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(1915) Göttingen/Bonn. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) warnte vor der
Scientology-Tarnorganisation "Aktionsbüro Bosnien-Herzegowina - Friedensbewegung Europa" mit Sitz in Hamburg. Dieses
"Aktionsbüro" gebe zwar vor, sich für den Frieden in Bosnien einzusetzen, tatsächlich habe es aber Bosnier dazu gebracht, an
teuren Scientology-Ausbildungskursen teilzunehmen. Laut GfbV stelle die Sekte eine moralisch und sozial "ernste Bedrohung" für
die Gesellschaft dar, weil sie das Mitleid mit der bosnischen Bevölkerung als neue Einnahmequelle ausnutze. (KNA,
17.8.93)
Gleichzeitig unterstützten Referenten von Wirtschaftsminister Rexrodt die Bemühungen des Stahlbauunternehmers und
Scientology-Mitglieds Gerhard Haag, in Südosteuropa Fuß zu fassen. Juristisch wurde Haag von dem Münchner Anwalt Michael
Scheele vertreten, früher auch von dessen Ex-Sozius Jürgen Warnke (langjähriger CDU-Entwicklungshilfeminister). Wie gut die
Verbindungen der Kanzlei nach Bonn noch immer funktionieren, erfuhr auch die Scientology-Kritikerin Renate Hartwig, die sich
mit detaillierten Hinweisen zum Fall Haag schriftlich an Rexrodt gewandt hatte. Statt einer Antwort aus Bonn erhielt sie wenige
Tage später eine Unterlassungsaufforderung von der Kanzlei Scheele, in der auch auf ihren Brief an den Wirtschaftsminister
verwiesen wurde. (SPIEGEL, 7.3.94)
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(1916) Fulda. Vor 8000 Wallfahrern erlaubte sich Erzbischof Dyba heftige Ausfälle gegen
Ungläubige, die er überdies mit Neonazis in einen Topf warf. Fulda stehe für "ungebrochene Treue" zum christlichen Glauben. Als
solche "Bastion" sei sie eine Provokation für alle Ungläubigen und Kirchenhasser. Gesellschaft und Kirche in Deutschland sind
laut Dyba von "zunehmender Degeneration" gekennzeichnet; das Gottesvolk sei "fett und feist" geworden. (KNA, 5.9.93)
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(1917) Limburg. Ausgerechnet auf einer Tagung für Religionspädagogik forderte der katholische
Ordinariatsrat Göring mehr Ethikunterricht (EU) an den Schulen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern sei der EU in
Hessen noch nicht allgemein eingeführt. Da es in Schule, Elternhaus und Gesellschaft ein "Defizit an Erziehung und
Wertevermittlung" gebe, empfahl der katholische Würdenträger auch für muslimische Schüler einen Pflichtunterricht in Ethik.
(Frankfurter Rundschau, 15.9.93)
Anm. MIZ-Red.: 1. Der Religionsunterricht (RU) dient nicht der allgemeinen "Wertevermittlung" (was immer darunter zu
verstehen sein mag), sondern der Unterweisung konfessionsangehöriger Schüler in der Glaubens- und Sittenlehre ihres
Bekenntnisses. Daher verstößt ein Ersatzunterricht für nicht Konfessionsgebundene gegen die Religions- und
Weltanschauungsfreiheit.
2. Der Beweis, daß sich Teilnehmer am RU bzw. EU ethisch oder moralisch besser verhalten als Nichtteilnehmer, muß erst noch
erbracht werden.
3. Die Funktionäre der Großkirchen sind für ihre Mitglieder zuständig; was für Andersdenkende oder Andersglaubende gut ist,
haben sie nicht festzulegen. Schließlich bestimmen Konfessionsfreie auch nicht über die mitunter recht fragwürdigen Lehrinhalte
im RU mit.
