Hermann Josef Schmidt
Nachdenkliches zur Seriosität aktueller katholischer Überprüfungsversuche der »Kriminalgeschichte des Christentums«
Karlheinz Deschners
Aus: MIZ 1/94 und 2/94
Nachdem Karlheinz Deschner bereits seit 1957 in provokantem Widerspruch gegen einen radikale Analysen möglichst
neutralisierenden Zeitgeist christentums- und zumal kirchenkritische Veröffentlichungen vorlegt und mit seinem Terzett
»Abermals krähte der Hahn. Eine kritische Kirchengeschichte von den Anfängen bis zu Pius XII.« (1962), »Mit Gott und den
Faschisten. Der Vatikan im Bund mit Franco, Mussolini, Hitler und Pavelic« (1965) sowie »Das Kreuz mit der Kirche. Eine
Sexualgeschichte des Christentums« (1974) einigen hunderttausend Lesern in zuvor kaum erreichter Ausführlichkeit, Konzentration
auf Negativa, Stringenz und stilistischer Brillanz prinzipielle ebenso wie aktuelle christentums- und kirchenkritische
Struktur-Informationen aus engagiert humanistischer Perspektive an die Hand gab, arbeitet er im Sinne einer
historisch-kritischen Zangenstrategie seit Mitte der siebziger Jahre die zuvor nur skizzierten Zusammenhänge in umfassendster
Weise auf. Während »Ein Jahrhundert Heilsgeschichte« (1982/83) in zwei voluminösen Bänden auf über 1.300 Seiten die Politik der
Päpste im Zeitalter der Weltkriege von 1878 bis 1978 diskutierte und im Widerspruch zu einer weitgehend
christentumsapologetischen Geschichtswissenschaft nicht nur die Mitschuld des Vatikan an der Entstehung des ersten und zweiten
Weltkrieges, sondern auch an der Durchsetzung und Stabilisierung des europäischen Faschismus in vielen kaum bekannten Details
belegte sowie eine hierzulande nur wenigen Historikern und Betroffenen bekannte Liste weiterer kurialer Ungeheuerlichkeiten
präsentierte, erscheint seit 1986 als das umfassendste Werk historisch-genetischer Christentums- und Kirchenkritik dieses
Jahrhunderts eine »Kriminalgeschichte des Christentums«, die in ihren 10 Bänden eine "Geschichte des Verbrechens in der ganzen
Breite des staatlichen, kirchlichen und gesellschaftlichen Lebens der Christenheit" vorlegen soll. Die der christlichen Antike
geltenden, nahezu alle christlichen Selbstbelobigungsmythen destruierenden und selbst dann, wenn absurderweise nur ein
Bruchteil von Deschners Thesen zuträfe, ein irritierendes Maß an Inhumanität sowie Betrug belegenden, knapp 1500 Seiten
umfassenden Bände I-III der »Kriminalgeschichte« waren im Zweijahresrhythmus im Herbst 1986, 1988 und 1990 erschienen. Mit dem
vierten, für April 1994 angekündigten, dem frühen Mittelalter bis zum Tode Karls des Großen gewidmeten Band, der die
Darstellung aller bisher skizzierten Greuel drastisch überbieten dürfte, wagt sich Karlheinz Deschner nun in ein Gebiet vor,
das noch stärker als selbst die Spätantike als Domäne christlicher und christlich orientierter Historiker gilt.
Hermann Josef Schmid, Dr. phil., geb. 1939 in Köln; 1964-66 Bundesvorsitzender der Humanistischen Studenten-Union
(HSU); 1968 Promotion in Philosophie an der Universität Freiburg; seit 1969 an der Pädagogischen Hochschule Ruhr; 1976
Habilitation; seit 1980 Professor für Philosophie an der Universität Dortmund; Arbeit an der Revision entwicklungsblinder und
weltanschaulich verseuchter Nietzsche-Interpretation; Hauptwerk: Nietzsche absconditus oder Spurenlesen bei
Nietzsche. Beiratsmitglied des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) e. V.
So mag es ein Zufall oder den publizistischen Erfolg künftiger Bände negativ tangierende Absicht sein, daß nach drei
Jahrzehnten eher unterschwelliger Abwehr und allenfalls in Kirchenblättern vorgetragener Polemik vom 1. bis 3. Oktober 1992 in
der Katholischen Akademie Schwerte ein von Hans Reinhard Seeliger, Professor für Historische Theologie an der Universität-GH
Siegen, organisiertes und geleitetes Symposion über die Bände I-II der »Kriminalgeschichte« stattfand. Unter dem Titel
Kriminalisierung des Christentums? Karlheinz Deschners Kirchengeschichte auf dem Prüfstand, herausgegeben von Hans
Reinhard Seeliger, Freiburg 1993, 320 S.
wurden die überarbeiteten Vorträge nun vorgelegt und durch eine bemerkenswerte Einleitung ergänzt.
Worin liegt die Bedeutung des Bandes? Einerseits beteiligten sich an dem Symposium so zahlreiche Referenten, daß nicht nur
Karlheinz Deschners religions- und kirchenkritischer Ansatz eine fünffache, sondern auch nahezu jedes einzelne Kapitel der
»Kriminalgeschichte I-III« eine Gegendarstellung fand. Andererseits signalisieren Tagungsort, Tagungsdauer und illustrer
Teilnehmerkreis - 20 Professoren, überwiegend katholische Theologen (vornehmlich Professoren der Kirchengeschichte oder Alten
Kirchengeschichte und Patrologie), ein Privatdozent, ein Arzt und Karlheinz Deschners Lektor und Freund Hermann Gieselbusch -
ebenso wie die Vorlage der Referate durch den bekanntesten katholischen Wissenschaftsverlag, daß es sich bei dem dreitägigen
Deschner-Symposium in der Katholischen Akademie um eine für katholisches Forschungs- und Argumentationsniveau repräsentative
Veranstaltung und bei dem hinsichtlich seines Argumentationsniveaus nun zu überprüfenden Sammelband um ein in mancherlei
Hinsicht aufschlußreiches Dokument handelt, dessen Thesen nicht nur in den zahlreichen, vielfältigen und auflagestarken
katholischen Presseorganen, sondern dank des immensen Einflusses der Katholischen Kirche in den Entscheidungsgremien der
öffentlich-rechtlichen Medien künftig eine nicht geringe Rolle spielen dürften. So verdient das Argumentationsniveau dieses
Bandes Beachtung auch seitens derer, die nicht vorweg zur katholischen Klientel zählen, sondern sich der Lektüre aus
Sachinteresse oder aus weltanschauungskritischen Gründen zuwenden.
Der Band selbst gliedert sich in drei Bereiche: nach einer knappen Einleitung des Herausgebers (S. 9-13) erfolgt (unter I.
zur Publikation der "Kriminalgeschichte des Christentums ) durch Karlheinz Deschners Lektor und Freund Hermann Gieselbusch die
Vorstellung der Person der Kontroverse (Deschner bei Rowohlt; S.19-31) als eines ebenso klugen wie warmherzigen
Melancholikers (S.23) sowie eine Skizze der Entstehung der schon 1970 mit dem Rowohlt-Verlag vereinbarten »Kriminalgeschichte«.
Anschließend haben die katholischen Kritiker das Wort. Fünf Referenten präsentieren (in II.) grundsätzliche Anfragen und
Einwände (S.33-112) und weitere 17 Autoren unterwerfen (in III. Exemplarische Einzelkritik, S.113-310) in 18 Referaten nahezu
jedes Kapitel der »Kriminalgeschichte« einer möglichst pointierten Gegendarstellung.
Meine Seriositätsüberprüfung gliedere ich in vier Abschnitte: nach einigen leider unumgänglichen Überlegungen zum auch noch
gegenwärtig prekären Verhältnis von Erkenntnisfreiheit und Erkenntnisinteresse(n) katholischer Theologieprofessoren (in
I.) folgt eine Analyse einiger Spezifika der Einleitung des Herausgebers (in II.).
Anschließend wende ich mich (den) wesentlichen Gegenargumenten und ihrer Überprüfung, einigen Thesen und mehr oder weniger
expliziten inhaltlichen oder formalen Konzessionen des erstaunlich vielschichtigen und, wenn man hinter die Sprach- und
Kritikfassaden blickt, nicht wenige äußerst ambivalente Beiträge enthaltenden Bandes zu (in III.), bevor ich
(in IV.) ein erstes Resümé ziehe.
Erkenntnisfreiheit und Erkenntnisinteresse(n) katholischer Theologieprofessoren
Einige leider unumgängliche Überlegungen
"Und immer wieder auch staune ich, wie wenig ernst man auf christlicher Seite Darbietungen sowjetischer Geschichte von
sowjetischen Gelehrten nimmt - und wie ernst christliche von christlichen Theologen!"
(Karlheinz Deschner, Kriminalgeschichte I, S.39)
Seriositätsüberprüfungen können aus vielerlei Perspektiven erfolgen. Zumindest eine Kombination positions-, informations-
und argumentationsorientierter Perspektiven erscheint jedoch unverzichtbar.
So verpönt es nun vor allem aus der Perspektive Betroffener sein mag, Person und 'Sache des Denkens' nicht vorweg als
unabhängige Größen anzusetzen, die Qualität einer Argumentation also auch im Blick auf spezifische Formen von
Standortsgebundenheit des Denkens, die Interessenlage der an einer Kontroverse Beteiligten und zumal auf Rahmenbedingungen
qualifizierter, primär 'der Erkenntnis' verpflichteter Argumentation zu überprüfen, so unerläßlich ist es, im Falle der durch
Hans Reinhard Seeliger vorgelegten Überprüfung der Christentums und Kirchenkritik Karlheinz Deschners einige Informationen
sowie Überlegungen vorauszuschicken. Um nämlich beurteilen zu können, ob und inwiefern gegenwärtig katholische Hochschullehrer,
wenn sie (in der Regel als Kleriker) in Deutschland oder Osterreich an einer theologischen Fakultät oder auf einem (für
Geschichte, Philosophie oder Theologie errichteten) Konkordatslehrstuhl lehren, als der "Freiheit von Forschung und Lehre"
verpflichtete Hochschullehrer angesehen werden können bzw. ob ihren Veröffentlichungen ohne nähere Prüfung derjenige
fachwissenschaftliche Kredit eingeräumt werden kann, der bis zum Beweis des Gegenteils unter Wissenschaftlern üblich ist,
müssen leider einige Informationen berücksichtigt werden, die von interessierter Seite der Diskussion in der Regel entzogen und
selbst ansonsten erfreulich kritischen Lesern in ihrer konsequenzenreichen Bedeutung kaum präsent sind.
Erstens. Im Gegensatz zum universitären und gesetzlich vorgegebenen Selbstverständnis der Universitäten gibt es
selbst an staatlichen deutschen und österreichischen Universitäten keineswegs nur Disziplinen bzw. Fächer und Fakultäten bzw.
Fachbereiche, die lediglich der Forschung, Lehre und Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses verpflichtet sind, sondern
auch Fachgebiete (Theologie oder Kirchengeschichte in allen nur denkbaren Versionen; mittelalterliche Geschichte oder
Philosophie auf sog. Konkordatslehrstühlen) und selbst Fakultäten (Theologische anstatt Religionswissenschaftlicher
Fakultäten), in denen keineswegs etwa widerrechtlich, sondern höchst offiziell und durch Staatsverträge mit den beiden
christlichen Großkirchen seit Jahrzehnten abgesichert, explizit weltanschaulich intendierte sowie durch außerhochschulische
weltanschauliche Institutionen kontrollierte 'Forschung', 'Lehre' und Kaderausbildung (wie z.B. Religionslehrerausbildung im
Sinne eines bestimmten christlichen Bekenntnisses) stattfindet. Doch längst nicht genug!
Zweitens. Im Gegensatz nämlich zu den Hochschullehrerstellen aller übrigen Fächer und Fakultäten einer Universität
bestehen sowohl in Deutschland als auch in Österreich seit mehr als einem halben Jahrhundert für Hochschullehrer der
Theologischen Fakultäten der beiden christlichen Konfessionen sowie für Inhaber von Konkordatslehrstühlen (weit über den
Tendenzcharakter der jeweiligen 'Stellenbeschreibung' hinausgehend auch) 'Einstellungsbedingungen', die das Berufungsrecht der
Hochschulen ebenso wie der betreffenden Fachangehörigen zumindest einschränken und im Konfliktfall weitgehend zu suspendieren
vermögen. während nämlich Berufungsverfahren, Stellenbesetzungen usw. normalerweise in Verantwortung der betreffenden Disziplin
und in Kontrolle durch Fakultät, Hochschule und Ministerium durchgeführt werden, muß im Falle der Besetzung einer Theologen-
oder Konkordatslehrstuhlposition eine Zustimmung (das berühmt-berüchtigte "nihil obstat"; Nichts steht dem entgegen) von einer
außeruniversitären' weltanschaulich bzw. dogmatisch gebundenen Institution, nämlich der zuständigen kirchlichen Stelle,
eingeholt werden. Je nach kirchenpolitischer Tendenz kann das ein rein formaler Akt sein; zumindest im Falle der Besetzung
einer der katholischen Kirche zugebilligten Hochschullehrerstelle und der benötigten Zustimmung des Personalvorschlags durch
einen katholischen Bischof ist das gerade gegenwärtig jedoch weniger denn je der Fall. So kann vorkommen, daß sich für eine
öffentlich ausgeschriebene Hochschullehrerstelle bspw. in katholischer Theologie und Religionsdidaktik zwar zahlreiche Personen
bewerben, von denen nicht wenige formal geeignet gewesen wären, in die engere Wahl gezogen zu werden, daß aber kirchlicherseits
lediglich eine so verschwindend geringe Zahl von Bewerbern1 akzeptiert wird, daß
weltanschaulich weniger Fixierte den Eindruck einer Berufungsfarce kaum abzuwehren vermögen.
Doch noch immer nicht genug. Würde ein Berufungsverfahren in Berücksichtigung der gegenwärtigen Rechtslage korrekt ablaufen,
so bestünde es aus zwei Phasen: der Phase innerhochschulischer Auswahl und Erstellung des Berufungsvorschlags, und erst
anschließend der Anfrage des verantwortlichen Ministers bei der betreffenden kirchlichen Stelle, ob es Einwände gegen den
Berufungsvorschlag gibt. Nun kann jedoch selbst diese (eine Spur von Hochschulautonomie noch sichernde Zweiphasigkeit) durchaus
unterlaufen werden, wenn in vorauseilendem Gehorsam schon bei der Sichtung der Bewerbungen die entsprechende kirchliche Stelle
eingeschaltet wird und wenn in Berücksichtigung von deren Auffassung bereits die erste Auswahl so erfolgt, daß nur noch
kirchlicherseits akzeptierte Bewerber in die engere Wahl kommen, zu Vorstellungsgesprächen usw. eingeladen werden. In den
hochschulöffentlichen Phasen des Verfahrens kann dann 'kaum mehr etwas passieren', denn die Weichen sind längst gestellt. In
den kontrollierenden Hochschulgremien hingegen bestehen wenig Möglichkeiten (und kaum ausgeprägtes Interesse an) einer
ernsthaften Überprüfung der Korrektheit der Verfahren oder gar an einer Diskussion derartiger Praktiken, von denen ja
bestenfalls einzelne Mitglieder auf so vertraulichem Wege erfahren, daß sie die Beweislast nicht übernehmen oder ihre
Informanten bloßstellen und ggf. kirchlichen Pressionen aussetzen müßten. Wer will das schon? In der Regel wird den menschlich
oft akzeptablen und fachwissenschaftlich zuweilen respektablen theologischen Kollegen, um deren Probleme man ja weiß, das von
vielen Beteiligten als peinlich empfundene Spießrutenlaufen in den übergeordneten Gremien nicht noch zusätzlich erschwert. Man
läßt sie gewähren, weil man den wissenschaftlichen Rang der betreffenden Hochschullehrerstellen einzuschätzen weiß, und
berücksichtigt allzuselten, wie sehr derlei bequeme Toleranz wissenschaftliche Ansprüche paralysiert, auf Möglichkeiten der
Niveauanhebung in den betreffenden Forschungsgebieten sowie selbst auf Erhöhung fachspezifischer Berufungsautonomie verzichtet;
und damit der Einschränkung der schließlich auch theologischen Kollegen verfassungsmäßig zugebilligten, wenngleich
staatsvertraglich reduzierten "Freiheit von Forschung und Lehre" selbst über das durch Verträge fixierte Maß hinaus Vorschub
leistet und darüber hinaus die ohnedies problematische und allzuoft nur gering ausgeprägte Resistenz einer Hochschule gegenüber
außerhochschulischen Beeinflussungsfaktoren schwächt.
