1991 - Meldungen 1469-1534
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Wörtlich führte er aus: "Vielfach geht man von falschen Tatsachen aus und operiert mit Scheinargumenten. So wird der Kirche immer wieder unterstellt, sie benötige die Kirchensteuer, um ihre umfangreiche Sozialarbeit zu finanzieren. Die Gegner der Kirchensteuer haben mit diesem Argument leichtes Spiel, weil es in der Tat nicht stimmt und meines Wissens auch noch nie von einem Kenner der Sache so vorgetragen worden ist. Wie wird die Sozialarbeit der Kirche tatsächlich finanziert, und welche Rolle spielt dabei die Kirchensteuer?
Die meisten Sozialeinrichtungen 'verdienen' die Mittel, die sie benötigen, als Leistungsentgelte (beispielsweise über Pflegesätze), und die Finanzierung ist durch staatliche Kostenträger weithin gesetzlich geregelt. ... Kirchliche soziale Einrichtungen werden nach denselben Regeln finanziert wie die der Kommunen. Trotz der klaren gesetzlichen Bestimmungen muß allerdings auch hier in manchen Fällen das Bistum aus Kirchensteuermitteln helfen. Kaum eine Kapelle in diesen Sozialeinrichtungen wäre ohne Kirchensteuerzuschuß finanzierbar." (KNA, 21.9.90; Kirchenzeitung des Erzbistums Köln, 21.9.90; Unterstreichungen MIZ-Redaktion)
Anm. MIZ-Red.: Wer außer Kirchenleuten hat denn bisher "unterstellt", die Kirchensteuer sei im wesentlichen für soziale Zwecke bestimmt?
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"Zu den Trittbrettfahrern der Wende in der DDR zählen nicht nur die ehemaligen Blockparteien wie die 'Ost-CDU'. Auch die Kirchen erwiesen sich als erstaunlich 'wendig', wenn es um die Darstellung der eigenen Rolle im Prozeß der Veränderung geht. Nachdem der Aufbruch gelungen ist, wollen sie alle dabei gewesen sein. Die kirchliche Vermittlerrolle am 'Runden Tisch' und das dabei erworbene Vertrauen als Makler im Konflikt zwischen Regierung und Opposition verdrängen gegenwärtig eine andere Realität nahezu völlig aus dem öffentlichen Bewußtsein: die Tatsache, daß die Kirchen in der DDR 'vor der Wende' allesamt in einem überwiegend distanzierten Verhältnis zu jenen emanzipatorischen Gruppen und Kräften gestanden haben, die den demokratischen Aufbruch durch ihre Arbeit überhaupt erst möglich machten und schließlich herbeiführten. Das schöne Bild von 'den Kirchen' als Vorreitern der Wende erweist sich bei genauerem Hinsehen als korrekturbedürftig." (Publik-Forum, 23.2.90)
Im Gefolge dieser und weiterer freimütigen Aussagen verlor Garstecki seine Anstellung als Studienleiter für Friedensfragen bei den pikierten Ost-Evangelen, die ihm vor allem die Publizierung seiner Insider-Kenntnisse verübelten; er fand aber einen Posten in der Bundesleitung des katholischen Verbands Pax Christi.
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Gut zwei Wochen später leistete der damalige Bürgermeister Momper weitere Abbitte: Er unterzeichnete mit den Kirchen Vereinbarungen, denenzufolge das Land Berlin die Arbeit der Kirchen mit 57.7 Millionen DM subventioniert - 6,4 Mio. DM (= 12,5 %) mehr als im Vorjahr. (KNA, 19.9.90)
Noch spendabler zeigte sich der jetzige CDU/SPD-Senat: Trotz massiver Sparmaßnahmen erhöhte er die Zuschüsse an die Kirchen noch einmal ganz erheblich, unter anderem auch für Ausbildungsstätten für Kirchenmusik sowie den Religionsunterricht an Ostberliner Schulen. Obwohl keine genauen Zahlen genannt wurden, dürfte der Zuschußbetrag aus dem Kulturhaushalt bei über 80 Millionen DM liegen. Ob der Senat damit auch die aufwendigen Plakataktionen mitfinanziert, mit denen im Ostteil für den Religionsunterricht geworben wird, ging aus den Meldungen nicht hervor. (KNA, 31.8. u. 3.9.91)
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Im Rundfunk könnten kirchliche Themen kritisch behandelt werden, aber nur dann, wenn "Fairneß, Redlichkeit und Menschlichkeit" auch nach Meinung kirchentreuer Katholiken gewahrt blieben. (KNA, 15.1.91)
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Kritisiert wurde von den Pfarrfrauen, daß sie im Fall einer Scheidung von der Kirche alleingelassen werden und ohne Wohnung, Sozialversicherung und Rentenansprüche dastehen, die Kirchenleitungen ihr Frauenbild aber dennoch nicht ändern. (epd Bayern; Süddeutsche Zeitung, 6.8.91)
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Welcher Art die Schwierigkeiten waren, teilte die FAZ-Verlagsgruppe zwar nicht mit, jedoch liegt auf der Hand, daß eine kirchliche Zeitung in den neuen Ländern kaum Marktchancen hat. Erst vor wenigen Monaten hatte die FAZ die Anteilsmehrheit an dem unter Leserschwund leidenden Rheinischen Merkur gekauft (vgl. MIZ 3-4/90, S.72 f.).