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(1918) Wiesbaden. Auf Kritik bei Angehörigen nichtchristlicher Gemeinschaften stieß eine
Neufassung des hessischen Schulgesetzes, wo im Gegensatz zum Wortlaut der Hessischen Verfassung ein direkter Bezug zum
Christentum hergestellt wird. So benennt nun die Einleitung zu § 2 des Schulgesetzes den "gemeinsamen Bildungsauftrag, der auf
humanistischen und christlichen Traditionen beruht". Laut § 2 Abs.1 sollen die Schülerinnen und Schüler die "christlichen und
humanistischen Traditionen erfahren". Vor allem jüdische Kritiker bemängeln, daß damit die Gleichberechtigung aller Religionen
und Weltanschauungen zugunsten der nominell vorherrschenden aufgegeben worden sei. Das neue Schulgesetz trat zu Beginn des
Schuljahres 1993/94 in Kraft. (Die Brücke, Sept./Okt. 1993)
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(1919) Stuttgart. Als unzeitgemäß haben Pädagogen und Juristen bei einer Anhörung der
baden-württembergischen Grünen den Religionsunterricht an deutschen Schulen verworfen. Der Mainzer Religionspädagoge Otto
meinte, in der heutigen multireligiösen Gesellschaft müsse es - unabhängig von einer Religionszugehörigkeit - einen für alle
verbindlichen Ethik- oder Philosophie-Unterricht geben.
Der Friedberger Verwaltungsrichter und Experte für Staatskirchenrecht, Dr. Czermak, bemängelte die Ungleichbehandlung des
Faches Ethik gegenüber Religionslehre in Baden-Württemberg, die insbesondere in der Kursphase zu Benachteiligung der
Ethikschüler führe. Außerdem führte er aus, daß ein Ersatz-Pflichtunterricht für Nichtteilnehmer am Religionsunterricht
verfassungswidrig sei. (Südwest Presse Ulm, 26.10.93)
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(1920) Berlin. Die Zeugen Jehovas müssen als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt
werden, wie das Verwaltungsgericht Berlin entschied. Die Religionsgemeinschaft, die sich auf die Anerkennung durch den
DDR-Ministerrat im März 1990 berief, hatte gegen das Land Berlin auf Feststellung dieses Status geklagt. (Süddeutsche Zeitung,
27.10.93)
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(1921) Augsburg. Eine repräsentative Umfrage des kirchlichen Jugendamtes der Diözese Augsburg in
985 Pfarreien ergab, daß sich Jugendliche nach dem 15. Lebensjahr kaum noch an Aktivitäten in Kirchengemeinden beteiligen. Das
größte Interesse bei katholisch Getauften ist noch im Grundschulalter vorhanden, läßt dann aber deutlich nach. Unter den 20-
bis 27jährigen bleibt nur noch ein verschwindend kleines Häuflein übrig. Mehr als 80 % der Jugendleiter sind weiblich.
(Süddeutsche Zeitung, 4.11.93)
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(1922) Ansbach. Der Ansbacher Lokalsender Radio 8 wurde vom Verwaltungsgericht gezwungen, ein von
den Kirchen geliefertes "Wort zum Tag" zur besten Sendezeit auszustrahlen. Die Programmacher wollten die Beiträge vor 6 oder
nach 18 Uhr senden, doch der Bayerische Landesmedienrat (BLM) gab exakt 6.50 Uhr als Zeit für diese "gesellschaftlich relevante
Gruppe" vor, weil dann 12.000 statt 1000 Hörer erreichbar sind. Für den Weigerungsfall drohte er sogar mit Entzug der
Sendelizenz. Das nach der Klage des Senders befaßte Verwaltungsgericht gab der Auffassung der staatlichen Medienwächter statt,
wonach der BLM auch als Veranstalter des privaten Rundfunks auftrete und laut Gesetz dafür sorgen müsse, daß die Kirchen zur
besten Sendezeit ins Programm kämen. Radio 8 kündigte Berufung beim Verwaltungsgerichtshof an (AZ: AN 17 K 93 00560).