Erstes Fazit: solange außerhochschulische und insbesondere weltanschaulich fixierte Institutionen (wie etwa ein
katholischer Bischof) sowohl bei der Berufung als auch bei der Weiterbeschäftigung eines Hochschullehrers auf einer
konkordatlich einer Kirche zugewiesenen Stelle zustimmungspflichtig oder einspruchsberechtigt sind, kann weder von der
verfassungsmäßig garantierten und hochschulüblichen "Freiheit von Forschung und Lehre" des betreffenden Hochschullehrers noch
von einer rein wissenschaftlichen und universitären Kriterien entsprechenden Auswahl der Bewerber um eine entsprechende
Hochschullehrerstelle die Rede sein. Insofern besteht an einer wissenschaftlichen Hochschule innerhalb der Hochschullehrer eine
unausgesprochene und von interessierter Seite verständlicherweise sublim vernebelte Mehrklassengesellschaft: Hochschullehrer,
die ausschließlich durch ihre Institution ausgewählt und dem Hochschulvotum entsprechend berufen oder eingestellt wurden;
Hochschullehrer, die (wie besonders häufig im Freistaat Bayern) ihre Position der (vom Hochschulvotum abweichenden)
Entscheidung des zuständigen Ministers zu verdanken haben; und schließlich Hochschullehrer, deren Berufung vom Votum einer
außeruniversitären und außerministeriellen weltanschaulich gebundenen Institution2 abhängig ist.
Ein drittes. Auch hinsichtlich des Inhalts und der Qualität seiner Veröffentlichungen ist ein kirchlicherseits
ausgewählter Hochschullehrer, auf dessen lebenslängliche Dankbarkeit oder Willfährigkeit die ihn protegiert habende und
weiterhin kontrollierende Institution setzt, keineswegs im hochschulüblichen Sinne 'frei'. Vor allem im Falle unerwünschten
geistigen Freiheitsgebrauchs bzw. inhaltlicher Kontroversen kann er nicht ausschließen, daß seine Veröffentlichungen
kirchlicherseits auf Rechtgläubigkeit hin überprüft werden und daß er ggf. nicht unerheblichen Pressionen ausgesetzt wird, wenn
er allzu deutlich wider den kirchenoffiziellen Stachel löckt. Im Falle katholischer Autoren war die kirchliche Zensur3, genauer: die Imprimaturpflicht, also die Pflicht, nur nach Erteilung einer kirchlichen
Druckerlaubnis - "kirchliche Druckerlaubnis", eine aufschlußreiche Formel, die von einer übergeordneten Kirchenstelle nach
Vorlage des Manuskripts zu vergeben war, eine der "Freiheit von Forschung und Lehre" kaum förderliche Hürde. (Auch
weltanschaulich keineswegs neutrale Auftragsarbeiten - Rezensionen, Organisation von oder Teilnahme an Tagungen - mögen
zeitweise angeregt oder vergeben worden sein.)
Ein viertes. Bis in die jüngste Vergangenheit waren katholische Theologieprofessoren auch Priester, also nicht nur
an einer Hochschule den üblichen4 Karriereweg (Promotion, Assistentur,
Habilitation, Privatdozentur, Professur) einschlagende Wissenschaftler, sondern in einer (über die bisher skizzierten
folgenreichen Forschungs- und Lehreinschränkungen noch weit hinausgehenden) Weise an (die Weltanschauung) ihre(r) Institution
mit Gelübden oder Eiden gebundene, aus der Perspektive der Institution deren Selbsterhaltungsinteressen auch in ihrer
Hochschullehrertätigkeit berücksichtigende Kleriker. Neben all den theologie- und konkordatslehrstuhlspezifischen
Wissenschaft(lichkeit)seinschränkungen bedeutet(e) dieser Sachverhalt bis in unsere Gegenwart eine Serie weiterer
Einschränkungen nicht lediglich der Forschungs-, Lehr- und Veröffentlichungsfreiheit, sondern streng genommen selbst noch der
Denkfreiheit der betreffenden Hochschulkollegen. Dieser ungeheure Vorgang bzw. eine so weitreichende These bedarf vermutlich
genauerer Belege.
Am 1. September 1910 schrieb Papst Pius X. vor, daß "von allen Priestern vor Empfang der höheren Weihen" ein gegen den
Modernismus gerichteter "Antimodernisteneid" abgelegt werden müsse. Dieser Eid richtete sich gegen die sich in Mitteleuropa
selbst innerhalb der katholischen Kirche artikulierenden Versuche, "zwischen den Glaubenssätzen und dem wissenschaftlichen
Denken, zwischen den von der Kirche empfohlenen und den zeitgemäßen Lebensformen zu vermitteln."5
Der Inhalt des noch bis ins Jahr 1967 obligatorischen und von katholischen Klerikern (bis etwa zum Geburtsjahrgang 1942)
abgelegten Eids ist in unserem Zusammenhang vor allem deshalb bemerkenswert, weil er von nahezu allen am Schwerter
Deschner-Symposion beteiligten katholischen Theologen abgelegt wurde und nicht nur im Blick auf die Entwicklung ihrer geistigen
Unabhängigkeit von nicht geringer Bedeutung gewesen sein dürfte. Der Eid selbst
"zerfällt in zwei Abschnitte; im ersten ist zu beschwören:
1. daß die Existenz Gottes aus der sichtbaren Schöpfung wie die Ursache aus der Wirkung erkannt und bewiesen ["certe cognosci
et demonstrari"] werden könne,
2. daß die biblischen Wunder und Weissagungen historische Tatsachen und als solche übernatürliche Beweggründe des Glaubens
seien,
3. daß das unfehlbare Lehramt der Kirche durch den wahren und geschichtlichen Christus direkt eingesetzt und durch Petrus für
alle Zeiten seinen Nachfolgern übermittelt worden ist,
4. daß die Glaubenslehre, soweit sie von den Aposteln durch die orthodoxen Väter übermittelt wurde, stets ein und dieselbe
war,
5. daß der Glaube kein blindes Gefühl für Religion ist, das aus den verborgenen Gründen des Unbewußten unter dem Druck des
Herzens und der Erregung des sittlich ungebildeten Willens hervorbricht, sondern daß er die wahrhaftige Zustimmung unseres
Verstandes zu einer Wahrheit ist, die von außen her durch Hören angenommen wird, durch die wir das, was von dem persönlichen
Gott, dem Schöpfer und unserem Herrn gesagt, bezeugt und offenbart wurde, für wahr halten um der Autorität des im höchsten
Grade wahrhaftigen Gottes willen.-"
Mit anderen Worten: jeder Kleriker (bis etwa Jg. 1942) und mancher ältere katholische Religionslehrer hatte bereits vor
seinen höheren Weihen in aller Form und in Anwesenheit zahlreicher Zeugen feierlich einen Eid nicht nur des Inhalts abzulegen,
daß er die vom unfehlbaren päpstlichen Lehramt fixierten Glaubensaussagen lebenslänglich akzeptiert und vertritt, sondern auch
die These zu beschwören, daß Inhalte persönlicher Glaubenserfahrungen im Konfliktfalle den Lehren des päpstlichen Lehramtes
untergeordnet werden, da Glaube "die wahrhaftige Zustimmung unseres Verstandes zu einer Wahrheit ist, die von außen her durch
Hören angenommen", genauer: exklusiv durch das päpstliche Lehramt fixiert und verkündet wird.
Doch es geht noch weiter. Im zweiten Abschnitt des Antimodernisteneids ist u.a.
"die Zustimmung zu folgenden Verurteilungen zu beschwören:
Zu verurteilen ist der Irrtum all derer, die behaupten, der kirchliche Glaube könne der Geschichte widersprechen und
die heutigen katholischen Dogmen ließen sich mit den zuverlässigen Quellen der christlichen Religion nicht in Einklang
bringen.
Verurteilt wird die Meinung, nach der der christliche Gelehrte zwei Personen in sich vereinigen könne, eine, die
glaubt, und eine, die forscht, so daß es dem Historiker erlaubt sei, etwas für wahr zu halten, was dieselbe Person vom
Standpunkt des Glaubens als fälsch erkennen muß.
Verworfen wird der Irrtum derer, die behaupten, daß der Lehrer, der Fragen der historischen Theologie behandelt oder
wer auch immer sich mit diesem Gegenstande schriftstellerisch befaßt, zuerst sich von allen Voraussetzungen frei machen müsse,
sei es hinsichtlich des übernatürlichen Ursprungs der katholischen Überlieferung, sei es hinsichtlich des von Gott
versprochenen Beistandes eines jeden Teils der geoffenbarten Wahrheit.
Ferner werden u.a. verurteilt alle jene, die in der christlichen Überlieferung überhaupt nichts Göttliches anerkennen
oder diese Überlieferung im Sinne des Pantheismus auslegen, so daß die nackte und einfache, jeder anderen geschichtlichen
Überlieferung gleichzustellende Tatsache übrigbleibt."6
Dieser kaum anders denn als (un)geistiger Knebelungseid zu verstehende, Lehre und Praxis der katholischen Kirche abdeckende,
Wissenschaftlichkeit jedoch prinzipiell und konsequent suspendierende "Antimodernisteneid" ließ zwischen 1910 und 1967 - also
noch fünf Jahre nach Erscheinen von Karlheinz Deschners »Abermals krähte der Hahn«! - einem über zentrale Glaubensinhalte
einschließlich der Qualität des kirchlichen Lehramts nachdenkenden katholischen Kleriker und selbst Hochschullehrer keinen
legitimen Weg zur Artikulation einer vom päpstlichen Lehramt abweichenden Auffassung frei! Es sei denn, der betreffende
Geistliche hätte es bspw. mit Verweis auf bestimmte Artikel des Grundgesetzes der BRD gewagt, seinen Eid aufzukündigen und,
lange Zeit verbunden mit unabsehbaren persönlichen und wirtschaftlichen Folgen, sein Priesteramt niederzulegen... Wohl nicht
nur Humanisten dürften sich fragen, wie sich eine Denkfreiheit solcherart verhindernde, mit ungeheueren Schuldgefühlen
belastende oder Zynismus protegierende Konstellation auf diejenigen psychisch ausgewirkt haben mag, die sich aus Glaubens- oder
Karrieregründen einem derartigen Eid unterworfen haben, sich zum Sprachrohr des päpstlichen Lehramtes machen ließen und sich
ihrer Selbstverantwortung, persönlichen Glaubwürdigkeit sowie Integrität wohl nicht nur in den Augen anders Orientierter
weitgehend begeben haben. Und vielleicht auch, was von dem Wahrheitsgehalt bzw. dem wissenschaftlichen Niveau der
Veröffentlichungen solcherart eidlich Geknebelter zu halten ist. Selbst die protestantische Konkurrenz hält zumindest in diesem
Punkt mit ihrer Einschätzung nicht hinter dem Berge:
"Die Diskussion um den A. hat sich rasch beruhigt. Seine Positionen werden in der Fundamentaltheologie verhandelt,
ohne daß auf das Problem einer solchen Verpflichtung näher eingegangen würde. Die Bedeutung einer solchen
Bekenntnisverpflichtung (zusammen mit der »Professio fidei Tridentinae«) darf als disziplinäres und dogmatisches Faktum nicht
unterschätzt werden."7
Nur als "disziplinäres und dogmatisches Faktum"?
Nun könnte gegen die hier vorgetragene Argumentation eingewandt werden, der "Antimodernisteneid" sei nicht mehr aktuell, da
er 1967 aufgehoben worden sei. Doch ein derartiger Vorwurf geht leider in sogar doppelter Hinsicht ins Leere: einerseits haben
- es sei nochmals betont - nahezu alle auf dem Deschner-Symposion referierenden Theologen als junge Kleriker den
Antimodernisteneid abgelegt; andererseits freilich (und von der Öffentlichkeit leider kaum berücksichtigt) ist bereits seit dem
24. Mai 1990 die katholische Theologie durch die "Instruktion über kirchliche Berufung des Theologen" der Kongregation für die
Glaubenslehre rechtsverbindlich auf eine Weise definiert worden, "daß dieses Fach an einer staatlichen Universität nichts
verloren hat"8. So ist der ohnedies mehr als nur prekäre Wissenschaftsstatus der
katholischen Theologie seit 24. Mai 1990 einmal mehr aufgehoben worden. Nun könnte man im Blick auf den "Antimodernisteneid"
und die "Instruktion" zwar von einer immerhin dreizehnjährigen Zwischeneiszeit sprechen, doch in Berücksichtigung weiterer
Faktoren erscheint selbst eine derart bescheidene Formulierung noch als reichlich euphemistisch. Aufklärungen über den
Wissenschaftsstatus katholischer Theologie? Je präziser die Analyse, desto deprimierender leider das Ergebnis.
Die bisher skizzierte Linie (un)geistiger Selbstaufgabe in Glaubens- und Wissensfragen ist dennoch nur eine Seite der
Medaille; eine kaum weniger wichtige Seite ist die der persönlichen Tragik derer, die bei sich entwickelnder Lebensreife und
subtilerer Institutionenkenntnis zunehmend die Folgelasten ihres Knebelungseides oder ihrer kirchlich approbierten
Hochschullehrerposition entdeckt, sich als korrumpiert oder als Gefangene erlebt haben mögen, die verzweifelten, auf und
ausbrachen oder aber begannen, sich mit Hilfe ihres positionalen oder wissenschaftlichen Instrumentariums mehr oder weniger
subtil an Mutigeren zu rächen. Ein buntes Spektrum von Reaktionen zweifelsohne... Und doch: wer bezweifelt, daß ein über
Jahrzehnte unter kaum zumutbaren Bedingungen arbeitender nicht korrumpierbarer Einzelgänger wie Karlheinz Deschner eine
geradezu ideale Aggressionsattrappe vor allem für diejenigen darstellt, die ihre Denkfreiheit einer weltanschaulichen
Institution verschrieben haben und sich dank ihrer beeideten Identifikation mit bestimmten Dogmen sowie dem Lehramt der
katholischen Kirche durch Deschners pointierte Untersuchungen persönlich in Frage gestellt oder angegriffen fühlen (müssen)?
Und andererseits gerade in Deschners Schriften ein eigenes Denken stimulierendes, naive Rechtgläubigkeit infizierendes,
Karrieristen ungemein provozierendes Fragezeichen finden?
