1990 - Meldungen 1269-1297

Europa

Deutschland

• (1269) Bonn. Horst Waffenschmidt, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, hat ein 80-seitiges Büchlein verfaßt mit dem Titel "Betet für Bonn. Betet für Deutschland", in dem er Gebete nicht nur als Gebot für Christen, sondern auch als Notwendigkeit im Interesse des Staates propagiert. (MIZ-Eigenmeldung)

• (1270) Tutzing/Bayern. Die Evangelische Akademie Tutzing will ihre Räume der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) "nicht mehr zur Verfügung stellen". Den Grund teilte Akademiedirektor Roepke der DAH schriftlich mit: "Einige Teilnehmer Ihrer Tagung haben ihr Schwulsein vor den anderen Gästen öffentlich in einer Weise demonstriert, die als nicht notwendig und deplaziert empfunden wurde." Die evangelische Kirche diskriminiere zwar niemanden, empfiehlt der Aids-Hilfe aber gleichzeitig, künftig in ein "kleines Haus" auszuweichen, "wo die Gruppe unter sich ist". DAH-Sprecher Krause konterte: "Ich kann mir nicht vorstellen, daß die schwulen Teilnehmer unserer Tagung anderes zärtliches Verhalten an den Tag gelegt haben, als dies bei heterosexuellen Menschen üblich ist: Umarmungen, Küsse, Handhalten." Er ging auch auf die kirchliche Doppelmoral ein: "Du darfst sein, wie Du bist, aber bitte konfrontiere mich nicht damit. ... Ihr Hinweis auf ein kleines Haus, in dem unsere Gruppen unter sich sind, ... entspricht tiefstem diskriminatorischen Denken." Sein Fazit: Die Akademie "scheint es nicht wert zu sein, die DAH in ihren Räumlichkeiten aufzunehmen." (TAZ, 11.4.90)

• (1271) München. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat den Freispruch des Memminger Landgerichts für die 29jährige Magdalena Federlin - sie hatte als einzige der im Theissen-Prozeß zu Geldbußen verurteilten Frauen geklagt - wegen eines sechs Jahre zurückliegenden Schwangerschaftsabbruchs aufgehoben und das Verfahren an das Memminger Landgericht zurückverwiesen. Erst nachträglich stellte sich heraus, daß der Vorsitzende Richter Ermin Brießmann gleichzeitig auch Vorsitzender des Landeskomitees der Katholiken in Bayern ist, das in einer Presseerklärung das harte Vorgehen der Memminger Justiz verteidigt hatte. Brießmann selbst hielt eine Befangenheit aufgrund seiner Doppelfunktion "nahezu für abwegig" und sah in der Wahrnehmung seines Richteramts sogar eine "Christenpflicht". (Süddeutsche Zeitung, 28.4.90)

• (1272) Karlsruhe. Die Evangelische Landeskirche Baden beendete zum 1. Juli 1990 das Dienstverhältnis mit einem Heidelberger Vikar, weil dieser mit einer Jüdin verheiratet ist. Das Pfarrerdienstgesetz der badischen Kirche (und auch fast aller anderen evangelischen Landeskirchen) schreibt vor, daß der Ehepartner eines Pfarrers oder einer Pfarrerin nur in seltenen Ausnahmefällen einer anderen christlichen Kirche angehören darf, auf jeden Fall aber ein christliches Bekenntnis haben muß.

  Die badische Landeskirche verteidigte ihr Vorgehen gegen Kritik aus den eigenen Reihen. (Frankfurter Rundschau, 3.7.90; Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 11.5.90)

• (1273) Fritzlar. Als "Strafe" für ihren Kirchenaustritt bezeichneten betroffene Eltern den gemeinsamen Beschluß der fünf Fritzlarer Kindergärten - alle in evangelischer oder katholischer Hand -, daß "die Eltern, die keiner Konfession angehören und daher keine Kirchensteuer bezahlen", ab August 1990 "den doppelten Betrag" zahlen sollen (je nach Einkommen zwischen 132 und 220 DM im Monat).

