1984 - Meldungen 663-695

Europa

Bundesrepublik Deutschland

• (663) Gelsenkirchen. Wer Priester einer Sekte ist, die nur Geistliche, nicht aber einfache Mitglieder kennt, muß den Wehrdienst ableisten. Mit dieser Begründung wurde die Klage eines "Priesters" der "University Life Church" abgewiesen. Außerdem sah es das Gericht als erwiesen an, daß die Sekte "einen schwunghaften Versandhandel mit Priester- und Doktortiteln betreibt". Revision wurde nicht zugelassen. (AZ: 12 K 2614/84.) (Süddeutsche Zeitung, 11.10.1984.)

• (664) München. Die evangelische Kirche in Bayern besitzt 5.500 Gebäude im Neubauwert von 6,4 Millionen Mark, darunter knapp 3.000 Häuser und Wohnungen, die zumeist von Pfarrpersonal genutzt werden. Mehr als die Hälfte wurde erst nach 1945 gebaut. Für die Erhaltung gewährt der Freistaat Bayern jährlich etwa 8 Millionen Mark, während die Miet- und Pachteinnahmen der Kirche (steuerfrei!) zufließen. (Süddeutsche Zeitung, 31.10.1984.)

• (665) Kassel/Karlsruhe. Krankenkassen müssen die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs übernehmen. Das Bundesverfassungsgericht wies die Klage einer katholischen Redakteurin auf Kürzung ihrer Versicherungsbeiträge wegen einer ihr "unzumutbaren Mitfinanzierung der Tötung ungeborenen Lebens" ab. Der einzelne Bürger habe aus seinen Grundrechten "keinen Anspruch auf generelle Unterlassung solcher Verwendung", wenn er nicht selbst direkt betroffen sei. Soweit eine Maßnahme mit seinem Glauben unvereinbar sei, könne er nicht verlangen, daß "seine Überzeugung Maßstab der Gültigkeit für alle geltenden Rechtsnormen" werde. (AZ: 1 BvL 43/81 - Beschluß vom 18.4.1984). - Nunmehr hat das Bundessozialgericht entschieden, daß auch Arbeitgeber nicht aus irgendwelchen moralischen Gründen ihren Beitragsanteil kürzen dürfen. (AZ: Bundessozialgericht 12 RK 75/ 81, 18/83, 27/83.) (Süddeutsche Zeitung, 20.6.1984 und 11.2.1985.)

• (666) Köln. Der Kölner Erzbischof, Kardinal Höffner, mahnte in seiner Predigt aus Anlaß des 40. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkriegs, man solle die Frage nach Schuld und Unrecht nun endlich ruhen lassen. Gleichzeitig nahm er selbst aber zu dieser Frage Stellung und lehnte eine Kollektivschuld des deutschen Volkes mit dem Hinweis ab, 50 der 60 Millionen Einwohner der BRD seien erst nach 1945 geboren oder im Dritten Reich Kinder gewesen. (Süddeutsche Zeitung, 9.5.1985.) Aus der Sicht eines katholischen Würdenträgers ist ein solcher Wunsch sehr begreiflich, zumal in letzter Zeit immer wieder Dokumente an die Öffentlichkeit gelangt sind, die die Kollaboration gerade der höchsten kirchlichen Stellen mit den Nazis zusätzlich belegen. Warum sollten aber ausgerechnet jene die Nazi-Vergangenheit "endlich" ruhen lassen, die sie auch bisher immer nach Kräften verdrängt haben?

• (667) Regensburg. Katholische Studentenverbindungen haben nach wie vor einen schweren Stand. Nur rund 2.000 Studenten (0,2% aller Studierenden) sind Mitglied im "Kartellverband katholischer Studentenvereine", der nach eigenem Eingeständnis selbst an katholisch geprägten Universitäten kaum mehr Beachtung findet. Unverändert ist auch die stramm konservative, deutschnationale Ausrichtung geblieben: Neben engen Beziehungen zu den Unionsparteien bestehen auch Kontakte zu ultrarechten Organisationen, zum Beispiel zum "Schlesischen Studentenbund". (Süddeutsche Zeitung, 20.5.1985.)

