IBKA: Internet-Diskussion über Kirchensteuer

Heike Jackler

Internet-Diskussion über Kirchensteuer

Ein Chat mit heimlichen Gästen

Aus: IBKA Rundbrief August 2002

Anfang des Jahres fragten Mitarbeiter von MSN-Deutschland (Microsoft) bei mir an, ob ich - als Mitbetreiberin des Webprojekts www.kirchensteuer.de - an einem Internet-Chat über das Thema "Kirchensteuer - nötig oder überflüssig?" teilnehmen würde. Ich sagte gerne zu, und da es "kontrovers, aber fair" (so das Motto des sonntäglichen Themenchats) zugehen sollte, schrieben die Organisatoren auch die Kirchen an, ob sie Interesse hätten mitzuwirken bzw. die Gast-Moderation zu übernehmen. Da von dieser Seite aber nur sehr zögerliche Reaktionen ohne feste Zusagen kamen, wurde schließlich die Moderation mir angeboten. Selbstverständlich ergriff ich sofort diese Gelegenheit.

Eine Woche vor dem Chat wurden schließlich meine Kurzbiographie und ein Einleitungstext zum Thema, beides von mir verfasst, auf der MSN-Website veröffentlicht. Ich stellte mich als religionsfrei, Atheistin und Regionalbeauftragte des IBKA vor.

Das rief Markus Springer, Redakteur des evgl. Sonntagsblatts für Bayern, auf den Plan. Empört rief er bei der Chat-Leitung an und beklagte die fehlende weltanschauliche Neutralität von MSN - eines Privatunternehmens, wohlgemerkt. Er störte sich sehr daran, dass ich die Moderation übernehmen würde. Den Einwand, dass man Vertreter der Kirchen vergebens eingeladen hätte, wollte er so nicht glauben. Kurz und gut: Aufgrund der massiven Beschwerde setzte MSN kurzfristig einen Disclaimer unter den Einleitungstext: "Der Kommentar stellt die Meinung des einzelnen Autors dar und gibt nicht notwendigerweise die Meinung von Microsoft wieder."

Dass von der EKD keine Zusage zur Mitwirkung kam, bedeutet aber nicht, dass nicht doch jemand von der evangelischen Kirche teilnahm - heimlich. Nicht nur der Redakteur Markus Springer selbst, auch Oberkirchenrat und Steuerfachmann Dr. Jens Petersen beteiligte sich unter Pseudonym versteckt an der Diskussion. Im Chat sind Pseudonyme ja durchaus üblich, aber schließlich war man offiziell als Gast geladen...

Die Vertrautheit des Oberkirchenrates mit dem Thema Kirchensteuer fiel auf. So wurde er von einem aufmerksamen Mit-Diskutanten gebeten, sich und seine Qualifikation vorzustellen. Erst nach der zweiten, hartnäckigen Nachfrage: "Ich wüsste immer noch gerne, wer Du bist und für wen Du arbeitest", gab Dr. Petersen teilweise Auskunft: "Steuer ist meine Profession und das Thema Kirchensteuer ein leidenschaftliches Hobby." Tatsächlich äußert sich dieses "Hobby" in der beruflichen Leitung des Referats für Kirchensteuern beim Kirchenamt der EKD!

In der recht munteren Diskussion argumentierte der Oberkirchenrat allerdings zuweilen recht platt und auch falsch. So behauptete er, dass mehr als 20% der Kirchensteuer für soziale Zwecke verwendet würden. Auf Nachfrage konnte er jedoch keine Belege nennen. Schließlich musste er zugeben: "Die Kirchensteuer dient aber nicht vor allem dem Sozialen; sie dient der kirchlichen Aufgabe, der Wortverkündigung; und daran liegt eben einer ganzen Reihe von Leuten etwas." Am evangelischen Gottesdienst nehmen jedoch nur noch weniger als 4% der Kirchenmitglieder teil. Tendenz abnehmend!

