als Leute betrachtet haben, die an ihrer Seite waren und sie ziemlich gut verstanden haben. Und was ich auch denke, daß es für eine Kirche auch eine Belastung sein kann, wenn sie zu reich ist."

Solche Skrupel sind dem Klerus im Westen weitgehend fremd. Mit Hilfe des Staates gibt es in der alten Bundesrepublik schon seit Anbeginn sichere Einnahmen der Kirchen: die Kirchensteuer. Ein Beitrag, der acht bis neun Prozent der Lohnsteuer entspricht.

Personal und Computer der Finanzämter auch im Dienste der Kirche

Pro Jahr treibt der Staat 13 Milliarden Mark Steuern für die Kirche ein. Die Kirche bezahlt dafür knapp 400 Millionen und spart nach eigenen Angaben 2 Milliarden. Außerdem verliert der Staat 3 Milliarden, weil die Kirchensteuer abzugsfähig ist. Der Staat läßt sich die Unterstützung der Kirchen einiges kosten. Dazu Norbert Kleyboldt, Generalvikariat Münster. "Ich hoffe, daß es sich bei diesem Beziehungsverhältnis um ein rein partnerschaftliches Beziehungsverhältnis handelt und daß beide, der Staat wie auch die Kirche, d. h. die Menschen, für die wir wechselseitig verantwortlich sind, davon profitieren." Ganz anderer Meinung ist dagegen Prof. Horst Herrmann: "Wenn Kirchen sich überhaupt auf staatliche Institutionen einlassen, kann man, das ist nicht nur historisch, sondern auch aktuell erwiesen, immer davon ausgehen, daß die Kirchen mit Abstand die besseren Geschäfte machen."

Und das nicht nur bei der Kirchensteuer in Höhe von 13 Milliarden Mark. Aus öffentlichen Kassen von Bund, Ländern und Kommunen fließen zusätzlich 5 Milliarden Mark in das fromme Unternehmen, zum Teil aufgrund sogenannter Gewohnheitsrechte, die zweihundert Jahre alt sind. Rechtfertigung der Kirche für diesen reichlichen Geldfluß: die Finanzierung sozialer Aufgaben. Doch tatsächlich gibt sie dafür nur eine magere Milliarde der eingenommenen Kirchensteuer aus. Über neun Milliarden der Steuer sind für die Pfarrerbesoldung und das Kirchenpersonal. Mit den restlichen 3 Milliarden werden u. a. Kirchenbauten, Sach- und Verwaltungskosten bezahlt. Also nur der geringste Teil fließt in soziale Aufgaben.

Beispiel Krankenhäuser:
Das Lutherhaus in Essen

Träger: Die evangelische Kirche. Jährlicher Etat: 42 Millionen. Die Kosten für die Unterhaltung des Gebäudes, das Personal, die medizinische Einrichtung, die Pflege werden zu 100 Prozent von der öffentlichen Hand bezahlt. Die Kirche aber hat das Sagen - nicht nur im Gottesdienst. Ihr einziger finanzieller Anteil in diesem Krankenhaus: 1200 Mark für die Weihnachtsfeier.

Bei nahezu allen konfessionellen Krankenhäusern gilt: Sie werden fast vollständig mit öffentlichen Mitteln finanziert. Dennoch drohen die Kirchen, bei Wegfall der Kirchensteuer müßten die Krankenhäuser geschlossen werden.

Prof. Horst Herrmann: "Das was hier einem vorgespielt wird, ist einer der grandiosen Etikettenschwindel in diesem unseren Land. Aus Kirchensteuer-Mitteln fließen nach Selbstangaben der betroffenen Groß- und Beutekirchen allenfalls 10 Prozent in die öffentlichen sozialen Einrichtungen. Der Rest stammt eben nicht aus Kirchensteuereinnahmen. Es wird nur vorgegaukelt. Es gibt ein frommes Märchen, eine Legende, von der sozialen Tätigkeit der Kirche."

Zweites Beispiel:
Das katholische Gymnasium St. Suit Bertus in Düsseldorf

Jahresetat dieser Schule: 7,3 Millionen Mark. Die Kirche bezahlt davon nur rund 10 Prozent, bestimmt jedoch das pädagogische Konzept. Sie darf sich die Lehrer nach ihrem Geschmack aussuchen. Während der Ausländeranteil an den weltlichen Gymnasien und Gesamtschulen mehr als 14 Prozent ausmacht, sind es hier nur drei Prozent. Eine weitgehend staatlich finanzierte Einrichtung zur Vermittlung katholischer Erziehungsideale. Eine Schülerin: "Das finde ich auch nicht schlecht, daß hier halt so ein gewisses Regime herrscht, also daß hier nicht alles drunter und drüber geht, daß man machen kann, was man will."