• (668) Augsburg. Parallel zur fortschreitenden Säkularisierung etablieren sich inner- und außerhalb der Kirchen immer mehr spiritistische und okkultistische Zirkel. Einige Beispiele dazu aus jüngster Zeit: Der evangelische Sektenbeauftragte, Pfarrer Friedrich-Wilhelm Haack, verurteilte die evangelische "Charismatische Gemeindeerneuerung", die mit Zungenreden, Geisttaufe und Prophetie dem "Wirken des Heiligen Geistes Raum geben will", als irrationale "Religion der Emotionalität" und teilweise sogar als "Betrug". Ihr gehören über 50 Pfarrer an, so daß sich sogar die bayerische Kirchenleitung veranlaßt sah, diese Bewegung in Schutz zu nehmen.(Süddeutsche Zeitung, 15.3.1985.)

  In Hamburg wurde ein Oberkirchenrat der Nordelbischen Kirche wegen der Teilnahme an spiritistischen Sitzungen, in denen Seelen von Toten angerufen wurden, vorläufig beurlaubt. (Süddeutsche Zeitung, 25.5.1985.) In München wurde der "Wunderheiler" Ernest Angley, der sich an den Massenprediger Billy Graham anlehnt, als Betrüger und Scharlatan verhaftet. (Süddeutsche Zeitung, 12.7.1984.) - Ein anderer "Wundertäter", der in Rom Tausende von Menschen anzieht, die sich Heilung durch Handauflegung versprechen, blieb auf freiem Fuß: Da Emmanuele Milingo immerhin Erzbischof ist, kann er im Vatikan immerhin das Argument vorweisen, daß er die Leute wieder in die Kirche locke. (Süddeutsche Zeitung, 16.4.1985.) Die evangelische Kirche beklagte, daß neben "Evangelisationen" auch Jugendkreise Zuspruch fänden, die germanische Mythen wiederbelebten und zum Rechtsextremismus neigten. (Süddeutsche Zeitung, 21.5.1985.) - Gleichzeitig wurde kritisiert, daß evangelische Pastoren und sogar eine evangelische Akademie Gurus und Jugendsekten unterstützten, (Rheinischer Merkur, 5.10.1984 und Evangelisches Sonntagsblatt Bayern, 24.3.1985.) Kein Wunder, daß die 1,2 Millionen Bundesbürger, die nach einer Umfrage des Allensbacher Instituts an Hexen glauben, fast alle gleichzeitig Kirchenmitglieder sind. (Süddeutsche Zeitung, 9.4.1985.)

• (669) Das Bundesarbeitsgericht in West-Berlin hob das Urteil des dortigen Landesarbeitsgerichts auf, nach dem die Kündigung eines aus der Kirche ausgetretenen Arztes durch ein katholisches Krankenhaus nicht rechtens sei. Ähnlich wie bei Lehrern bestimmten religiöse Einstellung und Handlungsweise der Ärzte Geist und Glaubwürdigkeit der karitativen Einrichtung, fand das Bundesarbeitsgericht. (Deutsche Tagespost, 21.5.1985.)

Österreich

• (670) Wien. Österreichs Konfessionslose nehmen stark zu. Während ihre Zahl zwischen den Volkszählungen von 1971 und 1981 um 41% auf etwa 450.000 gestiegen ist, büßten die Katholiken 176.000 Mitglieder ein. Damit haben die Konfessionslosen die Protestanten überholt, die nach eigener Aussage "jährlich etwa eine mittelgroße Gemeinde" verlieren. (Deutsche Tagespost, 27.2.1985 und Süddeutsche Zeitung, 26.4.1985.)

Schweiz

• (671) Basel. Die Stadt Basel ist die Hochburg der Konfessionslosen in der Schweiz. Von 1970 bis 1984 erhöhte sich der Anteil der Einwohner, die keiner der beiden Großkirchen angehören, von 11 auf 33%. Allein von 1974 bis 1982 kehrten 25% der Protestanten und 30% der Katholiken ihrer Kirche den Rücken (bei einer gleichzeitigen Bevölkerungsabnahme von knapp 10%). Der weit überdurchschnittliche Mitgliederschwund wird auch auf die Tatsache zurückgeführt, daß in Basel die Kirchensteuer nicht gleichzeitig mit der Lohnsteuer abgeführt wird. (Basler Zeitung, 6.4.1985.)