(Süddeutsche Zeitung, 12.11.93)
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(1923) Bonn. Von den weltweit jährlich knapp 50 Kriegen hat nahezu die Hälfte einen religiösen
Hintergrund. Dies ergibt sich aus der Übersicht zur Weltentwicklung, die die "Stiftung Entwicklung und Frieden"
veröffentlichte. Auffällig an religiösen Spannungen sei die Tendenz, sich zum existentiellen Konflikt auszuweiten: "Der Sinn
des Lebens scheint bedroht, und so werden religiös motivierte Kriege oft verbissener, unnachgiebiger, brutaler ausgefochten als
andere." (Süddeutsche Zeitung, 30.11.93)
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(1924) München/Fulda. Trotz immensen Reichtums lassen sich die Kirchen die Renovierung ihrer
Prunkbauten vom Staat bezahlen. So kosteten die mehrjährigen Restaurationsarbeiten am Fuldaer Dom 58,3 Millionen DM, die
ausschließlich der Staat aufbringt.
Noch unverfrorener ging der Münchner Kardinal Wetter nach der Wiedereröffnung der Münchner Frauenkirche vor. In seiner
Predigt ging er auf die Not in der Welt ein und formulierte ebenso salbungsvoll wie unverbindlich: "Der Schrei der Kinder und
Mütter, der Hungernden und Erfrierenden in Bosnien steht für die Not der Welt." Daß ein erheblicher Teil der 42 Millionen DM
Renovierungskosten für das Bauwerk genau für die Linderung dieser Not hätte verwendet werden können, kam ihm jedoch nicht in
den Sinn. (Frankfurter Rundschau, 11.,15. u. 27.12.93)
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(1925) München. Die bayerischen Grünen wollen das Bildungsziel "Ehrfurcht vor Gott" aus Art. 131
Abs.2 der Bayerischen Verfassung streichen. Auf den Vorwurf des bayerischen Landeskomitees der Katholiken, die Grünen wollten
"eine ideologisch geprägte Hackordnung" an die Stelle einer "christlich geprägten Werteordnung" setzen, konterte die Öko-Partei
mit dem Hinweis, die katholische Laienorganisation wolle "eine vom Geist der Toleranz geprägte Diskussion" über Kirche und
Bildungspolitik verhindern. Den Grünen gehe es lediglich darum, die im Grundgesetz festgelegte Trennung von Staat und Kirche
auch im Bildungsbereich durchzusetzen. (Süddeutsche Zeitung, 24.12.93)
Anm. MIZ-Red.: Selbst der Bayerische Verfassungsgerichtshof hatte 1988 festgestellt, daß dieses Verfassungsziel nicht für
alle gelten könne.
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(1926) Darmstadt. Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften
(GWUP) mit Sitz in Roßdorf bei Darmstadt kam nach der Auswertung der Voraussagen von 70 Astrologen für das Jahr 1993 zu einem
vernichtenden Ergebnis. Keine einzige konkrete Prognose traf ein; Treffer gab es nur bei sehr allgemein gehaltenen Aussagen.
Nach Schätzungen der GWUP arbeiten in Deutschland rund 5000 Astrologen mit einem Jahresumsatz von etwa 100 Millionen DM.
(Frankfurter Rundschau, 30.12.93)
Wie groß die Sucht nach übersinnlichen Erklärungen ist, verdeutlichten mehrere Umfragen. Nach einer Allensbach-Erhebung
glaubt fast jeder fünfte Deutsche an die Existenz von Ufos. Gar jeder dritte Bundesbürger ist von der Wirksamkeit von
"Geistheilern" überzeugt, und immerhin 11 % meinen, daß sich die Sonne um die Erde dreht; weitere 7 % waren sich nicht sicher.