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Synodenpräsident Schmude räumte ein, daß die Kirchenversammlung von einer "Honoratiorenliste" geprägt sei, die für die Bevölkerung nicht repräsentativ sei. Es bestehe die Gefahr, daß die wenigen ostdeutschen Synodalen nach und nach verschwinden, weil unter hochgeistigen Diskussionen und Terminverpflichtungen ihnen die Mitarbeit unmöglich wird. (Frankfurter Rundschau, 1. u. 2.7.91)
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Als DDR-Kultusminister unter De Maizière hatte er nämlich noch versichert, auf Privilegien für die Kirche verzichten zu wollen. Damals meinte er zum Thema Jugendweihe in der Schule: "Die Jugendweihe gehört nicht in die Schule. Wer die Jugendweihe durchführen möchte als Ausdruck seiner Weltanschauung oder seines Lebensgefühls, der kann das tun, aber außerhalb der Schule. ... Ich bin auch nicht der Meinung, daß wir einen Ersatz für die Jugendweihe brauchen."
Im selben Interview hatte er allerdings auf die Frage Wird es demnächst das Fach Religionsunterricht an den Schulen der DDR geben? geantwortet: "Zunächst habe ich hierzu meine persönliche Haltung, die der Haltung meiner katholischen Freunde entspricht. ... Wir sind der Meinung, daß die Regelung, wie sie die Verfassung der DDR von 1949 kannte, nämlich daß die Kirchen grundsätzlich das Recht auf Erteilung von Religionsunterricht in Schulräumen haben, wiederhergestellt wird." Im gleichen Interview behauptete er noch treuherzig, "das Bildungsministerium ist kein Instrument der Rechristianisierung der DDR". (KNA, 26.4.90)
Auch in Sachsen-Anhalt hat sich die katholische Position geändert. Noch vor einem Jahr wollte das Bischöfliche Amt Magdeburg den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen als "reines Informationsfach" einführen, während die Glaubensunterweisung in den Kirchengemeinden stattfinden sollte. Sogar der Landesgesetzentwurf wurde auf Vorschlag der Katholiken geändert: Statt der Formel "Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach" lautete der Passus "Religionsunterricht wird an den Schulen gewährleistet". (KNA, 20.9.90)
Nun strebt die katholische Kirche innerhalb der nächsten drei Jahre (also noch vor den nächsten Landtagswahlen, in denen die CDU ihre Vormachtstellung zu verlieren droht) ein Konkordat auf der Grundlage des Preußenkonkordats von 1932, des Reichskonkordats von 1933 und der anhaltinischen Vereinbarungen von 1929 an, wo die Schul- und Hochschulfragen zur Zufriedenheit der katholischen Kirche geregelt werden sollen. (KNA, 18.9.91)
Doch auch die evangelische Kirche muß sich eine Kehrtwendung vorwerfen lassen. Noch am 30.7.1990 schrieb sie dem damaligen DDR-Ministerpräsidenten De Maizière: "Der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR sieht es als erforderlich an, in den Verhandlungen mit der Bundesregierung zu Festlegungen zu kommen, daß die Regelung des Religionsunterrichts den künftigen Ländern und den Kirchen überlassen bleibt. Artikel 7, Abs. 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland kann deshalb für die Länder in der DDR nicht zur Anwendung kommen. Er müßte für diesen Bereich ausgesetzt werden." (Frankfurter Allgemeine, 17.6.91)
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Bei der Kirche stoßen die Pläne von Bildungsministerin Birthler (Bündnis 90) auf "große Bedenken"; die CDU-Opposition will sogar noch weitergehen. Ihr bildungspolitischer Sprecher Dr.Sessner erklärte: "Wenn es zur Einführung dieses Faches kommt, werden wir beim Bundesverfassungsgericht Klage erheben, weil es aus unserer Sicht nicht mit dem Grundgesetz konform geht. Wir brauchen für die Schüler ein Fach, das ihnen den Sinn des Lebens nahebringt, da kann es keine Vermischung von Religion und Lebensgestaltung geben." (Frankfurter Rundschau, 8.8.91)
Anm. MIZ-Red.: Der Verfassungsstreit entzündet sich an den Grundgesetz-Artikeln 7,3 Satz 1 und 141. Der Artikel 7, Abs.3 GG beginnt mit dem Satz: "Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach." Artikel 141 - fälschlich als Bremer Klausel bezeichnet, obgleich auch für andere Länder geltend - schränkt jedoch ein: "Artikel 7 Abs. 3 Satz 1 findet keine Anwendung in einem Lande, in dem am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand." Dies trifft auf das Land Brandenburg zweifellos zu, denn am 1.1.1949 galt dort, daß religiöse Unterweisung an Schulen (auf eigene Kosten und Verantwortung der Kirchen) "zuzulassen", nicht aber ordentliches Lehrfach sei. Klerikalen Kräften bleibt jedoch ein Hintertürchen offen: Die DDR hatte 1953 die Länder aufgelöst, die erst 1990 (in den alten Grenzen) wieder erstanden. So wäre die formalistische Argumentation möglich, es handle sich heute nicht mehr um das Land Brandenburg vom 1.1.1949. Ob diese durchsichtige Konstruktion vom Bundesverfassungsgericht allerdings akzeptiert würde, ist mehr als fraglich, zumal die Rechtsfolgen in anderen Bereichen nicht absehbar wären.
