Nein zu Gott im Grundgesetz!

Anderes Umfeld gebietet Verfassungsrevision

Erwin Fischer

Aus: MIZ 2/93

Seitdem Wolfgang Ullmann vor der Bonner Verfassungskommission beantragt hat, in der Verfassung auf "Gott" zu verzichten, weil er da nicht hingehört, ist Bewegung in die Auseinandersetzung zwischen Staat und Religion (Kirche) gekommen, zunächst weil dem berechtigten Antrag Ullmanns - "sinnvolle Rückbesinnung zum echten Christentum ohne Machtmonopol" - unsachlich und erkenntnislos entgegengetreten wurde, insbesondere soweit es sich um den evangelischen Kirchenpräses Jürgen Schmude (SPD) gehandelt hat. Gestört hat vor allem, daß Ullmann sich gegen die Privilegien für die großen Kirchen wendet, die sich aus der durch Art. 140 GG in das Grundgesetz eingefügten Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung vom 11. 8.1919 ergeben.

Man scheint vergessen zu haben haben, daß die in Frankfurt beschlossene Verfassung des Deutschen Reiches vom 28.3.1849, ebenso die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919 weder in der Präambel noch im Text eine Bezugnahme auf Gott enthielten. Auch der Chiemsee-Entwurf1 enthielt keine Anrufung Gottes. Obwohl verschiedene Entwürfe der Präambel vorlagen, wurde erst in der sechsten Sitzung des Plenums (20.10.1948) über die Präambel beraten, ohne daß Beschlüsse gefaßt wurden. Dabei wurde von dem CDU-Abgeordneten Süsterhenn "die Einbeziehung der invocatio dei in die Präambel mit dem Hinweis auf die Auffassung der scholastischen Naturrechtslehrer"2 empfohlen mit Hinweis auf die "volkspädagogische, sozialpädagogische, sozialpsychologische dirigierende Kraft", damit das Grundgesetz "seine fundamentalen Wurzeln letzten Endes auch im Metaphysischen findet".

Obwohl der Hinweis auf das scholastische Naturrecht und die Metaphysik eine grundsätzliche Debatte über die Einfügung Gottes in die Präambel hätte herausfordern müssen, unterblieb sie. Lediglich der liberale Abgeordnete Heuß veranlaßte, daß die Formulierung "im Vertrauen auf Gott" durch "Verantwortung vor Gott" ersetzt wurde. Es mußte doch auffallen, daß es sich beim scholastischen Naturrecht um den Ausfluß des in die menschliche Natur durch die Schöpfungsordnung gepflanzten göttlichen Gesetzes handelt. Helmut Simon3 hat sich in seiner vom Evangelischen Bund herausgegebenen Schrift "Katholisierung des Rechtes?" gegen den Einfluß katholischen Rechtsdenkens auf die gegenwärtige deutsche Gesetzgebung und Rechtsprechung gewandt mit der Begündung, daß "die Kirche, genauer der Papst, ein außerordentliches Lehr- und Richteramt beanspruche. Die von Gott Uns anvertraute Hinterlage der Wahrheit und das von Gott Uns aufgetragene heilige Amt, das Sittengesetz in seinem ganzen Umfang zu verkünden, zu erklären und - ob erwünscht, ob unerwünscht - auf seine Befolgung zu dringen, unterwerfen (in allem, was auf das Sittengesetz Bezug hat) wir dem gesellschaftlichen, so dem wirtschaftlichen Bereich vorbehaltlos Unserem höchstrichterlichen Urteil" (Quadragesimo Anno vom 15.5.1931, Ziff. 41)4.