(Augsburger Allgemeine, 28. bzw. 22.2.94; Wege ohne Dogma, 1/94)
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(1927) Dresden. Noch vor Abschluß eines Staatskirchenvertrags mit der Evangelisch-Lutherischen
Landeskirche Sachsen erklärte sich die CDU-Landesregierung bereit, einen mehrjährigen Finanzstreit im Sinne der Kirche zu
beenden. Sie zahlte die bisher strittige Summe von 40 Millionen DM als "Staatsleistungen" für die letzten drei Jahre als
Ausgleich für kirchlichen Grundbesitz, den sich die Landesfürsten vor über 400 Jahren nach der Reformation (!) angeeignet
hatten. Der Finanzdezernent im Landeskirchenamt äußerte sich befriedigt, daß sich der Staat nunmehr eindeutig zu seinen
"Verpflichtungen" gegenüber der Kirche bekannt habe.
Prof. Johannes Neumann, Vorstandsmitglied des IBKA, wies darauf hin, daß die Aneignung der Kirchengüter im 16. Jahrhundert
oft auf fragwürdige Weise erfolgte. Zudem waren der sächsische Kurfürst und seine Rechtsnachfolger bis 1918 in Personalunion
Landesbischöfe. Änderungen der kirchlichen Besitzverhältnisse durch Entscheidungen von Kurfürsten waren also gleichzeitig
Maßnahmen des Landesbischofs, für die sich die Kirche nun am Staat schadlos halten wolle. Die Abmachung ermögliche nun auch
katholische Forderungen wegen der 1659 erfolgten Annektierung katholischer Bistümer durch den evangelischen Landesbischof und
Kurfürst - wiederum auf Staatskosten. Kirchliche Vermögensansprüche seien offenbar die einzigen, die selbst nach Jahrhunderten
nicht verjährten. Prof. Neumann erinnerte auch daran, daß die gezahlten 40 Millionen DM knapp 1 % der Steuereinnahmen Sachsens
von 1991 entsprächen und mehr als zwei Drittel der Einwohner für eine Kirche zahlten, "der sie weder angehören noch zugehören
wollen". Die Kirchen seien "im Erschließen von Geldquellen unbestreitbar Spitze", besonders dort, "wo die Herren
Kirchenjuristen Minister sind". (Frankfurter Rundschau, 4. u. 13.1.94)
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(1928) Augsburg. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im bayerischen Landtag, Albert Schmid, hält die
Öffnung der SPD hin zur Kirche für "ganz wichtig". Damit liegt das Mitglied im Landeskomitee der bayerischen Katholiken auf
einer Linie mit der SPD Landesvorsitzenden Renate Schmidt, die vor kurzem ihren Eintritt in die evangelische Kirche erklärt
hat, "um meinem Denken einen Rahmen zu geben". (Augsburger Allgemeine, 3.2.94)
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(1929) München. Die katholische Kirche hat ihre Einflußnahme auf das Fernsehen erheblich
verstärkt. Da sie die Bevölkerung durch Kirchenfunksendungen kaum mehr erreicht, beteiligte sie sich an einer 15 Millionen DM
teuren Krimiserie des Privatsenders SAT 1 mit einem Zehntel der Kosten, darf dafür aber das Drehbuch zu der 13-teiligen Serie
verfassen. Held ist ein ehemaliger Kriminalkommissar, der Pfarrer geworden ist, weil er einen Menschen aus Notwehr erschossen
hat, und nun zufällig in sein "altes" Revier im Frankfurter Bahnhofsviertel versetzt wird. Wie "lebensnah" die Handlung ist,
zeigte schon die erste Folge: Der Pfarrer erhält während einer Drogenrazzia von einer Frau einen Koffer, der natürlich
Rauschgift enthält. Später bringt er ihn zurück - im doppelten Boden jetzt mit einer Bibel statt Heroin (beides kann zu
Abhängigkeit führen, Anm. MIZ-Redaktion) - und die Schutzgeldmafia landet hinter Gittern.