  Auch im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck hat man von einer derartigen Diskriminierung Konfessionsloser bislang "noch nie gehört". Dennoch meinte Oberlandeskirchenrat Dickel, dies sei ein "Anstoß zum Nachdenken" für jene, die durch ihren Kirchenaustritt "Tausende von Mark" sparten und ihre Kinder "auf Kosten der Allgemeinheit in den Kindergarten schicken".

  Der Streitfall wurde durch eine lokale Kontroverse veranlaßt: Während in Hessen Eltern, Kommune und Kindergartenträger üblicherweise je ein Drittel der Kosten aufbringen, sollen die Eltern in Fritzlar einen geringeren Anteil tragen. Die daraus resultierende Deckungslücke wollte die Stadt bisher jedoch nicht zur Hälfte tragen, wie dies die Kirchen wünschen, sondern nur zu einem Viertel. Ebendiese Differenz wollte die Kirche nun den konfessionslosen Eltern aufbürden. Nach Protesten der Eltern und der Grünen-Stadtratsfraktion verhandelt die Stadt jetzt nochmals mit den Kirchen über einen Kompromiß. (Frankfurter Rundschau, 16.7.90)

  Anmerkung der MIZ-Redaktion:

  1. Niemand zwingt die Kirchen, sich der öffentlichen Sozialeinrichtungen zu bemächtigen; vielmehr sind den Kommunen durch das seit 1961 geltende Subsidiaritätsprinzip sogar die Hände bei der Einrichtung konfessionsneutraler Kindergärten gebunden. Wenn die Kirchen aber schon meinen, sich in das öffentliche Sozialwesen drängen zu müssen, haben sie den dort geltenden weltanschaulichen Gleichheitsgrundsatz zu respektieren.

     Vermutlich wollen sie hier ein genau kalkuliertes Aufsehen erregen, um ein Entgegenkommen der Stadt mit rabiaten Methoden zu erzwingen, denn daß ein solcher Verstoß gegen die Weltanschauungsfreiheit und das grundgesetzliche Gleichbehandlungsgebot vor Gericht kaum Billigung fände, dürfte auch den Kirchenverantwortlichen klar sein.

  2. Es ist üble Methode, Konfessionslose als Schmarotzer kirchlicher Sozialeinrichtungen hinzustellen. Tatsächlich wenden die Kirchen jedoch von ihren jährlich über 13 Milliarden DM Kirchensteuern höchstens eine einzige Milliarde (knapp 8 %) für öffentliche soziale Zwecke auf. Andererseits finanzieren Konfessionslose aber über die staatlichen Steuern die Priester- und Theologenausbildung der Kirchen (eine Milliarde DM) ebenso mit wie den kirchlichen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen (über 3 Milliarden DM), die kirchliche Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen wie Militär, Polizei, Grenzschutz, Gefängnis, geschlossene Anstalten, z.T. Krankenhaus etc. (150 Mio. DM), Staatszuschüsse aufgrund von Konkordaten und Kirchenverträgen (über 600 Mio. DM), Bundes-, Landes- und kommunale Zuwendungen für Kirchenbauten (geschätzt auf mindestens 4 Mrd. DM) sowie zahlreiche andere innerkirchliche Belange.

     Stellt man die kirchlichen Sozialleistungen zugunsten der Öffentlichkeit den Subventionen der öffentlichen Hand für innerkirchliche Angelegenheiten gegenüber, ergibt sich ein krasses Mißverhältnis von mehr als 1:8 zum Nachteil der Konfessionslosen.

     Dieser auf der Auswertung kirchlicher und öffentlicher Haushalte beruhende Sachverhalt wurde in der Vergangenheit noch von keiner kompetenten kirchlichen Stelle bestritten; andernfalls ließe sich durch eine schrittweise Entflechtung staatlicher und kirchlicher Subventionierung sehr schnell verifizieren, welche Seite mehr von der anderen profitiert!