Noch mehr fällt auf, daß der Parlamentarische Rat sich zu gleicher Zeit mit dem Verhältnis von Staat und Kirche befaßt hat, und zwar auf Grund eines Antrages der Fraktion der CDU/CSU, des Zentrums und der DP; er begann mit den Worten: "Die Kirchen werden in ihrer Bedeutung für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlage des menschlichen Lebens anerkannt". Auch bei Übernahme der weiteren Absätze des Art. 137 WRV sind stets die "Kirchen" an erster Stelle vor den in der Originalfassung ausschließlich erwähnten "Religionsgesellschaften" eingefügt worden. Beides wurde von der Mehrheit des Parlamentarischen Rates abgelehnt, so daß es in dem alsdann erzielten Kompromiß bei der Übernahme der unveränderten Artikel der Weimarer Reichsverfassung verblieb. Durchweg sind nur Religionsgesellschaften erwähnt. Im Gegensatz zur behutsamen Aussprache anläßlich der Präambelberatung bestand hier eindeutige Dissonanz, weil sich die FDP und die SPD darüber einig waren, die beantragte Sonderstellung der Kirchen abzulehnen. Vor den Folgen des Antrags wurde gewarnt, der eine ähnliche Situation wie vor Ausbruch des Kulturkampfes heraufbeschwören könne. Die Bedeutung der Ablehnung ergibt sich aus der Beurteilung durch zwei auf dem Gebiet des religionsbezogenen Verfassungsrechts besonders kundige Autoren. Bereits 1962 äußerte Helmut Quaritsch5 über die Einebnung der Großkirchen in die gemeinsame Plattform der "Religionsgesellschaften", es könne "aber keinem Zweifel begegnen, daß jene Egalitätsentscheidung des Verfassunggebers von 1919 gewollt war und daß der Verfassunggeber von 1949 diese Entscheidung bewußt aufrechterhalten hat; gegenteilige Formulierungsanträge hat die Mehrheit des Parlamentarischen Rates verworfen, und ist es angesichts der Zusammensetzung dieser Mehrheit und ihrer Wortführer (Heuß, Höpker-Aschoff) trotz der zurückhaltenden und taktierenden, teilweise jedoch recht deutlich erklärten Motivationen kaum anzunehmen, daß man nicht wußte, was man tat und wollte". Und E.-W Böckenförde6 bemerkte zu den Versuchen, gegen die strukturbedingte Weltlichkeit und Neutralität einen angeblich institutionell-christlichen Charakter zu bewahren oder wieder herzustellen, die sämtlich gescheitert seien: "Nicht nur im 19. Jahrhundert, auch bei der Neubegründung deutscher Staatlichkeit nach 1945, als wiederum ein christlicher statt des säkularisierten Staates aufgerichtet werden sollte, behielt die Religionsfreiheit das letzte Wort. Sie mußte es behalten, wollte der Staat sich nicht selbst aufgeben".

Daher bleibt unverständlich, daß Gott in der Präambel akzeptiert wurde. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß dies geschah, um nicht des Atheismus verdächtig zu werden. Denn die Gründe gegen die Privilegien für die Großkirchen gelten noch mehr gegen Gott in der Präambel.

Was ergibt sich nun aus der Übernahme der religionsrechtlichen Bestimmungen aus der Weimarer Verfassung als Bestandteil des Grundgesetzes? Zunächst ist festzustellen und zu berücksichtigen, daß die aus der Weimarer Reichsverfassung übernommenen sogenannten Kirchenartikel vollgültiges Verfassungsrecht geworden sind. Aber das Verhältnis zwischen ihnen und anderen im Grundgesetz getroffenen Regelungen ist "aus dem Zusammenhang der grundgesetzlichen Ordnung selbst zu bestimmen, wobei von Bedeutung ist, daß das Grundgesetz nicht alle Bestimmungen der Weimarer Verfassung über die Beziehung von Kirche und Staat, insbesondere nicht den Artikel 135 WRV" - Staatsgesetz geht vor Religionsgebot - "übernommen hat". Diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts7 führten zu dem Ergebnis, daß die landesrechtlichen Normen auf dem Gebiete des Kirchensteuerrechts mit den übrigen Bestimmungen und Prinzipien der grundgesetzlichen Ordnung, vor allem mit dem verfassungsrechtlichen Verhältnis von Kirche und Staat in Einklang stehen müssen und daher die landesrechtlichen Vorschriften über die Kirchenbausteuerpflicht juristischer Personen wegen Verffassungswidrigkeit - Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 - nichtig sind. Mit derselben Begründung wurde in einem gleichzeitig verkündeten Urteil entschieden, daß ein Arbeitnehmer, der keiner steuerberechtigten Kirche angehört, durch staatliches Gesetz nicht verpflichtet werden kann, Kirchensteuer nur deshalb zu zahlen, weil seine Gattin einer Kirche angehört8.