Tragisch ist in dem skizzierten Zusammenhang ja vielerlei: aus wissenschaftsgeschichtlicher und kritischer Perspektive sind
seit Errichtung kirchlich kontrollierter theologischer Fakultäten (und von Konkordatslehrstühlen bspw. in Geschichte und
Philosophie) einerseits wichtige Forschungsgebiete wie Spätantike, mittelalterliche Geschichte und Philosophie sowie zumal
Religionswissenschaft(en) weltanschaulich weit über den normalen Zeitgeist hinaus imprägniert, da Erkenntnis und
Forschungsfortschritte in den entsprechenden Wissenschaftsgebieten in universitär unkontrolliertem Maße von
außerhochschulischen, weltanschauungsgeprägten Institutionen abhängig gemacht wurden. Die vor Abschluß der Landes- und
Reichskonkordate weltweit anerkannte deutschsprachige Religionswissenschaft hingegen ist seit mehr als einem halben Jahrhundert
nahezu ausgelöscht; fristet außerhalb opulentest ausgestatteter theologischer Fakultäten nur noch an wenigen Hochschulen ein
bescheidenes Dasein.
Schließlich ein Fünftes. In Berücksichtigung der angeführten positionalen Denk- und zumal
Veröffentlichungseinschränkungen katholischer Kleriker und theologischer Hochschullehrer besteht in der wissenschaftlich
interessierten Öffentlichkeit insofern die Gefahr einer doppelten Fehleinschätzung, als 'Forschungsergebnisse' katholischer
Theologen entweder vorweg als wissenschaftlich seriös akzeptiert oder aber als eo ipso unseriös abgelehnt werden. Skepsis
gegenüber kirchlich geförderten und kontrollierten Elaboraten dürfte zwar in allen Fällen mehr als nur angemessen sein;
pauschale Ablehnung hingegen betrügt gerade wissenschaftlich (weitgehend) seriöse und zuweilen erfreulich mutige,
problemsensible und als Persönlichkeit reife Autoren um eine sie ermutigende Beachtung ihrer Arbeiten jenseits der
eingeschworenen Klientel. Auch das eine der Prämierung geistiger Weiterentwicklung nicht unbedingt förderliche
Konstellation...
Découvrierende Ouvertüren oder implizite Resümees?
"Erst in den letzten Tagen wieder haben mir eine Reihe erschütternder Erlebnisse klar gemacht, wie nötig und gut ein
solches Buch9 ist. Aber die katholische Kirche wird Sie mit allen ihr zur
Verfügung stehenden Mitteln verfolgen - darauf müssen Sie sich gefaßt machen - ich habe selbst in dieser Beziehung das
Unglaublichste erlebt. Sie wird wirklich vor nichts Halt machen. Aber schließlich kommt es ja nicht auf unsere Person an!"
(Carl Schneider, Brief an Karlheinz Deschner10 vom 2.2.1963)
Die Verbrennung des Dominikaners Savonarola als Ketzer in Florenz, Fra Bartolommeo's Florentiner Museumsattraktion (Museo di
San Marco), ziert das Cover des Bandes. Hintersinnige Selbstkritik, eine leise Drohung oder ein (un)frommer Wunsch? Welcher
Leser der »Kriminalgeschichte« bezweifelt, daß Karlheinz Deschner unter anderen Zeitumständen ein bevorzugtes Opfer derartiger
Inszenierungen geworden wäre? Und daß davon auch noch heute so mancher (nicht nur im Blick auf das gegenwärtige Jugoslawien)
träumt?
Die knappe Einleitung des Herausgebers (S. 9-15) verdiente eine subtile Von-Wort-zu-Wort-Interpretation. Bei der
ersten Lektüre habe ich meinen Augen nicht getraut, denn zahlreichere argumentative Rohrkrepierer und eine noch massivere,
selbstinszenierte Desavouierung des Seriositätsanspruchs des Deschner-Symposiums einschließlich der respektablen Beiträge
einiger Referenten kann ich mir nur mit Mühe vorstellen.
Die Einleitung beginnt mit einigen Zitaten: sie entstammen einer voreingenommenen Rezension aus dem ersten Band des bei
Aschendorff (Münster i. W.) - damals noch ein rabenschwarzer Verlag - erschienenen »Jahrbuchs für Antike und Christentum«
(1958) und galten dem zweibändigen Standardwerk »Geistesgeschichte des antiken Christentums« (München, 1954) des
Hellenismuskenners11 Prof. Dr. Carl Schneider. Doch warum? Nur weil die für
Schnelleser und -rezensenten gleich eingangs präsentierten Zitate12 so prägnant
und wunderschön diffamierend sind? Keineswegs; denn der Herausgeber weiß, was er tut. Der geistig unabhängige, keineswegs
christentumsfeindliche, renommierte Hellenismusspezialist Carl Schneider hat selbst postum vor allem noch zwei Verbrechen
abzubüßen: interpretierte er doch Christentum in seltener und luzider Sachkenntnis vor dem Hintergrund der hellenistischen
Kultur, entkleidete es also seiner ihm von Theologen bis heute vindizierten exorbitanten Sonderstellung; und, noch weit
schlimmer wohl, er befürwortete 1976 einen Antrag Karlheinz Deschners auf Förderung der »Kriminalgeschichte des Christentums«
durch die Deutsche Forschungs-Gemeinschaft! Ein angesichts der Verhältnisse in der DFG abenteuerliches Unternehmen?
Kaum weniger abenteuerlich freilich die Argumentation des Herausgebers, der bereits auf der ersten Seite in aller
Bescheidenheit anmerkt, daß die DFG seinerzeit sogar vier Gutachten eingeholt habe: "Ein Mittelalter- und ein Neuhistoriker,
ein evangelischer Kirchenhistoriker sowie ein katholischer Professor für Alte Kirchengeschichte nahmen Stellung - sämtlich
negativ." (S. 9) Da können sich Leser der Schriften Deschners freilich nur wundern; weniger über die DFG, von der nichts
anderes zu erwarten stand, als über den Herausgeber, der aus dem Votum dieser vier Gutachter, von denen angesichts des
Beurteilungsobjekts zwei positional indiskutabel und die beiden Historiker kaum unbefangen waren, schließt: "Das einhellige
Urteil der Wissenschaft stand also offensichtlich früh fest." So adelt man in okkupierter Wissenschaft(lichkeit)spose
seine13 'Disziplin', attribuiert seinem kirchlich approbierten Kollegen
angesichts seines prekären Status die eidlich zwar abgeschworene, in der Öffentlichkeit jedoch so heißersehnte
Wissenschaftlichkeit. Oder bemerkt er nicht einmal selbst, was er glaubt14 oder
was er tut? Ich zumindest bin in Veröffentlichungen, die den Anspruch auf Seriosität erheben, noch nicht DFG-Interna begegnet,
die zwecks Diffamierung offeriert zu sein scheinen. So erfahren wir zwar die Namen von drei Befürwortern des Antrags - neben
Carl Schneider auch Prof. Dr. Hans Albert15 und Prof. Dr. Dr. Norbert
Hoerster16, zwei für weltanschauungskritisch Interessierte nicht unbedingt
schlechte Adressen , "nach dem wohlerwogenen Reglement der DFG" (S. 14) jedoch keineswegs die Namen der vier Gutachter. Wir
können auf deren Kenntnis auch weiterhin verzichten.
Eine schiefe Seriositätslinie kennzeichnet auch die weiteren Ausführungen des Herausgebers in der "Einleitung" und z. T.
auch in seinem einen Höhepunkt des Bandes markierenden Beitrag (S.51-66). Warum genügt es Hans Reinhard Seeliger nicht,
wohlplaziert suggestiv diffamierend DFG-Interna auszuplaudern? Warum kann er sich nicht enthalten, neben "den Genannten" noch
weitere Unterstützer Karlheinz Deschners aus "dem akademischen Bereich" anzuführen, genauer: an den katholischen Pranger zu
stellen? Sieben Personen sind es, deren Namen der Herausgeber "den Widmungstableaus" der »Kriminalgeschichte« entnimmt,
beruflich zuordnet und dabei: dreimal ins Leere tappt; und je nach sozialem Feld der solcherart Identifizierten dreifachen
Rufmord riskiert? Josef Becker ist nämlich nicht der inserierte "Prof. für Neuere und Neueste Geschichte, Universität
Augsburg", sondern jemand anders; Franz Fischer, Träger eines kaum minder seltenen Namens, ist keineswegs "em. Prof.
für Vor- und Frühgeschichte, Universität Tübingen"; und auch Walter Hofmann war vielleicht manches in seinem Leben, doch bisher
noch nicht "Prof. i. R. für Klassische Philologie, Universität Leipzig". Eine Trefferquote, welche die Kompetenz des
Herausgebers beeindruckend belegt? (Wie der offizieller Deschnerförderung bezichtigte Augsburger Hochschulkollege für Neuere
und Neueste Geschichte künftig bei Mittelbeantragungen gegenüber bayrischen Ministerien oder seiner Hochschule argumentieren
mag? Ob die Einstellungsbedingungen in den bayrischen Schuldienst der von ihm ausgebildeter Lehrer sich verändert haben mögen?
Fragen über Fragen.)
Doch nichts für ungut, der Editor dokumentiert geistige Eigenständigkeit, denn er hält sich weder an das "einhellige Urteil
der Wissenschaft" noch an das abschätzige Urteil mancher Leser, sondern weiß ohngeachtet der Tatsache, daß es um Deschner "Ende
der siebziger, Anfang der achtziger Jahre schon still geworden war" (S.12) - ein ansonsten zwingendes Argument für
Nichtbeachtung?- "daß von der Zunft zunächst negativ bewertete Projekte durchaus gelingen können und daß die Habitués und
Gutachter auf kreatives Denken und Forschen keinen Exklusivanspruch haben." Nur "keinen Exklusivanspruch"? Empfinden sie nicht
zuweilen kreatives Denken und Forschen als ausgesprochen störend? Vor allem, wenn es nicht aus der eigenen Zunft, sondern in
provokant unbotmäßiger Form von einem Außenseiter stammt?
Warum also das personell so aufwendige dreitägige Deschner-Symposium in der Katholischen Akademie? Die Kombination mehrerer
Motive führt vielleicht auf die Spur: einerseits ist wider alles Erwarten aller "erfahrenen Verlagslektoren", die darauf
verweisen, daß "kirchengeschichtliche Themen" derzeit "schwer verkäuflich" seien - was damit zu tun habe, daß Kirchengeschichte
als "zu analytisch" gelte, "zu viel mit Problemen(!) zu tun" habe, während der "religiös interessierte Leser" zur Zeit "nach
Themen insbesondere aus dem Grenzgebiet von Theologie und Psychologie" frage; vielleicht, weil er glaubt, statt historischer
Erkenntnis Verbalqualm oder Therapie nötig zu haben? -, Deschners »Kriminalgeschichte« ein so auflagenstarker Renner, daß der
Editor auch gerne seine »Kriminalisierung« im Windschatten mitlaufen ließe; andererseits sind - ein überraschendes Kompliment
in einem zunehmend ambivalenten Text - Karlheinz Deschners Leser am "Analytischen, an den Problemen der Kirchengeschichte
deutlich interessiert. Für diesen Leser ist dies Buch gemacht." Es mutet Aufklärung und, "freilich mit vollem Bewußtsein", zu,
"(selbst)kritisch nachzudenken" (S.13).
Tun wir es; und bleiben wir deshalb noch bei der Einleitung, um bereits aus ihr eine Serie von Gründen für den
Verkaufserfolg der »Kriminalgeschichte« zu entnehmen. Zum einen habe er wohl damit zu tun, daß Deschner sich gegen Kritik
immunisiere, daß sein Verfahren "pseudologisch" sei (S.10), daß er "jüngere theologische Literatur überhaupt nicht" kenne -
genauer wohl: nicht zitiere -, was aus Deschners Sicht jedoch möglicherweise gute Gründe hat, und: dem "Traditionalismus und
Konservativismus gewisser kirchlicher Kreise unter negativem Vorzeichen erstaunlich nahe" stehe (S.11). Diesem Argument
begegnen wir auch ansonsten wieder. Es scheint also relevant zu sein. Und doch! Wer oder was nur mag hinter der Formulierung
"Traditionalismus und Konservativismus gewisser kirchlicher Kreise" stehen? Erzbischof Marcel Lefebvre und seine Anhänger? Oder
gar eine für den Katholizismus so periphere, Deschners Thesen zur Unreformierbarkeit der katholischen Kirche allseits
falsifizierende Person wie Prof. Dr. theol. Karol Wojtyla, seit 1978 Papst Johannes Paul II., dessen segensreiches Pontifikat
im gesamten Band nirgendwo gewürdigt wird? Dessen Name nirgendwo fällt? Der jedoch jede Gelegenheit nützt und manche erst
schafft, selbst gegen den erklärten Willen demokratisch legitimierter kirchlicher Gremien (wie bspw. unlängst in Köln)
fundamentalistische Bischöfe und Kardinäle zu ernennen, die es sich angelegen sein lassen, ihre Theologieprofessoren an ihre
Eide und Dienstvorschriften, ihre 'eigentlichen Aufgaben' (incl. Selbstaufgabe zugunsten 'der Kirche') zu erinnern? Wer hatte
denn seit nahezu 2000 Jahren die Macht in der Kirche? Wer gestaltete ihre Politik? Theologieprofessoren? Ja durchaus; aber
erst, wenn sie Päpste geworden waren; sonst freilich nicht...
So demonstriert das im gesamten Band Ausgeklammerte eine zweite Front der Schwerter Deschnerbekämpfer: "das Lehramt der
Kirche"! Und zuweilen wird zwischen den Zeilen subtilerer Beiträge sogar deutlich, wie bedrückend die Veränderungen seit dem
30-Tage-Pontifikat Johannes Paul I. hierzulande empfunden werden. Auf der einen Seite der Moloch "kirchliches Lehramt", der
noch jeden Theologen zu schlucken verstand, wenn nicht rechtzeitig Reißaus genommen werden konnte; zum anderen ein
Kirchenkritiker, der impertinenterweise pointiert ausspricht, was gerade die Insider bestens wissen: daß es sich zumindest
dann, wenn man Christentum und katholische Kirche in einer Gesamtbilanz beurteilen will, kaum lohnt, moderne Theologen zu
lesen, da sie die Strukturprobleme ihrer Religion nicht nur nicht ansprechen können oder wollen, sondern sie auch nicht
erkennen dürfen (und nur selten wollen). Doch etwas anderes tun und dürfen sie seit vielen, vielen Jahrhunderten: kirchliche
Inhalte jeweils so zu (re)formulieren, daß sie damit selbst leben, ein gewisses Maß persönlicher Integrität und zumal den
Anschluß an Gegenwartsströmungen bewahren können... Es sei ihnen zugestanden. Doch warum tun sie das? Weil ihnen nicht nur
hierzulande sonst geistig die Felle wegschwimmen? Weil gerade sie17 'nicht von
gestern' sein wollen? Weil sie solcherart die Austrittsquoten niedriger zu halten (und die Bedingungen der Möglichkeit eigenen
beruflichen Reüssierens oder zumindest Überlebens stabilisieren) wollen? Wie fühlt man sich denn auf einem untergehenden
Schiff, wenn selbst die Ratten heimlich Schwimmübungen inszenieren und jenseits des engeren Glaubensmarktes längst der
öffentlich höchstprozentig subventionierte "soziale Markt" (von Säuglingsstation und Kindergarten bis zur Altenversorgung)
besetzt wurde, um in Vorenthaltung entscheidender Menschen- und Bürgerrechte hunderttausende um ihren Arbeitsplatz fürchtende
Arbeitnehmer (und Millionen auf diese Institutionen Angewiesene) als von kirchlichen Gunsterweisen abhängige eigene Klientel zu
sichern? Wenn Karlheinz Deschner, dem es um die Erkenntnis von 2000 Jahren Kirchengeschichte in humanistischer, anthropophiler
Perspektive geht, nicht auf Sirenentöne moderner Theologen oder Klevermänner hereinfällt, sondern Papsttum, kirchliches Lehramt
und spezifisch menschheitsbeglückende Auswirkungen christlicher Liebesreligion in praxi im Visier behält, dann zeigt er eher,
daß er durch Schattenboxen nicht ablenkbar ist, sondern konsequent denken sowie konzise argumentieren kann. Für
Antimodernisteneidschwörer vielleicht "pseudologisch"; doch für weltanschauungsanalytisch Interessierte, die charakterstark
genug waren, den gerade hierzulande bestechungsartig präsentierten christlichen Karriereofferten nicht nachzugeben, in der
Regel stringent; was Fehler Karlheinz Deschners im einzelnen nicht ausschließt.
