(141) Aug 1978. Am 26. August 1978 wurde der Italiener Albino Luciani als 264. Nachfolger auf dem
"Stuhl Petri" zum neuen Papst Johannes Paul I. gewählt. Luciani wurde am 17. Oktober 1912 im venetianischen Canale d'Agordo
(Provinz Belluno) geboren. Wie viele Einwohner der rückständigen, noch heute unterentwickelten Region mußte sich der Vater
Lucianis - ein engagierter Sozialist - sein Geld als Gelegenheits- und Saisonarbeiter im Ausland (Argentinien, Deutschland)
verdienen. Klassenkämpferische Auseinandersetzungen traten an die Stelle altvenitianischer Volksfrömmigkeit, Kirchentreue und
konservativer Gesinnung. Die katholischen Bauernsöhne Venetiens, die in der Zeit der Gegenreformation und in den Revolutionen
des 19. Jahrhunderts eine wertvolle Stütze der römisch-katholischen Kirche gewesen waren, erwachten aus ihrer politischen
Lethargie. Viele Einwohner von Canale d'Agordo hatten seit Generationen mangels anderer Berufsmöglichkeiten die
Priesterlaufbahn eingeschlagen, waren in die Mission oder in die Klöster gegangen. Nicht anders Albino Luciani. Er studierte
Theologie und Philosophie in Feltre und Belluno. Am 7.Juli 1937 wurde er zum Priester geweiht. Seine Doktorarbeit an der
Gregorianischen Universität in Rom galt dem umstrittenen Religionsphilosophen Antonio Rosinini, der im 19. Jahrhundert den
Brückenschlag von Kant zum Katholizismus versucht hatte und deswegen mit einer Kirchenstrafe belegt worden war. Nach kurzem
römischen Aufenthalt kehrte Luciani in das heimatliche Bistum Belluno zurück, wo er an seinem Heimatort als Religionslehrer und
Kaplan wirkte. Von 1937 bis 1947 bekleidete er ferner den Posten des stellvertretenden Vizerektors und eines Professors für
Dogmatik, Moraltheologie, kanonisches Recht und kirchliche Kunst am Seminar von Belluno. Er wurde Sekretär der Diözesansynode
und suchte ständigen Kontakt zu den Geistlichen in den abgelegenen Bergdörfern. 1948 wurde er Provikar, 1954 Generalvikar der
Diözese; außerdem Leiter des Amtes für Katechese. Er gehörte zu den ersten Priestern, die von Papst Johannes XXIII. im
Petersdom zu Bischöfen geweiht wurden. Luciani wurde die Diözese Vittorio Veneto übertragen. Hier richtete er sein
Hauptaugenmerk auf die Betreuung der Armen, auf die Caritasarbeit und praktizierte Sozialhilfe christlich-konservativer
Prägung. Er war Teilnehmer am II. Vatikanum, ohne hier die Reformbewegung besonders zu unterstützen. Von 1972 bis 1975 war
Luciani Vizepräsident der Italienischen Bischofskonferenz. 1969 ernannte ihn Papst Paul Vl. nach elfjähriger Tätigkeit in
Vittorio Veneto zum Patriarchen von Venedig. In diesem Amt kämpfte Luciani kompromißlos gegen die atheistische Komponente in
der historischen Arbeiterbewegung und gegen das Experiment der Arbeiterpriester. Er verbot einen katholischen Studentenverband,
der Abtreibung und Ehescheidung auf seine Fahnen geschrieben hatte. Gleichzeitig wandte er sich gegen den "christlichen
Atheismus", d.h. die religiöse Gleichgültigkeit unter den Taufscheinchristen. Im März 1973 wurde er Kardinal. Seine
Vermittlungsversuche in harten Arbeitskämpfen und Streiks der Arbeiterschaft von Mestre und Marghera blieben erfolglos. In den
Wahlkampfjahren 1975/76 kämpfte Luciani entschlossen gegen Kommunisten und Sozialisten sowie gegen alle Priester, die mit
beiden Bewegungen sympathisierten. Luciani trat im Scheidungsreferendum als Verfechter der Unauflöslichkeit der Ehe auf und
wehrte sich gegen die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, ebenso gegen eine Einführung des weiblichen Priesteramtes. -
Luciani gilt als fester Verteidiger und Bewahrer der überlieferten katholischen Glaubens- und Sittenlehren. Immer wieder
verweist er auf die "unverzichtbaren Dogmen".
Mit Johannes Paul I. ist ein Mann zum Papst gewählt worden, der das Dogmengebäude der katholischen Kirche durch
"Spiritualität" und Volksfrömmigkeit" als "guter Hirte" und "Seelsorger der Armen" ins 21. Jahrhundert hinüberretten soll. Über
die diplomatische Tätigkeit des Vatikans durfte die Öffentlichkeit in Zukunft noch weniger als bisher erfahren.