Diese Entscheidungen führten zu dem grundsätzlichen und bedeutungsvollen Ausspruch des Bundesverfassungsgerichts mit folgendem Wortlaut: "Das Grundgesetz legt durch Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG dem Staat als Heimstatt aller Staatsbürger ohne Ansehen der Person weltanschaulich-religiöse Neutralität auf. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt auch die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse (vgl. BVerfGE 12 a (4); 18, 385 (386); BVerfGE NJW 1965, 1427f..").

In der zuletzt erwähnten Entscheidung vom 28.4.1965 - es ging um die Befreiung von Gerichtskosten für die Neuapostolische Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts - ist zur Begründung erwähnt, daß es "bei Erlaß der Gerichtskostengesetze von 1851 und 1895 ... in Preußen noch keine Trennung von Staat und Kirche" gab, vielmehr die christliche Religion bei mit der Ausübung der Religion in Zusammenhang stehenden Einrichtungen des Staates zum Grunde zu legen sei. Daraus ist zu schließen, daß das Bundesverfassungsgericht für das der Entscheidung zugrundegelegte Grundgesetz (Art. 2 Abs. 1), von einer "Trennung von Staat und Kirche" ausgeht.

In seiner Stellungnahme zu den Kirchensteuerurteilen des Bundesverfassungsgerichts hat Alexander Hollerbach9 zunächst ausgeführt, daß das Bundesverfassungsgericht "zu einer schärferen Betonung der separativen Elemente" gekommen sei, meinte aber, im Hinblick auf die bereits erwähnte Nicht-Übernahme von Art. 135 WRV mit seinem Vorbehalt der allgemeinen Staatsgesetze in das Grundgesetz spitze sich alles auf die Frage zu, ob "dadurch das Neutralitätsprinzip in der Weise verstärkt worden" sei, "daß auch in der Verfassung selbst normierte bzw. zugelassene Modifikationen als prinzipienwidrig fallengelassen werden müssen". Die Frage könne könne nicht generell beantwortet werden, weil auch Art. 4 Abs. 1 GG kein schrankenloses Recht sei und die Anerkennung der Religionsfreiheit "nicht notwendig strikte Trennung von Staat und Kirche" bedeute, sodaß es auf das Maß der Abweichung vom Prinzip ankomme. In Anbetracht der Verstärkung des Neutralitätsprinzips durch die kategorische Fassung von Art. 4 GG überschreite aber die Heranziehung juristischer Personen zu Kirchensteuern das vertretbare Maß an zulässiger Modifikation des Grundgesetzes, daß der Staat einer Religionsgesellschaft keine Hoheitsbefügnisse gegenüber ihr nicht angehörenden Personen verleihen dürfe. Somit hat Hollerbach die höchstrichterliche Entscheidung zu Recht gebilligt.

Auch Kiaus Schlaich10 hat sich in seinen Ausführungen über Neutralität im Staatskirchenrecht mit dem Verhältnis des Artikels 4 GG zu den jetzt seinen Bestandteil des Grundgesetzes bildenden Kirchenartikeln der WRV befaßt. Er ging allerdings noch von 94,6 % (1971) der Bevölkerung als Mitglieder der beiden Kirchen aus, die ihm zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung im Verhältnis zu kleinen Religionsgesellschaften dienten. Zwar anerkennt er die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, bemängelt doch deren "schiefe" Begründung, aber zu Unrecht; denn "die Weite des Art. 4 GG verbietet es dem Staat, die Bürger in weltanschaulich geprägte Institutionen zu zwingen"11. Zunächst ignoriert er, daß in der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14.12.1965 (E 19, 206/216) Art. 4 GG die Reihe der zur Begründung zitierten Verfassungsbestimmungen eröffnet, welche die Verpflichtung des Staates zur Neutralität im "weltanschaulich-religiösen" Bereich rechtfertigen. Außerdem berücksichtigt er nicht, daß in weiteren Entscheidungen das Bundesverfassungsgericht präzisiert hat, was unter "weltanschaulich-religiöser Neutralität" zu verstehen ist. Die Begriffsbestimmung lautet: "Art. 4 Abs. 1 GG gewährleistet mit der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit" - Religions- und Weltanschauungsfreiheit - "einen von staatlicher Einflußnahme freien Rechtsraum, in dem jeder sich eine Lebensform geben kann, die seiner religiösen und weltanschaulichen Überzeugung entspricht (BVerfGE 12, (1)3".