Doch wie sich herauswinden, wenn man einerseits dem Kritisierten insgeheim weitgehend zustimmt, andererseits aber bereits
wieder den heißen Atem des "kirchlichen Lehramts" im Nacken spürt? Indem man - bezeichnenderweise erst seit Anfang der
siebziger Jahre, in gebührlichem zeitlichen Abstand nach Abschaffung des Antimodernisteneids einmal mehr den argumentativen
Rösselsprüngen ("Theologie ohne Gott" oder vergleichbare Kreationen) evangelischer Glaubensbrüder folgend - in bewährter
Doppelstrategie einerseits eine weder traditionalistische noch konservativistische Theologie präsentiert, die nahezu alles
aufzugeben scheint, was gegenwärtig den offiziellen Katholizismus theologisch und ethisch kennzeichnet, vielleicht, um die
anschwellende Austrittsbewegung unter Kontrolle zu halten; und andererseits mit kirchlich Distanzierten ins Gespräch zu kommen
sucht: vielleicht in der Hoffnung, durch eher kosmetische, wenig(er) konsequente, geschweige denn radikale Formen von
Religionskritik einen Teil des so interessanten (und bei publizistischem Erfolg sogar Absprungmöglichkeiten signalisierenden)
Marktes zu besetzen?
Die Ambivalenz oder zumindest Irritation des Herausgebers gegenüber den Kirchenaustritten der letzten Jahre scheint nicht
gering zu sein. Sonst hätte er doch zumindest beim Korrekturlesen den erstaunlichen Fehler bemerkt, die Statistiken würden uns
sagen, "daß es mehrere Hundert waren, die in den letzten Jahren ihre Kirche verließen." (S.12) Nur "mehrere Hundert"? Hätte
hier nicht mit einer vierstelligen Zahl multipliziert werden müssen? Eine Fehlleistung, die Anspruch erheben könnte, der
klassischen Sammlung Sigmund Freuds (Psychopathologie des Alltagslebens, 1901) eingefügt zu werden?
Weniger amüsant als diese aufschlußreiche Fehlleistung und das bereits erwähnte Sortiment respektable Recherchequalität
demonstrierender Volltreffer ist eine in die Anmerkung 13 verbannte These des Herausgebers, daß von Uta Ranke-Heinemanns
Bestseller »Eunuchen für das Himmelreich. Katholische Kirche und Sexualität« (Hamburg, 1988) "behauptet werden" darf, "daß es
sich in weiten Teilen um ein Plagiat handelt." Wer einen so schwerwiegenden, unter seriösen Wissenschaftlern und
Hochschulkollegen des nämlichen Bundeslandes nahezu 'tödlichen' Plagiatvorwurf erhebt, müßte zumindest angeben, welche
Veröffentlichung(en) durch die renommierte Linkskatholikin plagiiert worden sein soll(en). Er folgt das jedoch nicht, so fällt
der Verdacht wenig ausgeprägter argumentativer Seriosität zurück auf den Herausgeber; und auch auf Georg Denzler, der etwas
umwegiger den nämlichen Vorwurf gegen Uta Ranke-Heinemann sowie gegen Karlheinz Deschner richtet: "wandelt er doch, was den
kommentierten Text betrifft, nicht selten in den Schuhen eines Plagiators, zugegeben nicht so sklavisch wie Uta Ranke-Heinemann
in ihrem schnell kompilierten Buch" usw. (S.237). Wiederum vermisse ich einen Hinweis auf die Veröffentlichung(en), die von Uta
Ranke-Heinemann plagiiert worden sein soll(en).
Wohl nicht wenige Leser dürften sich inzwischen fragen, warum ich angesichts einer derartigen Konstellation eine Skizze
nicht abbreche, die lediglich ein weiteres Mal auf vielleicht unerwartete Weise Friedrich Nietzsches und anderer Aufklärer
Kritiken an der argumentativen Seriosität theologischer Autoren bestätigt. Doch da es hier nicht um Abwehrrituale oder
Pauschalurteile geht, verzichte ich in der Hoffnung auf Einsichten, Informationen, stichhaltige Argumente oder zumindest die
Entdeckung weiterer aufschlußreicher Argumentationsbrüche nicht auf die Fortführung unserer partiellen Überprüfung der
katholischen Überprüfung der »Kriminalgeschichte«.
Noch zweierlei erfahren wir aus der Einleitung. Karlheinz Deschners und anderer kirchenkritischer Autoren18 Erfolg hat nicht mit der Stichhaltigkeit ihrer Argumente oder gar der Geschichte
sowie Lebenspraxis der katholischen Kirche zu tun, sondern kirchenkritische Autoren werden aus Rationalisierungsgründen
gelesen: sie "alle bestätigen diejenigen, die aus der Kirche ausgetreten sind in ihrer Tat, die diesen Schritt bereit sind zu
tun in ihrer Absicht und die von ihr - möglicherweise durchaus zurecht - Enttäuschten und Verletzten in ihrem Vorhaben mit
psychologischen, aber sehr deutlich auch mit vielfachen historischen Argumenten." (S.13) Wieder haben wir eine schiefe
Argumentationslinie, was sogleich deutlich wird, wenn wir berücksichtigen, daß diejenigen Personen, die unbefragt als Säuglinge
getauft sowie katholisch erzogen wurden, die aus Tradition lebenslänglich und zuweilen lebenslänglich in 'ihrer Kirche' bleiben
- genauer: in derjenigen Kirche, in der sie aufwuchsen; sei es welche auch immer -, offenbar keinerlei Anlaß zu haben
vermeinen, "einen getätigten Kauf" oder gar einen erlittenen Akt "abzusichern", daß hingegen diejenigen, die vielleicht nach
Jahren der Auseinandersetzung, in Beeinträchtigung von Berufs- und Einkommenschancen sowie in nicht geringer Belastung ihres
sozialen Feldes den Schritt des Kirchenaustritts wagen, glauben, einer literarischen Legitimation zu bedürfen. Könnte es nicht
für diejenigen, die eigene Wege gehen, sprechen, daß sie lesen und selbst denken, während andere in vorsichtiger Distanz zu
intimerer Kenntnis ihrer Kirchengeschichte weiterhin glauben? Und vielleicht auch nur solange noch glauben (können), solange
sie weniger an analytischem Denken als an theologisch-psychologischer Hilfestellung interessiert sind?
Doch ich habe vorgegriffen. Der Herausgeber beschwört als Motto und zitiert am Ende seiner Einleitung Peter Sloterdijks
Sentenz über "Aufklärung", "die unwiderstehlich" sei "wie das Licht". Ein unerwarteter, begrüßenswerter Ton auch dann, wenn
Sloterdijk einmal mehr auf die mystische Tradition anstatt auf die eigentliche Aufklärungstradition seit dem 6. Jh. v.u.k.Z.
verweist. Muß 'Luzifer' also nicht mehr in der Hölle brummen? Doch was meint das kirchliche Lehramt, das noch heute die reale
Existenz des Teufels beschwört, Exorzisten ausbildet und spätestens seit dem 24. Mai 1990 wieder einmal die Theologie an die
Leine gelegt hat, zu einer derartigen Entwicklung? Kann sie ernst gemeint sein?
Prinzipielle(re) Einwände, Thesen und Konzessionen in kritischer Beleuchtung
Der Einleitung des Herausgebers und der Skizze Hermann Gieselbuschs folgen also 5 "grundsätzliche Anfragen und Einwände" und
18 "exemplarische Einzelkritik" präsentierende Referate. Da die Argumentationen des grundsätzlich orientierten Quintetts nicht
selten ins Detail geht und die exemplarischen Einzelkritiken ohnedies zumeist aufs Ganze zielen, ist es wenig sinnvoll, diese
aus der Perspektive einer Seriositätsüberprüfüng eher künstliche Trennung der Beiträge aufrecht zu erhalten.
Leider, leider sprengt es den Rahmen meiner Überlegungen, der fast durchgängig bemerkenswerten Linienführung der einzelnen
Vorträge zu folgen. Da jedoch einerseits fast jedes der Referate von Absatz zu Absatz geballte Kritik präsentiert (und zuweilen
auch begründet), andererseits freilich sich nach dem Litaneiprinzip viele Kritikpunkte stereotyp wiederholen, konzentriere ich
mich notgedrungen auf die Quintessenz und eine Überprüfung zentraler Gegenthesen nicht der gesamten 23 in Thematik, Niveau und
Argumentationsführung recht ungleichwertigen Referate, sondern ich wähle aus. Da ich nach einigen Jahrzehnten Erfahrung mit
tendenziöser, Denk- und Argumentationsstringenz sabotierender Literatur weltanschaulicher Provenienz ohnedies davon ausgehe,
daß meiner Seriositätsüberprüfung ein Maximum an Selektivität, Unfairness usw. vorgeworfen wird, geht es mir weniger darum,
Personen, welche die Aufgabe ihrer Denkfreiheit beschworen haben, zu überzeugen, als darum, denen, die sich selbst ein Urteil
bilden oder sich mit den meistpräsentierten Einwänden nicht nur gegen Karlheinz Deschners Christentumskritik, sondern auch
gegen meine Revision christlich infizierter Nietzscheinterpretation auseinandersetzen wollen, ein möglichst vielseitiges Bild
dieses zumindest auf den ersten Blick geballten Gegenangriffs der Catholica zu geben. So konzentriere ich mich einerseits auf
die im Tandemprinzip den Angriff eröffnenden Referate und wende mich bereits dort einer Diskussion der mir fundamental
erscheinenden Einwände zu, berücksichtige anschließend die restlichen drei prinzipielle Einwände formulierenden Referate und
gehe schließlich noch explizit auf das Abschlußreferat ein. Bereits nach diesen Stichproben, die leider als aktuelle Belege
meiner anfangs exponierten Überlegungen zur Erkenntnisfreiheit und Erkenntnisinteresse(n) katholischer Theologieprofessoren
(und mancher Laien, wie ich nun hinzufügen müßte) gelesen werden können, wende ich mich in einer Auflistung nochmals zentralen
Gegenargumenten zu, die ich ebenfalls kurz diskutiere.
Doch selbst diese bereits drastisch eingeengte Überprüfungsperspektive ist noch immer allzu vielschichtig. So müßte ja nicht
nur den Linien der z.T. vehementen Kritik an Deschners Ausführungen, sondern - für kirchenkritisch Interessierte höchst
aufschlußreich - dem Deschner teils explizit teils nur zwischen den Zeilen inhaltlich Zugestandenen, also den en passant (und
zuweilen wie selbstverständlich) präsentierten Konzessionen gefolgt werden: Konzessionen, deren Relevanz zwar in eigentümlicher
Diskrepanz zum verbalen Pulverdampf steht, mit dem Deschners »Kriminalgeschichte« zuweilen so beeindruckend eingenebelt wird,
daß selbst Deschnerzitate kaum mehr wiederzuerkennen sind, deren Inhalt in Berücksichtigung aller Beiträge - vielleicht ist das
die Sensation dieses Bandes - jedoch erstaunlicherweise nahezu alle zentralen Kritikpunkte Deschners zumindest durch einen der
Schwerter Referenten bestätigt. Drittens müßte berücksichtigt werden, ob die einzelnen Referate das in ihren Titeln Suggerierte
einlösen, einlösen können oder auch nur einlösen wollen; und schließlich, ob sich die Überprüfungen überhaupt auf zentrale
Thesen Karlheinz Deschners oder eher auf Peripheres beziehen, ob also möglicher- oder gar irritierenderweise Schwerpunktthemen
Deschners unthematisiert bleiben oder sogar kunstvoll ausgeklammert werden, so daß zwar der Eindruck zu erwecken gesucht wird
(und bei naiven oder flüchtigen Lesern wohl auch entsteht), die »Kriminalgeschichte« sei in nahezu jeder nur denkbaren Hinsicht
nun destruiert worden, während in Wirklichkeit in erstaunlich weiten Bereichen (inzwischen) Übereinstimmung mit Karlheinz
Deschner besteht, in anderen Bereichen hingegen eine Diskussion vermieden oder auf wenig relevanten Nebenkriegsschauplätzen
geführt wird. Zuweilen demonstrieren Beiträge auch schlicht Etikettenschwindel, wenn Deschner bspw. etwas vorgeworfen wird, was
er nicht behauptet hat, wenn etwas als fehlend kritisiert wird, was er in seiner »Kriminalgeschichte« als ausdrücklich
Nichtthematisiert selbst diskutiert; oder wenn der Titel eines Referats eine Behauptung präsentiert, die nur mit Hilfe eines
semantischen Tricks, der Ausnützung der Mehrdeutigkeit eines Ausdrucks etwa, aufrecht erhalten werden kann.
Um meine Überprüfung der Schwerter »Kriminalisierung des Christentums?« weder zu einer Monographie aufzublähen noch zu einer
Stichwortliste denaturieren zu lassen, muß ich also exemplarisch vorgehen, was angesichts des Sachverhalts, daß die Menge der
Gegenargumente, wenn man sie ihrer unterschiedlichen sprachlichen Präsentation entkleidet, in struktureller Hinsicht recht
überschaubar ist, zu verantworten ist. Fünf Autoren also formulieren eingangs "grundsätzliche Anfragen und Einwände": der
Freiburger Arzt Sebastian Fetscher, Der Misanthrop als Kirchenfeind (S.35-50), der seinen Beitrag dem ehemaligen
Freiburger und Münchner Konkordatsphilosophen Max Müller widmet; der Herausgeber Hans Reinhard Seeliger, Die halbierte
Aufklärung. Karlheinz Deschner als Historiker (S.51-66); der Augsburger Strafrechter Wilfried Bottke, Karlheinz
Deschners "Kriminalgeschichte des Christentums" im Lichte des strafrechtlichen und kriminologischen Verbrechensbegriffs
(S.67-80); der Freiburger Universalgeschichtler Oskar Köhler, Nichts Neues: Kirchenkritische Historie (S.81-96) und
der Frankfurter Prof. für Systematische Theologie Siegfried Wiedenhofer, O.S.B., Apologie der Kirche - Idealisierung der
Kirchengeschichte? (S. 97-112).
Bei näherer Betrachtung fällt erstaunlicherweise jedes der Referate formal oder thematisch aus dem Rahmen: dem "historisch
interessierten Laien" und Arzt Sebastian Fetscher, einem eher bunten Vogel unter den 21 meist älteren Hochschullehrern, die
sich zumindest in ihrer Diktion meistenteils vornehm zurückhielten, wurde die Ehre des ersten Kritikers und persönlichsten
Angreifers zuteil. So wende ich mich diesem Referat etwas ausführlicher zu.
