1995 - Meldungen 2175-2215
1995 - Meldungen 2175-2215 rhartmann Mi, 1997-12-31 09:00Europa
Deutschland
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Unter den Konfessionslosen im Westen waren 56 % früher evangelisch, 27 % katholisch, und nur 16 % gehörten nie einer Kirche an (was im Osten für 60 % zutrifft). Fest entschlossen, ihre Kirche zu verlassen, sind 2 % der Katholiken und 4 % der Protestanten, während 12 bzw. 26 % dahin tendieren, sich aber noch nicht endgültig entschlossen haben. Entgegen dem Trend der ersten Jahre nach der deutschen Vereinigung werden die Austritte im Osten nicht mehr überproportional steigen, denn einen Austritt erwogen haben im Westen 21 % der Katholiken und 39 % der Protestanten, im Osten hingegen nur 12 bzw. 28 %. Doch wegen der noch stärkeren Überalterung werden die Kirchen auch weiterhin im Osten stärker schrumpfen.
Die meisten Menschen bleiben nicht aus religiösen Gründen in der Kirche: "Es muß beide Konfessionsgemeinschaften beunruhigen, wenn ihre Mitglieder den Wert dieser Mitgliedschaft in erster Linie in der Möglichkeit sehen, Feiern einen würdigen Rahmen zu geben." Auch die Kirche selbst macht nach Auffassung der Autorin Fehler: "Die große Versuchung für beide Kirchen ist heute, sich auf die gesellschaftlich akzeptierten Aufgaben zu konzentrieren und ihren eigentlichen Auftrag zu vernachlässigen. Nur 39 Prozent der Bevölkerung haben den Eindruck, daß sich die Kirchen der Verkündigung widmen, für den Glauben werben; der katholischen Kirche wird dieses Engagement weitaus stärker zugeschrieben als der protestantischen. Während die Kirchen die Säkularisierung der Gesellschaft beklagen, unterliegen sie selbst einem Säkularisierungsprozeß, der ihren Kern bis zur Unkenntlichkeit überlagert." Die psychologischen Folgen ihres Festhaltens an Macht und Einfluß sind daher Grund für ihren weiteren Abstieg: "Das Selbstbewußtsein der großen Konfessionsgemeinschaften ist zur Zeit eng an die Entwicklung ihrer zahlenmäßigen Stärke gebunden; wie paralysiert blicken beide auf die Entwicklung der Bestandsgrößen." (Frankfurter Allgemeine, 5.4.95)
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Grundlage ist ein Konkordat, das die Landesregierung 1994 mit dem Vatikan abgeschlossen hat. Ein evangelischer oldenburgischer Großherzog hatte der katholischen Minderheit in Südoldenburg eine kleine Lehrerbildungsstätte zugestanden; daraus leitete der Vatikan dauerhafte Rechte her.
In Würdigung seiner Zugeständnisse erhielt Schröder eine Einladung zu einer Papst-Audienz nach Rom. (Frankfurter Rundschau, 3.7.95)
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Während der "Freundeskreis der Sinti und Roma" enttäuscht erklärte, damit habe sich die Kirche dem Druck der Straße gebeugt, riefen Neonazis per Computernetz zum Besuch der populär gewordenen Stätte auf, um die "Kämpfer" zu ehren. Kurz danach zerschlug ein anonymes Mitglied der "antifaschistischen Kriegsgräberfürsorge" dreizehn der Hakenkreuze. Nun ermittelt die Kriminalpolizei wegen "Zerstörung einer öffentlichen Einrichtung". (Frankfurter Rundschau, 13.6.95)
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Anm. MIZ-Red.: Damit wird Stoibers Konfrontationskurs gegen den Kruzifix-Beschluß des BVG verständlich. Nun ist aber eine weitere Anfrage notwendig, um zu klären, welches Amtsverständnis die Mitgliedschaft eines Ministerpräsidenten in diesem Verein nötig macht und ob die Amtsvorgänger Strauß und Streibl ebenfalls von Amts wegen Grabesritter waren.