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In Alling bei Regensburg forderte ein Landwirt finanzielle Entschädigung für die Nutzung des einzigen Zugangs zur Dorfkirche, der 25 Meter über seinen Privatgrund führt. Da die Kirche ablehnte, sperrte der Eigentümer kurzerhand den Weg, so daß die Gottesdienste bis zur Entscheidung des Regensburger Landgerichts über den Streitfall ausfallen.
In Geisenfeld war es sogar der Freistaat Bayern, der feststellte, daß das Kirchenportal überwiegend auf Staatsgrund steht, und nunmehr eine Entschädigung fordert. (Augsburger Allgemeine, 26.7.91; Süddeutsche Zeitung, 3.7.91)
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Diese Bewegungen seien keine harmlosen, frommen Vereinigungen, sondern kämpferische Organisationen, die die Öffnungsbestrebungen des letzten Konzils entschieden ablehnten. Fundamentalismus, so Neuner, sei nach heutigem Verständnis "eine Reaktion auf die Moderne, die pauschale Ablehnung neuzeitlicher Entwicklung und der Rückzug in eine in sich geschlossene Sonderkultur". Ursache sei eine "Ich-Schwäche", die es Autoritäten leicht mache, sich als Vormünder aufzuspielen. (Publik-Forum, 20.9.91)
Der einzige Bischof, der sich offen gegen diese Analyse wandte, war der Augsburger Stimpfle; er verteidigte namentlich den rechtsorientierten Geheimbund Opus Dei, für den er sogar seine "Hand ins Feuer" lege. (Kirchenzeitung für die Diözese Augsburg, 8.9.91; KNA, 12.9.91)
Der Fundamentalismus-Experte des Diakonischen Werks, Pastor Paul Kluge, betonte in einem Beitrag für die Zeitschrift des evangelischen Wohlfahrtsverbandes, daß sich die protestantischen Fundamentalisten heute zumeist als evangelikal oder bibeltreu bezeichneten. Zu dieser Richtung bekennen sich in der EKD etwa 5 % der "engagierten" und 15 % der "distanzierten" Kirchenmitglieder. Merkmal jeglichen Fundamentalismus sei die Überzeugung, "im Besitz der einzig gültigen Wahrheit zu sein". Grundlage einer "unfehlbaren und irrtumslosen Vorgabe mit Offenbarungscharakter" ist laut Kluge für protestantische Fundamentalisten vor allem das Neue Testament, für jüdische das Alte Testament, für islamische der Koran und für kommunistische die Schriften von Karl Marx bzw. Mao Tse Tung. Nach Kluges Erkenntnissen wirke sich jeglicher Fundamentalismus menschenfeindlich und friedensgefährdend aus, weil sich aus einem solchen System Rassismus, Sexismus, Intoleranz und Autoritätsgläubigkeit ergebe. Die Zielrichtungen dieser Glaubensrichtungen umfaßten "unsichere, unselbständige, nicht selten auch ungebildete Menschen, die ihre Selbstverantwortung nicht wahrnehmen (können oder wollen) und es als Hilfe empfinden, sich einer Macht unterordnen zu können".
Ein Vertreter evangelikaler Gruppen protestierte, daß "die Negativa undifferenziert auf evangelikale Mitglieder" übertragen würden und forderte die Kirchenleitung auf, beim Diakonischen Werk zu intervenieren. (idea; Informationsbrief Nr. 147 der Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium, August 1991, S. 29 f.)
Anm. MIZ-Red.: Selbstverständlich sind nicht "alle" Angehörigen der genannten Diesseits- oder Jenseitsreligionen als Fundamentalisten einzustufen, auch nicht die Mehrzahl der Katholiken. Eher wäre zu fragen, ob sich das Selbstverständnis der Mehrheit praktizierender Agnostiker noch mit der Satzung ihrer Religionsgesellschaft in Einklang bringen läßt.
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Das Kultusministerium hatte sich geweigert, die Genehmigung zu erteilen, war aber bereits vor dem Würzburger Verwaltungsgericht unterlegen. Während damals auch auf den undurchsichtigen Charakter der (früher unter dem Namen Heimholungswerk Jesu Christi bekannten) Sekte abgestellt wurde, argumentierte das Ministerium diesmal nur, eine Glaubensgemeinschaft müsse sich erst über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren festigen, ehe sie die für einen Schulbetrieb nötige Gewähr für Dauerhaftigkeit biete. Ein solches zeitliches Limit verwarfen die Richter jedoch.