In seinem vielschichtigen, unglaublich ambivalenten, teils verblüffend projektiven und aggressiven, teils erfreulich
problemeinsichtigen und passagenweise hintergründig christentumskritischen Vortrag19 unterstellt Fetscher schon eingangs Deschners Geschichtsauffassung die Intention,
"einen Freibrief zur Demagogie auszustellen" (S. 35), um Deschner anschließend als "Misanthrop" und "Zyniker" zu
charakterisieren. Eine Projektion? Oder: wer dem Autor der «Kriminalgeschichte« vorwirft, "daß er sich auf eine nachgerade
pathologische Art und Weise gegen jedes Argument abgeschottet hat, das seine Thesen in Frage stellen könnte" (S.47), selbst
aber ein Ensemble von Verteidigungsstrategien offeriert, die jede nur denkbare Weltanschauung zu schützen vermögen, der
unterstellt einem anderen nicht nur das, was er selbst praktiziert, sondern überbietet das an anderen Kritisierte (in offenbar
uneinsichtiger Manier) mit seiner eigenen Argumentation. Einige Beispiele zu dieser eigentümlichen, nicht lediglich für
Fetschers Beitrag gültigen Konstellation. In seiner irritierten Ambivalenz versteigt sich Fetscher bspw. zu einer wohl nur von
wenigen Christen akzeptierten Abwehrthese, die ihn zwingen würde, bspw. auch den Kommunismus, Bolschewismus oder den
fundamentalistischen Islam nicht "schuldig" sprechen zu können, da er darauf insistiert, ein "Schuldspruch über das
Christentum" sei "unabhängig vom Ausmaß 'christlicher' Untaten nur möglich, wenn alle Christen schuldig sind" (S.42). So
legitimiert Fetscher nach dem barmherzigen Prinzip 'keine Verurteilung einer Religion, wenn auch nur ein Gerechter ihr
angehört' im Effekt jede nur denkbare Weltanschauung, da es in jeder Weltanschauung und Institution Menschen geben dürfte, die
menschlich reif(er) sind; und wenn wider alles Erwarten doch nicht, genügt dann ein Hinweis auf unschuldige Kindlein? Was sind
das nur für Argumentationen!? Fetscher zitiert hier also einen Sachverhalt, der übrigens schon deshalb nicht zugunsten einer
spezifischen Weltschauung verrechnet werden kann, weil er von unterschiedlichen Weltanschauungen in diesem Sinne verwandt wird.
Ein zweites Beispiel: Fetscher erweckt den Eindruck, Deschners Vorwurf an das frühe Christentum, die Entfaltung der
Wissenschaft unterdrückt zu haben, sei aus folgenden drei Gründen abwegig, weil 1. "der spätantike, damals mit 'Astrologie'
noch eng verwandte Begriff der scientia mit dem modernen Begriff der Wissenschaft" nur wenig gemein habe (S.38), 2. "die
Überwindung des in der Antike grassierenden astrologischen Aberglaubens ein epochales Ereignis war" und 3. "eine auf
nichtwissenschaftlichen und historisch festgelegten Mythologemen gegründete religiöse Institution gar nicht anders kann, als
jene objektivierenden Beschäftigungen mit der Welt zu unterdrücken, die ihr Dogma gefährden - anderes von der frühen Kirche zu
verlangen, hieße sie zur Selbstzerstörung auffordern." (S. 38f)! Eine beeindruckende Argumentation? Hat sich Fetscher niemals
überlegt, für wen die Ersetzung antiker Astrologie durch christlichen Heiligen- und Wunderkult, durch Teufels-, Höllen- und
Erlösungsglaube, grauenhafte Prädestinationslehren und den gesamten Jenseitsmarkt "ein epochales Ereignis" war? Oder wie sich
sein erstes zu seinem dritten Argument verhält? Vor allem freilich, ob die Antiwissenschaft(lichkeits)haltung jeder "auf
nichtwissenschaftlichen und historisch festgelegten Mythologemen" gegründeten religiösen Institution - ein bemerkenswertes
Eingeständnis - von ihm akzeptiert wird oder nur die christliche? Argumentativ parallel auch die 'Widerlegung' des Vorwurfs
Deschners, "das Christentum habe die antike Bildung vernichtet." Hatten die spätantiken christlichen Autoren doch "gar keine
andere Wahl", als "sich erst einmal von einer übermächtigen antiken Bildungstradition abzusetzen, der sie im übrigen inhaltlich
oft eng verbunden bleiben." (S.39) Wie wahr! So "eng verbunden", daß sie, um ihren epigonalen Status zu verwischen, berechtigt
waren, nicht nur die antike Literatur, sondern auch die diese bewahrenden Bibliotheken, Tempel und Menschen dem reinigenden
Feuer zu übergeben? Und das seitens einer Religion, die beansprucht, die antike Ethik zu überbieten!? Doch es genügt ja ein
Gerechter... Und da Fetscher davon ausgehen kann, daß kaum ein Leser (und offenbar auch kein Referent des Schwerter Symposiums)
bspw. die Differenziertheit und das Leistungsvermögen der antiken Wissenschaft oder gar Philosophie abzuschätzen vermag, hat er
großartige 'Argumentationsfreiheit', die er auch redlich nützt. So pendelt der Beitrag auf seiner Oberfläche zwischen
vollmundigen Angriffen20, Stimulation z. T. bösartiger Assoziationen -
"Endlösung der Christenfrage" (S.47) - und (allzu) generellen Exkulpationen des Christentums.
Erst einer Tiefenschichten anzielenden Lektüre wird die für das gesamte Referat geltende eigentümliche und augenfällig
ambivalente Erregung Fetschers verständlich, der Deschners Schriften als ungeheure Provokation empfunden haben dürfte, wenn er
in den Schlußpassagen seines Referates abzugrenzen sucht: "eine Art Leidensgeschichte des Christentums" sei "denkbar, die sich
insbesondere dem Leiden am Christentum zuwendet" und 'Leiden durch das Christentum' mitberücksichtigt, wenn er, viele Thesen
Deschners und anderer Kirchenkritiker nun wie selbstverständlich integrierend, auflistet:
"Ein historischer Versuch dieser Art müßte dann vor allem den folgenden Aspekten der Kirchengeschichte Rechnung
tragen:
- den Leiden an den Widersprüchen des organisierten Christentums und der Kirche, an den nicht zu leugnenden Vergehen gegen die
von ihm selbst gepredigte Moral, dem auch heute noch vielerorts ungelösten Widerspruch zwischen christlicher Lehre und
klerikal-kirchlicher Praxis;
- dem Leiden an der christlichen Moral selbst, die - insbesondere im Bereich der Aggressions- und Sexualmoral Forderungen
stellt, die für viele unerfüllbar sind und gerade ethisch sensible Menschen in die Verzweiflung treiben können;
- dem Leiden schließlich auch an der begrenzten Bereitschaft der offiziellen Vertreter der Kirche und ihrer historiographischen
Mitarbeiter, das vielfältige, von Kirche und Christentum in die Welt gebrachte Leiden anzuerkennen und neben die
humanisierenden Einflüsse zu stellen, die wir der Lehre Jesu verdanken.
Im Zeitalter der kritischen Historiographie reicht es nicht mehr, nur von den Leiden christlicher Märtyrer zu
sprechen. Jeder gebildete Mensch weiß heute, daß Kirche und Christentum (direkt oder indirekt, gewollt oder ungewollt)
ungezählten Menschen seelische und leibliche Qualen zugefügt haben - und dies nicht nur im Umkreis der Inquisition." (S.
50)
Richtig; ja, jeder gebildete Mensch weiß es heute, wenn er es weiß, wissen will und: wenn er kirchen- sowie
christentumskritische Autoren gelesen hat. Sonst wohl kaum. Dennoch: diese Schlußpassage gehört als Rückseite der Medaille
integrativ zu Fetschers Deschnerkritik: sie geht weit über das vom kirchlichen Lehramt Tolerierte hinaus und war in der
Katholischen Akademie wohl nur von einem Laien im Kontext einer ultramontanen Deschnerkritik explizierbar. Daß das in dieser
Passage Offerierte 'nicht auf kirchlichem Mist gewachsen' ist, sondern ebenso wie manches andere, auf das Fetscher wie
selbstverständlich zurückgreift, aufklärerischer Religionskritik entstammt, daß es meilenweit hinter zeitgenössische
Christentumskritik zurückfällt und außerdem mit unhaltbaren Konzessionen - humanisierende Einflüsse der Lehre Jesu? - garniert
ist, muß hier ebensowenig eigens belegt als die Frage beantwortet werden, ob diese um die beiden Schlußsätze gekürzte Passage
Fetschers als progressive katholische Sichtweise gewertet werden kann oder aber als Versuch verstanden werden soll,
Thesenbereiche und Einsichtsareale jahrhundertealter aufgeklärter Christentumskritik nun christlicherseits im Zweifrontenkampf
gegen christentumskritische Aufklärung einerseits und kirchliches Lehramt andererseits zu besetzen. Doch wie auch immer: das
hier dokumentierte Einsichtsniveau überrascht und läßt auf erfreuliche Entwicklungsprozesse schließen.
Fast wie abgesprochen nimmt Hans Reinhard Seeliger in »Die halbierte Aufklärung. Karlheinz Deschner als Historiker« viele
Thesen Fetschers wieder auf. Für ihn ist Deschner "ein für die Gegenwart nicht untypischer pessimistischer Zyniker, der die
Ziele der Aufklärung verraten hat." (S.51) Wie gut, daß sich Hans Reinhard Seeliger, dessen in seiner "Einführung"
demonstrierte argumentative Seriosität die gesamte »Kriminalisierung« in das milde Licht einer Wahrheit taucht, die seit Paulus
lediglich unaufgeklärten, fanatisierten Heiden als Torheit erscheint, in getreuer Ausübung seines kirchlichen Lehramtes
schützend vor "die Aufklärung" stellt und in einem beglückenden Anflug von Großmut Karlheinz Deschner immerhin die "halbierte
Aufklärung" zubilligt? Ja, es ist manchmal nicht ganz leicht, eine Satire nicht zu schreiben...
... und noch weniger leicht, diesen einem eigentümlichen Mäandermuster folgenden Vortrag in einer argumentativen
Seriositätsüberprüfung zu übergehen. Eingangs referiert Seeliger verschiedene Kritiker von Rudolf Augsteins »Jesus
Menschensohn« (S.5 ff), um in einem ersten Rösselsprung zu behaupten, daß diese Kritiken auch für die »Kriminalgeschichte«
gelten (S. 52). Anschließend referiert er Deschners Kritik an Augsteins Bestseller, bevor er in einem zweiten Rösselsprung
diese Kritik gegen Deschner selbst kehrt: der Medienzar und der bis in sein siebtes Jahrzehnt bitterarme Einzelgänger, beide
partizipieren daran, daß Christentumskritik "als Medienereignis inszeniert" wird (S.53)! So schockierend haben sich hierzulande
die Verhältnisse verkehrt, Christentumskritiker feiern mediale Triumphe, den armen Theologen und ihrem Glauben hingegen kann
man seit Jahrzehnten in deutschen Medien, vor allem in den öffentlich-rechtlichen, nirgendwo mehr begegnen. Atheistenkongresse
werden tagelang live in ermüdender Ausführlichkeit übertragen, Spiritistenmessen kann man sich an zahlreichen staatlichen
Agnostikerfeiertagen kaum mehr entziehen, doch die katholischen Kirchentage, all die medienmäßig unterdrückten Worte zum
Sonntag, die unberücksichtigten überfüllten katholischen Gottesdienste, Papstsegen und Papstreisen - seit Jahrzehnten auf
skandalöseste Weise aus deutschen Medien provokativ ausgeklammert, einfach totgeschwiegen! Ja, die katholische Kirche und ihre
Theologen mußten wieder den bitteren Weg in die Katakomben antreten... Und selbst bei den Neujahrsempfängen des diplomatischen
Korps muß der apostolische Nuntius als Mauerblümchen unbeachtet in der letzten Reihe stehen! So different können Wahrnehmungen
sein?
Das eigentliche Referat eröffnen "drei Vorbemerkungen": in ihnen berichtet der Autor, was er nicht will, wo er sich
ausdrücklich verweigert, wovon er betont absieht... (S.53) Wie konsequent, daß er dann genau das (und vorerst nichts anderes)
bereits vom nächsten Absatz an auf mehreren Seiten (53-57) durchexerziert: so wirft er, obwohl er es ausdrücklich nicht will,
Deschner in einer Kaskade von Anschuldigungen vor, in jeder nur denkbaren Hinsicht unseriös zu arbeiten. Doch da "wir Theologen
es gewohnt" sind, "nicht allein auf die Wahrheit der Fakten zu schauen" (S.56), erfolgt eine Prozession weiterer Rösselsprünge:
erstaunlich, was Seeliger mit dem Imponiergehabe eines Pubertierenden als (inzwischen) wissenschaftstheoretisch informierter
Theologe alles nicht tut und so ausführlich als nicht zu tun schildert, daß er es dabei schon längst getan hat, bevor er zum
nächsten Rösselsprung ansetzt. Ob er überhaupt gemerkt oder je darüber nachgedacht hat, daß er wie selbstverständlich in
Theorie-Revieren der analytischen Philosophie wildert, deren Entstehung von keiner anderen Institution als von seinem eigenen
Heilsverband bis in die Gegenwart mit nahezu allen Mitteln behindert wurde? Doch die Kirche hat einen großen Magen, kann alles
von ihr einstmals Bekämpfte später glänzend vertragen? Ja, seeliger ist Nehmen denn Geben.
In einem neuen Anlauf (S. 57f) zeigt der Autor verschiedener "Studien zur Theorie der Geschichtsschreibung und
Kirchengeschichte" (S.51), daß er nicht nur Hayden White, Metahistory (Frankfurt, 1991), sondern auch Arthur C. Danto,
Analytische Philosophie der Geschichte (Frankfurt, 1974) studiert hat und zu zitieren weiß. Doch zuvor hat er Karlheinz
Deschner, "ein folgenschwerer Irrtum", vorgeworfen, er halte es "theoretisch für möglich, die Geschichte vollständig zu
rekonstruieren." (S.57) Ob der Autor seine Bibel ähnlich gründlich gelesen hat? In der »Kriminalgeschichte« findet sich diese
These Deschners nämlich nicht, durchaus jedoch ein Gedankenexperiment: "könnten wir die Geschichte, das Ganze der Menschenwelt,
total erfassen; obwohl dann, meine ich, alles nur noch schrecklicher wäre." (I 33) Doch warum? Weil in der Geschichte ein
unfaßbares Ausmaß von Dummheit, Bosheit und Grausamkeit dominiert. Doch dieses Zentralmotiv Deschners, diese so berechtigte
menschenfreundliche Klage, sie klammert der Referent aus. Stünde sie dem Versuch, Karlheinz Deschner als Zyniker zu zeichnen,
allzusehr im Wege? Oder könnte sie zu offensichtlich an hinlänglich bekanntes Verhalten der von Hans Reinhard Seeliger
repräsentierten Institution erinnern?
So stehen wir vor dem nächsten Rösselsprung. Wieder geht der Referent erst einmal in doppelte Autoritätendeckung, bevor er
sich ins offene Feld wagt. So erwähnt er Karl Raimund Popper und zitiert dreimal ausführlich aus der seit ihrem Erscheinen
theologischerseits zunehmend beliebten »Kritik der zynischen Vernunft« (Frankfurt, 1983) Peter Sloterdijks (S. 59f), bevor er
zum nächsten Schlag ausholt und in direkter Fortsetzung einer Passage Sloterdijks' in der dieser gegen den neuzeitlich
bedingten Abbau der Opfermentalität polemisiert, ex cathedra dekretiert: "Dies also ist die Mentalität, die Karlheinz Deschner
bedient." (S.60) Daß der Abbau der Opfermentalität auch damit zu tun haben könnte, daß immer mehr Personen erkennen, wie sie
und ihr Lebensglück zugunsten des Molochs Staat oder Kirche geopfert wurden, daß auf Seiten derer, die seit Menschengedenken
andere für sich opfern, ein extrem höheres Maß an Zynismus zu erkennen ist als bei den Opfern, daß schließlich Deschners
Religions-, Christentums- und Kirchenkritik eine möglichst konsequente Kritik aus Aufklärerperspektive zugunsten der Opfer ist,
das muß nach Kräften diffamiert werden: die "Dialektik der Aufklärung" habe Deschner nicht nachdenklich genug bedacht (S.61),
moniert ein Theologe, der bisher lediglich den Eindruck erweckte, Aufklärungsvokabular zu okkupieren, um der
Selbstauseinandersetzung und der Aufarbeitung seiner eigenen Kirchengeschichte besseren Gewissens aus dem Wege schleichen zu
können. Als theologischer Hochschullehrer im Glaspalast des Antimodernismuseides, der erwähnten "Instruktion" und einer
Vielzahl anderer seiner Kirche gelübdemäßig zugebilligter Freiheitseinschränkungen zu residieren und sich nach nahezu 2000
Jahren Kirchengeschichte und kirchlichen Umgangs mit Aufklärung und Aufklärern dennoch als Gralshüter "der Aufklärung"
aufzuspielen, signalisiert ein so hohes Maß an Selbstblindheit oder Gegenaufklärung in der Maske der Aufklärung, daß es kaum
adäquat zu kommentieren ist.