• (1274) Frankfurt/Main. Die evangelische Obdachlosenhilfe, ein Fachverband des Diakonischen Werkes, dem 270 Einrichtungen und 2000 Mitarbeiter angehören, appellierte an Kirche und Diakonie, Besitz und Geld zur Beschaffung von Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig machten die Verbandsvertreter deutlich, daß sie sich angesichts des Engpasses auf dem Wohnungsmarkt und der steigenden Zahl von Obdachlosen von der Kirche im Stich gelassen fühlen: "Es ist ein Skandal, daß sich Kirche einerseits als Kirche der Armen darstellt, andererseits aber den Armen und den eigenen Mitarbeitern in der Armenhilfe völlig fern ist." (Frankfurter Allgemeine, 16.6.90)

Deutsche Demokratische Republik

• (1275) Berlin. DDR-Abrüstungsminister Eppelmann lehnt, ebenso wie Bischof Forck, die Einführung der Militärseelsorge in der Nationalen Volksarmee mit einer bemerkenswerten Begründung ab: "Militärpfarrer sollte es auf keinen Fall geben. Wir haben eine Weltanschauungsarmee gehabt, das ist für viele bedrückend gewesen. Wir sollten jetzt nicht eine neue Weltanschauungsarmee einführen, sondern der Bürger in Uniform sollte, was sein Gewissen und seine Überzeugung angeht, das ungehindert und seiner Fasson entsprechend ausüben können." Repräsentanten der Bundeswehr zeigten sich darüber betroffen. (Weltbild, 29.6.90)

• (1276) Leipzig. Die katholische Kirche will über zwei harmlos klingende Tarnorganisationen einen "Lehrstuhl für christliche Weltanschauung" an der Leipziger Karl-Marx-Universität einrichten, um zu testen, wieweit in der DDR die Einführung theologischer Fakultäten nach bundesdeutschem Vorbild realisierbar ist. Die 1987 in der DDR gegründete "Arbeitsakademie für Theologische Zeitfragen", die zusammen mit der Münchner "Gesellschaft der Freunde und Förderer der Leipziger Universität" nach außen als Financier des Lehrstuhls auftritt, spricht von einem "Beitrag zur weltanschaulichen Öffnung der Universität" (Zitat KNA). (Katholische Nachrichten Agentur, 12.7.90)

• (1277) Berlin. Die evangelische Kirche in der DDR will "sich bei der Erstellung der neuen Länderverfassungen aktiv beteiligen" (Zitat Evangelischer Pressedienst). Der DDR-Kirchenbund will sich insbesondere mit Staatskirchenverträgen die Rechte auf das staatliche Kirchensteuereinzugsverfahren, Religionsunterricht an Schulen, Seelsorge in staatlichen Einrichtungen sowie auf diakonische Arbeit sichern. Demnach sollen die Kirchenmitglieder ab 1991 neun Prozent der Lohnsteuer an die Kirchen abführen (rund 150 DM im Jahr statt bisher durchschnittlich 35 Mark). Bei der Pfarrerbesoldung würden aber "nicht die Spitzengehälter (sic!) erreicht, wie sie in bundesdeutschen Kirchen bezahlt" würden (Zitat epd). Auch solle "die große Schere" vermieden werden, die im bundesdeutschen Gefüge zwischen Pfarrer und weltlichen Mitarbeitern bestehe.

  Inzwischen hat sich allerdings der Staatssekretär im Bildungsministerium, York (CDU), gegen Religionsunterricht und für Gesellschaftskunde als Pflichtfach ausgesprochen. (Frankfurter Rundschau, 3.7.90; Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.7.90)

  Anm. MIZ-Red.: Damit wird der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten genau bestätigt, der von Anfang an den eigentlichen Grund für das massenhafte Besetzen politischer Ämter durch Pfarrer in der Absicht vermutet hatte, die Rechtslage der DDR möglichst stark zugunsten der Kirchen zu verschieben.

