§ 166 - Der Ermittlungsausschuß informiert

Aus: MIZ 3/96

Was ist in Deutschland eines jeden guten Demokraten erster Gedanke, wenn ein neues Medium aufkommt? Es muß ordentlich kontrolliert werden. Stimmt nun die Antwort nicht oder sind jene Christdemokraten, die das neue Telekommunikationsgesetz auf den Weg gebracht haben, so demokratisch nicht? Jedenfalls wird das Internet von der Politik derzeit in erster Linie unter dem Aspekt diskutiert, wie es denn am besten zurückgestutzt werden könnte; die Einfälle reichen vom Zugriff auf KundInnenadressen über Abhöraktionen bis hin zum Verbot, verschlüsselte Nachrichten zu schicken. Einen Fall von multimedialer "Gotteslästerung" können wir indes noch nicht bieten.

Dafür gibt es von den "alten" Medien eine Menge zu berichten; der seit einiger Zeit beobachtete Trend, daß Religionskritik wieder verstärkt zensiert wird, hat sich fortgesetzt. Einige Verfahren laufen noch, ohne daß sich etwas neues ergeben hätte; hinzugekommen ist ein weiteres Präventivverbot, diesmal aus dem Bereich Rundfunk. Außerdem läuft gerade ein weiteres Ermittlungsverfahren an: ein Fotograf hatte im Kölner Dom Adam & Eva abgelichtet, was aufgrund des nun mal dazugehörigen "Kostüms" bei den Kirchenverwaltern nicht so gut ankam (ein ausführlicher Bericht folgt in der nächsten Nummer).


Hagen

Zensur im Bürgerfunk

Über die Versuche privater Radioanstalten, kirchenkritische Sendungen aus dem Bürgerfunk zu drängen, hat MIZ bereits mehrfach berichtet (MIZ 3/95 und 3/94). In den letzten Monaten ist die Situation nun eskaliert, bei Redaktionsschluß lag der letzte gesendete IBKA-Beitrag bereits fast ein halbes Jahr zurück. War die Zensur bis dato zumeist formal begründet worden, wird jetzt auch ganz offen mit dem nicht genehmen Inhalt argumentiert: erstmals wurde ein Beitrag unter Hinweis auf den § 166 StGB abgelehnt. Getroffen hat es die Radiogruppe "Bürger für ein selbstbestimmtes Leben", eine regionale Arbeitsgemeinschaft des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten und der Freigeistigen Ortsgemeinschaft Hagen. Als sie am 3. April von "Ritualen, Ersatzritualen und Ritualmonopolen" berichten wollte, verweigerte Radio Hagen die Ausstrahlung und legte die Aufnahme der entscheidungsbefugten Landesrundfunkanstalt (LfR) zur Prüfung vor. In einem Bescheid vom 17. Juli hat die nun entschieden, daß die Ablehnung durch den Radiosender "statthaft" war.

In seinen Mitteln, die religionskritischen Anbieter zu blockieren, ist Radio Hagen dabei nicht zimperlich. In der Begründung der Ablehnung der Ausstrahlung wurden zwei von vier inkriminierten Stellen offensichtlich bewußt falsch zitiert, um den Text "schärfer" erscheinen zu lassen. Die ganze Argumentation läßt deutlich erkennen, daß den Sender keineswegs rechtliche Bedenken motivierten, sondern allein die Abneigung gegen die vertretenen Inhalte. Die LfR hat denn auch fast alle der formalen und inhaltlichen Einwände als unbegründet und rechtlich fehlerhaft zurückgewiesen; in einem Fall jedoch gab sie dem Sender recht und das reichte, um den Beitrag für absehbare Zeit auf Eis zu legen. Beanstandet wurde der Satz "Nichts am Christentum ist originell, noch nicht einmal seine Verbrechen". Nach Meinung der LfR verletzt die Äußerung "die christlichen Kirchen in der Bundesrepublik sowie deren Mitglieder in besonders grober Weise und stellt damit eine Beschimpfung dieser Religionsgemeinschaft dar, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören (§ 166 StGB)". Denn da in dem betreffenden Abschnitt "nicht zwischen Geschehnissen der Vergangenheit und solchen der Gegenwart differenziert" werde, treffe jener Vorwurf der Begehung von Verbrechen auch "die Kirchen in ihrer heutigen Konstitution und Wirkung" (Hervorhebung im Original). Hierin sei eine Diffamierung kirchlicher Amtsträger wie einfacher Kirchenmitglieder zu sehen und somit ein Verstoß gegen den § 166 StGB.

