Entwurf der EU-Verfassung verabschiedet

Artikel formuliert Sonderrechte für Kirchen

Aus: IBKA Rundbrief August 2003

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben am 20. Juni 2003 auf einer kleinen griechischen Halb­insel den Entwurf der ersten europäischen Verfassung angenommen. Bis zu den Wahlen des Europäischen Parlaments im Juni 2004 soll die Verfassung dann unter­zeichnet sein.

Im Hinblick auf Religion wurde in den Medien und von den Kirchenlobbyisten vorwiegend über einen "Gottesbezug" in der Präambel diskutiert. Dieser wurde bislang zwar so explizit (noch?) nicht auf­genommen, es gelang der Kirchenlobby jedoch bereits, die im Vorentwurf noch enthaltene Bezugnahme auf "antike Philo­sophie" und "Aufklärung" ersatzlos zu streichen, hingegen einen Bezug auf "reli­giöses Erbe" neu hinschreiben zu lassen. Auch dies ist ihnen aber noch nicht genug, die Kirchen streben weiterhin eine expli­zite positive Nennung des Christentums an. Ebenso wird die Idee des "Gottes­bezuges" weiter u.a. von der COMECE (Kommission der katholischen Bischofs­konferenzen der Mitgliedstaaten der Euro­päischen Union) und diversen – nicht nur konservativen! – Politikern verfolgt.

Erst wenige Wochen vor der Verab­schiedung des Entwurfs wurde bekannt, dass die Kirchen sich jedoch in einem eigenen Artikel (I-51) ihre Privilegien ge­sichert haben. Mehr noch: Ihnen wurde – und das geht über bestehende Regelungen weit hinaus – gar ein besonderes Kon­sultationsrecht eingeräumt.

Dieser Kirchenartikel ist selbstver­ständlich rechtlich wesentlich bedeut­samer, als es ein Gottesbezug in der Präambel je gewesen wäre – oder doch noch wird!

Präambel (Anfang)

In dem Bewusstsein, dass der Kon­tinent Europa ein Träger der Zivili­sation ist und dass seine Bewohner, die ihn seit den Anfängen der Mensch­heit in immer neuen Schüben besiedelt haben, im Laufe der Jahrhunderte die Werte entwickelt haben, die den Hu­manismus begründen: Gleichheit der Menschen, Freiheit, Vorrang der Ver­nunft.

Schöpfend aus den kulturellen, religiösen und humanistischen Über­lieferungen Europas, die, in seinem Erbe weiter lebendig, die zentrale Stellung des Menschen und die Vor­stellung von der Unverletzlichkeit und Unveräußerlichkeit seiner Rechte so­wie vom Vorrang des Rechts in der Gesellschaft verankert haben, ...

Artikel I-51: Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemein­schaften

(1) Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereini­gungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvor­schriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht.

(2) Die Union achtet den Status von weltanschaulichen Gemeinschaf­ten in gleicher Weise.

(3) Die Union pflegt in Anerken­nung der Identität und des besonderen Beitrags dieser Kirchen und Gemein­schaften einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit ihnen.

Als die Aufnahme eines Kirchen­artikels in den Verfassungsentwurf be­kannt wurde, protestierte die Europäische Humanistische Föderation (EHF) mit einer Resolution beim Europäischen Konvent. Fast 200 Verbände aus verschiedenen Teilen Europas, darunter auch der IBKA, unterzeichneten diese Petition.

Gleichzeitig verfassten mehrere säku­lare Verbände in Deutschland (DFV, DFW, HVD, IBKA) je eigene Presse­mitteilungen und Protestnoten.

Der IBKA sandte ein Schreiben in englischer und deutscher Fassung direkt an sämtliche einzelnen Mitglieder des EU-Konvents.