• (1278) Berlin. Altbischof Albrecht Schönherr, der sich gegen die Einführung des bundesdeutschen Kirchensteuersystems ausspricht, bezweifelt, daß die Verwaltungskosten eines kircheneigenen Beitragseinzugssystems - wie von manchen westlichen Kirchenmanagern behauptet - bei 15 bis 20 Prozent der Einnahmen liegen. Bei Umfragen in verschiedenen brandenburgischen Kirchenkreisen ergab sich, daß dort, trotz geringerer Beitragssätze als im Westen, nur 6 Prozent aufgewendet werden mußten. Überdies befürchtet er eine starke Austrittswelle: "Die Menschen bei uns haben ... Sorgen genug. Wer bisher keine Kirchensteuern gezahlt hat, wird sich nicht auch noch mit neuen Kirchensteuerverpflichtungen belasten wollen." Zur westdeutschen Praxis merkte er an: "Dieses System hat die Kirchen der Bundesrepublik Deutschland zu den reichsten der Welt werden lassen." (Rheinischer Merkur, 4.5.90)

  Anm. MIZ-Red.: Schon lange war klar, daß nicht die angeblich höheren Verwaltungskosten der Grund für das kirchliche Festhalten am staatlichen Kirchensteuereinzug sind. Bei dem heute erreichten Standard der Großrechenanlagen dürfte eher das Gegenteil zutreffen. Die Beispiele in den Schweizer Kantonen Basel-Stadt und Basel-Land zeigten aber, daß eine Abbuchung vom Konto wesentlich stärker ins Auge springt als ein unscheinbarer Abzug vom Bruttolohn, der auf dem Gehaltszettel zwischen Steuern und Sozialabgaben fast verschwindet. Daher nimmt die Austrittsneigung rapide zu, zumal dann auch der Arbeitgeber nichts mehr davon mitbekommt.

• (1279) Berlin. Wenige Tage vor der Sommerpause hat die DDR-Volkskammer ein Verfassungsgesetz über Schulen in freier Trägerschaft beschlossen, in dem insbesondere der "Anspruch auf öffentliche Finanzhilfe" abgesichert ist. Nach Artikel 7 des Gesetzes beträgt deren Höhe "mindestens 70 Prozent und höchstens 90 Prozent der für öffentliche Schulen geltenden Richtwerte". Die Schulgeldfreiheit bleibt verfassungsrechtlich verankert.

  Bedenken meldete die SPD-Volkskammerfraktion gegen den Begriff der "freien Schulen" an, weil damit suggeriert werde, daß "öffentliche Schulen nicht frei sind". Versuche, den Begriff in "Privatschulen" oder "Schulen in nicht-staatlicher Trägerschaft" abzuändern, blieben erfolglos. Weit mehr empörte die SPD freilich, daß damit in die Finanzhoheit der künftigen Länder und der Kommunen eingegriffen wird. (Frankfurter Rundschau, 19. u. 26.7.90)

Belgien

• (1280) Brüssel. Das Oberste Gericht Belgiens entschied, daß Schüler weder am Religionsunterricht einer der sechs anerkannten Religionsgemeinschaften (römisch-katholisch, jüdisch, protestantisch, anglikanisch, orthodox, moslemisch) noch an nicht konfessionsgebundener Morallehre teilzunehmen brauchen. Dem Urteil zufolge verstößt die fehlende Wahlfreiheit gegen die Europäische Menschenrechtserklärung von 1950. (Süddeutsche Zeitung, 31.7.90)

Großbritannien

• (1281) London. Der Oberste Gerichtshof wies die Klage der "Britischen Moslemischen Aktionsfront" gegen Salman Rushdie wegen dessen Roman Satanische Verse in letzter Instanz mit der Begründung ab, das britische Blasphemie-Gesetz schütze ausdrücklich nur den christlichen Glauben. Eine Änderung der Rechtslage könne nur das Parlament herbeiführen. (Frankfurter Rundschau, 10.4.90)

