Baden und Bummeln oder Büßen und Beten?

Irene Nickel

In Schleswig-Holstein könnte das bald die Frage sein. Die evangelische Kirche dort ärgert sich schon lange, daß der Buß- und Bettag als gesetzlicher Feiertag abgeschafft wurde. Nun will sie die Abschaffung rückgängig machen. Sie sammelt Unterschriften für ein Volksbegehren.

Natürlich gibt es einen solchen Feiertag nicht geschenkt. Er ginge vor allem auf Kosten der Arbeitnehmer. Sie müßten doppelt so viel Beiträge zur Pflegeversicherung zahlen wie bisher.

Oder sie müßten statt dessen einen anderen Feiertag verlieren. Zum Beispiel den Pfingstmontag, ein langes Wochenende im Vorsommer.

Oder sie müßten sich einen Urlaubstag abhandeln lassen, um die finanziellen Einbußen auszugleichen, die einige von ihnen allzu hart treffen würden.

Urlaubstage, die zur freien Verfügung stehen, sind die kostbarsten freien Tage der Arbeitnehmer. Sie können ihnen lange Wochenenden schenken oder lange Weihnachtsferien, lange Einkaufstage, Familienfeiern oder nächtliche Live-Sportsendungen, Skiferien oder sonnige Sommertage zum Baden und Bummeln.

Wer lieber büßen und beten möchte, soll natürlich einen Urlaubstag am Buß- und Bettag nehmen können. Warum läßt die Kirche es nicht dabei? Warum will sie unbedingt einen gesetzlichen Feiertag?

Will sie die Kirchbänke mit Leuten bevölkern, die lieber bei der Arbeit wären? Bevormundungsversuche dieser Art haben glücklicherweise wenig Erfolgsaussichten im Zeitalter von Fernsehern und Videorecordern.

Eher scheint es um eine Machtprobe zu gehen. Kann die Kirche bestimmen, wann Feiertag ist, dann demonstriert sie Macht. Mit dieser Macht rechnen alle, die auf Zustimmung in der Bevölkerung angewiesen sind, insbesondere auf Wählerstimmen. Aus Demonstration von Macht wird Festigung von Macht.

Freilich kann ein solcher Schuß auch nach hinten losgehen. Ich kann mir eine selbstbewußte Mehrheit von Bürgern vorstellen, die gar nicht daran denkt, nach der Pfeife einer Minderheit von Kirchgängern zu tanzen. Die ihre eigenen Interessen vertritt und sich die Einmischung der Kirche in ihre Zeiteinteilung verbittet.

Schade wärs, wenn diese Mehrheit nicht zustande käme. Wenn gewohnheitsmäßiger Respekt viele davon abhalten würde, der Kirche ein klares Nein entgegenzusetzen. Wenn sich noch viele einreden ließen, Büßen und Beten wäre irgendwie besser als Baden und Bummeln.

Richtig ist eher das Gegenteil. Einige sehr wünschenswerte menschliche Eigenschaften vertragen sich viel besser mit dem Baden und Bummeln als mit dem Büßen und Beten. Dazu gehören Realitätssinn und Liebe zum Frieden.

Beim Baden und Bummeln freut sich der Mensch an Wasser und Sonnenschein. Er freut sich an Dingen, die ohne jeden Zweifel tatsächlich existieren. Was man vom Gott der Betenden nicht behaupten kann.

Die sogenannte Buße ist erst recht eine Mogelpackung (abgesehen von seltenen Ausnahmen). Die Bußrituale der evangelischen Kirche habe ich vor dreißig Jahren noch selbst mitgemacht. Damals war ich gläubige Christin und hatte eine Heidenangst, bei meinem Gott in Ungnade zu fallen. Um das zu verhindern, war ich zu fast allem bereit. Ich redete mir ein, daß mir die kleinen Verfehlungen der letzten Wochen ganz entsetzlich leid täten, und daß ich es in Zukunft ganz bestimmt sehr viel besser machen wollte. So ging das alle paar Wochen. Hätte ich vernünftig darüber nachgedacht, dann hätte mir spätestens beim dritten Mal auffallen müssen, daß ich unmöglich mehr guten Willen aufbringen konnte als das letzte Mal. Daß ich mir nur etwas vormachte. Aber ich konnte damals nicht vernünftig darüber nachdenken. Ich hatte viel zuviel Angst um mein Seelenheil.

Freude am Baden und Bummeln verträgt sich ausgezeichnet mit einer friedliebenden Einstellung. Wer gern badet und bummelt, ist schon deswegen an der Erhaltung des Friedens interessiert. Beim Baden und Bummeln stört ein Krieg doch sehr. Büßer und Beter jedoch haben sich immer wieder einreden lassen, im Krieg täten sie ein Gott wohlgefälliges Werk. Christen haben eine entsetzliche Blutspur durch die Geschichte gezogen; man denke nur an die Kreuzzüge oder an den Dreißigjährigen Krieg.

Baden und Bummeln hat weiterhin den Vorteil, daß es Spaß macht. Es trägt bei zur Zufriedenheit. Zufriedene Menschen haben keinen Anlaß, aggressiv zu sein. Gern gönnen sie ihren Mitmenschen alles Gute.

Ganz anders geht es denen, die Buße tun und Bußgebete sprechen. Es macht keinen Spaß, sich mit dem Scheitern der eigenen guten Vorsätze zu befassen. Es macht keinen Spaß, sich zu demütigen und sich selbst einen armen elenden sündigen Menschen zu schimpfen. Wer sich selbst demütigt und beschimpft, wird gedemütigt und beschimpft. Das hat niemand gern. Es macht wütend. Diese Wut wird meistens ins Unterbewußtsein verbannt. Gläubige haben Angst vor sündigen Gefühlen. Schließlich geht es um ihr Seelenheil.

Aufgestaute Wut und Aggression bricht sich an anderer Stelle Bahn. Ehen und Familien können daran zugrunde gehen. Oder der empfindliche Friede in multikulturellen Regionen.

Natürlich haben Aggressionen viele Ursachen. Zum Beispiel wirtschaftliche Schwierigkeiten. Oder sexuelle Frustration. Oder Einsamkeit. Aus vielen Quellen speist sich ein gefährliches Aggressionspotential.

Wir können froh sein um jede Quelle von Aggressionen, die versiegt. Büßen und Beten macht die Menschen nicht friedfertiger. Es macht sie nicht glücklicher und macht sie nicht besser. Wir brauchen uns nicht zu schämen, wenn wir lieber bummeln und baden.