Niederlande

• (672) Den Haag. Im Vorfeld des Papstbesuchs wurde bekannt, daß der Anteil der niederländischen Katholiken an der Gesamtbevölkerung auf 30%[?] geschrumpft ist, von denen aber nur noch ein Bruchteil kirchentreu ist: Selbst der konservative Kardinal Simonis sprach von "hunderttausenden"(unter nominal 5 Millionen) Katholiken, die sich auf den Papstbesuch freuten. Er machte klar, daß der Papstbesuch nicht dem Dialog, sondern der "Vertiefung des Glaubens" diene. Andere Theologen hingegen prophezeiten eine neue Welle des "Auszugs aus einem Ghetto", das die "ewig besserwissende Kirche" geschaffen habe. (Deutsche Tagespost, 5.3.1985, und Rheinischer Merkur, 23.2.1985.)

• (673) Amsterdam/Den Haag. Erstmals vor einer Papstreise fand im Vatikan eine Messe für das Gelingen des Besuchs in den Niederlanden statt. (Anm. der MIZ: Der Pontifex wußte wohl warum, aber er hat wohl zu wenig gebetet!) Schon im Vorfeld wurde aus katholischen Kreisen die Befürchtung laut, die Visite könne zwar die Traditionalisten bestärken, aber auch zur Trennung vieler Progressiver von der Kirche führen. Es kam schlimmer: Nach einhelliger Bewertung durch die Presse wurde der Aufenthalt in den Niederlanden zum bisher größten Fiasko des Polenpapstes. Aussagekräftiger als die Proteste verschiedenster Gruppen gegen die Haltung zu Geburtenkontrolle, Schwangerschaftsabbruch, Sterbehilfe und Diskriminierung von Geschiedenen war das Desinteresse der Bevölkerung: Die Besucherzahlen blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Nur ein Viertel der Katholiken "freute sich" (laut Umfragen) auf den Gast, während die Hälfte völlig gleichgültig blieb. 30% der Katholiken kannten nicht einmal den Namen des Papstes, der da kam. Da der Gast streckenweise durch fast menschenleere Straßen fahren mußte, wurde ein Slogan Realität: "Steil dir vor, der Papst kommt, und keiner geht hin." (DER SPIEGEL, 6.5.1985, Süddeutsche Zeitung, 10. und 14.5.1985.)

Belgien

• (674) Brüssel. 87% der knapp 10 Millionen Belgier sind katholisch getauft, 73% gehören der katholischen Kirche noch an, aber nur noch ein Drittel davon nimmt am kirchlichen Leben teil, wobei der Einfluß im französischsprachigen Wallonien geringer ist als in Flandern. Wie stark der katholische Einfluß im Alltag ist, geht aus den Tatsachen hervor, daß das Schulwesen zu zwei Dritteln(!) in kirchlicher Hand liegt, die größte Universität des Landes katholisch ist und der christliche Gewerkschaftsbund in Flandern fast so stark ist wie die weltanschaulich neutrale Einheitsgewerkschaft. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.5.1985.) - Dennoch war auch hier das Interesse am Papst geringer als erwartet. (Süddeutsche Zeitung, 17.5.1985.)

Frankreich

• (675) Paris. Rund hundert Generäle aus der westlichen Weit haben auf einer Konferenz über "sowjetischen Expansionismus" eine härtere Politik in Lateinamerika gefordert. Die USA und ihre Verbündeten müßten sich dort "mit allen Mitteln" der Schaffung marxistischer Regimes widersetzen. Die europäischen NATO-Länder sollten "mehr Solidarität" mit der Reagan-Regierung zeigen, sich über "wirtschaftliche und soziale Vorbehalte hinwegsetzen" und sich unter anderem an Militärmanövern in Mittelamerika beteiligen. Die Konferenz schlug außerdem die Schaffung einer "Regionalpolizei" und eine Blockade gegen Kuba und Nicaragua vor und kritisierte die Menschenrechtsorganisation "amnesty international". Veranstalter der Tagung war ein "lnternationaler Rat für Sicherheit", eine Unterorganisation der Mun-Sekte. Da mehr als die Hälfte der Generäle aus den USA kamen, halten Beobachter es für undenkbar, daß eine solche Konferenz ohne Mithilfe höchster militärischer und politischer Stellen der USA zustandekommt. Dies läßt Rückschlüsse auf die enge Verbindung von CIA und Mun-Sekte zu.(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.2.1985.)