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Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) und der Humanistische Freidenkerbund Brandenburg (HFB) wenden sich gegen die Einführung eines Fachs "Religion" mit einem Ersatz-Pflichtfach für Konfessionslose und fordern dazu eine Befragung der Bevölkerung. Sollten die beiden Wahlpflichtfächer eingeführt werden, erwägt der HFB eine Verfassungsklage; für den gegenteiligen Fall drohen die Kirchen mit demselben Schritt. (Das Sonntagsblatt, 7.7.95; pfw Pressedienst freier Weltanschauungsgemeinschaften 3/95, S.9)
Nach dem neuesten Stand hält die SPD-Fraktion nun doch an ihrer Konzeption zum Fach LER fest. (Süddeutsche Zeitung, 26.10.95
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Anm. MIZ-Red.: Auch in Nordbayern hatte die evangelische Kirche noch in den 80er Jahren mehrmals eine Besetzung der Regierungspräsidien durch evangelische Vertreter gefordert, war aber nicht immer durchgekommen. Auf die Idee, daß auch in Süddeutschland einmal Konfessionsfreie leitende Funktionen einnehmen könnten, kamen bisher weder Parteien noch Kirchen.
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Er bezeichnete die Zeugen Jehovas als demokratiefeindliche Organisation, die "Merkmale totalitärer Sekten" aufweise und "ungeahnten Jugendterror" betreibe, indem sie Mitglieder unter massiven Druck setze, einen Strafenkatalog für Abtrünnige aufweise und über ein weltweites Spitzelsystem gebiete. In ihren Schriften diffamiert die Gruppierung laut Mauz die UNO und die Volkskirchen als "Instrumente des Satans".
Daß zumindest auf die katholische Kirche eine Reihe dieser Kriterien ebenfalls zutreffen - mit dem Unterschied daß dort die Zeugen Jehovas (ebenso wie andere religiöse Minderheiten und Atheisten) verteufelt werden - entging dem frommen CDU-Funktionär. (Stuttgarter Nachrichten, 11.8.95)
Anm. MIZ-Red.: Eine anschauliche Darstellung der Parallelen von Sekten und "Mega-Sekten" (Küng in der SZ vom 5./6.8.95) lieferte die öffentliche Erwiderung eines Mitglieds des bfg Augsburg in der evangelischen Wochenzeitung Das Sonntagsblatt, nachdem zwei protestantische Sektenexperten beklagt hatten, "Sekten suchen immer jüngere Anhänger. Die Werber kommen jetzt schon ... in Kindergärten":
"Um mich ist gar nicht erst geworben worden, und die Sektenfunktionäre kamen ganz ungeniert und ungetarnt. Schon am zweiten Tag meines Erdenlebens wurde mir von einem Sektenfunktionär, der wie ein Transvestit gekleidet war, im Beisein meiner Eltern Wasser über den Kopf gegossen - damit war ich Zwangsmitglied dieser Sekte. Schon als Kleinkindern hat meine Mutter meinem Bruder und mir abends bestimmte Formeln dieses Kultes eingeprägt. Schon in der Grundschule durften die Kultfunktionäre - vom Staat bezahlt! - ihre Propaganda machen, und wir waren ihr ausgeliefert. Jeden A, egal wie schön das Wetter war, wurden wir in ein kaltes, muffiges, hallendes Versammlungshaus mitgenommen. Dort vollzog der Sektenfunktionär ein "Opfer", und alle mußten dazu geradeaus schauen, abwechselnd sitzen, stehen, knicksen und viele Worte, teilweise in einer mir fremden Sprache, monoton vor sich hinmurmeln. Der Funktionär, wieder gekleidet wie ein Transvestit, legte dann allen Leuten, die zu ihm kamen, eine weiße Oblate auf die herausgestreckte Zunge, und mit niedergeschlagenen Blicken kehrten alle zu ihren harten Holzbänken zurück und knieten sich mit gesenkten Köpfen und zusammengepreßten Händen hin. Frauen und Männer, Jungen und Mädchen waren während dieser Rituale scharf voneinander getrennt. Da wurde versucht, Natürlichkeit und Lebensfreude zu zerstören und eine lebenslängliche Denkblockade einzubauen.