Österreich

• (1282) Linz. Im Prozeß um die Waffenlieferungen der österreichischen Staatsfirma Noricum hat der katholische Moraltheologe Pater Andreas Laum in einem Gutachten dargelegt, daß Waffenexporte "grundsätzlich nicht verwerflich" (Zitat KNA) seien. Im vorliegenden Fall könne der Export von Raketen an den Iran "nicht als in sich unmoralisch" bezeichnet werden. Der KNA-Bericht fährt wörtlich fort: Wer behaupte, das Waffengeschäft sei unmoralisch, müsse "beweisen, daß der Iran der eigentliche Aggressor war" oder daß die Heeresführung des Iran mit großer Wahrscheinlichkeit die Kanonen "in unmoralischer Weise einsetzen" werde. ... Laun verweist darauf, daß es nach katholischer Lehre neben unmoralischen Kriegen auch eine "legitime Verteidigung" gebe. Waffenlieferungen könnten paradoxerweise sogar "eine gute Tat" oder eine "Verpflichtung" sein, wenn damit "einem verzweifelten Volk gegen einen übermächtigen Aggressor entscheidend geholfen werden könnte". Man dürfe somit dem Iran Kanonen verkaufen, wenn man zur Überzeugung gekommen sei, daß die Perser die Kanonen zur gerechten Verteidigung ihres Landes einsetzten. Im Golfkrieg deute einiges darauf hin, daß die Iraker den Krieg gegen den Iran begonnen hätten. (KNA, 13.7.90)

Polen

• (1283) Warschau. Die Gewerkschaft Solidarnosc unterstützt die Kampagne der katholischen Kirche gegen Abtreibungen. Auf ihrem Landeskongreß hat sie sich mit 248 gegen 71 Stimmen gegen jede Form von Schwangerschaftsabbrüchen ausgesprochen.

  In Polen werden jährlich etwa eine Million Abbrüche vorgenommen. (Frankfurter Rundschau, 25.4.90)

• (1284) Warschau. Die katholische Kirche verliert in der polnischen Bevölkerung an Ansehen. Fand sie im November 1989 noch bei 88 % Zustimmung, so waren es bei der Erhebung im März 1990 nur noch 74 %. Noch deutlichere Einbußen verzeichnet die Gewerkschaft Solidarnosc: Sie rutschte von 78 auf 47 % ab. (Süddeutsche Zeitung, 20.4.90)

Portugal

• (1285) Lissabon. Die portugiesische Regierung will noch 1990 zwei Kanäle für das Privatfernsehen zulassen. Durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen werden katholische Bewerber bevorzugt, da Interessenten ein Betriebskapital von mindestens 13 Millionen DM vorweisen müssen. Dem Regierungsentwurf zufolge darf kein Gesellschafter mehr als 25 % des Senderkapitals halten, ausländische sogar höchstens 10 %. (TAZ, 28.2.90)

Schweiz

• (1286) Solothurn. Die in einigen deutschsprachigen Kantonen der Schweiz erhobenen "Kirchensteuern juristischer Personen" (also Gewerbebetrieben, Banken, Aktiengesellschaften etc.) bringen den Kirchen nach wie vor ein erkleckliches Zusatzeinkommen. Allein im Kanton Solothurn nahm 1989 die evangelisch-reformierte Kirche 600.000 Franken (ca. 800.000 DM) durch diese juristisch und politisch heftig umstrittenen Kirchen-Zwangsbeiträge ein. (Freidenker, Organ der Freidenker-Vereinigung der Schweiz, 5/90)

  Zusatzinformation der MIZ-Red.:

  1. Der auf die katholische Kirche entfallende Anteil dürfte insgesamt nur geringfügig hinter dem der (statistisch leicht dominierenden) evangelisch-reformierten Kirche liegen. Die Gesamtsumme dieser strittigen Einkünfte liegt in der Größenordnung von etwa 20 Millionen DM im Jahr.

  2. Da eine juristische Person ihren Austritt aus der Kirche begreiflicherweise nicht erklären kann, kommt in der Mehrzahl der betroffenen Kantone (zu denen auch der besonders finanzstarke Kanton Zürich zählt) eine Befreiung nur in Frage, wenn keiner der Eigentümer einer juristischen Person einer Kirche angehört.

