1977 - Meldungen 95-124

1977 - Meldungen 95-124 rhartmann Sun, 11/14/2004 - 14:58

Westeuropa

Belgien

(95) Okt 1977. Nach Auffassung des belgischen Ministerpräsidenten Leo Tindemans hängt die Zukunft Europas mit einer Rückkehr zu tieferen Werten zusammen. Er sei sicher, "daß die Kirche diese Werte liefern kann".

Frankreich

(96) Sep 1977. Das Sekretariat für den katholischen Unterricht in Paris protestierte gegen die im Regierungsprogramm der linken Parteien vorgesehene Abschaffung der finanziellen Zuschüsse für katholische Schulen.
(97) Okt 1977. Eine Umfrage des demoskopischen Instituts IFOP im Auftrag der katholischen Wochenzeitschrift La Vie über das Verhältnis junger Franzosen zur Kirche erbrachte ein für die katholische Kirche niederschmetterndes Ergebnis: Nur 14 Prozent der befragten Jugendlichen erklärten, wenigstens einmal im Monat in die Kirche zu gehen. Als Grund für ihr Fernbleiben gaben 15 Prozent fehlenden Gottglauben an (1967 drei Prozent). 20 Prozent fühlten sich durch die Messe gelangweilt (1967 zehn Prozent).

Italien

(98) Okt 1977. Nachdem die angesehene liberale und auflagenstärkste italienische Tageszeitung Corriere della Sera überraschend in den alleinigen Besitz des Verlegers Angelo Rizzoli übergegangen ist - er legte zum Kauf der Anteile umgerechnet weit über 40 Millionen DM auf den Tisch - verdichten sich Gerüchte, nach denen durch Vermittlung von Franz-Josef Strauß Geld von Axel Springer nach Italien geflossen sein soll, das letztlich für die Etablierung eines Zeitungskonzerns bestimmt wäre, der die gleiche politische Richtung zu vertreten hätte wie Springerblätter in der Bundesrepublik. Federführend bei der Transaktion sind dem Vernehmen nach die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank (Hausbank der CSU) und die Ambrosiana (Hausbank des Papstes) gewesen. Erste Wirkung des Verkaufs: der liberale Chefredakteur des Corriere della Sera, Piero Ottone, wurde entlassen und durch zwei konservative Redakteure ersetzt. Einer, Franco di Bella, war zuletzt Redakteur beim konservativen Resto del Carlino in Bologna.
(99) Okt 1977. Am 13. Oktober äußerte sich KP-Sekretär Enrico Berlinguier in der Zeitschrift Rinascita über das Verhältnis der KPI zur Religion: Die KPI halte es recht ordentlich mit ihr. Sie sei keine theistische, aber auch keine antitheistische Partei und erstrebe einen konfessionslosen, atheistischen, aber keinen anti-theistischen Staat. Laut Artikel 2 der KPI-Satzung sei die Parteimitgliedschaft "unabhängig von Rasse, religiösem Glauben und philosophischen Überzeugungen". - Bereits im September 1977 hatte das ZK-Mitglied der KPI, Lombardi Radice, angekündigt, daß auf dem nächsten Parteitag die Verpflichtung der KP-Mitglieder zur Einhaltung marxistisch-leninistischer Prinzipien aus den KPI-Statuten gestrichen werden solle.

Niederlande

(100) Sep 1977. Der Niederländische Werbeaufsichtsrat gab der Klage eines Fernsehzuschauers statt, der an einem Werbespot für ein Erfrischungsgetränk Anstoß genommen hatte. Das Getränk war als Geschenk des Himmels für die Bewohner der Hölle angepriesen worden. Der Werbeaufsichtsrat entschied, eine solche Reklame verletze das religiöse Empfinden des Menschen und sei eine Beleidigung Gottes.

Österreich

(101) Sep 1977. Den Wert der jährlich an Salzburgs Schulen erforderlichen Religionsbücher bezifferte das Katechetische Amt der Erzdiözese auf fünf Millionen Schilling.
(102) Sep 1977. Die Junge Generation in der SPÖ verteilte an Pflichtschüler in Wien Flugblätter mit der informativen Aufforderung, sich vom Religionsunterricht abzumelden. Dieser sei kein Pflichtfach und stehe im Dienste konservativer und reaktionärer Ideologie.

Schweiz

(103) Sep 1977. In einer Volksabstimmung über die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruches in den ersten drei Monaten (Fristenregelung) stimmten 930.000 Bürger dafür, 995.000 dagegen. Die schweizerischen Bischöfe hatten zuvor eine beispiellose Diffamierungskampagne gegen die Fristenregelung inszeniert.