Es ist mir mit 25 Jahren gelungen, mich zu entsekten, wie (ein Sektenbeauftragter) das wohl ausdrücken würde. ... Meine beiden Kinder dürfen sich die Propaganda meiner ehemaligen Sekte in der Schule anhören, und sie können auch in das Versammlungshaus der Sekte gehen. Sie sollen diesen obskuren Kult mit seinen kannibalistischen Ritualen kennen- und verstehen lernen. Wenn sie gegen diese Sekte immun werden, dann sind sie auch gegen alle anderen Sekten und deren Methoden immun." (Das Sonntagsblatt, 3.3.95)
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Verschärft wurde der Konflikt durch ein TAZ-Interview des BEK-Sektenbeauftragten, der im Hinblick auf eine umstrittene Aktion des weltweit operierenden Missionswerks OM gefragt wurde: "Vor einigen Wochen zogen 700 Jugendliche durch Bremen, organisiert von freikirchlichen und evangelischen Kirchengemeinden. Schauen Sie als Sektenbeauftragter der Evangelischen Kirche eigentlich auch dahin, was sich in der evangelischen oder katholischen Kirche tut?" Die Antwort: "Ja, auch dies ist natürlich ein problematischer Bereich. Wir können allgemein feststellen, daß sich gerade bei jungen Leuten fundamentalistische Organisationen oder fundamentalistisch orientierte Gemeinden immer mehr ausbreiten".
Die evangelikale Bekenntnisbewegung konterte daraufhin: "Es wird anscheinend Zeit, daß die von der Kirche protegierte Theologie, oder besser Ideologie, einmal auf ihren Sektencharakter hin untersucht wird." Den Kirchentag 1995 bezeichnete ihr Bundesvorstand als "idealen Tummelplatz für Sektenforscher". Bei kaum einem anderen Ereignis seien so viele Irrlehren und pseudochristliche Angebote auf engstem Raum versammelt. (Informationsbrief Nr. 171 der Bekenntnisbewegung "Kein anderes Evangelium", August 95)
Anm. MIZ-Red.: Hier geht es nicht um innerkirchliche Reibungen, wie sie ähnlich überall vorkommen können, sondern um einen Grundsatzkonflikt, auf den u.a. Prof. Buggle in seinem religionskritischen Werk "Denn sie wissen nicht, was sie glauben" hingewiesen hat: Einerseits stehen die Positionen "progressiver" Christen im Ergebnis den Auffassungen von Atheisten oder weltlichen Humanisten viel näher, wenn auch die biblischen Begründungen oft "an den Haaren herbeigezogen" sind. Andererseits ist den Evangelikalen zuzugestehen, daß sie sich viel konsequenter an die Bibel halten und sie nicht bloß selektiv und nahezu willkürlich interpretieren. Man kann die Bibel als "Wort Gottes" akzeptieren oder ablehnen, aber es widerspricht jeder intellektuellen Redlichkeit, ihren Gehalt einseitig darzustellen oder gar zu verfälschen, um noch einen kleinen Teil ihrer Aussagen als "Rettungsanker" gebrauchen zu können.
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Anm. MIZ-Red.: Dieses letzte Beispiel steht für viele: Sowie sich kirchliche Einrichtungen nicht mehr auf öffentliche Subventionen betten können, entdecken sie plötzlich ungeahnte Einsparungsreserven, zu denen sie zuvor gar nicht motiviert waren. Vor allem bei den Theologischen Fakultäten, aber auch im Sozialbereich würde die Abnabelung vom staatlichen Tropf zu einer enormen Einsparung bei der öffentlichen Hand führen, die die Kirche durch Rationalisierung und Verschlankung problemlos auffangen könnte.
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Die Rechtsabteilung des Generalvikariats hält die Bekanntgabe für zulässig, "soweit die zuständige kirchliche Stelle dies für die Erfüllung ihrer Aufgaben für erforderlich ansieht", weil der Austritt ebenso wie die Taufe oder Trauung ein "öffentliches Datum" sei. Die Mehrheit der Bevölkerung scheint dies jedoch anders zu sehen. Auch die Pfarrei selbst ist "gespalten".