Als ich darauf hinwies, dass die Kirche die Mitglieder über die Verwendung der Kirchensteuer falsch informiere, war Petersens einziges Argument: "Quatsch!" Das Gleiche "Quatsch" bekam ich zu hören, als ich auf die Herkunft der kirchlichen Besitztümer hinwies, nämlich "auch Fälschungen und Raub". Der Oberkirchenrat hat sich der Form der kurz gehaltenen Antworten in einem Chat offenbar schnell angepasst.

Zur Diskussion über die Transparenz der kirchlichen Haushalte und meinem Hinweis, dass im kirchlichen Landeshaushalt diejenigen Staatsleistungen, die direkt an die Kirchengemeinden gehen, nicht aufgeführt seien, meinte Petersen salopp - und unrichtig - "Doch". Zu meiner korrekten Behauptung, viele Bischöfe würden vom Staat bezahlt, meinte er, das sei "ein großer Irrtum". Und kirchliche Grundstücke sind laut Petersen "per se nicht marktfähig", könnten also angeblich nicht zu Geld gemacht werden. Die Realität zeigt anderes.

Der Redakteur des bayerischen Sonntagsblatts, Markus Springer, der noch bis weit nach dem offiziellen Ende der Diskussion im Chat unter Pseudonym anwesend war - er ging fast als Letzter, wohl um etwas zur Stützung seiner Verschwörungstheorie zu erlauschen? -, konnte es sich nicht verkneifen, über seine Interneterfahrung zu berichten. In seinem Artikel für die kirchliche Zeitschrift stellt er die Fairness in Frage:

"Mit einem ausgewiesenen Experten talkt es sich natürlich viel besser, und deswegen hat man sich eine 'Gastmoderatorin' eingeladen. Deren Referenzen machen dann aber ein wenig stutzig: Heike Jackler, so heißt die Gastmoderatorin, ist eine erklärte Anti-Kirchen-Aktivistin [so habe ich mich nie bezeichnet] - etwas verwunderlich angesichts des Fairness-Anspruchs, den man sich auf die Fahnen geschrieben hat. Dabei kann sich Heike Jackler - in gewisser Hinsicht zwar, aber mit Fug und Recht - als Expertin in Sachen Kirchensteuer bezeichnen. Jackler, die aus Bochum kommt, betreibt nämlich mit 'anderen kirchen- und religionskritischen Menschen in ihrer Freizeit die Website www.kirchensteuer.de', heißt es. Und kirchensteuer.de kommt zwar auf den ersten Blick als ein nüchtern informierendes Angebot daher. Aufbereitung und Auswahl der Informationen lassen dann aber erkennen, dass Jackler einen missionarischen, jedenfalls äußerst sendungsbewussten Atheismus vertritt. Es geht ihr offenkundig darum, möglichst viele Menschen zum Austritt aus der Kirche zu bewegen. Sie will das Vorurteil korrigieren, die Kirchensteuer werde 'zu einem bedeutenden Teil für soziale Zwecke verwendet'. Irrtum, so wird man belehrt - und wer nun Zweifel an seiner Kirche und deren Bekenntnissen hat, der möge doch bitte schön austreten. Auf der gleich mitgelieferten Anleitung zum Kirchenaustritt, einem Angebot des 'Internationalen Bunds der Konfessionslosen und Atheisten e.V.' (IBKA), steht, wie das geht. Passenderweise ist Jackler gleich selbst Regionalbeauftragte des IBKA von Westfalen-Lippe."

So klagt Markus Springer sein Leid. Allerdings: Während ich bereits im Vorfeld des Chats vollkommen offen über mich Auskunft gab, versteckten sich Angestellte der evangelischen Kirche hinter Pseudonymen - statt als geladene Gäste oder Moderatoren teilzunehmen -, und der Kirchensteuerexperte Oberkirchenrat Dr. Jens Petersen leugnete gar noch auf Nachfrage seinen Beruf und verschwieg seinen Arbeitgeber... Und abermals krähte der Hahn.