Diese Argumentation dürfte kaum haltbar sein; denn wenn Karlheinz Deschner für die Auffassung, die Kirchen seien die größte Verbrecherorganisation aller Zeiten, sogar in klerikalen Bayern nicht belangt wurde (das Verfahren wurde seinerzeit eingestellt, vgl. MIZ 1/88 und 4/88), kann die viel zurückhaltendere Aussage der nordrhein-westfälischen Radiogruppe kaum strafbar sein. Christian Brücker, Sprecher des IBKA-Landesverbandes NRW hat dementsprechend auch schon Widerspruch angekündigt.


Trier

Urteilsbegründung zum Maria-Syndrom

In Sachen Maria-Syndrom liegt nun die Urteilsbegründung vor. Anfang März war die Feststellungsklage des Veranstalters gegen das Aufführungsverbot der Stadt Trier vom Verwaltungsgericht abgewiesen worden. Die Richter stellten sich auf den Standpunkt, vom Spruch des Eilverfahrens "abzuweichen hat weder der ... Vortrag der Beteiligten noch die im Hauptsacheverfahren naturgemäß intensivere Beschäftigung mit dem Gesamtkunstwerk Veranlassung gegeben".

Worin die "intensivere Beschäftigung" bestanden haben könnte, bleibt freilich unklar. Denn in der Sache wird nichts Neues ausgesagt, sondern lediglich aus dem Urteil zitiert, das den Widerspruch gegen die seinerzeitige "Ordnungsverfügung" der Stadt zurückgewiesen hatte. Obwohl der Autor Michael Schmidt-Salomon in der Verhandlung ausdrücklich betont hatte, es handele sich beim dem Stück um eine Hommage an den Rockmusiker Frank Zappa, die nur als Gesamtkunstwerk gewürdigt werden könne, hat sich das Gericht damals wie diesmal auf einzelne, aus dem Zusammenhang gerissene Textpassagen gestützt, die während der Vorabberichterstattung veröffentlicht worden waren. Gesehen hat das Rock-Comical niemand (auch die Richter nicht, die sich ein Urteil darüber erlauben), und nach der jetzigen Entscheidung wird es wohl auch noch eine Zeit lang so bleiben.

Das Verbot des Maria-Syndroms wird damit begründet, daß "auch die Kunst die im Begriff der öffentlichen Sicherheit vereinigten Rechtsgüter des Bestandes des Staates und seiner Einrichtungen, des Schutzes von Leben, Gesundheit, Freiheit und Ehre des einzelnen sowie des rechtlich geschützten Vermögens Dritter nicht gefährden darf". Dies sei aber dann der Fall, wenn Straftaten zu befürchten seien und eine solche hätte die verhinderte Aufführung dargestellt. Die grundgesetzlich geschützte Freiheit der Kunst könne nicht zur Anwendung kommen, weil aus den bekannten Zitaten ein Maß an Mißachtung christlicher Glaubensvorstellungen spreche, "das nicht mehr im Bereich künstlerisch-satirischer Kritik angesiedelt werden kann". Darüberhinaus vermöge die Kammer "einen nachvollziehbaren Ansatz zur Kritik ... in der geschilderten Handlung nicht zu erkennen". Da zudem im Programmheft davon die Rede war, daß die Kirche "eine der größten Verbrecherorganisationen der Menschheitsgeschichte" darstelle, müsse angenommen werden, daß das Stück "gegenüber den Anhängern der katholischen Kirche ein Klima der Intoleranz" hervorzurufen geeignet sei. Die dieser Einschätzung widersprechende Aussage des Autors, er habe mit seinem Werk vor allem die destruktiven Kräfte von Religionen zeigen und ihnen den Gedanken der Toleranz entgegensetzen wollen, fand im Urteil keine Berücksichtigung.