Spanien

• (1287) Madrid. Das spanische Parlament verabschiedete mit 198 gegen 69 Stimmen ein Schulreform-Gesetz, das die Teilnahme am Religionsunterricht künftig freistellt und auch kein Ersatzfach vorsieht. Die katholische Bischofskonferenz hatte das Vorhaben bis zuletzt erbittert bekämpft. (KNA, 2.7.90)

Tschechoslowakei

• (1288) Prag. Die rechtsorientierte Katholische Volkspartei der CSFR, die bis unmittelbar vor der Wende klaglos ihre Rolle als Blockpartei gespielt hatte und sich danach als Kommunistenjäger hervortun wollte, erweist sich immer mehr als Sammelbecken früherer Spitzel der Staatssicherheit. Der ehemalige Leiter der Parteischule, Richard Sacher, bis zu den ersten freien Wahlen Innenminister, duldete in dieser Funktion das massenweise Verschwinden von Akten aus dem Sicherheitsministerium und sprach sich offen dafür aus, alle Stasi-Leute bei anderen Parteistellen weiterzubeschäftigen, die der jetzigen Regierung gegenüber loyal seien und Fachkompetenz besäßen. So wurde ein Geheimdienstler, der noch im November 1989 Mitglied des Krisenstabes zur Niederwerfung der demokratischen Bewegung war, zum Leiter der Informationsabteilung ernannt.

  Auch seine Parteifreunde gerieten immer häufiger ins Zwielicht. Der neue Bürgermeister von Brünn, der einen kommunistischen Amtsvorgänger ersetzen sollte, konnte nur wenige Stunden amtieren. Als seine Mitarbeit in der Staatsicherheit feststand, entschuldigte er sich mit dem Hinweis, er habe dies mit Zustimmung von "Bruder Bartoncik" getan, inzwischen Vorsitzender der Katholischen Volkspartei. Nur enthüllte die österreichische Zeitschrift Profil mittlerweile, daß Bartoncik sowie seine Parteifreundin Vera Bartoskova (nach der Wende stellvertretende Außenministerin) selbst Mitglieder des Sicherheitsdienstes waren. (TAZ, 17.5.90)

  Anm. MIZ-Red.: Bei den zwischenzeitlichen Wahlen erhielt die Katholische Volkspartei die Quittung: Mit nur wenig über 10 Prozent der Stimmen ist ihre Bedeutung erheblich geschrumpft.

• (1289) Prag. Bei seinem zweitägigen Besuch in der Tschechoslowakei unterstrich Papst Johannes Paul II. den Anspruch der katholischen Kirche auf eine dominierende Rolle im neugestalteten Europa: "Ich hoffe, daß Europa wieder geeint wird im siegreichen Zeichen des Kreuzes und der Auferstehung Christi." CSFR-Präsident Havel bezeichnete den Pontifex als "unseren Lehrer und Mitstreiter für die Ideale der Menschenrechte".

  In der Bevölkerung löste der Besuch jedoch zwiespältige Gefühle aus. Enthusiastische Slowaken forderten die Heiligsprechung des Priesters Jozef Tiso, der 1939 bis 1945 als Präsident des Nazi-Vasallenstaats Slowakei 70.000 Juden an die Nazis auslieferte, ohne daß ein einziger deutscher Soldat auf slowakischem Boden stand. Zahlreiche Bürger kritisierten jedoch den Zeitpunkt der Visite kurz vor den ersten freien Wahlen. Frantisek Sykora, Chefredakteur und Herausgeber der Preßburger Kirchenzeitung, versprach zwar: "Wir werden der Versuchung nicht erliegen, Macht und Einfluß zu erringen", räumte aber ein, daß die Kirche in den Wahlkampf eingreife. Auf Tiso anspielend fügte er hinzu: "Wir haben schreckliche Erfahrungen mit dem Klerikalismus in der Politik gemacht. Aber ich glaube, es gibt jetzt keine Alternative. Wir werden bis zu den Wahlen den Menschen begreiflich machen müssen, um welche Werte es geht."