Ob der Freistaat Bayern Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision einlegt, ließ der Sprecher des Kultusministeriums offen. (epd Bayern, 20.8.90; Süddeutsche Zeitung, 27.7.91)
Inzwischen erließ der Bayerische Verwaltungsgerichtshof eine Einstweilige Anordnung, in der er den Freistaat verpflichtete, die am 24.10.86 beantragte Genehmigung für den Betrieb der Schule zu erteilen. (Süddeutsche Zeitung, 8.10.91)
Anm. der MIZ-Redaktion: Unabhängig von der Weltanschauung dieser Sekte ist es doch beispielhaft, mit welcher Hartnäckigkeit sich das bayerische Kultusministerium gegen die Umsetzung geltenden Rechts sträubt und sich im zeitraubenden Gang durch die Instanzen jeden Zentimeter Weltanschauungsfreiheit einzeln abringen läßt. Daß mit dieser Taktik des hinhaltenden Widerstands auch Steuergelder verpulvert und die überlasteten Gerichte zusätzlich beschäftigt werden, sei nur am Rande erwähnt.
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Laut dem früheren Vizepräsidenten im Diakonischen Werk der EKD (zugleich Bevollmächtigter der westdeutschen Landeskirchen bei der DDR-Regierung), Geißel, lieferte das Diakonische Werk zwischen 1957 und 1990 Waren im Wert von 1,8 Milliarden DM zur Ausstattung der Kirchen und ihrer Einrichtungen. Gut die Hälfte (zuletzt sogar 60 %) erstattete ihr jedoch das innerdeutsche Ministerium aus öffentlichen Steuermitteln zurück. Für die entsprechenden Lieferungen der katholischen Kirche ist nach Angaben eines ehemaligen Ministeriums-Mitarbeiters "eine Größenordnung zwischen 500 Millionen und einer Milliarde D-Mark zu veranschlagen".
Zusätzlich transferierten die Kirchen zur Bezahlung von Pfarrern und Mitarbeitern versorgungswichtige Rohstoffe, deren Gegenwert in DDR-Mark gutgeschrieben wurde. Dieser mit Schalck-Golodkowski ausgehandelte Teil des Deals machte auf evangelischer Seite insgesamt 1,4 Milliarden DM aus, zu denen noch Warenlieferungen in Höhe von weiteren 700 Millionen auf Rechnung der EKD kamen. Die katholische Kirche stellte dafür aus Haushaltsmitteln der Diözesen seit 1966 jährlich 50 bis 60 Millionen DM bereit, die in Form von Elektrolytkupfer geliefert wurden.
Dieses "Kirchengeschäft A" blieb streng geheim, weil beide Seiten angesichts solch umstrittener Kumpanei mit dem ideologischen Konkurrenten einen Verlust an Glaubwürdigkeit in der eigenen Basis befürchten mußte. Daneben entwickelte sich nach dem Mauerbau 1961, als "Kirchengeschäft B" tituliert, der Freikauf von DDR-Häftlingen gegen Waren oder Devisen, den ursprünglich die evangelische Kirche einfädelte. Nach Übernahme durch die Bundesregierung 1964 begnügte sich die EKD mit der Vermittlung, wobei die Bonner Gelder über Kirchenkonten in den Osten flossen. Dabei nutzte die Kirche ihren Einfluß, daß nur ihr genehme Personen freikamen, während die Kosten der Staat trug. Als EKD-Unterhändler fungierte ihr DDR-Bevollmächtigter Hermann Kunst, vor dem Zweiten Weltkrieg wehrmachtfreundlicher Feldprediger, 1956 bis 1972 Militärbischof (vgl. MIZ 3/85).
Den innerkirchlich erhobenen Vorwurf einer ökonomischen Stabilisierung des SED-Regimes spielt EKD-Unterhändler Geißel mit Hinweis auf den - gesamtwirtschaftlich gesehen - relativ geringen Umfang der Warenlieferungen herunter. Kritiker führen indes die qualitative Bedeutung der Lieferungen ins Feld; das diktatorische System habe gerade die am dringendsten benötigten Güter auf diesem Wege erhalten. Bezeichnenderweise befürchtet die EKD laut der kirchlichen Zeitschrift Publik Forum nach Bekanntwerden dieser Geschäfte und angesichts der ausstehenden Vergangenheitsbewältigung "vermehrtes katholisches Sperrfeuer gegen die evangelische Kirche" wegen deren allzu großer Staatsnähe. (Süddeutsche Zeitung, 27.7.91; Frankfurter Rundschau, 2.7.91)
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Die Stadt Augsburg registrierte im August 1991 mit 313 Austritten (= etwa jedes 600. Kirchenmitglied) den bei weitem größten Exodus überhaupt; der Monatsdurchschnit der letzten 20 Jahre wurde um das Sechsfache übertroffen. (Eigenmeldung)
Auch in der eher kleinstädtisch-ländlich geprägten Diözese Bamberg, wo die katholischen Austritte 1989 auf 2083 gestiegen waren (395 mehr als im Vorjahr = +23,4 %, MIZ-Red.), rechnet die Kirche selbst für 1990 und 1991 mit je etwa 3000 Abmeldungen. (Süddeutsche Zeitung, 9.10.91)
Die evangelische Kirche verzeichnete in Bayern 1990 mit 11.174 Austritten eine vergleichsweise geringe Steigerung um 5,3 %, was aber die zweithöchste Zahl nach dem Jahr 1974 bedeutet. (Augsburger Allgemeine, 19.9.91)
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Noch deutlicher zeigt sich der Trend bei der Frage Welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag gesamtdeutsche Wahlen wären? Die westdeutschen Kirchenfreien würden demnach zu 17 % grün (total 6 %) und zu 20 % FDP wählen (total 11 %). 38 % gäben der SPD (total 39 %) und 21 % der CDU/CSU ihre Stimme (total 41 %). Das bedeutet, daß die Grünen ohne den überdurchschnittlichen Zuspruch der Konfessionslosen den Einzug in den Bundestag nicht schaffen.