Beobachter sehen einen engen Zusammenhang zwischen dieser Praxis und Meldungen, daß die Zahl der Kirchenaustritte vor allem in den Großstädten im ersten Halbjahr 1995 gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres sprunghaft gestiegen ist. (Kölner Stadt-Anzeiger, 10.8.95; Rhein-Sieg-Anzeiger, 11. u. 12.8.95)
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Der Sonntag hat für die große Mehrheit (W:67 %, O:92 %) keine religiöse Bedeutung. Nur 15 % (W) bzw. 4 % besuchen jeden oder fast jeden Sonntag einen Gottesdienst; bei den über 50jährigen ist die Bereitschaft zum Kirchgang wesentlich höher. Besonders aufschlußreich sind die Angaben, welche Themenbereiche im Fernsehen öfter bzw. seltener gewünscht werden. (Die folgenden Prozentangaben bedeuten: "sollte öfter kommen" minus "sollte seltener kommen".) Unter 25 Themen zählen Kirchliches (O:-14, W:-6) und Religiöses (O:-12, W:-6) zu den unbeliebtesten; im Osten werden die Negativwerte nur noch vom Sport übertroffen, und auch im Westen sind nur drei Bereiche schlechter plaziert. Nicht nur den Konfessionslosen, sondern auch den Protestanten ist das kirchlich-religiöse Angebot deutlich zu viel (O:-6, W:-10).
Bei einer Analyse nach bestimmten Arten von Sendungen liegen Gottesdienstübertragungen (O:-20, W:-10) sowie "Sendungen über kirchliche bzw. religiöse Themen" (O:-17, W: -8) im Osten neben Sportsendungen (-21) am Ende der Beliebtheitsskala, im Westen ebenfalls deutlich im letzten Drittel. Im Hörfunk sind religiöse Themen sogar noch unbeliebter. Gottesdienstübertragungen und Morgenandachten werden im Radio von der ganz großen Mehrheit (O:76 %, W:63 %) überhaupt nicht gehört, ebensowenig im Fernsehen (O:73 %, W:59 %) gesehen.
Unter den religiösen Sendungen werden noch am ehesten solche akzeptiert, die sich mit Lebenshilfe und sozialen Themen (Armut, "Dritte Welt", Frieden) auseinandersetzen, während Glauben und Beten als uninteressant gelten. Am besten kommen noch jene Sendungen an, die nicht sofort als kirchlich erkennbar sind. Die Studie schließt mit dem Satz: "Eindeutig ist nämlich die Tatsache, daß man weithin Sendungen aus dem Weg geht, die das Etikett 'Kirche und Religion' tragen."
Aufschlußreich ist auch die nicht unmittelbar zum Thema der Studie gehörende Nachfrage bei Kirchenmitgliedern nach dem Grad ihrer Kirchenbindung. Bei der "Verbundenheit mit der Kirche" (fünf Alternativen) zeigen sich mehr Katholiken "sehr" verbunden (O:17 %, W:20 %) als Protestanten (O:8 %, W:13 %), aber wesentlich mehr wählten auch das andere Extrem "überhaupt nicht", nämlich 18 (O) bzw. 10 % (W). Bei den Protestanten sind es im Osten 11 und im Westen 10 %. (Media Perspektiven 8/95, S. 393-406)
Anm. MIZ-Red.: Grundlage waren eine repräsentative telefonische Befragung des Enigma-Instituts, an der etwa 1000 Personen ab 14 Jahren im Westen und 500 im Osten teilnahmen, sowie eine Studie der Arbeitsgemeischaft Media Analyse e.V. bei 5226 Personen im Westen und 1297 im Osten. In beiden Fällen wurden die Daten zwischen August 1994 und Februar 1995 erhoben.
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Anm. MIZ-Red.: Die 230 Mio. DM sind keineswegs die einzige Rücklage der Landeskirche. Bereits 1984 gab sie ihren Immobilienbesitz mit einer ungenannten Zahl von Grundstücken sowie 5.500 Gebäuden (darunter gut die Hälfte von Pfarrern bewohnte Häuser) im Neubauwert von insgesamt 6,4 Milliarden DM an (vgl. Süddeutsche Zeitung, 31.10.84, und MIZ 2/85, Meldung 664). Zwar lag der Verkehrswert niedriger, und nicht alle Gebäude lassen sich veräußern; andererseits haben sich die Immobilienpreise in Bayern seither mehr als verdoppelt, so daß die gesamten Rücklagen auf jeden Fall bei über 5 Milliarden DM liegen, das sind 2000 DM pro Mitglied.
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Lehmann hatte in einem KNA-Interview mit ungewöhnlicher Offenheit erklärt: "Die Kirche ist keine Demokratie und kann sich überhaupt nicht an eine Verfassung oder ein einziges Regierungssystem binden." (Letzteres hatte sie im Dritten Reich überdeutlich bewiesen, MIZ-Red.)
