Wir sind Papst - Das Wunder von Rom
Aus! Aus! Aus! Das Konklave ist aus! Deutschland ist Papst! Schlägt den Rest der Kardinäle mit Zweidrittel-Mehrheit im Finale in Rom!
Wir sind Papst!
So verkündete die BILD-Zeitung die "Wahl" des erzreaktionären Kardinals Joseph Ratzinger zum Papst.
Wir sind wieder wer! Der 19. April 2005 wurde - nach dem Fußballweltmeisterschaftsfinale in Bern 1954 - zum zweiten Wiederauferstehungsdatum der Nation medial hochzujubeln versucht.
Oh, Freude! Die katholische Welt hat ein neues Oberhaupt. Oh, Stolz! Es ist ein Deutscher.
So tönte BILD weiter. Auch Bundespräsident Horst Köhler verkündete - im Namen des Volkes - gewohnt patriotisch: Dass ein Landsmann Papst geworden ist, erfüllt uns in Deutschland mit besonderer Freude und auch ein wenig mit Stolz. Nicht nur die Katholiken, auch Protestanten, Orthodoxe, Juden, Muslime, Buddhisten und nicht zuletzt viele Menschen, die sich zu keiner Religion bekennen, richten ihren Blick nach Rom.
Dass dieser Blick wohl eher Ausdruck der ungläubigen Verwunderung über das mittelalterliche Spektakel sein dürfte, ist dem fromm-vereinnahmenden Staatsoberhaupt offenbar fremd.
Bundeskanzler Gerhard Schröder ließ wissen, dass es eine große Freude sei, dass der neu gewählte Papst Benedikt XVI. aus Deutschland komme. Das ist eine große Ehre für unser Land.
Ganz Bayern ist in großer Freude
, betonte Edmund Stoiber (CSU). Ich wünsche stellvertretend für alle bayerischen Landsleute dem neuen Papst von ganzem Herzen Gottes Segen.
Ratzinger wurde 1927 im bayerischen Marktl am Inn geboren und war von 1977 bis 1981 Erzbischof von München und Freising. Ebenfalls 1977 wurde er zum Kardinal ernannt. Danach, als Präfekt der Katholischen Glaubenskongregation in Rom, der höchsten und zentralen Instanz für die Interpretation und "Verteidigung" der katholischen Lehre, trieb Ratzinger u. a. 1992 den lateinamerikanischen Befreiungstheologen Leonardo Boff aus dem Priesteramt.
Auch Ratzinger-kritische Kirchenfürsten loben nun eilfertig in Unterwerfungsgesten dessen angebliche "Brillanz" und "Genialität eines Kirchenvaters". Sein Bündnispartner, Erzbischof Joachim Meisner von Köln, verstieg sich gar dazu, Ratzinger als "Mozart der Theologie" anzupreisen, was für das Andenken des sinnesfrohen Komponisten eine veritable Gedächtnisschändung darstellt und gegenüber der universitären Theologie eine kaum verhüllte Drohung bedeutet.
Meisner wörtlich: Jeder Christ muss immer konservativ sein und nicht produktiv. Ein Christ hat das Evangelium nicht zu produzieren, er hat es zu übernehmen und zu bewahren.
Der Ratzinger-Vertraute streute - trotz des Schweigegebotes über das Konklave - bei den Medien die Behauptung, im 4. Wahlgang hätte Ratzinger 100 von 115 Stimmen bekommen. Es war praktisch ein Volksbeschluss
- als ob die von Karol Wojtyla autokratisch ernannten Kardinäle die demokratisch gewählten Delegierten der Katholiken dieser Welt wären. Offenbar soll damit von Anfang an deutlich unterstrichen werden, dass der innerkirchlich zu Recht umstrittene Zuchtmeister Ratzinger sich auf den gesamten loyalen Machtapparat seines Vorgängers stützen kann, deren Protagonisten er ja auch umgehend im Amt bestätigte.
Demokratisch gewählte Repräsentanten der Staaten treten nun zur Amtseinführung des neuen absolutistischen "Wahl"monarchen und katholischen Kirchenoberhauptes als Referenz erweisende Staffage auf.
Es geht von dieser Papst"wahl"entscheidung das klare innerkirchliche Signal aus, dass es mit Benedikt XVI. keine der von Basischristen angemahnten Reformen innerhalb der römisch-katholischen Kirche geben wird. Stattdessen zeichnet sich ein innerkirchlicher Kurs ab, sich mit absolutem Wahrheitsanspruch noch pointierter gegen die Moderne (Zeitgeist des Relativismus
) zu stemmen. Ob damit endlich für viele Kirchenmitglieder der Anstoß zum überfälligen Austritt gegeben ist, bleibt abzuwarten. Für politisch engagierte Konfessionslose ist bedeutsamer, wie sich diese innerkirchliche Entscheidung über die Kirche hinaus auswirkt. Die gesellschaftlichen Streitfragen bleiben: Selbstbestimmung über das eigene Leben, Humanität, Toleranz, Antidiskriminierung. Das Motto der diesjährigen IBKA-Tagung Leitkultur Humanismus und Aufklärung soll zu den kirchlich behaupteten Scheinalternativen Beliebigkeit oder Rückfall in voraufklärerisches Bewusstsein
ein Gegenmodell aufzeigen.