Besonders auffallend war das Ergebnis einer parallelen Umfrage zum Wahlverhalten, wo (bei gleicher Fragestellung wie oben) zusätzlich die Rubrik "keine von allen, werde nicht wählen" angeboten wurde: Nicht weniger als 28 % der Kirchenfreien kreuzten diese Möglichkeit an (ev. 10 %, r.k. 11 %). Damit wurde nachgewiesen, daß zumindest den kleinen Parteien ein kirchenkritisches Profil keineswegs schadet, sondern sogar einen erheblichen Stimmenzuwachs bringen kann.
Weniger stark ist der konfessionelle Unterschied in Ostdeutschland: SPD, FDP, Grüne/Bündnis 90 und PDS schneiden bei Konfessionslosen jeweils geringfügig besser ab als im Durchschnitt, die CDU hingegen in gleichem Maße schlechter wie auch im Westen. (emnid-Informationen 3-4/91)
Anm. MIZ-Red.: Die Umfragen wurden im März und April 1991 bei je rund 1000 Befragten vorgenommen.
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Um katholische Proteste zu dämpfen, versprach er gleichzeitig die Einstellung zusätzlicher Religionslehrer. (KNA, 14.9.91)
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Ferner kritisierten die Kirchenvertreter die Überrepräsentierung der Parteien im Rundfunkrat, während "Randgruppen" unberücksichtigt blieben. Sie verloren jedoch kein Wort über den Umstand, daß sie statistisch z.T. selbst nur noch eine Randgruppe (allerdings mit beträchtlichem Einfluß) darstellen und daß Konfessionslose, obgleich die Bevölkerungsmehrheit im Sendegebiet repräsentierend, überhaupt nicht im Rundfunkrat vertreten sind. (KNA, 17.9.91)
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Im Zusammenhang mit den vermehrten Austritten warnte der Schleswiger Bischof Knuth vor deren Dramatisierung. Es sei nicht erforderlich, daß sich die Kirche verstärkt um Ausgetretene kümmere. Der Finanzreferent der Landeskirche in Braunschweig, Oberlandeskirchenrat Fischer erwiderte, diese Aussage mache ihn "geradezu wütend", und zwar wegen der finanziellen Folgen. Mittel- und langfristig habe er wegen dieser Abkehr "große Bedenken". (Informationsbrief 10/91 der evangelischen Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium; Frankfurter Allgemeine, 1.8.91)
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Inzwischen verließen langjährige Mitarbeiter das Referat, weil sich das Arbeitsklima unter der selbstherrlichen Chefin dramatisch verschlechtert habe. Selbst die oppositionelle CSU, die zunächst aus der überraschenden Situation Kapital schlagen wollte, forderte die beamtete Stadträtin zum Rücktritt auf. Den aber lehnt sie auf angeblich göttlichen Befehl hin ab, und als Wahlbeamtin ist sie nur absetzbar, wenn sie ernstere Straftaten begeht.
Dies könnte allerdings bald aktuell werden: Nach lokalen Zeitungsberichten verschickte sie auf dem offiziellen Briefpapier des Kulturreferats rund 1000 Briefe an Freie Christengemeinden - zu Lasten der städtischen Portokasse. Ein Ermittlungsverfahren ist bereits eingeleitet. (Augsburger Allgemeine, 9.9.91; Frankfurter Rundschau, 28.9.91)
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Wegen des letzten Satzes verlangte der veranstaltende Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) eine Gegendarstellung, zumal die Katholische Nachrichten Agentur bereits zutreffend gemeldet hatte, daß es sich bei den Störern um kirchliche Randgruppen handelte (vgl. u.a. KNA, 28.9.91), und der IBKA schon auf der einleitenden Pressekonferenz klargestellt hatte, daß er derartige Formen der Auseinandersetzung nicht für richtig halte (vgl. Fuldaer Zeitung, 28.9.91). Dennoch lehnte das Kirchenblatt die Gegendarstellung zunächst ab, mußte sie aber nach einer von einem beauftragten Anwalt erwirkten Einstweiligen Verfügung schließlich doch bringen - noch dazu auf Seite 1.