Afrika

Ägypten

(104) Nov 1977. Der ägyptische Staatspräsident Sadat hat seine Israel-Reise dazu benutzt, den seit langem schwelenden Konfessionsstreit im eigenen Lande zwischen den sieben Millionen koptischen Christen und der muslimischen Mehrheit zugunsten der Kopten zu entscheiden: Sadat berief nach der Demissionierung seines Außenministers Fahmi und dessen designierten Nachfolgers Riad mit dem Juristen Boutros Ghali einen Christen in das drittwichtigste Staatsamt. Die von kämpferischen Moslemgruppen geforderte Einführung des islamischen Scharia-Rechts ist jedenfalls in weite Ferne gerückt, während das politische Erstarken der Kopten, die näher an die römisch-katholische Kirche herangerückt sind, von entscheidender Bedeutung für die Christianisierung des afrikanischen Kontinents werden könnte. Auch der Besuch Sadats in der Grabeskirche zu Jerusalem und sein dort gegebenes Versprechen, die Renovierungsarbeiten im koptischen Teil des Viel-Konfessionen-Heiligtums mitzufinanzieren, war offenkundig mehr als nur ein taktischer Schachzug. Die arabische Einheit steht vor einer schweren Belastungsprobe. Der Vatikan dürfte einem Auseinanderfallen der arabisch-islamischen Front durchaus nicht unfreundlich gegenüberstehen.

Saudi-Arabien

(105) Sep 1977.Unter dem Vorsitz des saudi-arabischen Prinzen Mohammed el-Faisal haben sich fünf arabische Banken, die getreu dem mohammedanischen religiösen Gesetz der Scharia keine Zinsen nehmen, zu einem eigenen "Verband islamischer Banken" zusammengeschlossen.

Senegal

(106) Mai 1977. Dem katholischen Staatspräsidenten Leopold Senghor wurde die Ehrendoktorwürde der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität verliehen. In Rom wurde Senghor von Paul Vl. in Privataudienz empfangen.

Lateinamerika

Chile

(107) Sep 1977. Der Exekutivsekretär der "Unidad Popular", Clodomiro Almeyda, lobte in der Ostberliner Zeitschrift Neue Zeit vom 13. September die Haltung der katholischen Kirche seines Landes im Kampf gegen das Pinochet-System. Zwischen der Unidad Popular und der katholischen Kirche bestünde eine "Einheit" sowohl an der Basis als auch "oben".

Nordamerika

USA

(108) Okt 1977. Ruth Stapleton-Carter traf in München mit Kardinal Ratzinger zusammen. Die Schwester des US-Präsidenten leitet eine einflußreiche Meditationsbewegung in den Vereinigten Staaten.
(109) Okt 1977. Eine Aktion "Recht auf Leben" kämpft gegen die Rechtsentscheidung von 1973, mit der die Abtreibung in den Vereinigten Staaten legalisiert worden war. Diese hauptsächlich von Katholiken und ihren Oberhirten getragene Gegenbewegung rechnet sich gute Chancen aus, die Fristenregelung wieder zu Fall zu bringen. Schon werden Schwangerschaftsabbrüche ohne medizinische Indikation an vielen öffentlichen Krankenhäusern verfassungswidrig verweigert, fließen die Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln für solche Eingriffe spärlicher oder versiegen ganz.

Asien

Burma

(110) Nov 1977. Erstmalig seit vielen Jahren wurden Vertreter des Episkopats von Burma von Paul VI. in Privataudienz empfangen, darunter Altbischof Howe von Myitkyina.

VR China

(111) Aug 1977. Der elfte Kongreß der Kommunistischen Partei Chinas vom 12. bis 18.August in Peking signalisierte eine Wende in der chinesischen Innen- und Außenpolitik. Anstelle des Studiums der Werke Maos tritt die Steigerung der Produktion unter Berücksichtigung des materiellen Anreizes. Möglicherweise nimmt die Volksrepublik künftig langfristige Kredite im westlichen Ausland auf. Der Kauf amerikanischer Waffensysteme erscheint nicht ausgeschlossen. Es erhebt sich auch die Frage, wann im Gefolge dieses "Tauwetters" der Vatikan ins politische Spiel gebracht wird.