Besonders zu beachten ist der in beiden Entscheidungen erwähnte "freie Rechtsraum", der meist übersehen wird, dem aber grundlegende Bedeutung zukommt. Helmut Goerlich12 erwähnt hierzu den "Rang der Glaubensfreiheit als materielles Recht des Ausschlusses staatlicher Einflußnahme auf ihren Rechtsraum und Bereich persönlicher Lebensgestaltung des Einzelnen als Richter in eigener Sache".

Damit stimmt die von E.-W Böckenförde13 benützte Formulierung überein, die Religion "wird, im doppelten Sinn des Wortes, vom Staat freigegeben". Zur Begründung verweist er auf "die Glaubens- und Religionsfreiheit". Damit ist der Staat als solcher gegenüber der Religion neutral, er emanzipiert sich als Staat von der Religion ...sie wird "zu einer Angelegenheit des Interesses und der Wertschätzung einzelner oder vieler Bürger erklärt, ohne aber Bestandteil der staatlichen Ordnung als solcher zu sein". Auch hieraus ergibt sich für Religion und Weltanschauung gleichfalls ein vom Staat völlig getrennter Bereich, der nicht umsonst in den zitierten Urteilen des Bundesverfassungsgerichts als "freier Rechtsraum" qualifiziert wird. Hierzu ist Helmut Goerlichs dem anglikanischen Rechtsdenken entnommene Vorstellung des "iudex in propria causa" von Bedeutung. Diese Maxime gilt nicht für die Religionsfreiheit, die "als materielles Recht dem Zugriff öffentlicher Gewalt entzogen" ist14. Goerlich fährt fort - und dies ist als Erläuterung des "freien Rechtsraums" von Bedeutung: "Als Gewissensfreiheit in Glaubenssachen und Bekenntnisfragen hat sie nicht nur dem Einzelnen die Rolle eines authentischen Interpreten religiöser Schriften eröffnet, sondern ihn allein zum Richter in Sachen seines Glaubens und Bekenntnisses gemacht. (...) Damit waren das Ende kirchlichen Gerichtes und staatlichen Religionszwangs, der Einheit von Staat und Kirche sowie schließlich die Trennung von Staat und Kirche als Verfahrensgewährleistung vorgezeichnet". Daher besitzen andere Grundrechte selten ein solches Maß an Ausschließlichkeit. Besonders wichtig ist seine weitere Feststellung, daß der Religionsfreiheit Radikalität "so nur für den Einzelnen, nicht für Glaubensgemeinschaften" gilt. Nicht zuletzt weist Goerlich noch auf die Bedeutung der Religionsfreiheit für die Entwicklung des modernen Staates hin, nicht nur wegen der Trennung von Staat und Kirche, sondern auch als "Grundlage der Demokratie in einem freien Gemeinwesen".

Nun dürfte erwiesen sein, daß der freie Rechtsraum als Wirkungsbereich für die Gestaltung der Lebensform in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht zur Verfügung steht. Seine Rechtsgrundlage ist das dem Einzelnen zustehende personale, individuelle und unverletzbare Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit mit dem Vorrang vor der sogenannten Kirchenfreiheit, deren Grenzen durch das für alle geltende Gesetz bestimmt sind, außerdem das allen Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften zustehende Selbstbestimmungsrecht der Art. 137 Abs. 3 WRV/ Art. 140 GG, das aber nicht in den Katalog der Grundrechte einbezogen werden kann. Weiter ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14.12.1965 über die "religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates" zu berücksichtigen und nicht zuletzt der in diesem Urteil auch erwähnte Art. 137 Abs. 1 WRV über das Verbot der Staatskirche. Für dessen Auslegung ist auf das soeben erwähnte Urteil vom 14.12.1965 zu verweisen: Aus dem Zusammenhang der grundgesetzlichen Ordnung ergibt sich, daß sich daraus die Trennung von Staat und Religion (früher Kirche) ergibt.