• (676) Paris/Rom. Der Welt bedeutendster Kinokritiker, Filmpapst Wojtyla, hat erneut ins Schwarze getroffen. Zunächst war Godards Film "Je vous salue, Marie" ("Gegrüßet seist du, Maria") von Frankreichs konservativ-katholischer Tageszeitung La Croix als "großes christliches Kunstwerk" bezeichnet worden; die vom Papst geschätzte Wochenzeitung Sabato und kompetente Theologen schlossen sich diesem Urteil an. Doch nachdem Anhänger des Traditionalistenführers Erzbischof Lefèbvre vor einem römischen Kino demonstriert hatten, verurteilte auch Wojtyla den Film. Fortan standen auch andere Marien-Fanclubs wie die "Brennende Marianische Jugend", die "Fatima-Bewegung" und die "Miliz der Unbefleckten Jungfrau" vor dem Kino Spalier, hielten den Besuchern Monstranzen und Kreuze entgegen und besprengten sie mit Weihwasser, damit ihnen der Teufel im Kino nichts anhaben könne. Anders als bei Hochhuths Theaterstück "Der Stellvertreter" konnte der Klerus jedoch die Aufführung in Rom nicht verhindern. (Süddeutsche Zeitung, 3.5.1985.)

Großbritannien

• (677) London. Die anglikanische Kirche hat aus Protest gegen die Apartheid ein Aktienpaket des amerikanischen Lebensmittelkonzerns Carnation verkauft, weil in dessen südafrikanischem Zweigwerk Schwarze unter dem Mindestlohnsatz bezahlt werden. Allerdings hat das Aktienpaket lediglich einen Wert von 17 Millionen Mark, während die Anglikaner ihre anderen Beteiligungen bei 30 in Südafrika engagierten Unternehmen im Wert von 3 Milliarden(!) Mark unverändert halten. (Süddeutsche Zeitung, 22.11.1984.) Gerade der letzte Aspekt beweist nicht nur, daß es sich bei dem Verkauf lediglich um eine propagandistische Geste handelt, sondern er wirft ein bezeichnendes Licht auf den ungeheuren Reichtum dieser Kirche.

• (678) London. Da die USA infolge ihrer abtreibungsfeindlichen Haltung ihre Beiträge zu Maßnahmen der Geburtenkontrolle gestrichen haben, mußte die Internationale Familienplanungsvereinigung (IPPF) ihr Budget drastisch kürzen. Die Direktorin des Instituts erklärte, daß nunmehr weniger Verhütungsmittel zur Verfügung stünden und daher die Zahl der Abtreibungen anwachsen werde. (Süddeutsche Zeitung, 6.12.1984.)

Finnland

• (679) Helsinki. Wie in anderen europäischen Ländern sind auch in Finnland zwei gegenläufige weltanschauliche Trends zu beobachten. Einerseits schreitet die Säkularisierung fort: 55.000 Finnen (1,26%) traten von 1980 bis 1983 aus der lutherischen Staatskirche aus, und fast 10% der Neugeborenen blieben ungetauft. Andererseits verstärkte sich innerkirchlich der Einfluß irrationaler, zumeist fanatischer "Erweckungsbewegungen". (Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 12.5.1985.)

Italien

• (680) Rom. Schlechte Nachricht für Italien Klerus: Wenn ab 1990 nach dem neuen Konkordat nicht mehr der Staat, sondern die Steuerzahler die Kirche finanzieren, (vgl. MIZ 3-4/84, Meldung 609), werden nach einer Umfrage des Mailänder Doxa-Instituts genau zwei Drittel ihren Obolus von 0,8% der Lohn- und Einkommensteuer nicht der Kirche, sondern den (als Alternative zur Wahl stehenden) staatlichen Sozialinstitutionen überweisen. (Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 7.4.1985.)