  Noch deutlicher brachte ein Studentenvertreter das Unbehagen weiter Bevölkerungskreise auf den Punkt: "Das Letna-Gelände ist seit Wochen gesperrt, um alles für den Tag T, den Tag des Besuchs vorzubereiten. Dort wird dann, statt wie früher die leninistische, die katholische Messe zelebriert werden. Kaum ist der Kommunismus abgeschafft, sollen die Menschen auch schon wieder das Knie beugen vor einer Macht, die ebenso autoritär und intolerant ist wie die vorigen Machthaber. Das Gedächtnis der Menschen ist so erschöpft, daß es sich vorhergehender Verbrechen nicht mehr erinnert." (Süddeutsche Zeitung, 23.4.90; TAZ, 21.4.90)

  Dem SZ-Artikel war auch zu entnehmen, daß nach kirchlichen Schätzungen 80 % der Slowaken katholisch sind, während in Mähren nur noch 60 % als Christen gelten (also einschließlich der anderen christlichen Konfessionen) und in Böhmen gar nur mehr 25 %.

Ungarn

• (1290) Budapest. Ungarn hat als erstes osteuropäisches Land mit dem Vatikan ein Konkordat abgeschlossen, in dem eine grundsätzliche Trennung von Staat und Kirche vorgesehen ist - allerdings nach katholischer Fasson: So finanziert der Staat künftig innerkirchliche Einrichtungen wie die Priesterausbildung an den künftigen theologischen Fakultäten der Universitäten und den Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen. (Freidenker, Organ der Freidenker-Vereinigung der Schweiz, 5/90)

Nordamerika

USA

• (1291) Washington. Nach einer Studie des US-amerikanischen Worldwatch-Instituts werden weltweit jährlich rund 50 Millionen Abtreibungen vorgenommen, davon die Hälfte illegal. Mehr als 200.000 Frauen im Jahr überleben den Eingriff nicht; eine weit höhere Zahl stirbt an späteren Komplikationen.

  Der Untersuchung zufolge nimmt die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche bei einer restriktiven Gesetzeslage keineswegs ab, die Zahl der Todesfälle bei illegalen Abbrüchen jedoch drastisch zu. In Ländern, in denen Empfängnisverhütung eine geringe Rolle spielt - sei es aus religiösen Gründen, mangelnder Information oder fehlenden Verhütungsmitteln - ist die Abtreibung die gebräuchlichste Form der Geburtenregelung.

  Am schnellsten ist die Zahl der Abbrüche laut dieser Studie in jenen Ländern gesunken, die sie zu einem legalen Teil der freiwilligen Familienplanung gemacht haben. Als Beispiele für Staaten, in denen Abtreibungen nach der Sterilisation der Frau sowie nach mechanischen und chemischen Verhütungsmitteln erst an vierter Stelle der Geburtenkontrollmaßnahmen stehen, werden Dänemark, Frankreich, Island, Italien und die Niederlande angeführt. (Frankfurter Rundschau, 16.7.90)

• (1292) Albany. Als erster Bundesstaat der USA hat der Staat New York ein Gesetz verabschiedet, das Todkranken das Recht gibt, über ihren eigenen Tod zu entscheiden. Nach dem Gesetz können Patienten sogar einen anderen beauftragen, in ihrem Namen die Entscheidung über Tod oder Weiterleben zu treffen, falls sie selbst nicht mehr in der Lage sein sollten, ihre Entscheidung zu äußern. Am 25. Juni hatte der Oberste Gerichtshof Todkranken das Recht auf den eigenen Tod zugesprochen, sofern ihr Wunsch eindeutig ist.

