"Enttäuscht von der Kirche?"

Gunnar Schedel

Der IBKA zu Gast in einer kirchlichen Gesprächsrunde

Aus: IBKA Rundbrief August 2003

Dass ein Vertreter (oder eine Vertrete­rin) des IBKA zu einer Wahlkampftalk­show eingeladen wird, dürfte eher selten vorkommen; richtiggehend überraschend jedoch war die Anfrage einer evangeli­schen Kirchengemeinde, ob der IBKA nicht jemanden zu einer Gesprächsrunde vor der Kirchenwahl schicken wolle. "Enttäuscht von der Kirche?" sollte das Thema sein, und obwohl er wahrscheinlich behaupten würde, in den letzten 20 Jahren nur selten von der Kirche negativ über­rascht worden zu sein, nahm der lang­jährige MIZ-Redakteur Gunnar Schedel den Termin für den IBKA wahr.

Die Evangelische Kirche von Hessen-Nassau (EKHN) ist eher dem liberalen Flügel der Protestanten zuzurechnen, wo Kirche auch als Institution inmitten der Gesellschaft verstanden wird. Pfarrer Matthias Welsch hatte denn auch ein tat­sächlich kontroverses Podium nach Röder­mark eingeladen, das mit KandidatInnen und Wahlberechtigten über persönliche Gründe für Nähe bzw. Distanz zur Kirche debattieren sollte: Gundel Neveling, Leite­rin des Zentrums für gesellschaftliche Ver­antwortung der EKHN, den Chefredakteur der "Zeitung kritischer Christen" Publik-Forum, Peter Rosien, und als jemanden, der Kirche von außen betrachtet, Gunnar Schedel.

Nach der Vorstellungsrunde und der Erläuterung der eigenen Stellung zur Kir­che ging es auch um die Frage, in wel­chem Verhältnis Staat und Kirche denn stehen sollten. Hier gab es interessanter­weise einiges an Gemeinsamkeiten zwi­schen dem libertären Atheisten und dem kritischen Christen, was die Analyse betraf (während die Kirchen-Angestellte sich ehrlicherweise für befangen erklärte). Denn auch Peter Rosien sah eine viel zu starke Verbindung zwischen Kirche und dem Staat, was nach seiner Auffassung dazu führe, dass seine Kirche viel zu wenig Widerstand gegen die neoliberale Globalisierung und ihre Folgen leiste. Gleichzeitig wurde aber auch der ent­scheidende Unterschied im Ansatz klar: während Gundel Neveling und der Publik-Forum-Redakteur eine Veränderung der Kirche im Auge hatten und dorthin ihre Forderungen adressierten, kritisierte der konfessionslose Gast die staatlichen Stellen.

Ob die Kirchengemeindemitglieder aus der Begegnung mit einem organisierten Atheisten etwas "mitnehmen" konnten, ist schwer zu beantworten. Die Gesprächs­atmosphäre war ausgesprochen freundlich, und obwohl verständlicherweise mehr Fragen an die beiden Kirchenmitglieder gerichtet wurden, kam der explizit kirchen- und religionskritische Standpunkt nicht zu kurz. An einer Situation zeigte sich jedoch brennspiegelartig, dass hier zwei Welten mit einer (in solchen Fragen) kleinen Schnittmenge aufeinander trafen. Beim Thema "Glaube und Kirche" be­klagte eine Frau aus dem Publikum, dass die Menschen in Zeiten, wo weder Not noch Krieg herrschen, einfach nicht glau­ben wollen. Gunnar Schedel entgeg­nete darauf, dass er es ganz in Ordnung fände, dass es in Europa in den letzten 50 Jahren nur wenige Kriege gegeben habe und die meisten Menschen in Deutschland keine wirklichen Existenzängste haben müssten. Und hängte die rhetorische Frage an, ob er die Äußerung denn als Wunsch nach Krieg und Not verstehen solle. Natürlich wollte das niemand im Raum so verstanden wissen, aber die Verunsicherung, die für gläubige Menschen das Leben in einer Welt mit sich bringt, in der Glaube begründet werden muss und für eine Vielzahl vom Menschen nicht ausreichend begründet erscheint, war in diesem Mo­ment spürbar.