Als Folge steht fest, daß Gott - als zum religiösen Bereich gehörig - nicht in die Verfassung gehört.

Jedenfalls hat Ullmanns in jeder Hinsicht berechtigter Vorschlag, auf Gott in der Präambel zu verzichten, regen Widerhall gefunden. In Sonntag aktuell, Sonntagsbeilage zu mehr als 30 Zeitungen in Baden-Württemberg erschien ein Aufsehen erregender Beitrag "Gott im Grundgesetz", zwar ohne verfassungsrechtliche Kenntnisse verfaßt, aber in der Sache entschieden gegen christliche Grundsätze in der Verfassung, weil sie da nicht hingehören. Wie üblich wendet sich die Autorin Susanne Offenbach gegen das Kirchensteuerprivileg15. Kurz zuvor erschien in der Südwestpresse16 als Ergebnis einer Umfrage ein Bericht "Kinder zweifeln am lieben Gott" mit dem Resultat, daß über 50% der Schüler nichts von Religion halten.

Auch die Süddeutsche Zeitung hat sich des Themas angenommen. Redaktionsmitglied Heribert Prantl widmete sich in einem fast seitenlangen Beitrag dem Thema unter dem Titel "Der unkündbare Gott". Er meint, Ullmans Forderung nach Trennung von Staat und Kirche sei berechtigt, jedoch habe dies mit der unberechtigten Forderung, Gott aus der Präambel zu entfernen, "nichts zu tun"17. Gott als Chiffre für das Unveräußerliche und die einer Mehrheitsentscheidung entzogenen Grundwerte und als Verfassungsanker gehöre in das Grundgesetz.

Prantl übersieht, daß Religion (Kirche) und Staat, dessen höchste Norm die Verfassung ist, voneinander getrennt sind, vor allem daß sich das "Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott" auf das im gleichen Satz erwähnte Deutsche Volk bezieht, somit als dessen Erklärung kundtut. Kurz zuvor hat Prantl zu Recht das Bundesverfassungsgericht mit seiner Erklärung zitiert, daß der Staat Heimstatt aller Bürger - der Christen wie der Atheisten sein muß.

Was den weiter erwähnten Schutz der einer Mehrheitsentscheidung entzogenen Grundwerte betrifft, so ist dieser durch Grundgesetzbestimmung des Art. 79 Abs. 3 rechtswirksam gesichert, wonach eine Änderung der in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze unzulässig ist. In Artikel 1 Abs. 2 GG ist wiederum das Deutsche Volk erwähnt mit seinem Bekenntnis "zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt". Außerdem ist bereits im ersten Absatz zur Pflicht aller staatlichen Gewalt erklärt, die unantastbare Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Dadurch ist das angestrebte Ziel einer stetigen Sicherung der Grundrechte - von Prantl als Ewigkeitsklausel bezeichnet - in verfassungsrechtlich einwandfreier Form erreicht.