Auch der neue Bamberger Erzbischof Braun sieht zwischen Kirche und Demokratie einen Widerspruch, der aber nicht "tragisch" sein müsse. Die Kirche gründe in ihrem Entstehen und Bestehen nicht auf der Volkssouveränität, sondern in der "Hoheitsgewalt Gottes". Die Probleme der hierarchisch verfaßten Kirche würden durch eine Demokratisierung nicht gelöst. (Süddeutsche Zeitung, 5.10.95; KNA, 6.9.95; Erlanger Nachrichten, 6.10.95)
Anm. MIZ-Red.: Im erwähnten Interview meinte Lehmann treffend: "Freilich kann auch in einer Demokratie nicht über alles durch bloßen Mehrheitsbeschluß abgestimmt werden, zum Beispiel über die Grundrechte." Es wäre gut, wenn er die CSU-Landtagsfraktion - angesichts der Auswüchse in der Schulkreuz-Debatte - baldmöglichst über diesen Sachverhalt in Kenntnis setzen könnte.
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Anm. MIZ-Red.: In einem Punkt schoß der Stadtrat allerdings über das Ziel hinaus: Er beschloß einen öffentlichen Zuschuß von 100.000 DM zu dem 1,8 Mio. DM teuren Bauwerk. Die Begründung des Bürgermeisters ("Wir verhalten uns so, als ob die Moschee eine ganz normale Lauinger Kirche wäre. Sie erhält unsere volle Unterstützung.") trägt zwar dem Grundsatz der Gleichbehandlung Rechnung, aber auf der falschen Ebene, denn der Rat ignoriert das Verfassungsgebot der Trennung von Staat und Kirche völlig.
Frankreich
Großbritannien
Italien
Kroatien
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Sein Amtsbruder Kardinal Kuharic bezeichnete die "Befreiung" der Krajina als gerechtfertigten Akt der Selbstverteidigung Kroatiens. Er berief sich ausdrücklich auf den neuen, vom Papst abgesegneten Weltkatechismus, wo die Bedingungen für einen "gerechten Krieg" aufgeführt sind; diese träfen auf sein Land zu.
Der Ethiker Dietmar Mieth (Tübingen) wies diese Ansicht zurück: "Der gerechte Krieg ist eine Fiktion. ... Tatsächlich haben immer wieder kriegführende Staaten die Kriterien in ihrer Propaganda verwendet oder auch mißbraucht. Noch im Zweiten Weltkrieg haben Vertreter der katholischen und auch der evangelischen Kirche die deutsche Aggression in diesem Sinne qualifiziert." Zur Frage, ob "gerechter Krieg" nur eine Steigerungsform des "heiligen Kriegs" sei, meinte Mieth: "Die Wortverbindung "gerechter Krieg" erweckt den Eindruck, sozusagen mit Stolz der gerechten Sache zu dienen und in jedem Fall auf der richtigen Seite zu sein. ... Deshalb finde ich es sehr ungeschickt, wie der Papst den Begriff "gerechter Krieg" benutzt, und noch ungeschickter, wie Kardinal Kuharic ihn verwendet. Gerade in Ex-Jugoslawien steht "gerechter Krieg" in einer Tradition, die man mit dem zusammensehen kann, was "heiliger Krieg" mitunter gemeint hat. Das islamische Verständnis vom "heiligen Krieg" besagt ja zunächst einmal nichts anderes als eine Anstrengung im Dienst des Glaubens. Daraus schließt man, daß kriegerische Anstrengungen unter bestimmten Voraussetzungen gegen Andersgläubige erlaubt sein könnten. In Ex-Jugoslawien scheint es schwer, die Nationalität unabhängig von Glaubensfragen zu definieren. Wir dürfen nicht vergessen, daß solche Überlegungen des Islam und die Kreuzzüge der Christen in einem Zusammenhang stehen. In Ex-Jugoslawien darf man in der jetzigen Lage nicht übersehen, daß jede Berufung auf den "gerechten Krieg" auf den Glauben abfärbt. Da herrscht dann die Vorstellung, daß man zu der gerechten Partei gehört. Und die gerechte Partei ist im wesentlichen - wenigstens äußerlich - durch die Religionszugehörigkeit gekennzeichnet."