In Stichworten

Europatag in Ottobeuren

(112) Sep 1977. Zu einem "Europatag" der Kirchenführer und Spitzenvertreter der christlich-konservativ orientierten Parteien Westeuropas hatte der Augsburger Bischof Josef Stimpfle am 17./18. September in die Benediktinerabtei Ottobeuren eingeladen. Die Teilnehmer wurden von der Anti-Terror-Brigade des Bundesgrenzschutzes bewacht. Von den anwesenden Bischöfen, Äbten und Politikern seien nur einige genannt: Kardinal Benelli, persönlicher Vertrauter des Papstes und Erzbischof von Florenz; der spanische Kultusminister; Helmut Kohl; Franz Josef Strauß; der Sohn des Altkanzlers Adenauer; die Witwe des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten De Gasperi; ein Neffe von Robert Schuman; ein Enkel von Winston Churchill; die Witwe des Begründers der Paneuropäischen Bewegung, Coudenhove Kalergi; der evangelische Altlandesbischof Dietzfelbinger; der anglikanische Erzbischof von Leicester; Prior Roger Schutz aus Taize. 58 führende Vertreter christlicher Kirchen und Parteien hatten Grußadressen geschickt. Papst Paul VI. sandte eine persönliche Botschaft, in der er zur "gemeinsamen Besinnung" auf das christliche Fundament der Kultur und Geschichte Europas aufforderte und zu "christlicher Solidarität" bei der Zusammenarbeit für ein geeintes, im Geiste Christi geprägtes Europa aufrief. Papst-Günstling Benelli ermahnte die Völker Europas, sich wieder um die "Identität" ihrer christlichen Tradition zu bemühen. - Die SPD warf dem Augsburger Bischof Stimpfle vor, er mißbrauche sein pastorales Amt für parteipolitische Zwecke. Stimpfle, der keine Sozialdemokraten nach Ottobeuren eingeladen hatte, hielt der SPD entgegen, diese "kirchliche Veranstaltung" solle darauf hinwirken, "daß die geistigen Werte des Christentums zur Grundlage für den Aufbau eines geeinten, freien Europas gemacht werden". Nach Meinung des Bischofs wurde eine Teilnahme sozialdemokratischer Politiker diese "in einen Konflikt zwischen Loyalität zu ihrer Kirche und der Loyalität zu ihrer Partei hineindrängen". Der SPD-nahe Parlamentarisch-Politische Pressedienst (PPP, Nr. 111/77) forderte als Konsequenz die Reaktivierung des "Bundes christlicher Sozialisten", in dem sich katholische und evangelische Sozialdemokraten zusammenschließen sollten.

Europa- Wahlen

(113) Mai 1977. Wie von katholischer Seite verlautet, werden nach den ersten Direktwahlen zum westeuropäischen Parlament in Straßburg die christlich-demokratischen Parteien als "Koalition der Euro-Christen" den "Euro-Kommunisten" und der Sozialistischen Internationale gegenübertreten. Ein Hinauszögern der Wahlen würde nach Meinung sozialdemokratischer Kreise eindeutig die "Euro-Christen" stärken.
(114) Mai 1977. Als "historischen Wendepunkt" bezeichnete Otto von Habsburg in der Deutschen Tagespost die Europawahlen. Sie seien der erste Schritt zur Übertragung echter Souveränitätsrechte an die europäischen Autoritäten. Sie an die Macht zu bringen, dafür müßten die "guten Europäer" sorgen.
(115) Jul 1977. Die in der "Europäischen Union Christlicher Demokraten" (EUCD) zusammengeschlossenen christdemokratischen Parteien einigten sich auf Rom als Sitz des EUCD-Generalsekretariats.
(116) Sep 1977. Über 60 Prozent der Einwohner in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft (EG) sind Katholiken (etwa 160 Millionen von rund 255 Millionen). Durch die Aufnahme von Spanien und Portugal verändert sich das Konfessionsverhältnis völlig zugunsten der Katholiken.

KSZE-Nachfolgekonferenz in Belgrad

(117) Okt 1977. Der Untersekretär des Vatikanischen Rates für die öffentlichen Angelegenheiten erklärte in Belgrad, zwei Jahre nach der Unterzeichnung der Schlußakte von Helsinki seien in Hinblick auf die Religionsfreiheit "eine gewisse Anzahl positiver Dinge verwirklicht" worden: größere Freiheiten bei Reisen aus religiösen Gründen, insbesondere für die Rom-reisender Bischöfe; Druck- bzw. Einfuhrerlaubnis für religiöse Bücher; Einstellung der Störung religiöser Rundfunksendungen, insbesondere der vatikanischen.