Malte

• (681) La Valetta. Der Schulstreit auf Malta ist mit einem Kompromiß zwischen der Regierung und der Kirche beigelegt. Letztere hat sich nun bereiterklärt, an ihrer Schulen schrittweise die völlige Schulgeldfreiheit einzufahren, nachdem sie ein solches Ansinnen ursprünglich als völlig unfinanzierbar bezeichnet hatte. (Vgl. MIZ 2/84, Meldung 573). (Süddeutsche Zeitung, 30.4.1985.)

Afrika

Südafrika

• (682) Johannesburg. Südafrikas Präsident Botha lobte in einer Ansprache das friedliche Verhalten der ca. 5 Millionen schwarzen Zionchristen, denen für ihre Achtung vor "Gesetz, Ordnung und Autorität" und ihre Anerkennung der Apartheid Respekt zu zollen sei. Gleichzeitig betonte er, er wolle auch künftig gegen Rassentrennungsgegner "mit harter Hand" vorgehen. (Süddeutsche Zeitung, 9.4.1985.)

Asien

China

• (683) Peking. In China wird Religion nicht mehr einheitlich als "Opium fürs Volk" abgelehnt. Ein Mitglied der Politischen Konsultivkonferenz erklärte, Religion sei wichtig für die Entwicklung Chinas. (Süddeutsche Zeitung, 10.4.1985.)

Nordamerika

USA

• (684) Der amerikanische Kontinent wird gegenwärtig von einer religiösen Propagandawelle bisher nicht gekannten Ausmaßes heimgesucht. In den USA haben fundamentalistische Sekten dank spendenfreudigen Anhängern einflußreiche Privatfernsehstationen aufgebaut. Die zumeist antiliberalen und reaktionären Fernsehpastoren werden selbst von der konservativen Katholischen Nachrichtenangentur (KNA) als "religiöse Fanatiker" bezeichnet; im evangelischen Pressedienst (epd) wurde diesen "Glaubenskriegern" und "Demagogen" vorgeworfen, sie züchteten Abhängige und Süchtige. (Anmerkung der MIZ: So treffend diese Urteile sein mögen, so wenig merken die hiesigen Kirchen, wie sehr sie im Glashaus sitzen!)- Noch aggressiver sind die Methoden der Sekten in Lateinamerika: In Tausenden von Dörfern und Kleinstädten geht jeden Abend ein Lautsprecherkrieg der Sekten untereinander los, der jede andere Form der Beschäftigung unmögliche macht und die Bevölkerung einer Zwangsdoktrination unterwirft. Da allen Sekten die Predigt der Armut und der Haß gegen den Kommunismus gemeinsam ist, erfreuen sie sich des Wohlwollens der US-Regierung. (Rheinischer Merkur, 6.7.1984 und Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 21.10.1984.)

• (685) Pensacola/Florida. Zwei junge Paare, die an Weihnachten 1984 Bombenattentate auf drei Abtreibungskliniken verübt hatten, sind schuldig gesprochen worden. Sie wollten "Jesus an seinem Geburtstag ein Geschenk machen". (Süddeutsche Zeitung, 26.4.1985.)

Kanada

• (686) Ottawa. Der Oberste Kanadische Gerichtshof hat entschieden, daß Knien in der Kirche kein "kriminelles Vergehen" darstelle. Er überstimmte zwei untergeordnete Instanzen, die sechs angeklagte katholische Traditionalisten zu einer Strafe auf Bewährung verurteilt hatten. Diese hatten entgegen der liturgischen Anweisung darauf bestanden, die Kommunion wie bisher kniend zu empfangen. Dem Bischof bleibt jedoch jetzt noch der Weg der Zivilklage. Die Richterin schrieb in ihrer Begründung, der Streit sei nur "die Spitze eines Eisbergs" in dieser liturgischen Konfrontation. (Augsburger Allgemeine, 18.3.1985.) So lächerlich dieser Streit um des Kaisers Bart einen vernünftigen Menschen anmutet, so skandalös ist der Umstand, daß der Steuerzahler auch noch für einen solchen innerkirchlichen Disput aufkommen muß.