Von solchen Mahnungen völlig unbeeindruckt zeigte sich der Bischof und frühere Moraltheologe Lehmann, der "unter Umständen" ein militärisches Eingreifen der NATO auf dem Balkan für notwendig hält. (KNA, 9., 10. u. 11.8.95)
Österreich
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Die Sozialistische Jugend (SJ), die Jugendorganisation der SPÖ, bereitet sogar eine Verfassungsklage vor. SJ-Vorsitzender Delfs erklärte gegenüber dem Wochenmagazin News: "Wir werden einen Schüler unterstützen, der beim Verfassungsgerichtshof gegen die verpflichtende Anbringung eines Kreuzes in seiner Klasse klagen will." Der Wiener Verfassungsrechtsexperte Heinz Mayer meinte dazu, der deutsche Beschluß werde im Falle einer Klage starken Vorbildcharakter bei der Rechtsprechung haben.
Obwohl die "Aufregung" in der SPÖ groß ist und sich die gesamte Parteispitze für die Beibehaltung der Kreuze ausgesprochen hat, wird die Klage aus dem Budget der Parteijugend bezahlt. Im Laufe der inzwischen ausgelösten Debatte wandten sich katholische Verbände gegen eine Änderung, während der evangelische Bischof Knall einen Zwang zum Aufhängen des Kreuzes für falsch hält. Man müsse sich damit abfinden, "daß Christen nicht mehr selbstverständlich von Amts wegen geschützt und behütet werden". Sein katholischer Amtsbruder Krätzl, der die schulpolitischen Interessen seiner Kirche wahrnimmt, kritisierte diese Auffassung. Sie sei zwar "abstrakt bedenkenswert", aber ohne "Rücksicht auf das politische Umfeld" getroffen worden. Konkret heißt dies, daß selbst "Schulbischof" Krätzl den Kreuz-Zwang in staatlichen Schulen für diskussionswürdig hält, die österreichische Kirche aber nicht zur freiwilligen Aufgabe einer Machtposition bereit ist. (KNA, 12., 17., 19. u. 22.8.95)
Anm. MIZ-Red.: Die bisherige Regelung weist mehrere Widersprüche auf. Ihr zufolge müssen auch in Klassen mit christlicher Minderheit Kreuze hängen, wenn Konfessionsangehörige in der gesamten Schule die Mehrheit bilden - davon abgesehen, daß die formale Kirchenzugehörigkeit noch nichts über den tatsächlichen Elternwillen aussagt und daß es christliche Minderheiten gibt, die die Anbringung eines Kreuzes gar nicht wünschen. Außerdem wird hier durch ein Religionsunterrichts-Gesetz etwas geregelt, was auch außerhalb des RU wirksam ist. Gipfel der Unlogik ist schließlich, daß eine Angelegenheit des allgemeinen Schulwesens - über den RU hinaus - Gegenstand eines Völkerrechtsvertrags mit einem ausländischen Staat ist, wobei überdies die Zugehörigkeit zu einem nichtkatholischen Bekenntnis mit zum Maßstab gemacht wird.
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Nachdem der Katholiken-Anteil schon zwischen den Erhebungen von 1981 und 1991 von 84 auf 78 Prozent sank, wird er bis zum Jahr 2045 auf maximal 50 und minimal 30 (in Wien gar nur 13) Prozent fallen. Dabei ist der "Schneeballeffekt" noch gar nicht berücksichtigt: je mehr Menschen erst einmal aus einer "Mehrheits-Organisation" ausgetreten sind, umso größer wird dieselbe Neigung bei den Verbleibenden. (Frankfurter Rundschau, 21.8.95)
Nach eigenen Angaben traten in den ersten sieben Monaten 1995 in der Erzdiözese Wien 13.728 Katholiken aus, 29 % mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahrs. (3Sat, 23.8.95)
Polen
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Das Episkopat griff auch den sozialdemokratischen Premier Oleksy an, dem er "antinationale Politik" unterstellte. Der Sekretär der Bischofskonferenz gab der regierenden Linkskoalition die Schuld, daß das 1993 unterzeichnete Konkordat immer noch nicht ratifiziert sei.