Mission

(118) Aug 1977. Nach den Angaben des neuen Jahrbuchs der katholischen Kirche für Afrika bekennen sich derzeit etwa 47 Millionen der 401 Millionen Einwohner zum katholischen Glauben, das sind 11,7 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Ökumene

(119) Jun 1977. Die Delegierten der 95 Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes erklärten zum Abschluß der Vl. Vollversammlung in Daressalem ihre Bereitschaft, den Dialog mit der römisch-katholischen Kirche weiterzuführen und zu vertiefen. Ein Hauptthema des Gesprächs soll die von katholischen Theologen vorgeschlagene Anerkennung der Confessio Augustana sein.
(120) Nov 1977. Für eine Trennung von den Protestanten im Ökumenischen Rat der Kirchen plädierte der Bischof von Neu Delhi der Indischen Orthodoxen Kirche, Paul Verghese. In der von belgischen Benediktinern herausgegebenen Zeitschrift Irenikon schlug er eine von Katholiken, Orthodoxen und nicht-chalcedonensischen Orientalen zu bildende Organisation vor, die der "Möglichkeit engerer Beziehungen zwischen der römisch-katholischen Kirche und den beiden Familien orthodoxer Kirchen" Rechnung trage. Laut Verghese müsse eine neue Struktur der Erneuerung und Vereinigung dieser drei Kirchen geschaffen werden.

Pfadfinder

(121) Aug 1977. Auf der Weltpfadfinderkonferenz in Montreal stellte der Futurologe Wilses W. Harman das Bedürfnis nach einer neuen Spiritualität in der Welt fest. (Interessanterweise zeigt sich das Paradepferd der deutschen Futurologen und linker "Hans Dampf in allen Gassen", Robert Jungk, neuerdings immer häufiger im christlichen Kreisen. So am Bußtag in der Berliner Kongreßhalle zusammen mit Landesbischof Kruse.)

Paulus-Gesellschaft

(122) Sep 1977. Vom 6.bis 10. September 1977 diskutierten in Salzburg rund 300 Theologen und Wissenschaftler aus West- und Südeuropa, Argentinien, Bolivien, Kanada, USA und Ungarn auf einem "Europa-Kongreß" der sogenannten Paulus-Gesellschaft über das Thema "Europa morgen". Auf der vom Jesuiten Erich Keller geleiteten Tagung erklärten Miguel Manzanera aus Bolivien und andere Sprecher der Bewegung "Christen für den Sozialismus", sie benötigten den Marxismus als Instrumentarium der Analyse von gesellschaftlichen Strukturen, die in ihrer " Theologie der Befreiung" zum Ausdruck komme. Alfonso Comin, praktizierender Katholik und Mitglied des Exekutivkomitees der spanischen KP, bezeichnete das Gefängnis unter Franco als einen "Ort theologischer Kreativität". Der Politologe Ossip Flechtheim erklärte auf der Tagung: "Europa morgen muß in der Politik demokratisch, in der Wirtschaft sozialistisch und in der Kultur liberal sein."

Unfehlbarkeit des Papstes

(123) Sep 1977. Der Schweizer Theologe August Hasler vertritt in seiner zweibändigen Promotionsarbeit "Pius IX. 1849-1878. Päpstliche Unfehlbarkeit und Erstes Vatikanisches Konzil, Dogmatisierung und Durchsetzung einer Ideologie" die Ansicht, das Vaticanum 1 sei von einer kleinen entschlossenen Schar pseudomystischer, theologisch unbedarfter, meist aus dem Jesuitenorden und seinem Umkreis stammender Fanatiker manipuliert, von Pius IX. massiv unter Druck gesetzt und deshalb nicht frei gewesen. Dekrete eines unfreien Konzils könnten keine Gültigkeit beanspruchen. Hasler bezeichnet Pius IX. als Paranoiker und zur Zeit des Konzils zumindest partiell unzurechnungsfähig. Außerdem sei der erste "unfehlbare" (laut Dekret des Vaticanums 1) Papst auf dem Stuhle Petri als Lügner, Heuchler, Despot und illegitimer Vater in die Geschichte eingegangen.

Vatikan

(124) Dez 1977. Dem Erzbischof von Indien, Simon Lobosaini, ist am 20. Dezember 1977 im Vatikan im Auftrag von Bundespräsident Scheel durch den BRD-Botschafter beim Vatikan das Bundesverdienstkreuz verliehen worden. Lobosami ist Sekretär der vatikanischen Kongregation für die Glaubensverbreitung.