Einen besonders aparten argumentativen Blattschuß hat Seeliger in seiner Anmerkung 19 (S.60) untergebracht, wenn er Deschner
vorwirft, er sei "dem Bild, welches das alte Testament von dieser Geschichte liefern wollte, kritiklos" aufgesessen. Deschner
ist es, nicht das kirchliche unfehlbare Lehramt, das m.W. bis zu diesem Moment behauptet, jedes Wort des alten Testaments sei
ebenso wie jedes Wort des neuen Testaments inspiriert? Deschner zeigt, was an Inhumanität in diesen Texten steckt; läßt sich
durch selektive Theologeninterpretationen mit Recht nicht ablenken. Ist es nicht historische Realität, daß es im Machtbereich
der Catholica bis in die Gegenwart (lebens)gefährlich war, genau das nicht zu glauben, was in der Bibel steht? Was hat Hans
Reinhard Seeliger denn vor Jahrzehnten selbst beschworen? Alles vergessen, verdrängt? Wenn ja, dann wären Therapiesitzungen
vielleicht beim großen Magus aus Paderborn angesagt. Aber statt dessen über die »Kriminalgeschichte« und ihren Autor zu Gericht
sitzen wollen? Difficile est, satiram non scribere...
Doch aliquid semper haeret, "Deschner ist ein ethischer Rigorist" (S.61), der bedauerlicherweise "den zivilisatorischen
Prozeß" übersieht, "den die Menschheit in dieser Zeit hinter sich gebracht hat" (S.62); und der von der Spätantike bis in die
Gegenwart vorrangig von der katholischen Kirche gefördert wurde? Statt dessen ist er "ein grauenvoller Jurist und ein
fürchteinflößender Richter." (S.63) Spricht Seeliger von dem Menschen und Tierfreund Karlheinz Deschner, der als Autor
Inhumanität verurteilt, oder von dem Gottesbild, das seine Religionsgemeinschaft Millionen Menschen aufzuprägen suchte? Haben
wir es durchgängig mit Projektionen von sicherlich auch Seeliger bedrückenden Strukturmomenten der eigenen Theologie und
Kirchengeschichte auf deren Kritiker Karlheinz Deschner zu tun?
Es sieht so aus, als ob ein Versuch, Deschners Konzeption in von modernen Theologen abgelehnte tradierte kirchliche
Interpretationsschemata zu pressen, zunehmend autotherapeutische Relevanz gewinnt: so kann das Deschner Unterstellte nun als an
Deschners Ansatz Identifizierte in doppelsinniger Manier auf eine Weise kritisiert werden, daß das kirchliche Lehramt nicht
einzugreifen vermag, da es Deschnerkritik ja positiv prämieren dürfte (und als Folgelast die in die Deschnerkritik gepackte
Kritik an bestimmten vom Lehramt durchaus noch nicht revidierten theologischen Konzepten 'schlucken' muß). Ein raffiniertes und
vielleicht auch verständliches Spiel, bei dem Deschners »Kriminalgeschichte« zunehmend als Katalysator benutzt wird? Nicht nur
die Wege des Herrn sind zuweilen unerforschlich...
Karlheinz Deschners "halbierte Aufklärung" bestünde also darin, daß er entweder "das Christentum grundsätzlich mißverstanden
[...] oder [...] wider besseres Wissen verkürzt" hat (S.64). Natürlich ist Christentum anders, als Karlheinz Deschner es
zeichnet: "die Lehre von der Erbsünde ist geradezu der Ausdruck dafür, daß der Mensch als gut geschaffen ist" (S.64). Schande
über den, der christlicherseits je anderes hörte! "Zyniker wie Deschner, die - zumindest in der Theorie - das Ende jeder
Barmherzigkeit praktizieren", sind Gegenbild des Theologen, der "dagegen" hält und denkt, "den längeren Atem zu haben." Das ist
nicht ausgeschlossen. Doch den Atem der Barmherzigkeit? Die Geschichte der barmherzigen christlichen Religion und ihrer
barmherzigen Gottesbilder läßt erschauern. Seeliger stellt Deschners Leser vor "eine Wahl". "Sie lautet schlicht: Hoffnung zu
haben oder zu verzweifeln." (S.66)
Vielleicht hat Seeliger mit seiner eindimensionalen Alternative sogar recht. Ich vermute nur, der Inhalt seiner Hoffnung und
Verzweiflung ist weder der Karlheinz Deschners, ist auch nicht der vieler seiner Leser und ist gewiß nicht der meine.
Die beiden Beiträge Wilfried Bottkes und Oskar Köhlers gehen auf je ihre Art eigentümliche Wege.
Der seine Christlichkeit ostentativ betonende Augsburger Strafrechtler kritisiert, daß Karlheinz Deschners
Verbrechensbegriff modernen strafrechtlichen Distinktionen nicht genügen könne. Antike Ethik kennt und berücksichtigt er
hingegen nicht. So kann er auch Deschners Kritik nicht verstehen. Thema verfehlt, wäre mein Urteil.
Ebenfalls sein Thema verfehlt hätte Oskar Köhler in seinem Beitrag »Nichts Neues: Kirchenkritische Historie« (S.81-96), wenn
ich davon ausgehen könnte, daß die Überschrift von ihm selbst stammt oder nicht ironisch gemeint ist. Das Referat gibt eine
aufschlußreiche Skizze der Geschichte rein innertheologischer Theologiekritik bis in die Gegenwart, keineswegs jedoch einer
prinzipiell orientierten Religionskritik, die bei der griechischen Aufklärung einsetzen müßte. Die hier exemplifizierte
innerkirchliche 'Kritik' hat wie zu erwarten mit der Deschners und anderer konsequenter Aufklärer fast nur das Wort "Kritik"
gemein. Wenn dann noch auf den Sinn des griechischen Verbs "krinein" - welcher Unglücksrabe hat daraus nur "kritein" (S.82)
gemacht? - so eingegangen wird, als ob daraus ein Argument gegen die Brisanz von Deschners »Kriminalgeschichte« gewonnen werden
könne, liegt der Verdacht eines semantischen Tricks, des Etikettenschwindels oder aber einer innerkatholischen Persiflage nahe.
Oskar Köhler (Jg. 1909) kann es sich nämlich leisten, seiner Kirche die Leviten zu lesen: und das tut er dann auch in aller
seriösen Diktion gründlich, listet genüßlich auf, daß selbst bescheidendste Ansätze von Kritik nicht sanktionslos blieben, daß
"prominente Kirchenhistoriker, die nach einem kritischen Verständnis der Geschichte suchten, mehr oder weniger gedrängt auf
einen Weg bis zu ihrer Exkommunikation gerieten." (S. 95) Ja, Sie haben richtig gelesen: schon das Suchen genügte, nicht erst
das Finden. Dem ist nur wenig hinzuzufügen. Genügt es bereits, aus der Perspektive dieses Beitrags die Relevanz und
argumentative Offenheit der übrigen Beiträge zu beleuchten? Ein vernichtendes Urteil? Wohl nicht nur für hintersinnigere
Spurenleser könnte es überzeugender kaum sein...
Auch der letzte Beitrag des grundsätzlichen Quintetts ist zumindest zweischichtig. Auf seiner Oberfläche konzentriert er
sich in so klischeehafter und argumentativ fast ärmlicher Weise auf Deschners Denkvoraussetzungen, daß ich mich bei der ersten
Lektüre unwillkürlich fragte, ob Siegfried Wiedenhofer dabei eine weit unter seinem Niveau liegende Auftragsarbeit zu erfüllen
sucht, bevor er auf dem ihm angemessenen Niveau Deschners Kritik als "eine Art von außen" vorgehaltenen "Beichtspiegel" (S.110)
ernst nimmt und in der Tiefenschicht seines Beitrags ein durchaus sympathisches Bild einer Kirche zeichnet, das lediglich daran
krankt, daß es mit dem mehr als anderthalb Jahrtausende geschichtsmächtig gewordenen (und derzeit in verbrecherischer Weise die
Bevölkerungsexplosion focierenden, papstzentrierten) mystischen Leib Christi allzuwenig Verbindungen aufweist.
Wichtig für unsere Seriositätsüberprüfüng ist jedoch die Verwendung eines Arguments, das auch ansonsten in der Kritik (nicht
nur) an der »Kriminalgeschichte« eine basale Rolle spielt: die Behauptung einer "natürlichen Parallele" bei der "Idealisierung"
und "Kriminalisierung der Kirchengeschichte" (S. 97ff) sowie die befreiende Ablehnung beider Komponenten dieser Parallele als
problemunangemessen und naiv. Soll aus einer strukturellen Analogie einmal mehr der Honig eines anthropophile Kirchenkritik
abschwächenden Effekts gesogen werden? Solcherart kann man sowohl das stockkonservative Lehramt der Kirche als auch zu dessen
Trost (sowie dessen Sanktionsmöglichkeiten unterlaufend) Karlheinz Deschner kritisieren. Man kann; aber 'kann' man?
Unglücklicherweise reicht für derartige Überlegungen nämlich eine Anwendung primitiver und inhaltsleerer zweiwertiger
Strukturschemata nicht aus: es kommt selbst bei Parallelen zuweilen auch auf Inhalte an. Nun mögen bedingungslose Apologie und
Idealisierung ebenso wie bedingungslose Kritik und Verteufelung zwar wie Vorder- und Rückseite der nämlichen Medaille wirken,
doch bei näherem Besehen unterscheiden sich nicht nur die Prägungen, sondern selbst die Münzen. Es ist eben ein fundamentaler
Unterschied, ob eine Institution, die beansprucht, die Wahrheit exklusiv zu besitzen, göttlich gegründet und in allen
Lehrentscheidungen inspiriert zu sein, per Interpretation ihre ewigen Glaubenswahrheiten wie ein Hemd wechselt, vor allem aber
in (vermeintlichem) Widerspruch zu ihren eigenen Lehren Millionen Menschen in Angst, Furcht und Zittern hielt, um ihr
Lebensglück betrog, millionenfache Menschenabschlachtung religiös legitimierte und bis auf den heutigen Tag die Machtmittel
einer totalitären Institution einzusetzen sucht, um ihre durch Säuglingstaufe gewonnene eigene Klientel 'bei der Stange' sowie
ihre Funktionäre (Kleriker usw.) in möglichst weitreichender, Persönlichkeitsentwicklung knebelnder und Eigenverantwortlichkeit
suspendierender Abhängigkeit zu halten. Oder aber ob jemand, der kaum einer Fliege, geschweige denn einem Menschen etwas zu
Leide tut, sich zur unerfreulichen Lebensaufgabe - "Aufgabe" auch in einem eher deprimierenden Sinne - gesetzt hat, dieses
Verlogenheits- und Inhumanitätssyndrom zu erkennen, aufzuarbeiten und mit Verweis auf zigtausende von Fakten als Schriftsteller
prinzipiell zu destruieren. Daß hochgradig spezialisierte, unabhängige Einzelwissenschaftler bei Beurteilung eines derartig
umfassenden und detaillierten Werks wie der »Kriminalgeschichte« auch Argumentations- oder Recherchefehler aufzuweisen
vermögen, das verwundert nur jemanden, der von wissenschaftlicher Arbeit keine Ahnung hat. Problematisch wird das Aufweisen von
Einzelfehlern nur dann, wenn die Aufweisenden in keinerlei Hinsicht Herren des Verfahrens, sondern (im bittersten Wortsinn) ge-
und beschworene Parteigänger sind: wie bspw. alle an diesem Schwerter Deschner-Symposium referierenden katholischen
Theologen.
Fazit: bei Ansetzung dieser "natürlichen Parallele" von Idealisierung und Kriminalisierung, von vermeintlich klerikalem und
antiklerikalem "Totalitarismus" (S.108) werden trotz aller interpretativen Mühen ansonsten so relevante Differenzen und
Divergenzen nivelliert, daß man sich fragen sollte, was eine derartige Parallelisierung mehr leistet als einen zwar umwegigen,
aber effektiven Diskriminierungsversuch der »Kriminalgeschichte« und parallel dazu einen Aufwertungsversuch der katholischen
Kirche und katholischen Religion, also auch hier einmal mehr: Etiketten- und leider nicht nur Etikettenschwindel zugunsten
einer total(itär)en Institution.
Damit wären wohl die wesentlichsten Einwände der fünf grundsätzlichen Anfragen berücksichtigt. Es verwundert kaum, daß wir
den meisten dieser Einwände in den Deschners Kapiteln gewidmeten Destruktionsversuchen wieder begegnen. Daneben gibt es die
Ebene der konkreten Einwände der Einzelwissenschaftler: jeder trägt einiges in der Absicht zusammen, um die
Gesamtinterpretation Deschners als tendenziös und inkompetent 'zu kippen'. Doch wer ausreichend Diskussionen selbst zwischen
anerkannten 'Koryphäen' kennt, weiß, daß derlei vor allem dann zum Ritual gehört, wenn man davon ausgehen kann, daß der
Kontrahent schon aus Raumgründen nicht auf alles replizieren kann.
Einige Argumente kehren immer wieder. Argumente zur Person, daß Karlheinz Deschner Zyniker sei, ethischer Rigorist, ein
zweiwertig Denkender, ein unbarmherziger Richter. So wird aus zeitweiliger Verzweiflung über Dummheit und Borniertheit
Zynismus, aus einem anthropophilen, Menschlichkeit nicht nur am Schreibtisch fordernden, sondern lebenden Religionskritiker ein
"unbarmherziger Richter": aus der Sicht derer, die selbst berufliche Profiteure einer der unbarmherzigsten und verlogensten
Institionen21 der Menschheitsgeschichte sind?
