Diffamiert und kräftig abkassiert
Die Konfessionslosen und der Ökumenische Kirchentag in Berlin
Aus: IBKA Rundbrief August 2003
Es fällt immer wieder auf: Sobald Religionsgemeinschaften meinen, stärker zusammenarbeiten zu müssen, hört man bald Statements gegen Anders- oder Ungläubige. So nach dem 11. September 2001, als sich Muslime und Christen im Vatikan trafen, und so auch im Februar in Niedersachsen während eines kirchlichen Seminars über den Dialog zwischen Christentum und Islam. "Zwischen dem Christentum und Islam gäbe es Gemeinsamkeiten,...; zum Beispiel im Kampf gegen ,das Böse'; etwa ethische Haltlosigkeit, Vielgötterei und Atheismus", zitierte der Weser-Kurier den Referenten.
Auch der Ökumenische Kirchentag, also der erste gemeinsam gefeierte der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland, begann mit einem Seitenhieb auf die Nichtgläubigen. Im Grußwort des Papstes hieß es: "Ausdrücklich ermutige ich Euch zu diesem gemeinsamen Zeugnis der Christen in Deutschland, wo die Auswirkungen des ethischen Relativismus und des Säkularismus immer deutlicher sichtbar werden und die Fundamente des christlichen Glaubens und des menschlichen Zusammenlebens in Frage stellen."
Das hinderte die Kirchenchristen allerdings nicht, die "Welthauptstadt des Atheismus" - wie Berlin von ihnen oft genannt wird - kräftig zur Finanzierung ihres religiösen Treffens zur Kasse zu bitten. Das hochverschuldete Berlin unterstützte den Kirchentag mit 1,8 Mio. Euro aus dem Senatshaushalt. Weitere 5,6 Mio. Euro kamen von der landeseigenen Klassenlotterie hinzu. Damit kam der größte Einnahmeposten des Veranstalters vom Land Berlin. Zuschüsse flossen aber auch vom Bundesministerium des Innern (1,5 Mio. Euro) und von der Landesregierung Brandenburg (120.000 Euro). Schaut man auf die vom Kirchentagsveranstalter aufgestellte Liste der Sponsoren, tauchen dort noch weitere vom Steuerzahler finanzierte Institutionen auf: Berliner Feuerwehr, Stadtreinigungsbetriebe, Polizei, Berliner und Brandenburger Verkehrsbetriebe, Bundeswehr und die durch Zwangsmitgliedschaft korporierte IHK. Dazu kommen Sachleistungen des Landes Berlin hinzu: Kostenlos zur Verfügung gestellt wurden Schulen, Sporthallen, Tagungsstätten usw.
Ohne den - in Berlin meist konfessionslosen - Steuerzahler wäre diese medienwirksame Mammut-Werbeveranstaltung der Kirchen in diesem Ausmaß also gar nicht möglich gewesen. Trotzdem wurde es für Atheisten noch einmal ganz böse, als es in einer Podiumsdiskussion um das Thema "Ich glaub nix - mir fehlt nix" ("...nur ein paar Steuergelder", möchte man hinzufügen) ging. Auf dem Podium saßen die PDS-Politikerin Petra Pau, der Vorsitzende des HVD, Rolf Stöckel, und als Bestattungsredner der Freien Humanisten Niedersachsen Jürgen Gerdes. Hinzu kam der evangelische Theologe Dr. Erhart Neubert, Leiter Bildung und Forschung der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, der in seinem Vortrag arg gegen Nichtgläubige polemisierte.
Saßen die übrigen Diskutanten nur auf dem Podium im Altarraum, so bestieg Neubert für seinen Redebeitrag als Prediger die Kanzel, um von dort oben herab ausgerechnet den moderaten HVD des "organisierten Atheismus" zu "bezichtigen" und den Humanismus generell als "Begriffsschwamm" zu verunglimpfen. Menschenwürde und Freiheit seien erst durch das Evangelium nach Europa gekommen. Neubert betonte, wie selbstverständlich Christen es (gnädigerweise?) akzeptierten, dass Atheisten unter ihnen lebten, und setzte noch einen drauf: Atheismus sei eine "kulturelle Form des Autismus". Das war selbst den zuhörenden Christen zuviel, die entrüstet protestierten. Und so hatte Neubert sehr erfolgreich die angesetzte interweltanschauliche Debatte in eine innerkirchliche Diskussion über Umgangsformen verwandelt.