Der "Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für SAT 1" verspricht sich mit der Serie eine "Sympathiewerbung" für die
Kirche. (Süddeutsche Zeitung, 3.2.94)
Aber auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen beugt sich kirchlichen Vorgaben. Jobst Plog, ARD-Vorsitzender und
NDR-Intendant, zeigte sich überzeugt, daß die von ihm verwalteten Rundfunkanstalten dem vom Papst herausgegebenen Moralkodex
für Sender folgen können. Der katholischen Zeitschrift Weltbild sagte er: "Wer die Rundfunkgesetze und -staatsverträge liest,
erkennt, daß sie den Grundforderungen der Zehn Gebote nahe sind." Der (aus der Kirche ausgetretene) RTL-Chef Thoma erwiderte
hingegen, sein Sender sein keiner katholischen Soziallehre verpflichtet. "RTL sollen auch Nicht-Katholiken gucken können."
Der Papst hatte in seiner Botschaft zum "Weltmediensonntag" an die Fernsehverantwortlichen appelliert, einen Moralkodex zu
befolgen, in dem religiöse Werte gestärkt würden. (Weltbild, 4.2.94; Süddeutsche Zeitung, 10.2.94)
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(1930) Hamburg. Zwischen dem Vatikan und den Landesregierungen von Hamburg, Schleswig-Holstein
und Mecklenburg-Vorpommern haben offizielle Konkordatsverhandlungen über die Errichtung eines künftigen Erzbistums Hamburg
begonnen. Hamburg hat die Forderung der Kirche, die Bezahlung des künftigen Kirchenfürsten zu übernehmen, bereits kategorisch
abgelehnt. (Rheinischer Merkur, 11.2.94)
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(1931) München. Die evangelische Heiliggeist-Gemeinde in München kündigte der Elterninitiative
"Olytolly" das Mietverhältnis in kirchlichen Räumen, weil sie sich nicht an "hauseigene Spielregeln" halte. Was der Pfarrer
darunter verstand, brachte er vorsichtig formuliert, aber knallhart in der Sache vor: Die Elterninitiative "arbeitet in einem
Kirchenzentrum professionell im Stil einer Kindertagesstätte privatrechtlicher Art. Es gibt keine institutionalisierte
Mitsprache (der Kirche) bei der Auswahl der Kinder, der Pädagogen und des pädagogischen Konzeptes." Auch nach dem Rauswurf der
zu wenig kirchlich geprägten Initiative seien die Kinder "auch von Olytolli" jedoch jederzeit herzlich willkommen - "im Rahmen
eines gemeindebezogenen Gesamtkonzeptes". (Süddeutsche Zeitung, 14.2.94)
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(1932) Bonn. Entgegen kirchlichen Darstellungen ist die Zahl der Kirchenaustritte 1993 keineswegs
so stark gesunken wie dort angegeben. Im Durchschnitt lag der Rückgang bei etwa 15 % gegenüber dem Rekordjahr 1992, pendelte
sich damit aber fast genau auf dem Niveau des bisher zweithöchsten Jahres 1991 ein. In 31 zumeist größeren Städten Bayerns mit
einer Gesamt-Einwohnerzahl von 2,850 Millionen Einwohnern traten 1991 genau 21.601 und in den folgenden Jahren 24.595 bzw.
20.304 Personen aus.
Obwohl sich die Austrittszahlen zwischen 1982 und 1992 verdreifacht haben, rechnen die Kirchen selbst für die nächsten Jahre
mit einem neuerlichen Anstieg, weil die Wiedereinführung eines "Solidaritätszuschlags" und Steuererhöhungen ins Haus stehen.
(Süddeutsche Zeitung, 9.3.94; Augsburger Allgemeine, 12.3.94, eigene Recherchen der MIZ-Redaktion)
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(1933) Kassel. Der Chefarzt eines kirchlichen Krankenhauses darf fristlos entlassen werden, wenn
seine Behandlungsmethoden gegen das Kirchenrecht verstoßen, entschied das Bundesarbeitsgericht in Kassel. Dies gelte selbst für
Behandlungen in der privaten Ambulanz innerhalb der Räume des Krankenhauses. Dabei sei es allein Sache der Kirche festzulegen,
ob der Arzt gegen die Glaubenslehre verstoßen habe. Im vorliegenden Fall wurde die Kündigung des Gynäkologen - er hatte fünf
Frauen künstlich befruchtet - dennoch aufgehoben, weil er vorher nicht abgemahnt worden war (AZ: 2 AZR 226/93). (Abendzeitung
München, 17.3.94)
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(1934) Senden b.Ulm. Nach einem Beschluß des Sendener Stadtrates müssen türkische Kinder zur
Nachhilfe in ein katholisches Zentrum, obwohl das die Stadt und die Eltern teurer kommt als ein Alternativangebot des
Türkischen Vereins. Dieser hatte 12.000 DM erbeten und pro Kind nur 20 bis 30 DM im Monat verlangt. Die Kirche erhält nun