Die meisten Gegenargumente richten sich freilich gegen Deschners 'wissenschaftliche Methode'. Das wäre ernst(er) zu nehmen,
wenn die Kritiker oder zumindest ihre Argumente ernst(er) genommen werden könnten. Doch mit beidem hapert es leider aus
ersichtlichsten Gründen; einige wurden bereits erwähnt. So wird Deschner alles nur Denkbare vorgeworfen. Er zitiere nicht
sauber: und als Beleg präsentiert bspw. Georg Denzler in stupender Ausführlichkeit (S.237) dann eine von Deschner stilistisch
geringfügig veränderte, in eine Frage eingebaute, großteils zitierte Passage Carl Schneiders, auf deren Herkunft Deschner
übrigens präzise verweist. Schaumschlägerei? Oder: Deschner sei kein "Forscher", denn er arbeite (nicht nur) mit und an
Quellen, sondern zitiere selbst aus Handbüchern! Ersteres hat er niemals behauptet; und in einem Werk, das nicht primär für
einige Dutzend Theologen geschrieben ist, sondern riesige Zeiträume und geographische Regionen abdeckt, belegt die
Berücksichtigung auch von Handbüchern primär, daß ein Autor nicht in Theologenmanier selektiv von einer 'Autorität' zu anderen
hüpft, sondern sich bemüht, Basisinformationen zu präsentieren, die nicht strittig sind. Oder taugen die katholischen
Handbücher oder selbst Standardwerke wie RE oder RAC plötzlich nichts, weil Deschner aus ihnen wichtige Belege entnimmt? Oder:
Deschner verwende Belege im "Zweifelsfall gegen den Angeklagten" (S.305). Einerseits ist vieles Interpretationssache und wird
immer strittig bleiben, solange bspw. aus weltanschaulich differenten Perspektiven interpretiert wird und zumal Machtmonopole
zu verteidigen sind. Da muß sich ein Leser schon zuweilen fragen, welcher Interpret von welcher Interpretation beruflich
besonders profitieren kann. Kirchenkritiker haben an unseren Hochschulen bisher nicht theologenübliche Blitzkarrieren aufweisen
können; der Autor22 dieser Seriositätsüberprüfung bspw. verfügt im 25sten Jahr
seiner Hochschullehrertätigkeit über ein Monatseinkommen, das etwa dem eines normalen Dorfpfarrers einer der beiden
christlichen Großkirchen entspricht. Den Seinen gibt es auch gegenwärtig der Herr eben nicht nur nur im Schlaf. Fragen nach den
Profiteuren bestimmter Deklamationen lösen also bereits nicht selten Verbalqualmschwaden auf.
Dennoch steckt in diesem Vorwurf ein zu berücksichtigender Kern: heute kann kaum mehr davon ausgegangen werden, daß Christen
sich ihrer Sadismen naiv rühmen oder daß derlei belegende Texte bis in die Gegenwart tradiert oder zugänglich gemacht wurden.
Rühmen sie sich, dann ist das keinesfalls ernst zu nehmen: es ist entweder "aus dem Geist der Zeit" zu verstehen - und damit
wegerklärt - oder eben "reine Apologetenpropaganda". So einfach ist das: das, was heute nicht mehr erwünscht ist, wird, wenn
man es nicht verschwinden lassen oder selektiv interpretieren kann, eben "Apologetenpropaganda" genannt. Offenbar genügt das.
Oder: Deschner entnehme aus kirchlicher Literatur primär Negatives. Ein ungeheurer Vorwurf? Soll er denn für seine
»Kriminalgeschichte« statt dessen christliche Selbstbeweihräucherungen entnehmen!? Ist die Erwähnung von Negativem (selbst) in
christlicher Literatur denn nicht ein glaubwürdigeres Zeugnis als die Erwähnung des nämlichen Sachverhalts in kirchenkritischen
Untersuchungen? Wären die Schwerter Deschnerkritiker milder gestimmt, wenn Deschner nahezu jeden Kritikpunkt aus un- oder
antichristlicher Literatur entnommen hätte? Hätten sie derlei nicht allesamt und unisono als Gipfelpunkt des Unseriösen
präsentiert? So könnte ich nun Punkt für Punkt durchgehen; doch ich denke, es reicht.
Groß ist vor allem die Kunst des Ausklammerns des Relevanten, des Verschweigens oder Trivialisierens des Brisanten, wenn
bspw. Wolfgang Wischmeyer seinen sympathischen Vortrag »Von einem, der wallfahren wollte, ohne aufzubrechen« (S.279-88) hält
und Hörer sowie Leser schnell von dem weggelockt hat, was Band III, Kap. 3 der »Kriminalgeschichte« zum Thema
"Wallfahrtsschwindel" präsentiert. Überprüft man, ob und wie in den zahlreichen Kritiken bspw. das Finanz-,
Selbstbereicherungs-, und Verteilungsthema traktiert wird, so findet man entweder gar nichts oder knappste, unspezifizierte
vollmundige Hinweise auf christliche Leistungen auf dem Gebiete der sozialen Fürsorge. Vieles ließe sich noch auflisten.
Lediglich ein Beitrag soll noch Erwähnung finden, weil mich dessen Lektüre stellenweise irritiert hat. Es ist der
Schlußbeitrag des Salzburger Spezialisten für Klassische Philologie, Alte Geschichte und Altertumskunde, Prof. Dr. Wolfang
Speyer, »Verkannte Magie - reinigendes Feuer. Die kulturellen Voraussetzungen für die Vernichtung heterodoxer Literatur und des
Heidentums in der christlichen Spätantike» (S.303-10). Irritiert hat mich der Beitrag, weil auch ich Speyers Namen erst durch
Deschners Veröffentlichungen kennenlernte und inzwischen einiges von ihm mit Gewinn durchgearbeitet habe. Der Wolfgang Speyer
des Schwerter Deschner-Symposiums scheint ein anderer (geworden) zu sein. Zu Kreuze gekrochen oder nur eine Maske getragen?
Nietzsche hat zur Ästhetik von dergleichen einiges notiert, dessen Zitation ich Wolfang Speyer erspare. Warum wehrt er sich so
vehement dagegen, daß Karlheinz Deschner seine Schriften gelesen und aus ihnen zitiert hat? Ist Wolfgang Speyer außerhalb
seines engsten Fachgebietes nicht erst durch Karlheinz Deschners Arbeiten bekannt geworden? Wo hat Deschner behauptet, das bei
Speyer Gelesene stamme von ihm selbst? Doch derlei Fragen bilden nicht die eigentliche Problemzone, betreffen eher
Atmosphärisches.
Es irritiert mich, daß ich den Verdacht nicht abweisen kann, auch Wolfgang Speyer habe sein profundes Sachwissen
offensichtlich wider besseres Wissen auf eine Weise in apologetische Dienste gestellt, daß bspw. einerseits höchst
unterschiedliche antike religiöse Phänomene (zugunsten der spätantiken ecclesia militans) nivelliert und andererseits selbst
schockierendste nationalsozialistische Greuel verständlich oder gar exkulpiert würden, wenn die von Wolfgang Speyer den alten
Christen zugute gehaltenen Überzeugungen nicht lediglich für Christen reserviert blieben. Läßt sich in Extrapolation seiner
Argumente nicht jede Barbarei verteidigen? Dazu abschließend noch einige Beispiele. Wenn Wolfgang Speyer zu recht betont, die
Dionysosreligion habe sich "im griechischen Osten und im römischen Westen gewaltsam Bahn" gebrochen, dann weiß er, daß die
dionysische Gewaltsamkeit selten mehr als das Wort "gewaltsam" mit der christlichen Vernichtung des 'Heidentums', der
Vernichtung der Tempel und der 'heidnischen' Literatur, der Vertreibung und Tötung von Philosophen usw. zu tun hat. Wo traten
Dionysosanhänger in vergleichbarer Weise als fanatische Monotheisten auf? In den alten Mythen wollte Dionysos
bezeichnenderweise lediglich als Gott anerkannt sein (ohne deshalb von seinen Anhängern zu verlangen, die Existenz anderer
Götter zu verleugnen). Doch wann und wo waren Christen je so bescheiden, wenn sie auch nur über ein Quentchen politischer Macht
verfügten? Oder, noch deutlicher: Speyers Hinweis auf den Kampf "der griechischen Polisreligion und der beginnenden
religionskritischen Philosophie während des 5. Jahrhunderts v. Chr. in Athen" (S.307)! Was hat dieser m.W. nicht ein einziges
Blutopfer kostende 'Kampf' - selbst Sokrates hätte fliehen können, wenn er nur gewollt hätte - mit dem zu tun, was bei der
Ausrottung des Heidentums und bei innerchristlichen Kämpfen in der Spätantike die Regel war!? Nach einem knappen Jahrtausend
mediterraner Geistes- und Kulturentwicklung derartige Rückfälle in vorgriechische Barbarei lediglich aus der Binnenperspektive
fundamentalistischer Plebejer zu 'erklären', erscheint kaum problemangemessen. Wenn Speyer lapidar anmerkt, daß für die alten
Christen "die heidnischen Götter Dämonen sind, gegen die mit Exorzismus und mit magisch-religiös wirkenden reinigenden Mitteln,
nicht zuletzt mit dem kathartisch-apotropäischen Feuer, vorzugehen sei" (S. 307f), so ist das zwar richtig, in der Sache
freilich ein barbarischer Rückfall, ist als apologetische These nicht neu und entschuldigt auch in der Spätantike derartige
aggressive Wahnsysteme nicht. Und wenn als "fundamental für ein angemessenes Verständnis der Vernichtung" die Tatsache zu
gelten habe, "daß die Christen sich im Besitz der Wahrheit glaubten und sich für das wahre Volk des einen transzendenten Gottes
hielten" (S. 308), so stimmt auch das in deprimierendster Weise; doch die Brisanz einer derartigen Deskription wird vielleicht
eher deutlich, wenn wir nicht vergessen, daß bspw. die Amerika erobernden Christen die 50 bis 100 Millionen Indios, die sie im
Laufe der Jahre abschlachteten, für Tiere, und daß die Nationalsozialisten die Slawen für "Untermenschen" und die Juden für
ausrottenswert hielten. Entschuldigt das oder 'erklärt' es nur? Oder, und nun wird es vielleicht erst interessant für
Spurenleser, hat auch Wolfgang Speyer in subtiler Weise christliche Selbstinterpretationen einmal mehr so gegen das Christentum
gekehrt, daß naive Leser, die in diesem Band ohnedies nichts anderes als Deschnerkritik und Kirchenapologie zu finden erwarten,
aus seinem Beitrag entnehmen, er habe gegen Karlheinz Deschner das spätantike Christentum weitgehend rehabilitiert, während
Nachdenklichere sich fragen, ob der Spätantikekenner in seinem unerklärten Schlußwort als seinen Kommentar des Schwerter
Unternehmens einige aparte Tretminen und argumentative Sprengsätze liebevoll deponiert und kritischeren Lesern Argumente an die
Hand gegeben hat, die christliche Selbstbelobigungen insofern hinterrücks desavouieren, als kaum ein überzeugter Katholik
derartige Einstellungen oder Praktiken bspw. fundamentalistischen Moslems 'durchgehen' ließe.
Wenn Speyer im Schlußsatz anmerkt, daß ein Bild der Spätantike nur Bestand haben könne, "in dem Schatten und Licht
vorsichtig miteinander ins Spiel gebracht werden", und daß die rohen Fakten allein "noch lange nicht alles" besagen (S.310), so
ist ihm wiederum zuzustimmen. Und nochmals anzumerken, daß es gegenwärtig nicht die Aufgabe einer »Kriminalgeschichte des
Christentums« sein kann, bereits eine derartige Balance zu finden, sondern als produktive Antithese im Sinne der Artikulierung
von Gegenpositionen und einer Stärkung des Gegengewichts zu den noch heute dominierenden tausendfachen Apologien und
problemflüchtigen Verklärungen des Christentums eine notgedrungen pointiert einseitige, umfassende, in der Sache jedoch
stichhaltige und möglichst korrekte Abrechnung zu präsentieren. Das ist unüblich und in vielerlei Hinsicht ein gewiß nicht
unproblematisches, vom Informationswert und aus der Perspektive der Erarbeitbarkeit her gesehen jedoch ein produktives und
hinsichtlich seines speziellen Gegenstandes unumgängliches Experiment.
Ein Resümee...
"Manchmal ist man doch sehr deprimiert, wenn man sieht, wie das finstere Mittelalter noch immer regiert und alle
wissenschaftliche Arbeit außer im Bereich der flachsten Technik vergeblich zu sein scheint. Da denkt man dann an Menschen wie
Sie, die trotzdem nicht aufgeben oder resignieren. Was schreiben Sie jetzt!" (Carl Schneider, Brief an Karlheinz
Deschner23 vom 10.6.1974)
Die ganze Vieldeutigkeit des Schwerter Deschner-Symposiums könnte nur eine minutiöse Analyse sämtlicher Referate aufweisen.
Mein Versuch einer exemplarischen positions-, informations- und argumentationsorientierten Seriositätsüberprüfung dürfte jedoch
bereits verdeutlicht haben, daß es sich bei diesem Symposium keineswegs um einen Versuch seriöser wissenschaftlicher oder
philosophischer Analyse, sondern um ein so vielschichtiges Unternehmen handelte, daß viele Fragen offen blieben und vielleicht
auch offen bleiben müssen. So ist ja nicht einmal gesichert, daß das Symposium auf den frei artikulierten Wunsch nach
sachorientierter Auseinandersetzung der Beteiligten und nicht auf Drängen einer übergeordneten, das Deschner-Symposium
großzügig dotierenden kirchlichen Stelle erfolgte, dem sich die Beteiligten aus einer Reihe z. T. bereits thematisierter Gründe
nicht zu entziehen vermochten. Diese Vermutung würde jedoch nicht nur beinhalten, daß keineswegs alle Referenten aus freien
Stücken und in aller Geistesfreiheit an dem Symposium teilnahmen, sondern auch verständlicher erscheinen lassen, warum dieser
scheinbar so geballte Gegenangriff der Catholica so vielschichtig, inkonsistent und passagenweise so ambivalent ausgefallen
ist, daß die Annahme eines unerklärten Zweifrontenkrieges kaum mehr von der Hand zu weisen ist: offiziell zwar in aller
Vehemenz gegen Karlheinz Deschners »Kriminalgeschichte«, inoffiziell und mit vielen Nadelstichen vor allem zwischen den Zeilen
jedoch auch gegen "das kirchliche Lehramt". Letzteres mag zwar ein primär innerkatholisches Problem sein, das freilich auch von
enormer wissenschaftlicher und zumal politischer Relevanz ist. Nun mögen hartgesottene Kirchenkritiker nicht zu Unrecht
einwenden, wer mit der katholischen Kirche Karriere mache und trotz seiner Eide und Verpflichtungen den Eindruck eines
Wissenschaftlers erwecken wolle, solle seinen Katholizismus nun auch ausfressen. Unterstützung sei nicht finanziell
bestversorgten und arbeitsmäßig bevorzugten Profiteuren, sondern Opfern katholischer Machtpolitik zu gewähren. Ich persönlich
plädiere jedoch für eine entwicklungsfördernde Doppelstrategie: Etikettenschwindel weiterhin unnachsichtig nicht nur beim Namen
zu nennen, sondern auch aufzuzeigen; Einsichten jedoch anzuerkennen und institutionell dazu beizutragen, daß seitens der
Hochschulen die Hochschullehrerposition katholischer Theologen gegen Vereinnahmungen durch "das kirchliche Lehramt" zumindest
solange zunehmend geschützt wird, als theologische Fakultäten und Konkordatslehrstühle nicht abgeschafft, aufgelöst oder in von
den einzelnen Religionsgemeinschaften organisierte und finanzierte Theologische Hochschulen ausgegliedert werden können.
Der geballte Angriff der Catholica, so könnte deutlich geworden sein, präsentiert weniger "das einhellige" als ein
scheinheiliges "Urteil der Wissenschaft", dechiffriert sich bei näherem Besehen als widersprüchlicher, ambivalenter
Zweifrontenkrieg und nicht zuletzt als Versuch, territoriale Gewinne in dem Sinne zu erzielen, als radikale Religions-,
Christentums- und Kirchenkritik entschärft, erschwert, diskreditiert und eher kosmetische Kritik gefördert wird, die der
Interpretationsfreiheit der Beteiligten weiterhin immensen Spielraum und dem ausgeprägten Bedürfnis, 'progressiv' zu
erscheinen, in Feldern des machtpolitisch oder religionsgeschichtlich Irrelevanten freien Auslauf gewährt.