Doch die Kirchenleute weigerten sich auch jetzt noch, die Fehlinformation richtigzustellen oder sich gar zu entschuldigen; vielmehr beharrten sie, "gemäß Presserecht" seien sie "verpflichtet, die Gegendarstellung ohne Rücksicht auf ihren Wahrheitsgehalt abzudrucken". Deshalb erwartet die Autorin und den Chefredakteur nun eine Strafanzeige wegen übler Nachrede. (Eigenmeldung; Deutsche Tagespost, 28.9. u. 12.10.91)
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Dieser Vorstoß trifft sogar bei Evangelikalen auf Widerspruch: "Mit Recht fragt einer der Leitartikler des Westfalenblattes, Rolf Dreßler, seit wann die Kirche beim Staat etwas zu fordern hätte für Menschen, die sich von ihr abgewandt hätten. Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, als ob die Kirche durch eine Strafmaßnahme des Staates diese Schüler(innen) wieder 'einfangen' wolle, mindestens ihnen aber die gewonnene Freistunde vermiesen will, so als ob dadurch neue Freude am Religionsunterricht erzwungen werden könnte. Sieht so das "missionarische" Bemühen der Kirche aus ...?" (Informationsbrief der evangelischen Bekenntnisbewegung Kein anderes Evangelium, 10/91)
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Anm. der MIZ-Red.: Natürlich erfolgen solche Austritte aus ganz anderen Motiven, als sie Nichtchristen für vorrangig halten. Dennoch zeigt sich darin ein bemerkenswerter Wandel: Selbst in tiefreligiösen Gegenden und konservativstem politischem Umfeld wird die Kirchenzugehörigkeit nicht mehr durchweg für selbstverständlich gehalten. Ist dieses Bewußtsein erst einmal Allgemeingut, werden sich Austrittsgründe und -zahlen explosionsartig vermehren.
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Doch auch die Bekenntnisse der anwesenden Referenten waren aufschlußreich. Der Sprecher der Spar- und Kreditbank der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern räumte selbstkritisch ein, auch bei seiner Bank "geht es um knallharte Gewinnmaximierung". Der Einlagenüberschuß werde zinsgünstig angelegt, da die Kreditnachfrage sehr gering sei. Gerade die kirchlichen Mitarbeiter, soweit sie Privatkunden seien, dächten fast ausschließlich an ihre Rendite. Dies bestätigte auch der Direktor der katholischen LIGA Spar- und Kreditgenossenschaft München: "Die Solidarität fehlt; die kirchlichen Kunden wollen die Vorteile bei Krediten und Gebühren wahrnehmen, andererseits aber genauso hohe Anlagerenditen erzielen wie bei anderen Banken." Für erhebliche Irritation sorgte das Auftreten eines Repräsentanten der umstrittenen Anlagefirma artus, der vom Veranstalter ausdrücklich eingeladen wurde und den Eindruck erweckte, eng mit den Kirchen zusammenzuarbeiten. Vor diesem Verkäufer "ethischer" Geldanlagen warnten aber nicht nur verschiedene Wirtschafts-Informationsdienste, sondern auch das Magazin finanztest (Ausgabe Mai/Juni 91, S.17 ff.) von der Stiftung Warentest. Zu dem Vorwurf der Zusammenarbeit mit dubiosen Finanzhändlern mochte sich danach jedoch kein Kirchenmann mehr äußern, ebensowenig zu dem Umstand, daß der Veranstalter auch ein Flugblatt jenes Schiller-Instituts auslegte, das als Tarnorganisation der rechtsextremen Patrioten (früher Europäische Arbeiterpartei-EAP) bekannt ist. (MIZ-Eigenmeldung)
Finnland
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Ähnlich wie in Deutschland, Schweden und den meisten Schweizer Kantonen wird in Finnland die Kirchensteuer vom Staat mit der Einkommensteuer abgezogen. Der evangelischen Staatskirche gehören rund 91 Prozent der fünf Millionen Einwohner an. (Rheinischer Merkur, 6.9.91)
Frankreich
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In Frankreich (außer Elsaß-Lothringen) gehören alle vor 1905 errichteten Kirchen der öffentlichen Hand, die auch für den Unterhalt aufkommen muß, während die Kirchen ein kostenloses Nutzungsrecht haben. Lediglich die nach 1905 gebauten Kirchen sind im Besitz von Kult-Vereinen der jeweiligen Diözesen. (KNA, 6.2.91)
Eine Sonderregelung gilt auch für Ordenskirchen, deren Eigentümer meist das Kloster blieb. So verkaufte z.B. die Gemeinschaft der Oblaten der Heiligen Unbefleckten Maria die romanische Abtei von Solignac meistbietend, weil die dortige Niederlassung nur noch 12 Mönche (mit einem Altersdurchschnitt von 63 Jahren) umfaßte. (KNA, 7.2.91)
Großbritannien
Italien
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Der Bischof von Fano, der den Kongreß vergeblich zu verhindern suchte, beschimpfte zunächst den Bürgermeister, weil dieser seinem Wunsch nach einem Verbot nicht nachkam, und ließ dann einen Hirtenbrief in den Kirchen seiner Diözese verlesen, in dem er gegen die angebliche Vulgarität der Veranstaltung wetterte. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.8.91)
Jugoslawien
