Antidiskriminierungsgesetz
Leserbrief zum Antidiskriminierungsgesetz
Aus: IBKA Rundbrief August 2002
Zu "Gerangel ums 'Verliererthema'", Frankfurter Rundschau, 20.04.02 (abgedruckt 30.04.02)
Es ist traurig, wie wenig den Regierenden in Deutschland an den Grundrechten der Bürger gelegen ist. "Niemand darf wegen ... seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden", so steht es seit über fünfzig Jahren in unserem Grundgesetz, Artikel 3. Jetzt endlich gab es zaghafte Ansätze, dies Diskriminierungsverbot in ein Gesetz zu fassen, das den Betroffenen erlaubt, sich gegen Diskriminierungen zu wehren.
Aber allzu bereitwillig wurde eine geplante Gesetzesvorschrift zurückgezogen - damit die Kirchen weiterhin diskriminieren können. Die Kirchen scheuen nicht davor zurück, Andersgläubige und Ungläubige auch dort ausgrenzen zu wollen, wo Menschen auf Betreuung angewiesen sind, zum Beispiel in einen Kindergarten oder in einem Altersheim. Umso mehr ist der Sozialstaat gefordert, dafür zu sorgen, dass alle Bürger bei Bedarf einen geeigneten Kindergartenplatz oder Altenheimplatz finden können. Nicht nur die Qualität muss stimmen, auch die Entfernung zur Wohnung beziehungsweise zum Lebensmittelpunkt sollte sich in Grenzen halten. Alte Menschen haben den berechtigten Wunsch, Kontakte zu Angehörigen und Freunden zu halten. Weite Fahrten zum Kindergarten belasten Kinder wie Eltern. Dabei geht es nicht nur um den Zeitaufwand. Wie muss es auf ein Kind wirken, wenn es nicht mit den Nachbarskindern zusammen in den Kindergarten gehen kann?
Wie wird es sich fühlen als Mitglied einer ausgegrenzten Minderheit? Erzieht man junge Menschen so zur solidarischen Verantwortung für das Ganze? Und auf der anderen Seite: Was lernen Christenkinder, wenn die Aufnahme von Nachbarskindern in ihrem Kindergarten an der religiösen Orientierung des Elternhauses scheitert? Sollen sie lernen: "Andersgläubige und Ungläubige sind Menschen, die man ausgrenzt"? Das passt zwar hervorragend zur Bibel ("Sondert euch ab", 2. Kor. 6, 17), nicht aber zu der Toleranz, die zu den Grundpfeilern eines guten Miteinanders gehört.
Schließlich sind da noch die Kindergärtnerinnen, Altenpfleger(innen) und Menschen mit ähnlichen Berufen, die einen Arbeitsplatz brauchen. In einigen Berufen haben kirchliche soziale Einrichtungen, zumindest regional, eine marktbeherrschende Stellung als Arbeitgeber, wenn nicht ein Monopol. Die Praxis dieser kirchlichen Einrichtungen, nur Mitglieder bestimmter Kirchen einzustellen, führt zu erheblichen Nachteilen am Arbeitsmarkt für Menschen, die sich zu ihrem Unglauben oder zum Glauben einer Minderheit bekennen. Wo bleibt da das Grundrecht auf freie Berufswahl (Artikel 12 des Grundgesetzes)? Ausgrenzung und Diskriminierung von Ungläubigen und von Angehörigen religiöser Minderheiten lassen sich nur vermeiden, wenn Kindergärten, Altenheime und sonstige soziale Einrichtungen allen gleichermaßen offen stehen.
Langfristig brauchen wir soziale Einrichtungen, die sich freiwillig an diesen Grundsatz halten. Die Alternative, vor Gericht einen Platz in einer Einrichtung zu erstreiten, wo man nicht willkommen ist, ist alles andere als verlockend. Trotzdem ist eine solche Möglichkeit besser als nichts. Wir brauchen ein Antidiskriminierungsgesetz, das vor Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung auch dann schützt, wenn diese von den Kirchen ausgehen.
Irene Nickel, Braunschweig