Kirchensteuerstreit in Schleswig-Holstein

Sind bundesweite Folgen möglich?

Aus: IBKA Rundbrief Mai 2003

Seit Gründung der Nordelbischen evgl.-luth. Kirche (NEK) 1977 betrug der Kirchensteuerhebesatz auf dem Gebiet des Landes Schleswig-Holstein 9%, in Hamburg jedoch nur 8% der Lohn- und Einkommensteuer. Gegen diese Ungleichbehandlung der Kirchenmitglieder beschritt Frau Reth den Rechtsweg.

In zweiter Instanz gab das Oberverwaltungsgericht Schleswig im Juli 2000 der Klägerin Recht. Es stellte als alleinigen Beurteilungsmaßstab heraus: "Vorliegend ist zu prüfen, ob die Erhebung der Kirchensteuer im Einklang mit staatlichem Recht steht, genauer, mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes Art. 3 Abs. 1." Das Gericht kam zu dem Ergebnis: "Nach Art. 3 Abs.1 GG kann die Klägerin - im Sinne eines subjektiven öffentlichen Rechts - beanspruchen, mit anderen Steuerpflichtigen im Bereich der NEK gleich behandelt zu werden." Demnach verstieß die Nordelbische Kirche seit über 20 Jahren gegen die Verfassung. Den anschließenden Antrag der NEK auf Zulassung der Revision lehnte das Bundesverwaltungsgericht im Januar 2001 ab.

Die NEK rief jedoch das Bundesverfassungsgericht an. Dieses verkündete im September 2002, dass es die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung annehme, da die Kirchen bei Inanspruchnahme des staatlichen Hoheitsrechts bei der Kirchensteuer "an die grundgesetzliche Ordnung, vor allem an die Grundrechte gebunden" seien. "Rechtssetzung und Vollzug der Kirchensteuer unterliegen der Rechtskontrolle durch staatliche Gerichte und müssen darüber hinaus auch rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen. Wollen die Kirchen diese Bindung vermeiden, müssen sie sich der Finanzierung durch private Mitgliedsbeiträge bedienen."

Seit 2001 beträgt der Steuersatz für die gesamte NEK nun 9%. In den in Schl-H - aufgrund eingelegten Widerspruches - noch offenen Steuerfällen von 1994-2000 werden nun nachträglich nur 8% erhoben. Laut NEK wird dies insgesamt eine Rückzahlung zu ihren Lasten von 16 Mio. Euro ausmachen. Da jedoch die weit zahlreicheren rechtskräftig gewordenen Steuerfestsetzungen nicht darunter fallen, behält die Kirche faktische Zuvielzahlungen in einem weit höheren Ausmaß!

Nach Gründung der NEK wurde die staatliche Genehmigung des Steuersatzes nicht davon abhängig gemacht, dass nach einer Übergangsfrist von längstens 5 Jahren eine gleichmäßige Besteuerung erreicht ist. Die damalige Landesregierung und die nachfolgenden Regierungen (Genehmigungen können widerrufen werden!) ignorierten, dass Grundrechte Vorrang vor Verträgen mit den Kirchen und Landesgesetzen haben.

Auf Anfrage von Gerhard Reth (aus der NEK ausgetreten) teilte Wolfgang Kubicki (Kieler FDP-Landtagsfraktion) mit: Aufgrund der Schutzwirkung der Grundrechte in das Kirchensteuerrecht hinein ist die Landesregierung verpflichtet, ihre Entscheidungen bezüglich des kirchlichen Steuerrechts im Einklang mit Recht und Gesetz zu treffen.

Dazu Reth: Nicht nur die Landesregierung sondern alle Behörden sind an Recht und Gesetz gebunden. Das bedeutet: Ist das Kirchensteuerrecht verfassungswidrig, dürfen die Finanzämter die Kirchensteuer nicht einziehen!

Jetzt gibt es erneut in Schl-H Klagen gegen die Kirchensteuer - mit bundesweiter Bedeutung! Begründung: Die Bindung der Kirchensteuer an Lohn- und Einkommensteuer führt dazu, dass ein erheblicher Teil der Leistungsfähigen nicht herangezogen wird. Beispiel: Mittlere und hohe Renten - bei einem festen Mitgliedsbeitrag ergäbe sich nur ein geringer Verwaltungsaufwand.

Im Urteil vom Juni 2000 beschäftigte sich das OVG Schleswig jedoch nicht abschließend mit der Nichtheranziehung von Leistungsfähigen, da bereits die ungleichen Steuersätze für die Urteilsfindung ausreichten. In der Urteilsbegründung wurde das Recht zur Anknüpfung an staatliche Steuern grundsätzlich auch nicht bezweifelt, jedoch folgender interessante Satz hinzugefügt: "Fraglich könnte sein, ob etwas anderes gilt, wenn ein erheblicher Teil der - nach ihrem Bruttoeinkommen leistungsfähigen - Kirchenmitglieder nicht zur Kirchensteuer herangezogen wird und ob dann das Gebot der aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz abzuleitenden Lastengleichheit verletzt ist."

Laut Reth ist nun Folgendes sehr wichtig: Auch außerhalb von Schl-H sind Klagen erforderlich, um bundesweit den verfassungswidrigen Kirchensteuereinzug zu beenden.