Vatikan

• (687) Die italienische Tageszeitung "il Manifesto" meldete unter Berufung auf eine Studie des Weltkirchenrates in Genf, die Vatikanbank IOR habe der Regierung in Südafrika insgesamt fünf längerfristige Kredite im Gesamtwert von 172 Millionen Dollar (= fast eine halbe Milliarde DM) gewährt. Ein Sprecher des Vatikan bestritt dies. (Augsburger Kirchenzeitung, 18.8.85)

• (688) Ein "recht verstandener" Schöpfungsglaube steht nach den Worten des Papstes einer " recht verstandenen " Evolutionstheorie nicht im Wege. Im Anschluß an eine von der vatikanischen Glaubenskongregation und der philosophischen Fakultät der Universität München(!) veranstalteten Tagung katholischer Wissenschaftler und Theologen wandte sich der Pontifex maximus jedoch gegen ein "evolutionistisches" Weltbild, bei dem es über die Entstehung des Menschen hinaus "um eine Rückführung aller geistigen Phänomene einschließlich Moral und Religion auf das Grundmodell Evolution" gehe. Außerdem gebiete der katholische Glaube, daran festzuhalten, daß die "Seele" unmittelbar von Gott geschaffen sei. (Augsburger Allgemeine, 29. 4. 1985.) Ein neues Beispiel für ein altes Strickmuster: Lassen sich unbequeme naturwissenschaftliche Erkenntnisse nicht mehr abstreiten, werden sie so uminterpretiert, daß sie in der zurechtgebogenen Form mit der Kirchenlehre vereinbar sind.

• (689) Kurienkardinal Poupard, Propräsident des Sekretariats für die Nichtglaubenden, nannte die Entwicklung des Atheismus "nicht gerade erfreulich" ' Wörtlich sagte er: "Knapp eine Milliarde Menschen gehört heute keiner Religion oder Kirche an. 4,2 Prozent der Weltbevölkerung, das sind 197 Millionen Menschen, betrachten sich als bewußte Atheisten ... In Europa und Amerika wächst der Atheismus nach unseren Schätzungen jährlich um 8,5 Millionen Menschen." Er räumte ferner ein, daß die Aussagen des Konzils zur Religionsfreiheit und über die "volle Anerkennung der freien Entscheidung des Glaubens" in der katholischen Kirche "manchmal leider in Frage gestellt und nicht in die Tat umgesetzt" werden. Zur Frage einer Ethik oder Moral, die nicht religiös begründet ist, zitierte er eine Umfrage unter rund hundert Bischofskonferenzen: Die Antworten "zeigen deutlich, daß ein ethisches Leben ohne eindeutige Beziehung zu Gott möglich ist." (DER SPIEGEL, 8.7.1985.)

• (690) Die Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen empfahl dem Papst die Seligsprechung von Don Juan, der nach einer "bewegten" Jugend zur "heldenhaften Tugend" und zum Glauben gefunden habe. (Süddeutsche Zeitung, 9.7.1985.)

  Don Juan hat zwar nie existiert, und wahr ist nicht einmal, daß der vom Vatikan so liebevoll ins Auge gefaßte Edelmann Miguel de Leca y Colona dem ersten Don-Juan-Autor Tirso de Molina als Vorbild gedient hätte: Als der nämlich sein erstes Drama verfaßte, war Klein-Miguel ganze drei Jahre alt. (Vgl. Süddeutsche Zeitung, 15.7.1985) Dennoch sind wir für die Seligsprechung des Frauenhelden: Wenn Grace Kelly demnächst an der Reihe ist und die verblichene Gattin des großen Staatsmannes Franz Strauß demnächst eine Mariensäule erhält (vgl. Augsburger Allgemeine, 24.6.1985), darf auch dieses Vorbild der Kirche nicht zu kurz kommen. Nun warten wir eigentlich nur noch auf die Seligsprechung von Kasperl und Mickey Mouse.