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Nachdem daraufhin sogar Kardinal Ratzinger offizielle Wallfahrten nach Medjugorje verbot (den Augsburger Bischor Stimpfle mußte er hierzu extra schriftlich anweisen), fürchten die Einwohner des Dorfes um ihr wirkliches Wunder: den Strom der bislang zehn Millionen Pilger. (Spiegel, 27.8.90)
Niederlande
Österreich
Polen
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Auch der Direktor des Polnischen Ökumenischen Rats, Andrzej Wojtowicz, warnte vor einer "totalitären Versuchung" der polnischen katholischen Kirche, der er Bestrebungen vorwarf, aus einem kommunistischen einen katholischen Staat zu machen. "Die katholische Kirche hat nach dem Ende des Kommunismus einen neuen Feind gefunden: Den Pluralismus und Säkularismus westlicher Prägung", denen sie eine "Theologie der Nation" entgegenzusetzen versuche. Demgegenüber tritt der Polnische Ökumenische Rat, der sieben nichtkatholische Religionsgemeinschaften mit 1,5 Millionen Mitgliedern vertritt, für eine strikte Trennung von Staat und Kirche ein und lehnt auch das von katholischer Seite angestrebte totale Abtreibungsverbot ab. (Süddeutsche Zeitung, 23. und 25.5.91)
Rumänien
Schweden
Schweiz
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Die Finanzen des Bistums Chur/Zürich blieben infolge der staatskirchlichen Struktur in den meisten deutschschweizerischen Kantonen jedoch gut. "Die Jahresrechnung 1990 schließt zum sechstenmal hintereinander mit einem Einnahmenüberschuß ab. Bei Einnahmen von 23.522.106 Fr. (1 Schweizer Franken = ca. 1,25 DM, MIZ-Red.) und Ausgaben von 23.020.299 Fr. resultierte ein Ertragsüberschuß (sic!) von 501.806 Fr. ... Der Staat leistete 4,2 Mio. Fr. an Beiträgen an die katholische Kirche" (Zitat NZZ). (Neue Züricher Zeitung, 13.6.91; Freidenker Schweiz, 9/91)
Weniger rosig steht die Kirche jedoch im Kanton Basel da: In einem Bettelbrief an Ausgetretene beklagte ein Pfarrer die Einnahmeausfälle infolge Mitgliederschwunds, gab aber gleichzeitig zu: "Schon jetzt verwendet die katholische Kirche Basel zwei Drittel der Steuereinnahmen für die Löhne der kirchlichen Angestellten." (Freidenker Schweiz, 7/90)
Spanien
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Bischöfe und katholische Elternverbände protestierten, schlagen aber unterschiedliche strategische Wege ein: Während der Elternverband eine Verfassungsklage ankündigte, meinte der Generalsekretär der spanischen Bischofskonferenz, die Kirche wolle mit der Regierung verhandeln, aber keinen "Religionskrieg vom Zaun brechen".
Unzufrieden ist aber auch der laizistische Elternverband, da eine "Freistunde" unter Aufsicht die Nichtteilnehmer am Religionsunterricht unzulässig diskriminiere. (KNA, 17. u. 28.6.91)
Tschechoslowakei
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Damit bestätigten sich Beobachtungen, wonach in allen osteuropäischen Staaten außer der Sowjetunion die Religiosität seit dem Umbruch rapide nachgelassen hat.
Ungarn
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Kritik kam von jüdischer Seite: Oberrabbiner Kardos warf Ungarns Bischöfen vor, sie hätten "niemals öffentlich die Deportation von Hunderttausenden Juden während der Naziherrschaft verurteilt. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn sie ihre Gleichgültigkeit und ihr Schweigen aufgegeben hätten." (1944 waren rund 600.000 ungarische Juden nach Auschwitz verschleppt worden; heute leben noch 90.000 Juden in Ungarn.)
Gerade bei Juden ist die Furcht vor einem "christlichen Kurs" präsent, denn in den Jahren 1920 bis 1927 wurde neben anderen Maßnahmen der Anteil der Juden an den Universitäten aufgrund dieses Kurses beschränkt. Während des Horthy-Regimes vergrößerte die Kirche nicht nur ihren Einfluß, sondern auch ihren Grundbesitz auf rund 5750 km2, was einer Fläche von 76 x 76 km oder 6,2 % des ganzen Landes entspricht. Nach der Bodenreform 1945 wurden 80 % der Kirchengüter eingezogen, jedoch paßte sich die Kirchenführung unter Kadar den veränderten Bedingungen an und übte sich - zur Erbitterung des Kirchenvolks - in Loyalität zum Staat. Nach basiskirchlichen Schätzungen wird der nun bevorstehende Reinigungsprozeß etwa 400 bis 500 Priester betreffen. (Frankfurter Rundschau, 17. u. 20.8.91; Süddeutsche Zeitung, 17. u. 19.8.91; Augsburger Allgemeine, 20.8.91)
Vatikan
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Damit attackierte der Papst nach seiner Ansprache beim Besuch in Fatima zweimal binnen kurzem den aufklärerischen Liberalismus, ohne ihn direkt beim Namen zu nennen.
Nordamerika
Vereinigte Staaten
Lateinamerika
Brasilien
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Die enormen Kosten von rund 25 Millionen Dollar, die das verarmte Land zu tragen hat, riefen weithin Unverständnis hervor. Allein die provisorische Zelt-Empore vor den Kuppeln des Parlaments in Brasilia (kurioserweise angefertigt von dem weltberühmten Architekten und unbeugsamen Altkommunisten Oscar Niemeyer, der sogar den Putsch gegen Gorbatschow begrüßte) kostete den Bundesdistrikt statt der veranschlagten 50.000 fast 400.000 Dollar.