Anderes Umfeld

Nun stehen noch weitere beachtenswerte Gründe zur Verfügung, um nicht nur die Entfernung von Gott aus der Präambel des Grundgesetzes zu rechtfertigen, sondern darüber hinaus die durch Art. 140 Grundgesetz in dieses eingefügten Bestimmungen über Staat und Religion zu überprüfen. Erstens scheint man vergessen zu haben, daß Einigkeit über den vorläufigen Charakter des Grundgesetzes bestand, wie sich aus seinem Schlußartikel 146 sowie aus der Bemerkung in der Präambel ergibt, daß es Zweck des Grundgesetzes sei, "für eine Übergangszeit eine Neue Ordnung zu geben". Zweitens ist festzustellen, daß bei Beratung des Grundgesetzes fast 96% der Bevölkerung Angehörige der Großkirchen waren, eine staatspolitische Realität, die auch in der Formulierung der Präambel berücksichtigt werden konnte. Inzwischen hat sich die Lage völlig verändert, wie in Volkskirche ade (S.13-36) nachgewiesen wurde. Ein weiteres Zeugnis aus jüngster Zeit bestätigt die geschilderte Entwicklung. Laut Bericht in der Zeit vom 8.1.1993 donnerte der Kölner Erzbischof, Kardinal Meisner in der Silvesterveransprache, Deutschland sei "ein Gottvergessenes, unmenschliches Land", die Gesellschaft "voller Todeskeime"18. Die hohe Zahl der Kirchenaustritte sei eine Folge der "geschwundenen Menschlichkeit in unserem Lande". Wenn er aber die Medien für die Demontage von Kirche, Christentum und Gott verantwortlich macht, so erweist er sich als völlig uninformiert. Die beiden großen christlichen Religionsgesellschaften befinden sich seit langem auf Grund von zahlreichen Privilegien und mühelos in Form von Kirchensteuern empfangenen Einnahmen in einer unangefochtenen Machtposition, die ihnen vom Staat, einem kirchenfreundlichen Schrifttum und meist auch von der Rechtsprechung gewährleistet wird. Die stetig fortschreitende Entchristlichung hat nach Ausführungen von Konrad Hesse19, die er bereits 1965 getroffen hat, dazu geführt, daß "die Kirche, dem Namen und dem Anspruch nach zwar Volkskirche, ihrer Substanz nach zu einer Minderheitskirche von Christen" geworden ist, "die sich auf Grund freier und bewußter Entscheidung zu ihr bekennen. Ihre Bedeutung ist heute nicht nur im Bereich der nichtchristlichen Religionen, sondern in den Ländern des Christentums selbst die der Diaspora".

Die Gründe für diese Entwicklung zu untersuchen, ist nicht Aufgabe dieser Schrift. Nötig ist indes, nunmehr endlich die verfassungsrechtlichen Konsequenzen zu ziehen. Wie bereits erwähnt, ergeben sie sich aus dem vorläufigen Charakter des Grundgesetzes und der zur Zeit darüber geführten Diskussion, deren Teilnehmer allerdings - von wenigen Ausnahmen abgesehen - ihre Blicke nach rückwärts richten. Es ist aber nicht möglich, die Augen vor dem anderen Umfeld zu schließen. In Volkskirche ade sind zwei Autoren zitiert worden, die sich unter Bezugnahme auf R. Smend anläßlich der Essener Gespräche 1991 über die Einigung Deutschlands und das deutsche Staats-Kirche-System über das andere Umfeld geäußert haben: E.W. Böckenförde zwar nur im Hinblick auf den Religionsunterricht20, Wolfgang Rüfner aber grundsätzlich wie folgt: "Die schwierige Frage ist, ob man das ganze System des Staatskirchenrechts mit seinem Geist der Partnerschaft und Zusammenarbeit auf die neuen Bundesländer übertragen kann oder ob es sich nicht wegen der Rückwirkungen aus der ehemaligen DDR und vielleicht aus anderen Gründen selbst auflöst oder einen ganz neuen Inhalt erhält, sich also verwandelt. Ich kann dazu an Smend erinnern, nach dem trotz der Übernahme der Weimarer Kirchenartikel die Beziehungen von Staat und Kirche unter dem Grundgesetz eine ganz andere Qualität erhalten haben. Steht etwas Ähnliches bevor, diesmal möglicherweise eine für die Kirche ungünstige Wendung bei unverändertem Text der Kirchenartikel und sogar bei unverändertem Verfassungstext?"

Es folgen kritische Äußerungen, auch im Hinblick auf den großen Zuwachs der formal Konfessionslosen. W. Rüfner meint aber einerseits, eine Aufgabe oder eine grundlegende Änderung sei nicht notwendig, andererseits jedoch sieht er in der "Minderheitensituation der Kirche kein prinzipielles Hindernis, das überkommene Staatskirchenrecht fortzuentwickeln".

Für eine Änderung spricht aber noch ein weiterer entscheidender Gesichtspunkt. Art. 137 Abs. 3 WRV spricht von Religionsgesellschaften. In der Rechtsanwendung wird aber überwiegend zwischen der "Kirche" als den beiden großen christlichen Religionsgesellschaften und den übrigen minderberechtigten Religionsgesellschaften unterschieden. Diese Unterscheidung ist verfassungswidrig, da seit 1849 das deutsche Verfassungsrecht nur Religionsgesellschaften kennt; auch Art. 7 GG kennt keine Kirche, sodaß es sich nicht vermeiden läßt, auch im Islam Religionsunterricht zu erteilen und Koranlehrer anzustellen, vielleicht gar noch auszubilden. Entsprechendes gilt für das Kirchensteuerprivileg!