Wenden wir uns abschließend wieder Karlheinz Deschner selbst zu, so verlassen wir den Mikrokosmos Katholischer Akademien -
ebenso wie "Katholische Universität" streng genommen eine contradictio in adiecto, ein Unbegriff: Platon würde sich im Grabe
drehen und Sokrates oder Epikur wären vielleicht an einem Lachkrampf gestorben, wenn sie derlei begnadete Formulierungen hätten
hören können -, enthusiastisch formulierter Glaubensbekenntnisse und kirchlich kontrollierter theologischer Fakultäten und
wechseln in die Welt eines literarischen Einzelgängers.
Aus der Distanz von drei Jahrzehnten lassen sich in seiner literarischen Arbeit unschwer drei zunehmend unterschiedlich
gewichtete Schwerpunkte identifizieren: zwei weniger autobiographische als autoanalytische Romane (1956, 1958), zwei
literarische Streitschriften (1957, 1964) und zwei nicht nur tendenziell christentumskritische Schriften (1957,1962) bildeten
das erste Buchsextett, als dessen Herzstück die unveröffentlichte literaturgeschichtliche Dissertation - Lenaus Lyrik als
Ausdruck metaphysischer Verzweiflung (1951) - gelten kann. In fast archetypischer Symmetrie artikulierten sich also schon früh
Karlheinz Deschners Präferenzen: metaphysische und höchst reale Verzweiflung am Schlaf der Welt in Verbindung mit der
konsequenten Haltung Gottfried Benns:
"Und dennoch die Schwerter halten
bis ans Ende der Welt".
Brachten beide Romane in ihrer hierzulande ungewohnt ehrlichen und subtilen Autoanalyse sowie in brillanter, eigenständiger
Sprache dem Autor einen mehr als nur respektablen literarischen Erfolg, so veränderten die beiden zugunsten literarischer
Qualität gnadenlos einseitigen literaturkritischen Streitschriften »Kitsch, Konvention und Kunst« (1957) und »Talente, Dichter,
Dilettanten. Überschätzte und unterschätzte Werke in der deutschen Literatur der Gegenwart« (1964) das Leserbewußtsein
ernsthaft an deutscher Literatur Interessierter vielleicht prinzipieller als alle Nachkriegsproduktionen zeitweiliger
Literaturpäpste zusammengenommen. Seit »Kitsch, Konvention und Kunst« (1957) waren Hermann Broch, Hans Henny Jahnn und Robert
Musil mehr als nur irgendwelche Namen; sie waren Maßstäbe geworden. Die Szene war bereinigt: wer wollte, konnte nachprüfen,
wissen und lesen; und einen Autor entdecken, der seitdem zwischen allen wohldotierten Stühlen saß...
Ähnlich und doch anders im dritten Bereich, der, von einigen Ausflügen abgesehen, zunehmend Deschners primärer Arbeits- und
Publikationsschwerpunkt geworden ist: der christentums- und kirchenkritische. Augiasstallausmistung bedarf einer
Schwerstarbeiterzulage und eines langen Atems. Auch hier hat Karlheinz Deschner mit seinen pointiert aufklärerischen Schriften
- insbes. mit »Abermals krähte der Hahn« und »Das Kreuz mit der Kirche«, 1974 - hunderttausende kritischer Leser erreicht,
ermutigt und durch sein beharrliches Am-Thema-Bleiben während der späten sechziger, der gesamten siebziger und der frühen
achtziger Jahre, als so viele glaubten, der Sozialismus siege und die Kirchen spielten in Bälde keine politische Rolle mehr,
vermutlich den Hauptanstoß für die mittlerweile zunehmende konsequent kirchen- und zuweilen sogar christentumskritische
Literatur gegeben. Nach wie vor freilich geht es Karlheinz Deschner nicht um "historische Gerechtigkeit" im Sinne eines
Abwägens mit dem erwartbaren Effekt, daß die Gerechtigkeitswaage nach höchstens kurzzeitigem Zittern dann doch wieder zugunsten
der konservativen Partei ausschlägt, sondern um die Bildung eines Gegengewichts, die Stärkung der verdrängten,
verteufelten, wenig erforschten oder nur in winzigen Segmenten anstatt im großen Zusammenhang veröffentlichten
Gegenposition(en). In pointiertester Eindeutigkeit, in reflektierter Einseitigkeit und mit manchen Fehlern im Detail.
Doch gehört das nicht zur Vorgabe, wenn ein einzelner ohne Mitarbeiter und all die institutionellen und finanziellen Hilfen,
über die hierzulande einige hundert vollbeamtete theologische Hochschullehrer verfügen, über zentrale Zusammenhänge informieren
will, die er zuvor selbst aufarbeiten muß, während ein staatlich alimentierter theologischer Kritiker es nicht einmal nötig
findet, einen von ihm kritisierten Text auf Korrektheit selbst zu überprüfen, sondern seinen Mitarbeitern für dessen
Überprüfung dankt (S.161, Anm. 1)? So erwünscht jede inhaltliche Korrektur ist, soweit sie nicht lediglich auf interpretativen
Differenzen beruht, sosehr kommt es noch immer auf das klar konturierte und facettenreich demonstrierte Gegenbild zum Gespinst
hunderttausendfach veröffentlichter Lügen und auf den Bruch des noch millionenfach erzwungenen Schweigens an. Dazu bedarf es
nicht zuletzt der Mittelalter, Neuzeit und Gegenwart thematisierenden noch ausstehenden Bände der »Kriminalgeschichte«.
Oder, anders formuliert: in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts war es vermutlich Friedrich Wilhelm Nietzsche, der
durch seine unbotmäßige und unrubrizierbare Art, profunde Fragen zu stellen, mehr Personen zu eigenständigerem Denken ermutigt
hat als jeder andere. Und wer mag bezweifeln, daß es hierzulande seit Jahrzehnten Karlheinz Deschner ist, der als
"Streitschriftsteller" in seinen mehr als dreißig Büchern und zweieinhalbtausend Vorträgen, Lesungen usw. mehr Personen als
jeder andere ermutigt hat, aus tradierten und noch immer wohlprämierten weltanschaulichen Denkhürden auszubrechen und es zu
wagen, besseren Gewissens ihres eigenen Weges zu gehen?
Anmerkungen:
1 Kein laisierter Priester bspw.
2 Es erübrigt sich in diesem Zusammenhang wohl, Fragen der "Freiheit von Forschung und Lehre
im Blick auf Hochschullehrer an staatlich voll finanzierten Theologischen Hochschulen, einer Katholischen Universität Eichstätt
oder einer Ordenshochschule zu diskutieren.
3 Die protestantische Konkurrenz: "Als Vor-Z. zwecks Entscheidung über das
Imprimatur wird sie vom Bischof des Wohn-, Druck- oder Erscheinungsortes geübt, bei Klosterleuten zusätzlich von den
Klosteroberen; ihr unterliegen alle von Klerikern oder (getauften) Laien stammenden graphischen Veröffentlichungen, die Text
und Inhalt der Hl. Schrift, Lehre und Leben der Kirche, überhaupt in besonderer Weise Religion und Sittlichkeit betreffen (cc.
1385-1394 CIC). Als Nach-Z. erfaßt sie grundsätzlich, wenn auch bei weitem nicht tatsächlich, alle dem allgemeinen
Bücherverbot unterliegenden Veröffentlichungen, auch von nichtgetauften Verfassern". (Die Religion in Geschichte und
Gegenwart VI, Tübingen, 1962, Sp. 1895; H. Barion)
4 Inwiefern selbst noch der "übliche Karriereweg" auch insofern tangiert ist, als kirchliche
Stellen (und ggf. sogar "der Kardinal") bereits bei Promotions- und Habilitationsverfahren, die streng genommen rein
hochschulrechtlich sind, "ihr Wörtchen mitsprechen", Mißliebige also früh scheitern lassen oder durch Andeutung dieser
Möglichkeit Wohlverhalten erzwingen können, steht hier nicht zur Diskussion. Daß ich nicht von Phantomen spreche, dürfte
zumindest Insidern bekannt sein.
5 Johannes Hoffneister (Hg.): Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Hamburg
1955, S. 406
6 Ebenda, S. 61f
7 RGG I, Tübingen 1957, Sp. 451 (K. G. Steck)
8 Noch immer hochaktuell: Ursula und Johannes Neumann, Theologie als Glaubensgehorsam. Anmerkungen zu einem bemerkenswerten Dokument der römischen
Kongregation für die Glaubenslehre. (In: MIZ XIX, 3-4/1990, S. 21-28, und XX, 1/1991, S. 34-38).
9 Gemeint ist Karlheinz Deschners christentumskritisches Erstlingswerk Abermals krähte
der Hahn. Eine kritische Kirchengeschichte von den Anfängen bis zu Pius XII. Stuttgart, 1962
10 Bärbel und Katja Deschner (Hg.), "Sie Oberteufel!" Briefe an Karlheinz
Deschner, Hamburg, 1992, S.462
11 Carl Schneider, Kulturgeschichte des Hellenismus. 2 Bände. München, 1967 und
1969, ca. 2.150 Seiten
12 "'Spontanes, vorwissenschaftliches Denken', 'mangelhafte Beobachtung und Prüfung des
Materials', 'vage Erinnerungen an Gelesenes oder Geschehenes stehen Pate bei der Konstruktion eines aus verfälschtem Material
aufgebauten Geschichtsbildes'. (S. 9) Außer einem Sortiment persönlicher Diffamierungen fiel manchem Beiträger auch 1992 zu
Karlheinz Deschners Arbeiten nicht allzuviel ein.
13 Der ungenannte katholische Professor für Alte Kirchengeschichte müßte nicht nur
lebensmüde, sondern auch Eidesbrecher gewesen sein, wenn er Deschners Antrag befürwortet hätte; und auch jeder der drei übrigen
DFG-Gutachter konnte sich ausrechnen, was über ihn hereingebrochen wäre, wenn er gewagt hätte, diesen Antrag zu unterstützen.
Sancta simplicitas, ora pro nobis?
14 Ein christlicherseits vielleicht nicht gar so seltenes Phänomen, wenn man bspw. Franz
Buggle, Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann. Eine
Streitschrift. (Reinbek, 1992) berücksichtigen würde.
15 Vgl. bspw. Hans Albert, Traktat über kritische Vernunft, Tübingen,1992,
Das Elend der Theologie. Kritische Auseinandersetzung mit Hans Küng. Hamburg, 1979, Theologie und Weltauffassung
Die Ansprüche des theologischen Denkens und das moderne Weltbild sowie Kritische Vernunft und religiöser Glaube. Zur Analyse
der kulturellen Problemsituation der Gegenwart (in: ders., Die Wissenschaft und die Fehlbarkeit der Vernunft. Tübingen,
1982, 95-167 und 168-85), Der Sinn des Lebens ohne Gott (in: Hoerster, Nobert, Hg.; Religionskritik. Stuttgart, 1984,
S.119-28) und Zur Kritik der reinen Religion. Über die Möglichkeit der Religionskritik nach der Aufklärung. In:
Salamun, Kurt, Hg.: Aufklärungsperspektiven. Weltanschauungsanalyse und Ideologiekritik. Tübingen, 1989, 99-115; dort auch
Hinweise auf weiterführende Literatur.
16 Vgl. bspw. Nobert Hoerster (Hg.): Glaube und Vernunft. Texte zur
Religionsphilosophie. Stuttgart, 1985, und ders. (Hg.): Religionskritik. Stuttgart, 1984
17 Mich hingegen stört der Vorwurf, von "vorgestern" zu sein, nicht nur nicht, sondern ich
empfinde ihn als Kompliment. War doch schon 1751 bspw. Julien Offray de La Mettrie der Meinung, "Die Religion ist jedoch nur
notwendig für jene, die für Humanität nicht empfänglich sind. Im Verkehr ehrbarer Leute untereinander ist sie sicherlich fehl
am Platze." (Système d' Épicure 76; in: ders., Philosophie und Politik. Hgg. u. eingel. v. Bernd A. Laska. Nürnberg,
1987, S. 103f). Hatten griechische Aufklärer nicht schon vor knapp 2.500 Jahren vieles von dem längst formuliert, was das
Niveau der meisten Gläubigen noch heute übersteigt?
18 Erfreulicherweise listet der Herausgeber in seinen Anmerkungen 10-18 (S. 14f) einiges
auf, übergeht jedoch so substantielle Arbeiten wie bspw. von Hans Albert, Helmut Groos, Christlicher Glaube und
intellektuelles Gewissen. Christentumskritik am Ende des zweiten Jahrtausends (Tübingen, 1987), Norbert Hoerster oder
Gerhard Szczesnys noch immer lesenswerte Die Zukunft des Unglaubens. Zeitgemäße Betrachtungen eines Nichtchristen
(München, 1958).
19 "Erweiterte Fassung einer zunächst in der Zeitschrift Merkur 45 (1991) 1055-59
erschienenen Buchbesprechung." (S. 35, Anm. 1)
20 Ein Komprimat: "In seinem Versuch, die abendländische Geschichte von den Untaten der
Kirche zu reinigen, landet er also letztlich genau dort, wo schon Robespierre und andere radikale 'Aufklärer' vor ihm geendet
sind: der verzweifelten Misanthropie jener, die insgeheim wissen, daß ihr Kampf für eine durch den Atheismus gebesserte
Menschheit nichts anderes ist als eine aus den Widersprüchen ihrer eigenen Ideologie geborene sisyphärische Aggression." (S.
46)
21 Seit Jahren präsentiert Gerhard Rampp in der "Internationalen Rundschau" der
MIZ viermal im Jahr in unübertroffener Gründlichkeit und Ausführlichkeit aktuelle Informationen aus aller Welt zum
mehr oder weniger segensreichen Wirken christlicher Religionen oder Personen. Es ist beeindruckend, zu erfahren, was weltweit
geschieht und, von einigen Ausnahmen abgesehen, trotz (oder: wegen) seiner Brisanz allenfalls Eingang ins Kleingedruckte
unserer Presse findet.
22 Meine Religions- und Christentumskritik habe ich noch nicht im Zusammenhang vorgelegt.
Andeutungen enthalten Sage mir woran Du glaubst, und ich ahne, wer Du bist... (In: Karlheinz Deschner [Hg.], Woran ich
glaube. Gütersloh, 1990, S. 250-57, bzw. München, 1992, S. 249-56), Wiedergeburt, Unsterblichkeit und persönliche
Verantwortlichkeit. (In: MIZ XIX, 3-4/1990, S. 8-12), Vorsichtige und etwas verwunderte Vermutungen zur irritierenden
Frage, weshalb nach nahezu 2000 Jahren christlicher Liebesreligion noch immer so viele 'gute Christen' nicht gerade glücklich
oder sonderlich entwickelt sind... (In: MIZ XX, 3/1991, S. 24-33, und 4/1991, S. 28-37) sowie vielerorts unter
und über dem Strich vor allem mein Versuch der Rekonstruktion eines authentischeren Bildes der so exemplarischen Denk- und
Lebensentwicklung Nietzsches in Nietzsche absconditus oder Spurenlesen bei Nietzsche. (I.) Kindheit. An der Quelle: In der
Pastorenfamilie, Naumburg 1854-1858 oder Wie ein Kind erschreckt entdeckt, wer es geworden ist, seine 'christliche Erziehung'
unterminiert und in heimlicher poetophilosophischer Autotherapie erstes 'eigenes Land' gewinnt. Berlin-Aschaffenburg,
(1991) 1991, und II. Jugend. Interniert in der Gelehrtenschule: Pforta 1858 bis 1864 oder Wie man entwickelt, was man kann,
längst war und weiterhin gilt, wie man ausweicht und doch neue Wege erprobt 1. Teilband 1858-1861; 2. Teilband 1862-1864.
Berlin-Aschaffenburg, 1993, 1994
23 Bärbel und Katja Deschner (Hg.), "Sie Oberteufel!" Briefe an Karlheinz
Deschner, Hamburg, 1992, S.462f