25.000 DM Zuschuß, kassiert aber 50 DM je Kind.
Die Fraktion der Grünen meinte dazu: "Zwar sind Ausländer keine Wähler, aber eben doch Steuerzahler. Sie finanzieren damit
auch die 90 % Stadtzuschuß an das Christophoruszentrum. ... Sie finanzieren auch mit die Kirchenrenovierungen und die 108
Millionen im Jahr, die der bayerische Staat für die Gehälter der Bischöfe und Priester der katholischen Kirche zuschießt.
Intergration? Na klar, aber nur als Steuerzahler." (Neu-Ulmer Zeitung, 10.3.94)
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(1935) Karlsruhe. Die beiden neuernannten Richterinnen am Bundesverfassungsgericht, Jutta Limbach
(bisher Berliner Justizsenatorin) und Renate Jaeger (bisher Richterin am Bundessozialgericht) verzichteten bei ihrer
Vereidigung auf die religiöse Zusatzformel "So wahr mir Gott helfe." (Kinzigtal-Nachrichten, 25.3.94)
Anm. MIZ-Red.: Dieser Vorgang ist umso bemerkenswerter, als die beiden Großkirchen vor der Wahl von Verfassungsrichtern ein
formelles Anhörungsrecht haben, was ihnen zumindest eine atmosphärische Einflußnahme ermöglicht.
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(1936) Berlin/Allensbach. Die Kirchen haben nach Ansicht des Theologen Drewermann und des
evangelischen Pfarrers Schorlemmer in ihrer heutigen Form keine Zukunft mehr, weil sie "nichts mehr anzubieten haben, was den
menschen Halt gibt". Unterstützt wird ihre Aussage durch eine Untersuchung des kirchennahen Allensbacher Instituts für
Demoskopie. Danach wird die Kirchenbindung der (West-)Deutschen von derzeit 80 auf 50 bis 60 Prozent sinken. (Südwest Presse
Ulm, 30.3.94)
Anm. MIZ-Red.: Der Anteil der Kirchenmitglieder an der Gesamtbevölkerung liegt in Deutschland derzeit bei rund 70 %; er
nimmt jährlich zwischen einem halben und einem Prozentpunkt ab, und zwar nicht nur wegen der Kirchenaustritte, sondern auch
infolge zunehmender Überalterung der Kirchenmitglieder. Wann der Schrumpfungsprozeß zum Stillstand kommt, ist derzeit noch
überhaupt nicht absehbar. Das heißt aber nicht, daß sich die politische Macht der Kirchen gleichermaßen reduziert.
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(1937) Augsburg. Die Praxis des Ethikunterrichts in Bayern bleibt weiterhin in der Kritik.
Nachdem der kulturpolitische Ausschuß des Landtags am 28.10.92 erhebliche Benachteiligungen der Ethikschüler moniert hatte
(vgl. auch MIZ 1/93, Meldung 1672), gab das Kultusministerium am 31.1.94 ein neues Rundschreiben an alle weiterführenden
Schulen heraus (Nr. VI/2-S5402/1-8/166 333), wo es u.a. heißt, "die Abmeldung vom Religionsunterricht kann nur aus Glaubens-
und Gewissensgründen erfolgen." Der Bund für Geistesfreiheit Augsburg wies das Ministerium in einem (auch an die
Landtagsfraktionen und die Presse versandten) Schreiben darauf hin, daß für die Abmeldung keinerlei Begründung verlangt werden
darf. Ferner wurde die immer noch mangelhafte Information der Eltern über ihre einschlägigen Rechte kritisiert.