Da die jetzt zu beschließende Verfassung bis weit ins nächste Jahrtausend gültig sein wird, ist zu erwarten, daß sich die Vielfalt der Religionsgesellschaften noch steigern wird. Schon aus diesem Grunde ist es nötig, jetzt die schon längst gebotene Trennung von Staat und Religion zu vollenden. Sowohl die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 4 Grundgesetz als auch das allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zustehende Selbstbestimmungsrecht bieten die Gewähr, daß die vollständig durchgeführte Trennung von Staat und Religion bzw. Weltanschauung nichts mit Religionsfeindlichkeit zu tun hat.

Soweit die römisch-katholische Kirche in Betracht kommt, ist auf die Pastoralkonstitution 76,5 zu verweisen, in der sogar ein Verzicht auf die Inanspruchnahme legitim erworbener Rechte ausgesprochen wird, wenn feststeht, daß veränderte Verhältnisse eine andere Regelung erfordern. Dies ist jetzt der Fall. Paul Mikat, der auf diese Bereitschaft der Kirche zum Verzicht auf überlebte Privilegien und wohlerworbene Rechte hingewiesen hat, bemerkte dazu, dies sei in der Kirchengeschichte ohne Beispiel und beweise, daß die Kirche bereit sei, aus ihrem Bekenntnis zum Anderssein in der Nachfolge Christi in dieser Welt die Konsequenzen zu ziehen21.

So ist nicht nur zu hoffen sondern auch zu erwarten, daß die Mitglieder der Verfassungskommission nicht päpstlicher als der Papst sein werden.

Anmerkungen:

1 Chiemsee-Entwurf = Verfassungsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz Westlicher Besatzungszonen. Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948. München: 1948.

2 Die geschilderte Entwicklung beruht auf der Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes im Auftrage der Abwicklungsstelle des Parlamentarischen Rates und des Bundesministers des Innem auf Grund der Verhandlungen des Parlamentarischen Rates bearbeitet von Klaus-Berto v. Doemming, Rudolf Werner Füsslein, Werner Matz; veröffentlich in JÖR, NF/Bd. 1 - Tübingen 1951.

3 Helmut Simon, Katholisierung des Rechtes? S. 3ff (Göttingen 1962).

4 So wörtlick von Simon zitiert. Da mir der Originaltext von Quadragesimo Anno nicht zur Verfügung steht, ist eine Nachprüfung leider nicht möglich.

5 Helmut Quaritsch, Kirchen und Staat in: Der Staat Bd. 1 (1962), 5. 194f.

6 E.-W. Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, S.109.

7 BVerfGE 19,206 (219).

8 BVerfGE 19, 226ff.

9 A. Hollerbach, Das Staatskirchenrecht in der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts, AÖR Bd. 92, 5. 11Sf.

10 Klaus Schlaich, Neutralität als vefassungsrechtliches Prinzip (Tübingen 1972).

11 AaO. S.213.

12 Helmut Goerlich, Grundrechte als Vefassungsgarantie, S.24 (Baden-Baden 1981).

13 E.-W. Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, S.108.

14 Helmut Goerlich aaO. S.35, 189, 290, 294.

15 Susanne Offenbach in Sonntag Aktuell vom 28. 3. 1993.

16 Südwestpresse vom 25.3.1993.

17 Süddeutsche Zeitung vom 17.4.1993. Der unkündbare Gott v. H. Prantl.

18 Die Zeit vom 8.1.1993, S.1.

19 Konrad Hesse, Freie Kirche im demokratischen Gemeinwesen in Staat und Kirchen, S.343.

20 Essener Gespräche 26, E.-W. Böckenförde, S.101, Wolfgang Rüfner, S.77.

21 Paul Mikat, Kirche und Staat in nachkonziliarer Sicht in Festschrift Hermann Kunst, S.124.