Vertreter der übriggebliebenen Indianer, die sich vehement gegen die Absicht der Kirche wandten, im kommenden Jahr den Beginn der Missionierung Amerikas zu feiern, wurden mit einer vorformulierten und abgelesenen Erklärung abgespeist, in der der Papst die Blutopfer der Indianer unerwähnt ließ, aber der "wertvollen und opferbereiten Missionare" gedachte. "Die Kolonisierung und Christianisierung Brasiliens überlebten schätzungsweise fünf Prozent der indianischen Urbevölkerung. Zur Zeit gibt es noch rund 230.000 Indianer in Brasilien." (Zitat SZ v. 18.10.91)
Auch sozial engagierte Priester und Befreiungstheologen reagierten enttäuscht. Zwar mahnte Wojtyla eine Landreform an, verurteilte aber jede Besetzung von Ländereien. Unter keinem Vorwand sei es gerechtfertigt, jemandem Schaden zuzufügen oder Eigentum zu besetzen. (In Brasilien konzentrieren sich rund 60 % des Ackerlandes in den Händen von 2 % der Grundbesitzerfamilien.) In den Städten bekam das katholische Oberhaupt die Probleme nicht zu Gesicht: Während des Papstaufenthalts wurden die 300 Straßenkinder der Stadt Goiania kurzerhand eingesperrt. Die Priester wies der Pontifex an, sich aus der Politik herauszuhalten; die "Präferenz für soziale Probleme" erzeuge "fortschreitende Entleerung des Glaubensinhalts". Der sozial orientierte Bischof Casaldaldiga faßte die Vorbehalte weiter Teile der Bevölkerung zusammen: "Die Päpste gehen, aber die Armen bleiben". Der Theologe Boff sowie katholische europäische Missionsexperten hatten schon im Vorfeld der Visite betont, die Kirche sei mitschuld an den heutigen sozialen Verhältnissen in Lateinamerika, und angesichts der Verbrechen bei der Missionierung seien, so der Geschäftsführer des Missionswerks Adveniat, Prälat Spelthahn, in der Kirche keine Jubelfeiern, sondern Schuldbekenntnis und Reue angebracht.
Von den rund 155 Millionen Einwohnern gelten offiziell rund 80 Prozent als katholisch; Brasilien gilt damit als das Land mit den meisten Katholiken. Zu einem negativeren Ergebnis kam der Präsident der nationalen katholischen Bischofskonferenz, Erzbischof Almeida, auf dem IV. Lateinamerikanischen Missionskongreß im Februar 1991 in Lima: "Im Jahre 1980 bekannten sich in Brasilien 82 Prozent zum Katholizismus, heute sind es nur noch 76,2 Prozent." Für die Jahrtausendwende sagt der konservative Bischof Kloppenburg einen katholischen Anteil von nur mehr 65 % voraus; 1940 waren es noch 95 %. Dagegen wachsen die aggressiven evangelikalen Sekten jährlich um 600.000 Mitglieder und zählen bereits zwischen 16 und 20 Millionen Anhänger. (Süddeutsche Zeitung, 9., 14., 15., 16., 17., 18., 21. u. 23.10.91; Frankfurter Rundschau, 9.9., 14. u. 15.10.91; KNA, 24.9.91; Augsburger Allgemeine, 26.10.91)
Paraguay
Afrika
Ägypten
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In Ägypten sind etwa zehn Prozent der Bevölkerung koptische Christen. (KNA, 9.2.91)
Anm. MIZ-Red.: Derartige Grundrechtsverletzungen dürfen auch Atheisten nicht gleichgültig lassen, nicht nur weil sie leicht einmal selbst betroffen sein können. Es geht vorrangig um das Prinzip der Gleichberechtigung aller Religionen/ Weltanschauungen und der persönlichen Glaubensfreiheit. Daß sich die Großkirchen bei uns um diese Ideale nicht mehr kümmern, sobald ihre eigene Macht auf dem Spiel steht, darf Atheisten hier nicht zu hämischer Schadenfreude verleiten.
Nigeria
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Von den 110 Millionen Einwohnern bekennt sich die Hälfte zum Islam, ein gutes Drittel wird einer der christlichen Varianten zugerechnet, ein schwindender Rest hängt afrikanischen Stammesreligionen an. Während der islamische Norden die meisten Soldaten stellt, profitieren die christlichen Stämme im Süden vom Ölreichtum ihrer Region und dem daraus resultierenden Vorsprung in Ausbildung und Einkommen. (TAZ, 3.9.91; Spiegel, 28.10.91)
Uganda
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Bisher hat das Land einen von der Weltgesundheitsorganisation WHO als vorbildlich bezeichneten Kampf gegen die Immunschwächekrankheit geführt; dennoch ist in Uganda die höchste Zahl von aidsinfizierten Menschen auf dem afrikanischen Kontinent registriert. Bischöfe und Scheichs brandmarkten nun aber den Gebrauch von Kondomen als "Lizenz für Promiskuität und Unmoral" bzw. als "anti-islamisch". (Mannheimer Morgen, 14.9.91)