Ein anderer Schüler: "Ja. Gute Schule. Es ist einigermaßen, sage ich ruhig mal, sauber. Hört sich vielleicht blöd an. Aber gutes Klima. Mir gefällt es einfach hier."

Drittes Beispiel: Ein evangelischer Kindergarten in Essen

Jahresetat 345.000 Mark. Davon öffentliche Mittel und Elternbeiträge an die 230.000. Die Kirche bezahlt den Rest: Ganze 33 Prozent. Und dennoch müssen sich alle ihrer Moralvorstellung beugen. Eine Erzieherin beteuert: "Wir Mitarbeiterinnen in evangelischen Einrichtungen - wir verpflichten uns in unseren Arbeitsverträgen, daß wir einen christlichen Lebenswandel führen. Das bedeutet für uns, daß wir in der Einrichtung und in der Arbeit mit der Gemeinde verbunden arbeiten."

Das bedeutet auch, wer sich anders verhält, fliegt raus. Ob Krankenhaus oder Kindergarten - die Kirche als Träger hat ihr eigenes Arbeitsrecht und ihre eigenen Tarife, obwohl der größte Teil des Geldes aus öffentlichen Kassen kommt. Der Staat subventioniert zwei florierende Unternehmen, die beiden Volkskirchen. Sie haben Grundbesitz so groß wie zweimal das Saarland plus die Fläche von Hamburg und Berlin. Sie bewirtschaften Land- und Forstbetriebe, besitzen Banken und Versicherungen, handeln mit Immobilien. Alles in allem machen die Kirchen einen Jahresumsatz von mindestens 50 Milliarden. Nettoeinnahmen mindestens 20 Milliarden. Vorsichtig geschätzte Zahlen, nach oben offen. Trotzdem, die öffentlichen Kassen scheinen schier unerschöpflich, wenn es um weitere Gelder für die Kirchen geht. Extrazuschüsse gibt es:

  • für den Bau und Unterhalt kirchlicher Gebäude
  • für kulturelle Veranstaltungen
  • für Kirchen- und Katholikentage.

Dazu Millionen für die Theologenausbildung an den Hochschulen, für Gehälter und Pensionen der Pfarrer - alles in allem: ein Milliardending.

Besonders pikant: Die Bischöfe - bis auf ihre Kollegen beim Militär - werden vom Staat bezahlt. Ihr Einkommen: Rund 16.000 Mark im Monat - so viel, wie ein Staatssekretär verdient. Dabei gibt es durchaus religiöse Argumente gegen diesen Geldsegen, wie z. B. von Eugen Drewermann: "Im 17. Kapitel des Matthäus sagt Jesus selber einmal, daß Steuern erhoben werden von den Regierenden über die Fremdvölker. In Sachen Gottes darf das nicht so sein, meinte er, da muß Freiheit herrschen. Das bedeutet konkret, es müßte der einzelne Gläubige in seiner Situation bestimmen dürfen, was ihm am wichtigsten ist. Und dann von unten nach oben sollte sich das Sozialgefüge der Kirche aufbauen. Stattdessen haben wir eine Eintopf-Finanzierung. Da wandern alle Kirchensteuern wie im Pharaonenreich in die Hände der Zentrale. Und davon leben dann die Gläubigen.

Die Wahrheit ist natürlich umgekehrt. Die Gläubigen leben nicht von den Bischöfen, sondern die Bischöfe von den zahlenden Mitgliedern ihrer Kirche. Zum dritten: immer weniger Leute fühlen in der Kirche sich verstanden. Es zeigt sich, daß finanzielle Sicherheit zu viel an Bequemlichkeit und Faulheit mit sich bringt. Wir knüpfen nicht an an den wichtigsten virulenten Fragen der Menschen, sondern verwalten den eigenen tradierten Bestand. Und zum vierten: aufs engste hängt damit zusammen die Reformfähigkeit der Kirche. Ich glaube, daß die Frage 'Geld und Macht' heute der Meßfühler ist, an dem die Kirche überhaupt noch registriert, was um sie herum geschieht. Also müßte man dort beginnen."

Einen Vorschlag, wie man das Ärgernis Kirchensteuer aus der Welt schaffen könnte, hat vor kurzem der nicht gerade kirchenfeindliche Sender "Radio Vatikan" gemacht. Vor genau einem Monat schlug er vor, die Kirchensteuern in Deutschland nach italienischem Modell zu organisieren. Dabei wäre jeder Bürger verpflichtet, statt Kirchensteuern 8 Promille seines Einkommens für einen sozialen oder kulturellen Zweck seiner Wahl abzuzweigen - dies könnte für die Kirche sein, aber auch für den Umweltschutz, den Katastrophenschutz oder andere soziale Aufgaben.

Ach, gäbe es doch bei uns so einen fortschrittlichen Sender wie Radio Vatikan!