  Der katholische Gouverneur New Yorks, Mario Cuomo, hat seine Zustimmung bereits angekündigt, weil alle Patienten "eine Behandlung erfahren, die ihren persönlichen religiösen und moralischen Vorstellungen entspricht". Das Gesetz wurde sowohl von Organisationen der Aids-Kranken als auch der Seniorenvereinigung begrüßt. (KNA, 2.7.90)

• (1293) Boston. Ein Geschworenengericht hat ein der Religionsgemeinschaft Christliche Wissenschafter angehörendes Ehepaar der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen, weil es dem zweieinhalbjährigen Sohn aus Glaubensgründen medizinische Hilfe verweigert hatte. Die Christlichen Wissenschafter betrachten Krankheit als eine menschliche Illusion, die sich durch Gebete heilen lasse, und lehnen die konventionelle Medizin ab. (Frankfurter Rundschau, 6.7.90)

Lateinamerika

Mexiko

• (1294) Mexico City. Drei Monate vor dem Papstbesuch ernannte Staatspräsident Salinas de Gortari erstmals einen persönlichen Vertreter für die Beziehungen mit dem Vatikan. Seine Absicht, die antiklerikalste Verfassung Lateinamerikas zu ändern - sie verbietet der Kirche u.a., Land zu kaufen, Schulen zu betreiben oder ausländische Geistliche ins Land zu holen - stößt allerdings in der eigenen Partei auf zahlreiche Gegner.

  Im Gegensatz zu ihrem wachsenden politischen Einfluß nimmt der Anklang der katholischen Kirche in der Bevölkerung merklich ab: Der Anteil der Katholiken sank seit 1980 von 91 auf 85 %. (Der Spiegel, 26.2.90; Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 11.5.90)

Nicaragua

• (1295) Managua. Zu einer offenen Kontroverse führte die Zusage der konservativen Präsidentin Violeta Chamorro, mit Staatsgeldern den Bau einer neuen Kathedrale unterstützen zu wollen. Angehörige anderer christlicher Gemeinschaften sprachen von einer Verfassungsverletzung und meinten, mit dieser Bevorzugung der katholischen Kirche solle wohl Kardinal Obandos Parteinahme im Wahlkampf und während der sandinistischen Regierungszeit honoriert werden. Es sei unverständlich, daß die Präsidentin zu einem Zeitpunkt, da das Land unter sozialen Unruhen leide und in einer aussichtslosen Wirtschaftslage stecke, Geld für einen Kirchenbau ausgeben wolle.

  Chamorro ist selbst Mitglied des Baukomitees, dem u.a. auch der US-Unternehmer Tom Monaghan angehört. (KNA, 14.7.90)

Brasilien

• (1296) Rio de Janeiro. Kardinal Joseph Ratzinger, Präfekt der "Heiligen Kongregation für die Glaubenslehre" im Vatikan, hat auf seiner Brasilien-Inspektionsreise erneut die Befreiungstheologen als "marxistisch inspiriert" verurteilt. Diese Form von Kirche "reduziert den Glauben auf eine politisch-soziale Position und die Kirche zu einer Partei", rügte der Chefideologe des Vatikan.

  Wie isoliert die römische Kurie in Brasilien trotz ihrer personalpolitischen Strategie immer noch ist, zeigte sich am Boykott zahlreicher Würdenträger: Nur 96 von 373 Bischöfen sagten ihre Teilnahme an Veranstaltungen mit Ratzinger zu, der von Kritikern als moderner Großinquisitor betrachtet wird. (Frankfurter Rundschau, 26.7.90)

Asien

Irak

• (1297) Bagdad. Wenige Tage vor seinem Überfall auf den Nachbarstaat Kuwait zeigte sich Iraks Präsident Saddam Hussein als großzügiger Freund der Katholiken. Der katholischen Kirche des chaldäischen Ritus, der rund 390.000 Iraker (2,4 % der Bevölkerung) angehören, schenkte er ein 25.000 Quadratkilometer (vermutlich muß es richtig heißen: Quadratmeter, Anm. MIZ-Red.) großes Grundstück in Bagdad zum Bau einer Kathedrale. Den Wert des Grundstücks bezifferte Patriarch Raphael I. Bidawid von Babylon auf über 15 Million US-Dollar. Die Kirche soll 5000 Personen Platz bieten und 20 Millionen US-Dollar kosten. Welche politischen Zugeständnisse Saddam Hussein dafür erwartet, ließ der Patriarch nicht verlauten. (KNA, 9.7.90)