Konkurrenz im Supermarkt der Religionen

Gunnar Schedel

Editorial aus MIZ 1/93

Wer mit dem Zug nach Aschaffenburg kommt - vielleicht zum Seminar des Antiklerikalen Arbeitskreises über den §166 StGB -, dem fällt noch in der Passage von den Gleisen zum Bahnhofsgebäude eine Vitrine auf, die eine besondere Ware anpreist. Zwischen Zinngeschirr verspricht ein Plakat die Erweckung des "Inneren Lichtes", die über eine Würzburger Postfachadresse zu bekommen sei (leider ohne Preisschildchen).

Dieser Schaukasten der kleinen urchristlich orientierten Religionsgemeinschaft "Universelles Leben" symbolisiert gleich zwei Tendenzen in der religiösen Welt der Bundesrepublik: religiöse Gefühle sind, wie fast alles in der kapitalistischen Gesellschaft, längst zur Ware geworden, für die Marketingkonzepte erdacht werden, um sie an die Kunden zu bringen. Und - entsprechend den Gesetzen der freien Marktwirtschaft - die kameralistischen Monopole und Privilegien sind aufgehoben, die beiden großen christlichen Kirchen nicht mehr im Besitz des Alleinvertretungsanspruches für religiöse Verdummung, sie sehen sich vielmehr einer regen Konkurrenz der "Sekten", esoterischen Heilslehren und säkularen Ersatz- und Psychokulte ausgesetzt. Längst wird der Kampf um Seelen und Geldbeutel der Glaubenswilligen von professionellen Werbestrategen geplant(1), unterscheidet er sich kaum mehr von den Kampagnen der Autohäuser, Zigarettenhersteller oder Buchverlage.

Die enorme Zunahme der Kirchenaustritte, die Erfahrung einer bis dahin unvorstellbaren Diasporasituation in den neuen Bundesländern, die sich verschärfende öffentliche Kritik an Privilegien und Gebaren der Amtskirche, all dies hat dazu geführt, daß in den kirchlichen Verwaltungen die Alarmglocken läuten. Die beiden "Volkskirchen", längst ohne Volk, haben soviel an Attraktivität verloren, daß sie anderen Anbietern gegenüber ins Hintertreffen geraten sind. Eine Reaktion darauf ist, daß der Konkurrenzkampf gerade gegen Religionsgemeinschaften, die ebenfalls das Etikett "christlich" für sich reklamieren, mit allen Mitteln geführt wird, die die Verfilzung von Staat und Kirche bieten. Das Engagement der katholischen und evangelischen "Sektenbeauftragten" muß auch vor diesem Hintergrund gesehen und differenziert bewertet werden.

Auch besagtes "Universelles Leben", das früher als "Heimholungswerk Jesu Christi" firmierte, bekam den langen, unsichtbaren Arm staatskirchlicher Strukturen zu spüren. In den 1980er Jahren wurde die "Sekte" im unterfränkischen Raum aktiv, gründete um Würzburg verschiedene Zentren; einzelne Mitglieder erstanden einige Dutzend Grundstücke in der kleinen Gemeinde Hettstadt. Was folgte, war ein bis heute nicht abgeschlossener Rechtsstreit, da die Kommune sich plötzlich weigerte, das Bauland gemäß dem Bebauungsplan zu erschließen(2). Als ideologische Unterstützung der administrativen Maßnahmen werden von "Sektenbeauftragten" regelmäßig Seminare und Tagungen durchgeführt, die auf die vom "Universellen Leben" ausgehenden Gefahren hinweisen. Neben einigen theologischen Streitpunkten ging es vor allem um die "Wagenburgmentalität", um mangelnde Transparenz und fehlende persönliche Freiheit der einzelnen Mitglieder(3). Vorwürfe, die sich ohne Zweifel bestätigen lassen. Allein, wie steht es mit den Berührungsängsten mit einer kritischen Öffentlichkeit bei der katholischen Kirche, die immerhin 350 Jahre gebraucht hat, um zu registrieren, daß es gute Argumente gegen das geozentrische Weltbild gibt; wie steht es mit der persönlichen Freiheit der Beschäftigten in kirchlichen Betrieben, wo die Inanspruchnahme selbstverständlicher Grundrechte zur fristlosen Kündigung führen kann; und wie steht es mit der Transparenz der vatikanischen Geschäfte. Genau besehen, werfen die "Sektenbeauftragten" den "Sekten" vor, was sie ohne Mühe im eigenen Unternehmen auch finden könnten. Mehr noch, was im Kirchenparadies BRD für Katholiken und Evangelen selbstverständlich ist, etwa die Unterhaltung einer konfessionellen Schule oder eines eigenen Friedhofs, wird bei kleineren Religionsgemeinschaften als Bedrohung angesehen(4). Wer aber mit solch zweierlei Maß mißt, kann kaum aufklärerische Absichten haben.

