Solidarität gegen Fanatismus

Michael Lewandowski

Ein Bericht von der Antifundamentalistischen Konferenz in Ankara, 20.-23. März 1997

Aus: MIZ 2/97

Daß religiöser Fundamentalismus, und keineswegs nur der islamischer Herkunft, einer der wesentlichen Faktoren ist, die ein friedliches Zusammenleben der Menschen verschiedener Kulturen und Überzeugungen aufs Äußerste erschweren, ist sicherlich einer der Gründe, Mitglied des IBKA zu werden. Wir in Deutschland kennen solche Probleme als Belästigung oder Schikanen durch Glockengeläut, berufliche Benachteiligung oder haarsträubende Privilegierung kirchlicher Institutionen.

Im allgemeinen jedoch wird hier selten jemand direkt durch Methoden bedroht, die auf brutale physische Vernichtung Andersdenkender abzielt (daß das nicht immer so war, ist ja noch nicht so lange her). Wer Nachrichten aus dem "Grünen Gürtel" (so die Terminologie der Konferenzteilnehmer für die von islamischer Kultur geprägten Länder) aufmerksam verfolgt, bekommt eine Ahnung von dem Schreckensszenario, das sich dort für Nicht- oder Andersgläubige abspielt, bzw. welcher Bedrohung man ausgesetzt sein kann, wenn man offen als Dissident auftritt oder sich auch nur als solcher verdächtig macht.

Die genauere Beleuchtung diverser Aspekte dieses Phänomens war Gegenstand der "Illumination Conference Against Religious Fundamentalism", die vom 20. bis 22.März dieses Jahres in Ankara stattfand. Mit drei Personen flogen wir als Vertreter des IBKA am Abend des 17.März nach Istanbul; dort blieben wir anderthalb Tage und versuchten, ein wenig von der Atmosphäre und politischen Lage der Türkei zu erkunden, die keiner von uns vorher besucht hatte. Daß die innenpolitische Konstellation brisant war, wußten wir, und Bilder im türkischen Fernsehen illustrierten das sprechend. Leider verstand keiner von uns die Landessprache, und wir waren bis zu einem gewissen Grade auf Mutmaßungen angewiesen - die Brisanz der Situation zwischen Regierung und Armee war derart, daß aktuellere Information von Vorteil gewesen wäre.

Am Abend des 19.März trafen wir, nachdem ein weiteres IBKA-Mitglied zu uns gestoßen war, von Istanbul kommend, auf dem Flughafen in Ankara ein und wurden dort von Konferenzteilnehmern abgeholt. Der Kleinbus, mit dem wir zum Hotel TESK fuhren, trug die Aufschrift "Ankara film festival" - ein erster Eindruck von den Sicherheitsmaßnahmen, die unsere Gastgeber offensichtlich für nötig hielten angesichts der "antifundamentalistischen Massen", die dort zum Ärger der Islamisten für drei Tage zusammentraten - und das auch noch unter der Schirmherrschaft des Staatspräsidenten Demirel, der sich aber, entgegen anderslautender Gerüchte, nicht sehen ließ, sondern die Initiatoren Ali Nesin und Bedri Baykam mit Geld und seinem Namen unterstützte.

Das Hotel selbst lag etwas außerhalb der Stadt und war von Mauern und Stacheldraht umgeben und wurde von uniformierten Posten bewacht. Der gut zu vernehmende Ruf des Muezzins, der dank phonstarker Lautsprechersysteme (die nach traditioneller islamischer Auffassung eigentlich nicht verwendet werden dürfen) schon um fünf Uhr morgens deutlich zu hören war, erinnerte uns wiederholt an den Zweck unseres Aufenthalts.

Die Konferenz selbst fand im großen Auditorium des Hotels statt. An der Eröffnungsveranstaltung nahmen etwa 400 Personen teil, die aus verschiedenen, mehrheitlich wohl aus islamischen Ländern stammten. Das Programm war dicht gedrängt und bestand aus drei bis vier Sitzungen täglich, innerhalb derer drei Referenten zu jeweils einem Thema wie etwa "Islamisches Recht", "Die Frau im Islam" oder "Islam und Demokratie" sprachen, wobei auch Fundamentlismus im Christentum und in anderen Religionen thematisiert wurde. Am Ende jeweils einer Sitzung wurde unter reger Beteiligung des Publikums diskutiert und natürlich wurden die anvisierten Zeiten immer überschritten, was an Zuhörer, Referenten und Moderatoren einige Ansprüche stellte.

Die gesamte Konferenz wurde zweisprachig (türkisch und englisch) abgehalten und die drei Simultandolmetscherinnen, die abwechselnd arbeiteten, leisteten Erstaunliches. In vielen beiträgen kam zum Ausdruck, wie sehr der Antifundamentalismus in vielen islamischen Staaten schon in die Defensive geraten ist, nicht etwa weil die Fanatiker zahlenmäßig in der Mehrheit wären, sondern weil sie in der Wahl ihrer Mittel genauso skrupellos sind, wie es die Christen im Mittelalter waren. Soziale Verelendung, Analphabetismus, gewaltige Summen der Ölstaaten und andere Faktoren sorgen dafür, daß der Islamismus an Boden gewinnt, und oft erging der Appell an die Staaten Europas, die Türkei in die Europäische Union aufzunehmen, um auf diese Weise den islamischen Einfluß einzudämmen.

Einen menschlich bewegenden Eindruck von den Verheerungen, die mit der Fanatisierung der Glaubenskrieger einhergehen, konnte man bekommen, als eine ältere Frau bei einer Diskussion aufstand und erzählte, wie sie bei dem Attentat, das in Sivas stattfand und bei dem mehr als dreißig Menschen getötet wurden, wobei Aziz Nesin wie durch ein Wunder überlebte, fünf ihrer Kinder verloren hatte. Polizei und Krankenwagen kamen nach acht Stunden, um Hilfe zu leisten, die nicht mehr als eine reine Alibifunktion hatte.

Nach diesen drei Tagen fuhren wir am Sonntagmorgen in einem Privatwagen zum Flughafen, von wo aus wir wieder nach Istanbul abreisten, um für die nächsten anderthalb Tage wieder "normale" Touristen zu sein, die lediglich von Bakschischjägern "bedroht" wurden - eine Kleinigkeit gegen die realen Bedrohungen, mit denen viele der Menschen in der Türkei leben, die sich offen gegen fundamentalistische Bestrebungen aussprechen oder auch nur als potentielle Gegner betrachtet werden.