Die atheistische Allianz und der internationale Atheismus

Bobbie Kirkhart

Text einer Rede von der Tagung "Leitkultur Humanismus und Aufklärung" am 3. Oktober 2005 in Köln

Wie wunderbar, dass ich wieder hier sein darf. Die erste Konferenz, auf der ich als Präsidentin der atheistischen Allianz anwesend war, fand in Speyer vor 3 Jahren statt. Seitdem ist die Allianz sowohl zahlenmäßig als auch in ihren Ausrichtungen gewachsen. Die Herausforderungen, die wir erfolgreich gemeistert haben, sollten uns mit Befriedigung erfüllen, und jene, denen wir uns in der Zukunft noch stellen müssen, sollten uns davor bewahren, uns auf unseren Lorbeeren auszuruhen.

In den letzten drei Jahren hat sich die Welt sehr oder vielleicht auch gar nicht verändert. In den Vereinigten Staaten ist unser "wiedergeborener" Präsident wiedergewählt worden. Die hier Anwesenden haben erfolgreich verhindert, daß Gott Einzug hält in die europäische Verfassung, und zwei sehr weltliche Länder Europas haben den Text dieser Verfassung abgelehnt. Wir haben mitansehen müssen, wie die Götter sowohl für noch nie dagewesene natürliche Zerstörungen verantwortlich gemacht wurden als auch für das Überleben Einzelner inmitten von Leid und Tod.

Ich denke, ein Großteil dieser religiösen Deutungen von Tragödien findet in den USA statt. Dort gibt es z.B. eine wenig bekannte Fernsehmoderatorin namens Star Jones, die ihren Fans versicherte, dass der Tsunami im indischen Ozean im vergangenen Dezember sich so lange herauszögerte, bis sie die Gegend, in der sie ihre Flitterwochen verbrachte, verlassen hatte. Und einige Pastoren wissen, dass die amerikanische Golfküste nur wegen der Sünden ihrer Bewohner den Zorn Gottes zu spüren bekam. Einige sind sogar überzeugt, dass die gesamte Zerstörung auf das Konto einer lesbischen Ulknudel geht, die in New Orleans beheimatet ist. Das ist das Wunderbare am Leben in den USA: die Dinge sind immer so einfach.

Etwas komplizierter geht es in Kamerun zu, wo der Gründer der Freidenker-Bewegung, Alex Mbom, sich in der Hoffnung versteckt hält, nach Nigeria fliehen zu können. Er wurde verhaftet, ohne Anklage festgehalten und vor kurzem sogar zusammengeschlagen und seiner Freidenker-Materialien beraubt. Die atheistische Allianz versucht nun, ihm die Flucht zu ermöglichen.

Dies alles ist noch komplizierter in Indien, wo unser Reiseführer, ein Moslem, sich für die lange Schlange vor der Sicherheitskontrolle entschuldigte. "Die Sikhs verursachen all diese Probleme", erklärte er. "Religion ist eine gute Sache, außer was die Sikhs betrifft. Die machen immer Ärger." Ich habe ihm nicht gesagt, wie viele Menschen ich kenne, die genau das von Muslimen behaupten würden.

Wir waren in Indien anläßlich der fünften atheistischen Weltkonferenz, die vom atheistischen Zentrum Indiens veranstaltet wurde, einer Institution, die "all diese Probleme" bekämpft, die von den Sikhs, den Moslems, den Hindus, den Christen, und ja, auch den Buddhisten seit einem halben Jahrhundert verursacht werden. Es war mir eine Freude, die Tsunami Katastrophe dort mit einem Scheck von der atheistischen Allianz lindern zu helfen. Ich hoffe, wir werden in naher Zukunft die ständige Unterstützung für ihre gute Arbeit wiederaufnehmen können, aber in diesem Jahr machten die Bedürfnisse anderer eine ständige Unterstützung einzelner Gruppen unmöglich.

Ich habe mich auch gefreut, dass ich im Namen der atheistischen Allianz 6.000 Kondome auf die Tai Solarin Konferenz in Nigeria mitnehmen konnte. Am Tag unserer Ankunft warnte der Bischof noch vor der Ineffektivität von Kondomen. Der nigerianischen humanistischen Bewegung gebührt Lob für ihre wunderbare Arbeit im Kampf gegen Irrationalität in einem Land, in dem sich Christen und Moslems systematisch töten. Diese beharrlichen Rationalisten der nigerianischen Humanistengemeinde sind jetzt - da wir ihnen dank einer großzügigen Spende Geld für einen Computer schicken konnten - noch effektiver.

Dennoch, das Leben ist kompliziert in Nigeria, so z.B. für ein 16-jähriges Mädchen, das meinen Rat suchte. "Mein Vater versteht mich einfach nicht", sagte sie. Ich dachte an die Jugendlichen, die ich kannte; an Stubenarrest und Freunde mit langen Haaren; an die Auseinandersetzungen eben, die Heranwachsende mit ihren Eltern so haben. "Er versteht nicht, dass ich keine Muslimin sein will", fuhr sie fort, und in meinen Gedanken sah ich ein unglückliches Leben, geprägt durch Unterdrückung und Unterordnung.

Ich hoffe sehr, Sie werden an diese Menschen und ihre Lebensbedingungen denken und unseren internationalen Hilfsfonds unterstützen. Die meisten unserer Organisationen befinden sich in den USA, wo auch der Hauptteil unserer Arbeit stattfindet. Obwohl ich mir sicher bin, dass Sie mit mir dahingehend übereinstimmen, dass es dort noch viel zu tun Arbeit gibt, meinen Europäer zu Recht, dass Amerikaner für ihren eigenen Kampf bezahlen können. Ich wünschte dennoch, Sie ließen uns Informationsmaterial zukommen, denn die meisten Amerikaner leben - was den Rest der Welt angeht - in Finsternis und sind oft überrascht, dass der Evolutionsgedanke hier in Deutschland nicht als kontrovers gilt. In meiner Fantasie sehe ich europäische Missionare, die eines Tages in die USA reisen werden, an den Straßenecken unserer Städte den Evolutionsgedanken predigen und dabei Kondome an alle verteilen, die sie brauchen. Doch bis es soweit ist, würde ich mich sehr freuen, wenn unsere europäischen Gruppen zu unserem internationalen Fond beisteuern könnten, von dem aus das Geld an diejenigen verteilt wird, über die ich heute hier gesprochen habe.

Sich für eine Welt der Vernunft stark zu machen, ist überall auf der Welt ein ewiger Kampf. Dabei drehen sich die Schlachten sehr wohl um die Gedanken, aber anders als religiöse Vereinigungen, wollen wir die Gedanken der Menschen nicht einengen oder besitzen. Im Gegenteil: wir kämpfen dafür, dass eines Tages jeder Einzelne das Recht auf und die Verantwortung für das eigene Gewissen haben kann, und dass alle von uns mit Stolz das deutsche Lied "Die Gedanken sind frei" anstimmen können.

Ich hoffe, Sie werden dieses Lied mit mir im nächsten Juni in Island singen, wenn die erste offizielle internationale Konferenz der atheistischen Allianz stattfindet (angemessenerweise genau dort, wo die Kontinente Europas und Nordamerikas aufeinandertreffen). Falls Sie noch nicht in Island waren, müssen Sie unbedingt hinfahren. Die Erde hat dort Feuer gefangen, genau wie die Menschen in Europa und Nordamerika, die voll Stolz auf ihre gewonnene Freiheit blicken und mit Zuversicht und Leidenschaft einer größeren Freiheit, für die wir beharrlich kämpfen, entgegenschauen.