(Pressemitteilung des bfg Augsburg vom 24.4.94)
Unterdessen wurde bekannt, daß in einer Reihe von Volksschulen konfessionslose Schüler ungefragt in den Religionsunterricht
gesteckt wurden. Dies veranlaßte die Grünen-Abgeordneten Raimund Kamm und Elisabeth Köhler zu einer parlamentarischen Anfrage
im Landtag. In mindestens zwei Fällen verweigerten Schulleiter den Erziehungsberechtigten konfessionsloser (!) Kinder sogar
zunächst die Abmeldung von Religionsunterricht. (Augsburger Allgemeine, 26.3.94)
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(1938) Oxford. Die 1982 von dem Oxforder Professor David Barrett herausgegebene "Enzyklopädie
über das Weltchristentum" belegt, daß die Säkularisierung im 20. Jahrhundert weltweit zugenommen hat. Dies ergab eine genaue
Auswertung des Norweger Freidenkers Finngeir Hiorth.
Zwischen 1900 und 1980 nahm der Anteil der "Nichtreligiösen", die dem agnostischen oder atheistischen Spektrum zuzuordnen
sind, von 0,2 auf 20,8 % zu. Im gleichen Zeitraum blieben die vier großen Weltreligionen allerdings weitgehend stabil. Der
christliche Anteil sank um 2,2 auf 32,2 %, der buddhistische von 7,8 auf 6,3 %; gleichzeitig nahmen der Islam von 12,4 auf 16,5
und der Hinduismus von 12,5 auf 13,3 % zu.
Seit den 80er Jahren gehen die Verfasser allein in den westlichen Ländern von einem jährlichen Zuwachs der "Säkularisten"
von 8,5 Millionen aus. Als besonders stark säkularisiert galten dort 1980 Schweden (28,7 %), Italien (16,2 %), Frankreich (15,6
%) und die Niederlande (12,1 %). Außerhalb der damals kommunistisch orientierten Staaten wiesen Japan (12,0 %) und vor allem
Uruguay (35,1 %) den höchsten Anteil auf. In diesen südamerikanischen Land, das bereits früh eine klare Trennung von Staat und
Kirche einführte, bekannten sich schon 1908 bei einer Volkszählung 37,2 % zu einer nichtreligiösen Weltanschauung. (Kristall
1/94)
Anm. MIZ-Red.: Hiorth wies allerdings selbst auf zahlreiche Mängel in den Statistiken der Enzyklopädie hin. Schon der
Begriff "secular" ist ungenau, weil die Grenzen zwischen Atheisten, Agnostikern und "Religiösen" sehr verschwommen sind. Zudem
wurde 1900 die Gruppe der "Nichtreligiösen" fast nirgendwo gezielt erfaßt. Aber auch 1980 wurden sehr ungleiche Maßstäbe
angewandt. In Schweden gehörten z.B. über 90 % der Einwohner der evangelischen (Staats-)Kirche an, so daß sich der o.a. Anteil
der "secular" nur auf die Glaubensüberzeugung stützen kann. Dieselben Daten für Westdeutschland (4,6 %), Österreich (2,7 %) und
die Schweiz (1,9 %) beruhten hingegen auf jenem Teil der Konfessionslosen, der dies bei den jeweils schon zehn Jahre
zurückliegenden Volkszählungen von 1970 ausdrücklich angegeben hatte. Wie wir heute wissen, gab es in diesen drei Staaten 1980
etwa doppelt so viele Nichtglaubende wie in der Enzyklopädie ausgewiesen.
Trotz allem ist diese Quelle nicht wertlos, doch wäre eine aktuellere Studie dringend nötig: Zumindest in den westlichen
Industriestaaten verlief der Ablösungsprozeß von religiösen Mustern seit 1980 so rasch wie nie zuvor.