In den Tagen vor der Abstimmung ließen sich immer wieder hohe Kirchenfürsten an Walesas Seite ablichten. Walesa selbst gab sich angesichts des geistlichen Beistands so siegessicher, daß er sich zu einem verräterischen Vergleich hinreißen ließ: "Nur der Papst kann mit mir konkurrieren." (Süddeutsche Zeitung, 19. u. 21.9.95; Welt am Sonntag, 22.10.95; Stern, 26.10.95)
Schweden
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Nur 15 % der Schweden lehnen laut Umfragen die Reform ab, und selbst nach Auffassung der führenden bürgerlichen Zeitung Göteborgs-Posten hat sich "das veraltete Staatskirchensystem selbst überlebt. Der schwedische Staat "benutzte die Kirche als effektives Machtinstrument und bestrafte die Abtrünnigen. Die Kluft zwischen dieser Funktion und der eigentlichen Botschaft konnte kaum größer sein." Nach Umfragen sind die Schweden noch weniger religiös als die meisten Mitteleuropäer. Nur 5 % der 7,6 Mio. Protestanten gehen sonntags in die Kirche.
Dennoch wurde erst 1951 die Zwangsmitgliedschaft in der evangelischen Kirche abgeschafft und allen Schweden Religionsfreiheit gewährt. Das Personenstandsregister, von der Kirche jahrhundertelang auf Staatskosten geführt, ging erst 1991 an den Staat über, der seither eigene Einwohnermeldeämter führt.
Was sich genau ändert, muß eine Kommission aus Vertretern von Staat und Kirche noch festlegen; danach richtet sich auch der Wortlaut der neuen Verfassung. Fest steht aber, daß ab 2000 nicht mehr der Reichstag das höchste kirchliche Organ sein und das Kirchenministerium aufgelöst wird. Außerdem wird die staatliche Kirchensteuer durch einen von den örtlichen Kirchengemeinden bestimmten Mitgliedsbeitrag ersetzt. Der Staat leistet dann nur noch Zuschüsse zu kulturhistorischen Bauten. (Neues Deutschland, 18.10.95)
Anm. MIZ-Red.: In der Diskussion ist ein stark verringerter Friedhofs-Beitrag für Nichtmitglieder, sofern das kirchliche Monopol im Friedhofswesen bleibt; genannt wurden 0,4 % des Einkommens, während die Kirchensteuer bisher 0,85 plus jene 0,4 % ausmacht. Überdies soll nur noch als Kirchenmitglied geführt werden, wer (neben der Taufe als innerkirchliche Voraussetzung) ab dem Erreichen der Religionsmündigkeit (in Schweden 16 Jahre) eine Beitrittserklärung ausfüllt.
An Geldnot wird die schwedische Kirche aber auch künftig nicht leiden, wie der Spiegel bereits 1989 auflistete. Damals veranschlagten der Kirchenjurist Karlberg und das staatliche Vermessungsamt allein das Vermögen der im "Pfarrerlohnfonds" eingebrachten Stiftungen und Schenkungen aus früheren Jahrhunderten (vor allem verpachtete Bauernhöfe, vermietete Immobilien und ein riesiger Forstbestand von 3.750 qkm, also einer Fläche von 75 x 50 km) auf rund 4 Milliarden DM. Da die Rendite, aus der die Gehälter der Pfarrer mitfinanziert werden, nur bei knapp 3 % lag, sollte das Vermögen unter dem Dach einer (in der Landespresse als "Aktiengesellschaft schwedische Kirche" bezeichneten) Holding mit drei Konzerntöchtern zusammengefaßt werden: einem Forstunternehmen, das mit professionellem Management die Renditen verbessert, einem Agrarverwaltungsunternehmen, das weniger rentable Pachthöfe abstößt, und einem Finanzunternehmen, das die kirchlichen Wertpapiere wie eine Bank verwaltet. Karlberg dachte sogar an eine Einführung der neuen Kirchenunternehmen an der Börse; dieser Teil des Konzeptes wurde bisher aber nicht realisiert. Zusätzlich nahm die Staatskirche 1988 umgerechnet 2,4 Milliarden DM Kirchensteuern ein. (Der Spiegel, 28.8.89)
Schweiz
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Kantonsparlamentarier Honegger, der für die Trennung eintritt, führte das Ergebnis auf eine "Angstkampagne" der Kirchen zurück. Die FDP-Politikerin und Trennungsgegnerin Wettberg räumte ein, daß trotzdem Reformen nötig seien. Die staatlichen Zuschüsse, die auch von Anders- und Nichtgläubigen finanziert werden, müsse man überdenken. Die Schweizer Freidenker wiesen darauf hin, daß die Rechtsgrundlage für die Staatszuschüsse, nämlich angebliche "Historische Rechtstitel" der Kirchen, gar nicht existiert.