Tatsächlich geht es den Kirchen bei ihrem Engagement gegen "Sekten" nicht zuletzt darum, lästige Mitanbieter auszubooten, die Schäfchen auf der "richtigen" Linie zu halten (früher hieß dies übrigens Inquisition). Im Alltag resultiert daraus oft genug eine dikriminierende Praxis. Es mag noch angehen, daß sich ein Kirchengemeinderat dagegen sträubt, daß Angehörige einer religiösen Sondergemeinschaft auf dem kircheneigenen Friedhof bestattet werden; wenn aber ein Vertreter einer Bürgerinitiative, die gegen die "Überfremdung" durch den Zuzug von Anhängern einer "Sekte" eintritt, vor der Presse erklärt, er habe "schon 27 Häuser mit Bewohnern ausgemacht, die der Glaubensgemeinschaft nahestehen"(5), nimmt die Hysterie bedenkliche Formen an.

Auffällig ist zudem, daß viele Publikationen, die sich mit Sekten und Psychokulten auseinandersetzen, fast alles, was sich außerhalb der Schranken der beiden großen christlichen Kirchen tummelt, in einen Topf werfen(6). Ohne daß die grundlegenden Unterschiede dargelegt würden, steht die Scientology Kirche neben fernöstlich inspirierten Meditationszirkeln, die Vereinigungskirche ("Mun-Bewegung") neben esoterisch verzückten New-Age-Gruppierungen. Diese Differenzierung zwischen vergleichsweise harmlosen religiösen Sondergemeinschaften und Vereinigungen, die unter dem Deckmantel religiöser Betätigung eine reaktionäre bis menschenverachtende Politik vorantreiben, sollte jedoch eine der Grundlagen für die Aufklärungsarbeit auf diesem Gebiet sein. Denn selbstverständlich macht die Einbindung in die katholische Kirche das Opus Dei nicht weniger gefährlich.

Das Engagement gegen den Einfluß religiösen und irrationalen Gedankengutes auf die Gesellschaft geht über das von Konfessionslosen oft als Konsens formulierte Ziel der Trennung von Staat und Kirche hinaus. Die Kriterien, nach denen diese Arbeit gestaltet werden kann, müssen erst noch gefunden werden; klar dürfte jedoch sein, daß sie sich grundlegend von der Motivation der kirchlichen "Sektenbeauftragten" unterscheiden müssen. Denn die Vielfalt im religiösen Supermarkt ist ein legitimes Ergebnis der Weltanschauungs- und Religionsfreiheit. Und auch der Glaube an die unsinnigsten Dogmen bleibt für den Einzelnen legitim, solange er nicht ins Leben anderer unmittelbar eingreift.

Mit unserem Schwerpunkt haben wir versucht, einige dieser Sondergemeinschaften vorzustellen und zu verorten. Auch für die Redaktion waren die Ergebnisse teilweise überraschend; zeigten sie doch, wie sehr Vorurteile unsere Einschätzungen gerade bei diesem Thema mitbestimmen.

Anmerkungen: