§166 - Der Ermittlungsausschuß informiert

Aus: MIZ 4/94

Kaum war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bekannt geworden, daß die Äußerung der banalen Wahrheit, daß Soldaten Mörder sind, als Zitat geäußert nicht immer automatisch strafbar ist, schon brach ein Sturm der Entrüstung los. Zum Schutze der Soldaten (natürlich nur jener, die ihre Opfer im Kampf für Frieden und Freiheit massakrieren) müsse ein eigener Strafrechtsparagraph her, der den Mißbrauch der freien Meinungsäußerung unterbinde. Diese Forderung ertönt nicht zum ersten Mal (vgl. MIZ 3-4/89) und wird sich wohl auch so schnell nicht durchsetzen lassen. Wie gut haben es da doch die Kirchen, für deren Schutz es mit dem §166 StGB seit jeher ein eigenes Zensurinstrument gibt.

Nachdem in den letzten Jahren zumeist Freisprüche und Verfahrenseinstellungen zu vermelden waren, mußten wir im letzten Heft von einem überraschenden Erfolg der Zensoren berichten. Durch zwei Instanzen hindurch wurde das Verbot des Rock-Comicals Das Maria-Syndrom aufrechterhalten. Ob dies eine Trendwende bedeutet und nach dem Demonstrations- und dem Asylrecht ein weiteres Grundrecht unter Beschuß genommen werden soll, ist noch nicht abzusehen. Die Nachrichten aus Österreich, wo erstmals seit langem wieder ein Prominenter mit dem "Gotteslästerungs"paragraphen belangt wurde, stellen unsere bisherige Einschätzung, der §166 sei aufgrund des Wertewandels am Ende, jedenfalls in Frage (vgl. MIZ 1/94).

Köln

Comic erregt Ärgernis

Im Februar erregte ein im Schaufenster der Kölner Bismarck-Galerie ausgestellter Comic das Generalvikariat des Erzbistums so heftig, daß Strafanzeige wegen der Beschimpfung eines Bekenntnisses gestellt wurde. Zu sehen war eine Figur des französischen Zeichners Maesters, die Nonne Schwester Maria Theresia. Die heilige Frau ist just dabei nachzuschauen, was ein gemeinhin bekannter heiliger Mann denn unter seinem Lendenschurz versteckt. Wahrscheinlich hat die Vasallen des Kardinals Meisner besonders empört, daß der Mann an ein Kreuz genagelt war und sich deshalb des sexistischen Angriffs nicht erwehren konnte - jedenfalls sahen sie den öffentlichen Frieden gefährdet.

Anfangs ließ die Staatsanwaltschaft (unter Hinweis auf den Freispruch im "Tünnes-Prozeß") verlauten, sie sehe wenig Aussichten, daß es zu einer Anklageerhebung komme, doch Amtsrichterin Nagel schloß sich der katholischen Auffassung an und ordnete die Beschlagnahmung der Kunstdruckausgabe des anstößigen Bildes an. Bei den Überlegungen des Gerichts spielte es offenbar keine Rolle, daß der Comic seit 1986 auf dem Markt ist und in Deutschland bereits in mehreren tausend Exemplaren verkauft wurde. Ebensowenig wurde berücksichtigt, daß das Bild ein halbes Jahr im Fenster der Galerie stand, ohne daß es irgendjemanden - geschweige denn den öffentlichen Frieden - gestört hätte. Vielmehr kann als wahrscheinlich gelten, daß die Justiz dem Druck der Kirche nachgegeben hat, da unmittelbar nach Bekanntwerden des Vorfalls weitere Anzeigen eingingen. Da diese teilweise völlig identisch waren, kann davon ausgegangen werden, daß es sich um eine gesteuerte Aktion handelte, die eine aufgewühlte Öffentlichkeit suggerieren sollte.

Trotzdem wurde vorerst nichts beschlagnahmt; wochenlang blieb Schwester Maria Theresia im Schaufenster zu sehen. Denn als der zuständige Staatsanwalt bemerkte, daß die Beschlagnahmung gefilmt werden sollte, zog er es vor, unverrichteter Dinge wieder abzuziehen. Nach einigem juristischen Hin und Her rückten Mitte April dann aber Beamte der Abteilung Staatssicherheit der Kölner Kriminalpolizei an und stellten das Bild und einen Comic des gleichen Zeichners als "Beweismittel" sicher. Für den 24. November steht dem Galeristen nun ein Prozeß ins Haus.