Trier scheint kein gutes Pflaster für Religionskritik zu sein. Schon in den 1950ern gab es an der Mosel einige besonders gottesfürchtige Juristen, die Arno Schmidt wegen seines Romans "Seelandschaft mit Pocahontas" mit dem § 166 StGB verfolgten (beanstandet wurden damals so aufsehenerregende Wendungen wie "Das bigotte Rheinland"). Auch damals wurde schlicht der Kunstcharakter des Werkes bestritten. Leider brauchten die Literaturexperten von Trierer Amtsgericht ihrerseits zu lange, um eine Anklageschrift zu formulieren; als sie diese fertig hatten, wohnte Schmidt bereits seit einem halben Jahr in Darmstadt. Und da die zuständigen Staatsanwaltschaften (der Text war in einer Zeitschrift erschienen, so daß zunächst an mehreren Orten ermittelt wurde) die Erfolgsaussichten anders beurteilten als ihre Trierer Kollegen, wurde das Verfahren eingestellt.

Quellen: Urteil des Verwaltungsgerichts Trier, Az 1 K 1829/94.TR; Trierischer Volksfreund vom 20.3.1996.


Fürth

Ermittlungen wegen Flugblatt zum Luther-Jahr

Auch beim langjährigen Geschäftsführer des Bundes für Geistesfreiheit Nürnberg und Erlangen, Hermann Kraus, hat jetzt die Justiz zugeschlagen. Der in Fürth lebende Diplomvolkswirt zeichnete presserechtlich verantwortlich für ein u.a. vom Bund für Geistesfreiheit Erlangen und der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner/innen (DFG-VK) Nürnberg herausgegebenes Flugblatt mit dem Titel: Luther der "große Reformator" - antisemitisch, frauenfeindlich, antihumanistisch.

Darin hieß es u.a.: Und wenden wir uns gegen die entsprechenden, bereits zum 3. Mal in unserem Jahrhundert angelaufenen deutschen Kriegseinsätze, nun der Bundeswehr mit wie gehabt militärseelsorgerischer Unterstützung durch die Kriegskirche - im Gegensatz zu Friedenskirchen wie z.B. die Quäker. Wie zu Beginn der Nazi-Zeit die Juden, so werden heute unsere ausländischen Bürgerinnen und Bürger, die in der reichen Bundesrepublik Asyl suchen, gejagt. Beherzigen wir die Aufforderung des 1939 emigrierten jüdischen Nürnbeigers Meier Schwarz: 'Schweigt nicht, schreit! Auch die Nazis hatten Angst vor denen, die schreien'.

Das reichte dem Amtsgericht Nürnberg, gegen Hermann Kraus ein Ermittlungsverfahren nach § 166 StGB einzuleiten und die Durchsuchung seiner Wohnung einschließlich der dort befindlichen Geschäftsräume, Nebenräume, wie Keller, Dachböden, Garagen u.ä. und der Person sowie der von ihm geführten Kraftfahrzeuge, wie es im Behördendeutsch heißt, anzuordnen. Die Begründung: (...) In dem genannten Flugblatt wird u.a. die Evangelisch-Lutherische Kirche als "Kriegskirche" bezeichnet. Ihr wird eine Unterstützung einer behaupteten Jagd auf asylsuchende ausländische Bürger unterstellt - vergleichbar derjenigen Jagd auf Juden zu Beginn der Nazizeit.

Georg Batz, erster Vorsitzender des bfg Erlangen, sieht in diesem Vorfall nur einen weiteren Schritt in der ständig zunehmenden Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit. Die kürzlichen Hausdurchsuchungen in Redaktions- und Privaträumen von Journalisten stünden dazu in Parallele. Batz protestierte mit aller Entschiedenheit gegen den Versuch der bayerischen Justiz, die Kritiker des Antisemitismus und der historischen Vorläuferrolle Luthers für den Nationalsozialismus mundtot zu machen und forderte sämtliche beschlagnahmten Flugblätter zur Weiterverteilung an den bevorstehenden Jubelfeiern zurück.

Quellen: Pressemitteilung des bfg Erlangen; Beschluß des Amtsgerichts Nürnberg 402 Js 33071/96.