Ihr Ehrenpräsident Bossart erklärte seinen Austritt aus der Sozialdemokratischen Partei, weil sich diese nicht einmal bereit zeigte, sich neutral zu verhalten und auf eine Stimmempfehlung zu verzichten. (Süddeutsche Zeitung, 25.9.95, Freidenker Schweiz 11/95; vgl. auch MIZ 3/95, Meldung 2163)
Anm. MIZ-Red.: Nach einem von Prof. H. Nef (in ihrem Auftrag) ausgearbeiteten Gutachten kam die Kantonsregierung in einem Abschlußbericht am 12.1.1983 zu folgendem Ergebnis: "Das führte zu den nachstehenden Folgerungen: die 'historischen Rechtstitel', welche der Verfassungstext von 1963 vorbehalten hat, bestehen nicht. ... Das von Prof. H. Nef geleitete Gutachten der Direktion des Innern gelangte deshalb zum Ergebnis: Wenn der Kanton eine radikale Trennung von Kirche und Staat durchführen wollte, wobei auch gleich die Kirchgemeinden liquidiert würden, so könnte er das tun, und zwar ohne den Kirchen oder allfälligen Rechtsnachfolgern irgend etwas bezahlen zu müssen." (S. 23 u. 24 des Berichts)
Vatikan
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Überraschung rief die radikale Verdammung der Sterbehilfe hervor: "Die Euthanasie ist eine Mordtat, die kein Ziel zu rechtfertigen vermag... Es gibt für das Individuum kein Recht zur Euthanasie, weil es kein Recht zur willkürlichen Verfügung über das eigene Leben gibt. Kein im Gesundheitsdienst Tätiger kann sich daher zum vollziehenden Hüter eines nicht bestehenden Rechtes machen. ... Vor allem darf er sich über das ihm zur Sorge anvertraute Leben nicht Macht und Recht anmaßen, das weder er noch der Patient selbst besitzt."
Die Charta war so abgefaßt, daß sie sich nicht nur an katholische, sondern an alle im Gesundheitswesen Beschäftigte richtete. (Tag des Herrn, Kirchenzeitung der ostdeutschen Diözesen, 17.9.95)
Anm. MIZ-Red.: 1. Die kirchenoffizielle Übersetzung verwendete den Begriff der "Unterbrechung" der Schwangerschaft, also genau die Formulierung, die von Lebensschützern so heftig angegriffen wird, weil sie angeblich verharmlose.
2. Schon vor Jahren hatten katholische Gynäkologen betont, die Ausnutzung des Fruchtbarkeitszyklus (von Befürwortern als "natürliche Methode", von Kritikern als "vatikanisches Roulette" bezeichnet) sei in Wirklichkeit nichts anderes als ein "geistiges Kondom".
3. Der Direktor des "bio-ethischen Zentrums" an der Herz-Jesu-Universität in Rom, Sgreccia, hatte bereits 1989 mit päpstlicher Billigung auf einem Kirchenkongreß erklärt, "auch wenn ein Ehepartner an Aids erkrankt sei, dürfe ein Kondom zum Schutz vor Ansteckung nicht verwendet werden. ... Einen Schwangerschaftsabbruch bei aidsinfizierten oder aidskranken Müttern lehnte Sgreccia entschieden ab. Auch ein infizierter oder kranker Fötus habe ein Recht auf Geburt. Der betroffenen Familie müsse in einem solchen Fall seelische und materielle Hilfe der Gesellschaft (aber nicht etwa der Kirche, Anm. MIZ-Red.) zuteil werden." (Zitat von KNA) Auf derselben Tagung kritisierte übrigens der jetzige Chef der katholischen Volkspartei, Rocco Buttiglione, die "Ideologie des Präservativs" und verteidigte die Klassifizierung von Aids als "Strafe Gottes". (KNA, 16.11.89)
Lateinamerika
Brasilien
Mexiko
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Gründe für die Ernennung eines Koadjutors, der das Recht zur Bischofs-Nachfolge hat, sind laut Kirchenrecht "schwerwiegendere Umstände, auch persönlicher Art" wie z.B. hohes Alter oder angeschlagene Gesundheit des Amtsinhabers. Auf Ruiz trifft beides nicht zu. (KNA, 15.8.95)