Quellen: Bonner Rundschau vom 26.2.1994; dpa-Meldung vom 28.2.1994; taz vom 11.6.1994; Kölner Stadtanzeiger vom 21.9.1994.

Wien

Freispruch für "Habsburg Recycling"

Mit einem Freispruch endete vor dem Bezirksgericht Wien-Hernals das Verfahren gegen zwei Mitglieder der Theatergruppe Habsburg Recycling, die in ihrer Neuevangelisierungstour '93 Bibelzitate, Bischofsworte und Kirchenlieder zu einer satirischen Collage verarbeitet hatten. Daraufhin hatte der Generalsekretär des Katholischen Familienverbandes Anzeige wegen Verstoß gegen den §188 erstattet (vgl. MIZ 3/93).

Die Richterin sah den Tatbestand der Verhöhnung der Religion zwar als gegeben an, den Schuldspruch verhinderte aber die Freiheit der Kunst, die rechtlich höher anzusetzen sei. Da die Kabarettisten Thomas Gratzer und Harald Posch für ihr Stück historische Fakten recherchiert und diese anschließend zu einer Groteske verfremdet hätten, könne ihnen künstlerisches Bemühen nicht abgesprochen werden. Das Gericht schloß sich damit der Auffassung des Gutachters der Verteidigung an, der an einigen Fallbeispielen aufgezeigt hatte, daß die Neuevangelisierungstour '93 so heftig gar nicht übertreiben mußte, um die grotesken Effekte zu erzielen. So gesehen hatten sich die anzeigeerstattenden Katholiken über ihre eigene, nicht aufgearbeitete Geschichte echauffiert.

Quellen: Kurier vom 29.3.1994; Salzburger Nachrichten vom 29.3.1994; Standard vom 30.3.1994

Wien

Hohe Geldstrafen

"Die Kunst hat nicht die Freiheit, schrankenlos Unsinn zu verkünden", meinte Richter Bruno Weiß und verurteilte den Karikaturisten Manfred Deix und den Herausgeber der Zeitschrift Profil, Hubertus Czernin, wegen Herabwürdigung religiöser Lehren zu Geldstrafen von jeweils 56.000 Schilling. Objekt des Anstoßes war ein im Mai 1993 in der Zeitschrift erschienener dreiteiliger Cartoon, der Jesus als "Frauenfreund und Schürzenjäger", "notorischen Störenfried" und "einen Menschen wie du und Ich" zeigte und mit folgendem Text versehen war: "Neueste Buchveröffentlichungen wollen uns allen Ernstes glauben machen, daß Jesus Christus ganz anders war, als ihn die Kirche bislang präsentiert hat - eine Infamie sondergleichen". Dies brachte dem Zeichner und dem presserechtlich verantwortlichen Herausgeber gleich drei Strafanzeigen ein; neben dem Sekretariat der österreichischen Bischofskonferenz fühlten sich auch der oberösterreichische Porno-Jäger Humer und die Sammelbewegung österreichischer Monarchisten gedrängt, nach dem Staatsanwalt zu rufen.

Vor dem Landgericht Wien fand Mitte Juni dann der Prozeß statt, der mit der Verhängung einer der höchsten uns wegen "Gotteslästerung" bekannt gewordenen Geldstrafen endete. Bedenklich wird die Angelegenheit dadurch, daß Richter Weiß sich vor zehn Jahren anläßlich des bis heute gültigen Verbots des Achternbusch-Films Das Gespenst schon einmal zum §188 geäußert hatte. Damals meinte er, der Tatbestand sei für die Rechtssprechung ungeeignet, er sei "nicht judizierbar". Die Frage, was Kunst sei, solle nicht in den Bereich der Entscheidungen von Gerichten fallen. Offensichtlich hat der Richter seine Meinung geändert. Der Verteidiger von Czernin und Deix hat mittlerweile Berufung gegen das Urteil eingelegt.

Quellen: Profil vom 20.6.1994; Mitteilung des Freidenkerbunds Österreichs vom 10.8.1994