Aufforderung zur Annullierung der Berliner Protokolle

Beilage zu MIZ 3. Jahrgang Nr.2/1974

An die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses, nachrichtlich an die Mitglieder des Deutschen Bundestages.

Aufforderung zur Annullierung der "Vereinbarung über die Regelung gemeinsam interessierender Fragen zwischen dem Berliner Senat einerseits und der evangelischen und katholischen Kirche andererseits" vom 2. Juli 1970.

Am 2. Juli 1970 wurden nach siebenjährigen Verhandlungen zwischen dem Berliner Senat und Kirchenvertretern Protokolle unterzeichnet, die die Beziehungen zwischen Staat und Kirche auf eine neuartige Grundlage stellen, die dem Prinzip der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates widerspricht. Die Protokolle sind den Fraktionen des Abgeordnetenhauses lediglich nach Fertigstellung des Vertragstextes zur Kenntnis gebracht und vom Parlament nicht ratifiziert worden.

In Punkt 1 der Vereinbarung wird die Zahlung staatlicher Zuschüsse für den Religionsunterricht sichergestellt. Allein die katholische Kirche erhielt im Jahre 1970 für den Religionsunterricht rund 1,2 Millionen Mark, 1974 sind bereits rund zwei Millionen Mark für den katholischen Religionsunterricht eingeplant, bei ständig steigender Zahl der Kirchenaustritte und Abmeldungen vom Religionsunterricht.

In Punkt 2 wird das Fach Religion als zweites Wahlfach in der Lehrerausbildung eingeführt, obwohl der Religionsunterricht in Berlin nicht ordentliches Lehrfach ist. Die Prüfung erfolgt durch kirchliche Beauftragte und wird staatlich anerkannt, das heißt, der Staat verzichtet freiwillig auf seine Kontrollfunktion, die ihm durch Artikel 7 GG zugewiesen ist.

Punkt 3 führt anstelle der linearen Erhöhung der Zuschüsse für kirchliche Privatschulen - wie Internatsschulen, integrierte Gesamtschulen, Sonderschulen und künftige Schultypen - die "Bezuschussung unter dem Grundgedanken der pädagogischen Wertigkeit" ein, das heißt eine Bezuschussung bis zu 100 Prozent der Personalkosten. (Die Zuschüsse des Landes Berlin für die katholischen Konfessionsschulen werden im Jahre 1974 die Acht-Millionen-Mark-Grenze überschreiten.)

Punkt 5 stellt der Erwachsenenbildung beider Kirchen neben dem bis dahin gezahlten Zuschuß für die evangelische Akademie zusätzliche Mittel zur Verfügung.

Punkt 6 verpflichtet das Land Berlin zur Zahlung von Zuschüssen für die kirchliche Ehe- und Familienarbeit.

Punkt 7 anerkennt die Kirchliche Hochschule der evangelischen Kirche als "wissenschaftliche Hochschule" und sichert ihr aufgrund dieses neu erworbenen Titels statt der bisherigen staatlichen Rückvergütung von 33 1/3 Prozent des Personalaufwandes eine stufenweise Erhöhung des Zuschusses im Verlauf der nächsten Jahre zu.

In Punkt 8 wird der Theologisch-Pädagogischen Akademie der katholischen Kirche ein Zuschuß von einem Drittel des Personalaufwandes gewährt.

Punkt 9 legt hinsichtlich der sogenannten Staatsleistungen an die Kirchen und der Zuschüsse für die Tätigkeit der Kirchen auf kulturellem Gebiet den Abschluß von Verwaltungsvereinbarungen fest. (Staatsleistungen sind Zuschüsse für kirchliche Verwaltungsaufgaben, Pfarrbesoldung, Besoldung der Strafgefangenen-Seelsorger und andere Versorgungsleistungen. Sie betrugen 1970 DM 7 976 010 für die evangelische, DM 1 031 190 für die katholische Kirche.)

Angesichts der im Grundgesetz verankerten Trennung von Staat und Kirche sind die Bestimmungen der Berliner Protokolle auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen.

Der Bund der Konfessionslosen e.V., Ortsverein Berlin, fordert die Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin und die Mitglieder des Deutschen Bundestages auf, darauf hinzuwirken, daß die undemokratischen Regelungen der Vereinbarung vom 2. Juli 1970 annulliert werden.

Darüber hinaus fordert der Ortsverein Berlin des BDK Steuerrückvergütung für die konfessionslosen Staatsbürger oder Staatszuschüsse an deren Vereinigungen, solange die Steueraufkommen der Konfessionslosen als Zuwendungen des Staates an die Kirchen mitverwendet werden.

Bund der Konfessionslosen e.V., Ortsverein Berlin, den 2. Mai 1974.

Antwort der F.D.P.-Fraktion

An den Bund der Konfessionslosen e.V., Ortsverein Berlin

Sehr geehrte Damen und Herren! Im Namen der F.D.P.-Fraktion bestätige ich dankend Ihr Schreiben vom 2. Mai 1974, mit dem Sie sich für eine Auflösung der Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Senat von Berlin und den beiden großen christlichen Kirchen einsetzen.

Die F.D.P. hat sich in der letzten Zeit eingehend mit dem Verhältnis Kirche und Staat auf Bundesebene beschäftigt, wie Ihnen aus der Presse bekannt sein dürfte. Wir treten für eine Trennung von Kirche und Staat ein und sind der Auffassung, daß die Kirchensteuergesetze durch ein kircheneigenes Abgabesystem zu ersetzen sind. Die Frage der Beziehungen zwischen Kirche und Staat wird auf einem der nächsten Bundesparteitage der F.D.P. einheitlich für die gesamte F.D.P. entschieden. Entsprechende Anträge werden voraussichtlich schon den Berliner Landesparteitag der F.D.P. am 17. Mai 1974 beschäftigen. Hierbei wird auch die Frage der Revision der Verwaltungsabkommen eine wichtige Rolle spielen müssen.

Nach meiner persönlichen Auffassung dürften den Kirchen nur für solche Zwecke Mittel aus dem Staatshaushalt zufließen, für die auch andere "freie Träger", d.h. Private im weitesten Sinne, staatliche Zuwendungen erhalten.

Mit freundlichen Grüßen, Alexander von Stahl, Geschäftsführer der F.D.P.-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.

Berlin, den 9. Mai 1974.

Antrag der Berliner Jungdemokraten

"III. Darüber hinaus fordert der Landesparteitag die Aufhebung der Vereinbarung zwischen Senat einerseits und katholischer und evangelischer Kirche andererseits vom 2. Juli 1970. Diese Vereinbarung wurde ohne Mitwirkung des Parlaments getroffen und ist bis heute noch nicht veröffentlicht worden. Der Senat hat damals den Kirchen Zugeständnisse gemacht, die eine Verletzung der weltanschaulichen Neutralität des Staates darstellen (z. B. Anerkennung von Religion als 2. Wahlfach) und erhebliche Konsequenzen für die Verwendung öffentlicher Mittel (überdurchschnittliche Erhöhung staatlicher Zuschüsse) haben." (Aus dem Antrag der Berliner Jungdemokraten an den 29. Landesparteitag. Abstimmungsergebnis vom 18. Mai 1974: 128 Stimmen für den Antrag, 91 dagegen, 11 Enthaltungen.)