• (691) Papst Johannes Paul II. sagte zu dem mysteriösen Tod seines Vorgängers, daß der "einsame und plötzliche Tod Johannes' Pauls I. nur auf den unergründlichen Ratschluß Gottes zurückzuführen ist." David Yallop nahm diese vage Erklärung zum Anlaß, in einem offenen Brief erneut eine Untersuchung der Todesumstände zu fordern. Er war nach dreijährigen schwierigen Recherchen zu dem Resultat gekommen, daß der Luciani-Papst ermordet worden sei, um Personalentscheidungen zu verhindern, die die Machenschaften der Vatikan-Bank und die Korrumpierung einflußreicher Vatikan-Repräsentanten durch die mafiöse Geheimloge P 2 hätten stoppen können. - Auch die katholische Zeitung Publik-Forum nimmt diese Vorwürfe ernst und äußerte sich kritisch zu der Verschleierungstaktik des Vatikans. (Publik-Forum, 12.7.1985.)

• (692) Nach Schätzungen der "Vereinigung der katholischen Priester und ihrer Ehefrauen" haben weltweit etwa 80 000 der 490 000 Geistlichen mit oder ohne den Segen ihrer Kirche geheiratet. Die Mehrzahl wurde daraufhin vom Priesteramt suspendiert oder sogar exkommuniziert. In vielen Ordinariaten gibt es für Priester, die auf die Heirat verzichten, eine eigene Stelle, die zuständig ist für Alimente von Priesterkindern. (Publik-Forum, 26.7.1985.)

• (693) Die Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und dem Vatikan scheinen sich zu vertiefen. Zum ersten Mal wird Anfang 1986 im Rahmen eines Dokumentarfilms über westliche Länder eine englischsprachige Papstbotschaft an das chinesische Volk ausgestrahlt. Der Pontifex maximus vermied stets die Unterscheidung zwischen "Rotchina" und "Nationalchina", um das Verhältnis zu beiden nicht zu belasten. In Kürze wird die Vatikan-Sternwarte in Zusammenarbeit mit der chinesischen Universität Hotel eine Außenstelle in China errichten. (Süddeutsche Zeitung, 25.7.1985 und Augsburger Kirchenzeitung, 4.8.1985.)

• (694) Die Organisatoren eines Friedensmarsches anläßlich des 40. Jahrestages des Atombombenabwurfs auf Hiroshima haben den Papst aufgefordert, das Dokument des Heiligen Stuhls über den "Weltraumkrieg" zu veröffentlichen. Aus Indiskretionen der katholischen Nachrichtenagentur ASCA ging hervor, daß das Reagan-Projekt eines "Schutzschildes im Weltraum" zu teuer und zu unsicher sei und den Rüstungswettlauf gefährlich anheize. Bislang weigerte sich der Papst - laut Nachrichtenmeldungen auch auf Druck der USA - das von Wissenschaftlern erarbeitete Papier zu veröffentlichen. (Deutsche Tagespost, 9.7. und 7.8.1985.)

• (695) Die Kurie verschärft ihren restaurativen Kurs, stößt dabei aber auch auf zunehmenden Widerspruch. Während Kurienkardinal Ratzinger in der "Wiener Kirchenzeitung" die Meinung vertrat, die "Einladung zum Schweigen" sei eher eine Hilfe als eine Strafe für Boff, forderten nicht nur Katholiken die Aufhebung der Kirchenstrafe, sondern auch der Weltkirchenrat bezeichnete die "Episode Boff" als "Störung" der Beziehungen. Dies wies der Vatikan prompt als "Einmischung in innere Angelegenheiten" zurück, ging aber noch zwei Schritte weiter: Der papstkritische Europa-Parlamentarier Giovanni Baget-Bozzo darf sein Priesteramt nicht weiter ausüben, und die Predigterlaubnis für Laien wurde trotz des Priestermangels in Europa endgültig untersagt, was die privilegierte Stellung des Klerus erheblich verstärkt. (Süddeutsche Zeitung, 2., 5. und 31.7., 3.und 6.8.1985.)