Die (Ab-)Speisung der Vielen oder: von Fensterreden und tätiger Reue

Ursula Neumann

Aus der im Moment wahrlich reichen Auswahl an mea-culpa-Beteuerungen hoher und höchster Geistlichkeit habe ich nicht zufällig eine von Kardinal Woelki ausgewählt. Denn es geht um einen Fall aus seiner Diözese. Näherhin um den Unterschied zwischen Sagen und Tun:

Missbrauch: Kardinal Woelki predigt schweigend vor Bischöfen

Mit einer ungewöhnlichen Geste hat der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki an die Opfer des sexuellen Missbrauchs durch Geistliche erinnert und die Kirche zu Umkehr, Reue und Buße aufgerufen. „Damit wir nicht immer nur reden, werde ich die restlichen fünf Minuten meiner Predigt schweigen“, sagte er am Mittwochmorgen in einem Gottesdienst in Fulda. Anschließend wurde in mehreren Fürbitten für die Missbrauchsopfer und deren Angehörige gebetet und an das Versagen der Kirche erinnert.

Zu Beginn des Gottesdienstes hatte Woelki die katholische Kirche zu Umkehr und Buße aufgerufen. Die Erkenntnisse aus der Missbrauchsstudie hätten „Fassungslosigkeit und Schamesröte ins Gesicht getrieben“. Dass Vertreter der Kirche so etwas tun „und dass dies auch noch von der Institution Kirche so oft zugelassen wurde, macht fassungslos“. Weiter betonte der Kardinal: „Wir haben das Vertrauen missbraucht – von Jugendlichen und Kindern von deren Eltern und Familien.“

Kirche + Leben. das katholische Online-Magazin vom 26.9.18

Soweit der offizielle Teil. Nun zum inoffiziellen:

Nach einer komplizierten und belastenden Suche nach dem zuständigen Ansprechpartner, stellte eine Frau, die als kleines Mädchen vom Pfarrer ihrer Gemeinde missbraucht wurde, den Antrag auf Hilfeleistung nach sexuellem Missbrauch. Das war vor vielen Monaten.

An die „Ansprechperson“ Dr. N. schrieb sie:

„Nun hat es doch wesentlich länger gedauert, wie ich damals bei unserem Telefongespräch absehen konnte, bis ich mich in der Lage fühlte, noch restliche Unterlagen und Bescheinigungen beizubringen. Obwohl ich so viel Therapie gemacht habe, ist es für mich immer noch und immer wieder sehr belastend, macht mich depressiv und bringt mich in meinem Alltag völlig durcheinander…

 Die subtile Art und Weise der sexuellen Übergriffe in der Kombination mit religiösen, angst-machenden und in gewisser Art mächtigen Aussprüchen und Redensarten wirken bis heute nach. Es gibt immer noch und immer wieder Augenblicke und Momente, in denen ich mich verwirrt fühle. Momente die mit der Realität nichts zu tun haben, mich aber an Situationen aus dieser Zeit mit dem Pastor V. erinnern.

Ich habe die Hoffnung, dass es weniger wird oder vielleicht aufhört, wenn ich in Anerkennung der Schwere des Leids, einer angemessenen Entschuldigung und einer angemessenen Entschädigung das Thema endgültig ruhen, abschließen und Frieden finden kann.“

Klar wird das Anliegen formuliert: Anerkennung des Leids, eine Entschuldigung und eine (finanzielle) Entschädigung.

Diese drei Elemente gehören zusammen, wenn das Opfer ernst genommen und nicht erneut gedemütigt werden soll. Entschädigung ist keine Wiedergutmachung – die ist unmöglich, sondern materieller Ausdruck der Schuldanerkennung. Bitte um Verzeihung - das geht nicht pauschal von der Kanzel herab. Sondern das geht nur konkret: ‚Ich sehe dich, ich sehe dein Leid. Ich bitte um Verzeihung als Vertreter der Institution, die dafür Verantwortung trägt‘: Wir haben das Vertrauen missbraucht“, sagt der Kardinal sehr richtig.

Aber wie es scheint, haben die Herrschaften immer noch sehr wenig kapiert:

Nach etlichen Monaten hakte die Frau nach, will den Stand der Dinge wissen. Der Beauftragte der Erzdiözese ruft zurück. Ihr würde vierstelligen Betrag überwiesen. Wobei er betont, dass das „freiwillig“ sei.

Warum wird das explizit betont? Mir fällt kein anderer Grund ein, als die Vermeidung eines Schuldanerkenntnisses im juristischen Sinn. Denn Schamesröte hin – Fassungslosigkeit her, zu teuer soll die tätige Reue dann doch nicht werden. Würde nicht ausdrücklich gesagt, dass es sich um eine freiwillige Zahlung der Erzdiözese handele, könnte das womöglich vor Gericht als Schuldanerkenntnis gewertet werden. Und das könnte Folgen haben.

Zugegeben: ein vierstelliger Betrag ist ein Batzen Geld. Aber die Frau hat allein für die Therapie, die sie aus eigener Tasche bezahlte, wesentlich mehr aufgewandt. Die Belege dafür liegen der Erzdiözese vor. Von all dem andern einmal abgesehen, was viel mehr zu Buche schlägt, sich aber nicht schwarz auf weiß belegen lässt.

Kleiner Exkurs: 2014 gibt die Erzdiözese Köln allein den Wert ihres Immobilienbesitzes mit 612 Millionen Euro an (Die Welt, 27.5.2014), aber das sei nicht vollständig, heißt es in dem Artikel. Auf der aktuellen Seite des Erzbistums wird vier Jahre später der Wert – Sie kommen nicht drauf, auch wenn Sie lange nachdenken – mit 612 Millionen Euro angegeben.

Die Frau fragt Dr. N., sie würde doch sicher noch was Schriftliches erhalten. Der Beauftragte: „Da haben sich ja noch so viele gemeldet, das Gremium hat so viel zu tun“ –„Aber ich hatte mir doch auch im Brief ausdrücklich gewünscht, eine Entschuldigung zu erhalten!“

Der Beauftragte: „…. Aber das müssen Sie doch verstehen. Ich weiß nicht, ob die das schaffen! Sie wohnen ja so weit von Köln entfernt, Sie können ja nicht hierher kommen. Normalerweise machen wir das in einem Gespräch.“

Mal abgesehen davon, dass der Frau ein solches Gespräch nie angeboten wurde, fragt man sich, warum für was Schriftliches die Zeit fehlt, für ein Gespräch anscheinend nicht. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!     

Die Frau beharrt: „Also ich hätte schon gerne einen Brief, das kann doch so nicht sein!“

Herr Dr. N. versichert, er würde das Anliegen weiterleiten und sie solle sich wieder melden, wenn sie nichts weiter höre.

Was ist das für ein Gefühl, wenn man mit Geld abgespeist werden soll? Wenn signalisiert wird „Wie? Immer noch nicht zufrieden? Was denn jetzt noch?“

Wenn vom Opfer Verständnis verlangt wird für die ach so überlasteten Vertreter der „Institution Kirche“, von der sexueller Missbrauch „so oft zugelassen wurde.“

Eine Folge von sexuellem Missbrauch ist die Verwirrung: Kann ich mir trauen? Sind meine Gefühle richtig oder verkehrt? Darf ich fühlen, was ich fühle oder bin ich zu hart, ungerecht?  

Es geht grad weiter….