Verfassungsentwurf von PDS/Linke Liste

"Korrektur von antiquierten verfassungsrechtlichen Regelungen über das Verhältnis von Staat und Kirche"

Verfassungsentwurf von PDS/Linke Liste

Aus: MIZ 4/94

Bündnis 90/Die Grünen und die F.D.P. haben die Trennung von Staat und Kirche mehr oder weniger in ihr Programm aufgenommen. Weniger bekannt hingegen ist, daß auch die PDS in ihrem Verfassungsentwurf1 eindeutig zu diesem Thema Stellung bezieht. Nachstehend geben wir die betreffenden Stellen des Papiers im Wortlaut wieder.

"Der vorliegende Verfassungsentwurf der Gruppe der PDS/Linke Liste im Deutschen Bundestag übernimmt viele Regelungen des Grundgesetzes. Er sieht sich in der Tradition des Verfassungsentwurfs des 'runden Tisches' und des Kuratoriumsentwurfs. Er folgt in vielem den strukturellen Lösungen und den Detailregelungen der neuen Verfassung für das Land Brandenburg. (...) Ausgangspunkt ist damit die Anerkennung jedes Menschen und die Fixierung sowohl von Freiheitsrechten als auch von Teilhaberechten auf allen Ebenen, um die Monopolisierung politischer Macht und bürokratischer Entscheidungsvorgänge abzubauen. Die Gruppe der PDS/Linke Liste sieht aus dieser Sicht grundlegenden Reformbedarf insbesondere in zwölf Bereichen.2 (...) Zwölftens geht es um die Korrektur von antiquierten verfassungsrechtlichen Regelungen über das Verhältnis von Staat und Kirche.3

(..)

Neufassung der staatskirchenrechtlichen Regelungen

In Übereinstimmung mit dem Antrag der Gruppe Bündnis 90/Die Grünen an die Gemeinsame Verfassungskommission (Kommissionsdrucksache 89 des GVK) setzt sich die Gruppe der PDS/Linke Liste in ihrem Verfassungsentwurf für eine verfassungsrechtliche Neufassung der staatskirchenrechtlichen Regelungen ein, die als 'Relikt aus vordemokratischer Zeit' (Wolfgang Ullmann) anzusehen sind.

Zum einen tritt sie dafür ein, daß in einer neuen deutschen Verfassung die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit, wie bereits im geltenden Verfassungsrecht, ohne jegliche Schranken gewährt wird und institutionelle Garantien den Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften eine unantastbare Stellung sichern. Zum andern geht sie konform mit den Bestrebungen, die vor allem in Artikel 140 des Grundgesetzes inkorporierten staatskirchlichen Normen der Weimarer Reichsverfassung, die den Erhalt überkommener Privilegierungen absichern, aufzuheben.

Die bisherige Verfassungsordnung geht davon aus, daß Deutschland ein ausschließlich christliches Land sei. Mittlerweile haben sich in erheblichem Umfang andere Religionen ausgebreitet. Vor allem hat der Anteil der kirchenfreien Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen. Bereits vor der Vereinigung betrug er in Westdeutschland 16 Prozent. In Ostdeutschland bewegt er sich auf 70 Prozent zu. Viele christliche Gläubige sehen in der Verklammerung mit dem Staat ein Hindernis für den Erfolg ihrer Arbeit.

Verzichtet wird im Entwurf mit der Aufhebung der staatskirchenrechtlichen Bestimmungen nach Artikel 140 des Grundgesetzes auf eine Regelung des Religionsunterrichts in den Schulen, die den Kirchen eine halbstaatliche Rolle zuweist und im Gegensatz zu dem geltenden Verfassungsprinzip steht, es gebe keine Staatskirche. Beseitigt werden soll damit auch das mit dem Einigungsvertrag auf ganz Deutschland ausgedehnte Kirchensteuersystem, das die Großkirchen gegenüber anderen Religions- und Bekenntnisgemeinschaften unzulässig privilegiert.

Schließlich ist die unter Berufung auf Artikel 140 des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht als rechtens erklärte arbeitsrechtliche Sonderstellung der Kirchen abzuschaffen. Diese Sonderstellung von Einrichtungen der evangelischen und katholischen Kirche, in denen etwa eine Million Arbeiter und Angestellte beschäftigt sind, äußert sich in krassen rechtlichen Benachteiligungen für die in diesen Einrichtungen Beschäftigten. Es gibt für die Arbeiter und Angestellten kirchlicher Einrichtungen nicht die Möglichkeit, frei über ihre Religionszugehörigkeit zu entscheiden. Die Gewerkschaften haben kein Zugangsrecht zu kirchlichen Einrichtungen. Es besteht keine Möglichkeit, über die Gewerkschaften Tarifverträge abzuschließen. Es ist bereits ein Grund für eine außerordentliche Kündigung, wenn eine bei der Caritas beschäftigte Krankenschwester einen geschiedenen Mann heiratet. Eine Abkoppelung vom Betriebsverfassungsgesetz und von staatlicher Gerichtsbarkeit sowie eingeschränkte Mitbestimmungsmöglichkeiten machen die Beschäftigten kirchlicher Einrichtungen zu Arbeitnehmern zweiter Klasse. Artikel 40 Abs. 1 Satz 3 des Verfassungsentwurfes bestimmt deshalb ausdrücklich: 'Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kirchen und Religionsgemeinschaften gilt das allgemeine Arbeits- und Sozialrecht.'4

(...)

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(3) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung zu offenbaren.

(4) Niemand darf zur Teilnahme an einer religiösen oder weltanschaulichen Handlung oder zur Benutzung einer religiösen Eidesformel gezwungen werden.

(5) Gewissensprüfung ist ausgeschlossen.5

(...)

(1) Jeder Mensch hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift, Zeichen und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen oder anderen, rechtmäßig erschließbaren Quellen ungehindert zu unterrichten. Niemand darf daran durch ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis gehindert werden.6

(...)

(1) Die Freiheit der Kirchen und Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Sie ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken der Verfassung und der für alle geltenden Gesetze. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kirchen und Religionsgesellschaften gilt das allgemeine Arbeits- und Sozialrecht.

(2) Staat und Kirche sind getrennt.

(3) Einrichtungen und Handlungen der Kirchen und Religionsgemeinschaften dürfen nicht zu parteipolitischen Zwecken mißbraucht werden.

(4) Kirchen und Religionsgemeinschaften sind gleichgestellt, ebenso Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.

(5) Kirchen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften genießen die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.7

(...)

(1) Alle Bürgerinnen und Bürger haben in jedem Lande die gleichen Rechte und Pflichten im Verhältnis zur öffentlichen Gewalt.

(2) Die Wahrnehmung dieser Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von politischen oder religiösen Anschauungen. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen (...)"8

Anmerkungen: