1996 - Meldungen 2256-2303
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Es handelte sich meist um örtliche Alimentierungen für Pfarrer und Kirchendiener. Da längst nicht mehr die einstigen Naturalien geliefert wurden, mußten die Bezirksfinanzdirektionen jährlich neu den Gegenwert von Roggen, Weizenstroh, Dinkel, Karpfen, Weißkraut, Stroh etc. berechnen, wobei die Umrechnung der alten Maße (z.B. "Schober") zusätzliche Probleme schaffte. (Augsburger Allgemeine, 29.10.95; vgl. Süddeutsche Zeitung, 25.2.94)
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Während sich der Passauer Bischof "vorerst nicht äußern" wollte, nahm ihn das Kultusministerium in Schutz. Juristen des Hauses hätten das Ansinnen "sehr genau auf Straftatbestände geprüft", so ein Sprecher. Die Frage nach der Pietät habe sich gar nicht erst gestellt: "Wenn ein Ordinariat an einen herantritt, geht man davon aus, daß keine unmoralischen Vorschläge gemacht werden." Ähnlich urteilt die Passauer Justiz. "Wir sehen keine Veranlassung, ein Ermittlungsverfahren auch nur einzuleiten", empörte sich der leitende Oberstaatsanwalt. "Gegen einen Bischof!" (Süddeutsche Zeitung, 19.12.95)
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24.1.96)
Anm. MIZ-Red.: Folgt man der Argumentation der Anbieter und der Umweltaktion bis zur letzten Konsequenz, dann ist also der völlige Verzicht auf ein derart umstrittenes Produkt am gesündesten und umweltschonendsten. (Zu den gesundheitlichen Risiken sei auch auf Meldung 2247 in MIZ 1/96 hingewiesen.)
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Unterdessen hat ein Nördlinger Berufsschullehrer und Mitglied des bfg Augsburg vor dem Verwaltungsgericht Augsburg einen Eilantrag auf Entfernung des Kreuzes in seinem Klassenraum gestellt. (Das Gericht selbst sprach in einer Pressemitteilung fälschlich von mehreren Kreuzen und verweigerte später dem Kläger die Zusendung dieser Verlautbarung.)
Inzwischen hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag abgewiesen. Es vertrat in seinem Beschluß (AZ: Au 2 E 96.480) die Ansicht, Lehrer hätten darauf keinen Anspruch, denn die Anbringung eines Kreuzes "bewege sich im Rahmen des Erziehungs- und Lehrauftrages der Schulen (Art. 131 Abs. 2 der Bayerischen Verfassung), die Schüler zur Ehrfurcht vor Gott anzuhalten. Lehrkräfte haben diesen Auftrag in gleicher Loyalität auszuführen wie andere dienstliche Anordnungen." Dadurch sei auch nicht das Grundrecht des Lehrers auf Glaubens- und Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 GG verletzt, denn es müßten "ihre persönlichen Glaubensbelange zurückstehen hinter den vorrangigen Interessen und Befugnissen des Staates als Dienstherrn."
Der Bund für Geistesfreiheit Augsburg warf dem Gericht in einer Presseerklärung schwere Rechtsfehler vor. Es habe den Grundsatzbeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 16.5.95 völlig ignoriert. Zudem stütze sich das VG ausschließlich auf einen Artikel der bayerischen Verfassung, der dem Art. 4 des Grundgesetzes (Religionsfreiheit) eindeutig nachrangig sei. Überdies sei die "Ehrfurcht vor Gott" bereits seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1975 "unbeachtlich"; damals war festgelegt worden, daß sich christliche Bezüge in Länderverfassungen auf den "Kultur- und Bildungsfaktor" zu beschränken haben und Glaubensangelegenheiten nicht umfassen dürfen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) warf dem Verwaltungsgericht vor, es wolle christenfreie Lehrer zwingen, "unter dem Missionszeichen des Christentums ihre Arbeit zu verrichten". Der Berufsschullehrer hat mittlerweile Beschwerde beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingelegt.
Auch einzelne Schulen haben Schwierigkeiten mit der Umsetzung des Gesetzes. So verweigerte eine Volksschule in Marktoberdorf nach Aufforderung von Schülereltern die Entfernung des Kreuzes aus dem Klassenzimmer, weil dies einen unangemessenen "Eingriff in die Schulverwaltung" darstelle. Das Regierungsschulamt wies die Schulleitung jedoch an, gemäß dem neu eingefügten Art. 7,3 des bayerischen Gesetzes über das Erziehungsund Unterrichtswesen (BayEUG) eine Einigung mit den Eltern herbeizuführen. Inzwischen zeichnet sich auch hier ein Gerichtsverfahren ab. (Augsburger Allgemeine, 7.3., 26.3., 23. u. 29.5.96; Presseerklärung des bfg Augsburg vom 26.5.96; MIZ-Eigenrecherchen; vgl. auch MIZ 1/96, Meldung 2224)
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In bisher einmaliger Weise griff der Bundestag in die Länderhoheit ein und beschloß mit den Stimmen der Koalition eine Resolution, in der Brandenburg aufgefordert wurde, Religion als Pflichtfach einzuführen. CDU/CSU-Fraktionschef Schäuble bezeichnete LER als "staatlichen Religionsersatz", der nicht mehr "weltanschaulich neutral" sein werde. Brandenburgs Justizminister Bräutigam verwahrte sich gegen "politische Pressionen" aus Bonn. Christa Nickels, kirchenpolitische Sprecherin der Grünen, warf der Koalition vor, sie wolle über Brandenburg auch die Berliner Regelung - auch dort ist Religion nicht ordentliches Lehrfach - "aushebeln", wenn es zur Vereinigung der beiden Länder komme.
Auch der evangelische Theologe Schorlemmer sprach sich in einer eigenen Stellungnahme für LER aus. Die Schüler sollten mit möglichst vielen Meinungen konfrontiert werden und sich eigene Urteile bilden. Den Vorwurf des Pfarrers und früheren DDR-Verteidigungsministers Eppelmann, das Fach bedeute eine nachträgliche "Legalisierung der Entchristianisierung" in der DDR, nannte Schorlemmer "billigste Polemik". (Süddeutsche Zeitung, 16.3.96; Frankfurter Rundschau, 16. u. 21.3.96; Kinzigtal Nachrichten, 15. u. 18.3.96; KNA, 29.3.96; vgl. auch MIZ 1/96, Meldung 2231)
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Der Berliner Tagesspiegel wies angesichts der Kritik der Berliner CDU am Brandenburger LER-Modell darauf hin, daß im Ostteil der Stadt nur 4,9% der Schüler am Religionsunterricht teilnehmen. (Berliner Zeitung, 25.4.96; Frankfurter Rundschau, 3.5.96; Tagesspiegel, 18.3.96)
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In der Stadt Gersthofen (20.000 Einwohner) wurde ein CSU-Bürgermeister am Wahlsonntag vom katholischen Ortspfarrer wütend attackiert, weil er einen Straßenstand von Scientology genehmigt hatte. Der Jurist hatte für ein Verbot keine rechtliche Handhabe gesehen und mußte sich anschließend gegen die Unterstellung einer heimlichen Sympathie für die dubiose Sekte verwahren. Eigentlicher Anlaß für die Kontroverse war die vom Bürgermeister durchgesetzte Streichung eines Sonderzuschusses für den katholischen Kindergarten. Den für seine Distanz zur Kirche bekannten Amtsinhaber konnte die klerikale Kritik nicht anfechten: Er wurde mit 66% der Stimmen wiedergewählt.
In der Marktgemeinde Kühbach gingen die Uhren völlig anders. Dort wurde ein unabhängiger Bürgermeisterkandidat verdächtigt, aus der Kirche ausgetreten zu sein. Er trat der "üblen Nachrede" in einer großen Zeitungsanzeige entgegen, wo er seine "ununterbrochene" Kirchenmitgliedschaft beteuerte. ("Taufschein und Kirchensteuerbescheid kann jedermann bei uns einsehen!") Trotzdem erhielt er nur 16% der Stimmen.
Erfreulicher war der Erfolg eines Mitglieds des Bundes für Geistesfreiheit Augsburg in einem anderen 20.000-Einwohner-Vorort. Er nahm einem CSU-Amtsinhaher mit klarer Mehrheit den Bürgermeisterposten ab. (Augsburger Allgemeine, 7.,11. u. 23.3.96)
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In Fürstenzell bei Passau wurde der Staat für die Renovierung eines stillgelegten Klosters zur Kasse gebeten. Weil er seit der Säkularisation für den Unterhalt der Kirche aufkommen muß, zahlt der Freistaat Bayern mit 7,5 Mio DM den Löwenanteil der Kosten. (Süddeutsche Zeitung, 4.11.95)
Wie wenig begeistert die Bevölkerung von solchen Verpflichtungen ist, mußte der langjährige CSU-Bürgermeister der Marktgemeinde Thierhaupten (Landkreis Aichach-Friedberg bei Augsburg) erfahren. Bei den Kommunalwahlen unterlag er völlig überraschend, nachdem er ein aufgegebenes Benediktinerkloster mit öffentlichen Mitteln gekauft und renoviert hatte. Selbst Parteifreunde räumten ein, daß bei den Wählern "wohl Ängste mit der Riesen-Bausumme" des Klosters aufgekommen seien. (Augsburger Allgemeine, 13.3.96)
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Nicht von den Kürzungsabsichten betroffen ist die kirchliche Universität Eichstätt, deren Gesamtkosten zu 85% vom Freistaat getragen werden. (Süddeutsche Zeitung, 30.3.96)
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Ernst Benda, Präsidiumsmitglied des evangelischen Kirchentags und früherer CDU-Innenminister sowie Verfassungsrichter, meinte, die evangelische Kirche sei der Gefahr erlegen, daß die Menschen aus der Kirche "herausgepredigt" würden. Der katholische Bischof Kasper riet, das Verhältnis der Kirche zum Staat neu zu überdenken, damit "sie nicht zur Komplicin bestimmter Tendenzen im Staat wird". Er dachte dabei jedoch nicht an die großzügige Dotierung der Kirchen aus Steuermitteln und eine Komplicenschaft bei der Staatsverschuldung, sondern an die Themen Asyl und Arbeitslosigkeit. (Focus, 6.4.96; Süddeutsche Zeitung, 6.4.96)
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Daß der Exodus nicht abreißt, belegt eine Mitteilung der Nordelbischen evangelischen Landeskirche: Sie verlor 1995 rund 47.000 ihrer 2,4 Mio. Mitglieder. (MIZ-Eigenmeldung; epd, 20.4.96; vgl. auch MIZ 1/96, Meldung 2228)
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Eine genau gegenläufige Tendenz verzeichnet jedoch die erzkonservative "Priesterbruderschaft St. Petrus", die just in derselben Diözese ihr Zentrum hat und sich für die Wiedereinführung der lateinischen Messe und die Wiederbelebung traditioneller Rituale stark macht. Ursprünglich als römisch-katholisches Auffangbecken für die Anhänger des exkommunizierten rechtsextremen Erzbischofs Lefèbvre gedacht, ist die Bruderschaft stark im Wachsen begriffen. Ende 1995 umfaßte sie bereits 65 Priester sowie 113 unterschiedlich stark in das System eingegliederte Priesterkandidaten. (Informationsblatt der Priesterbruderschaft St. Petrus, März 1996; Augsburger Allgemeine, 10.5.96)
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Immerhin scheint die Akzeptanz erheblich zu sein, denn der Sprecher der CSU-Gruppe im Bundestag beschimpfte die Jugendweihe als "symbolträchtiges Relikt quasi-öffentlicher Ersatzhandlungen für eine zu DDR-Zeiten verpönte Religionsausübung" und forderte die Kirchen zu verstärktem Einsatz im Osten auf. Während C-Parteien und Kirchen die Jugendweihe als bloßen Religionsersatz herabsetzen, kritisiert das Bundesfamilienministerium genau das Gegenteil: Ihm ist die enge Verknüpfung der Jugendweihe mit allgemeiner Jugendarbeit ein Dorn im Auge. Die sonst (auch bei Kirchen) bereitwillig zur Verfügung gestellten Mittel verweigert es daher der Interessenvereinigung für humanistische Jugendarbeit und Jugendweihe e.V: "Weder organisatorisch noch satzungsrechtlich ist eine klare Trennung von Jugendweihe und zusätzlicher offener Jugendarbeit dieser Vereinigung erkennbar. Aus diesem Grund kann der Bund keine offene Jugendarbeit dieser Vereinigung fördern." (Rheinischer Merkur, 19.4.96; idea - Informationsdienst der Evangelischen Allianz, 16.4.96; epd, 27.4.96)
Anm. MIZ-Red.: Wer mit den Teilnehmerzahlen im Recht ist, läßt sich naturgemäß kaum beweisen; hier steht Behauptung gegen Behauptung. Was aber hat ein Sektenbeauftragter damit zu tun? Der Verdacht drängt sich auf, daß diese Spezialisten weniger für die sachliche Analyse von Sekten als vielmehr für die Bekämpfung jeder weltanschaulicher Konkurrenz zuständig sind. Daß C-Parteien und Bundesregierung die vom Grundgesetz gebotene weltanschauliche Neutralität systematisch mißachten, ist hingegen nicht mehr neu.
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Anm. MIZ-Red.: Bemerkenswert ist nicht die Tatsache, daß kriminelle Delikte unter Pfarrern ebenso häufig vorkommen wie in anderen Bevölkerungskreisen, sondern daß sie von der Justiz oft genug entgegenkommender behandelt werden. Die Annahme, daß ein Lebensgefährte nicht mitbekommt, wann seine Frau ein Kind auf die Welt bringt, ist mehr als lebensfremd. Hauptschuld an einem solchen Dilemma trägt aber eine Kirche, die mit rigiden Moralvorschriften die Trennung der Partner erzwingt, sobald die "Schande" publik geworden ist. Eben diese Kirche sollte nicht mit auf die Anklagebank kommen.
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Das Gericht folgte dieser Auffassung. Zudem verstoße das Schächten gegen das deutsche Tierschutzgesetz, weil der Verzicht auf Betäubung und das technisch notwendige Umlegen in die Rückenlage beim Tier Angstzustände und Abwehrreaktionen auslöse. Es sei nicht nötig, Tiere aus religiösen Gründen zu quälen. Gläubige, die beim herkömmlichen Betäubungsverfahren ein mangelhaftes Ausbluten des Tieres befürchteten - der Koran verbietet des Genuß von Blut - könnten ganz auf Fleisch verzichten, auf Geflügel sowie Fisch oder auf importiertes Fleisch geschächteter Tiere ausweichen.
Dem türkischen Großmetzger ging es allerdings gar nicht um Glaubensfragen, sondern um finanzielle Aspekte: "Wir importieren monatlich rund 900 Tonnen Fleisch von geschächteten Rindern aus Frankreich." Würde seine Firma selbst schächten, könne sie rund 1000 DM je Tonne sparen, jährlich also gut 10 Millionen DM.
Das Münchner Gericht lehnte sich damit an eine erst kürzlich ergangene ähnliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts an (BVerwG 3 C 31.93). Als einziges Bundesland erlaubt Hessen das Schächten. Daneben haben auch die Juden eine bundesweite Ausnahmegenehmigung. (Süddeutsche Zeitung, 24.5.96)
Anm. MIZ-Red.: Der letzte Absatz sollte zum Nachdenken veranlassen. So einleuchtend nämlich die Urteilsbegründung ist, so unverständlich bleibt danach die Inkonsequenz bei der Durchsetzung des Rechts. Wenn religiös motivierte Tierquälerei (wie jede andere) sowohl unzulässig als auch unnötig ist, dann verliert jede Ausnahmeregelung ihre Logik. Wer meint, aus religiösen Gründen eine (relativ) schmerzfreie Tötung von Tieren ablehnen zu müssen, dem sollte auch der Verzicht auf Rind- und Schaffleisch ebenso leichtfallen wie der auf Schweinefleisch.
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Der Ex-Pressechef der Mormonen in Europa, der den Titel eines Bischofs führt, hatte 1993 gebeichtet, mehrfach Ehebruch begangen zu haben, was bei den Mormonen nach Mord als zweitschwerste Sünde gilt. Der Seelsorger hatte ihn an den Gebietspräsidenten verwiesen, wo der reuige Bischof seine Beichte wiederholte, aber eine Woche später vom Beichtvater die Kündigung erhielt.
Das LAG bestätigte der Mormonenkirche, als staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft habe sie grundsätzlich das Recht, selbst zu befinden, an welche Normen sich ihre Arbeitnehmer zu halten hätten. Hier habe die Kirche jedoch "bei der Kündigung in unzulässiger, unanständiger Weise ein Wissen verwertet, das - wenn nicht rechtlich, so doch ganz klar moralisch - der seelsorgerlichen Schweigepflicht unterlag".
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung wurde Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen (Aktenzeichen: 7 Sa 719/95). (Frankfurter Rundschau, 14.6.96)
Anm. MIZ-Red.: Die in sich widersprüchliche Begründung des LAG ist die zwangsläufige Folge einer verfehlten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1985. Damals wurde den Kirchen ein so weiter Spielraum bei der Selbstverwaltung eingeräumt, daß dort nicht einmal die im Grundgesetz garantierten Menschenrechte beachtet werden brauchen. Um das Ausmaß der dadurch entstehenden Grundrechtsverletzungen einzudämmen, versuchen staatliche Gerichte nun im Streitfall zu bewerten, ob innerkirchliche Normen (in diesem Fall die Bedeutung des Beichtgeheimnisses) richtig angewandt wurden. Gerade das geht den Staat aber gar nichts an; Gerichte haben nicht zu theologisieren. Überdies geben die Richter hier selbst zu, daß die seelsorgerliche Schweigepflicht nur "moralisch", nicht aber rechtlich von Belang ist. Es würde daher nicht wundern, wenn das Bundesarbeitsgericht dieses Urteil wieder kassierte und das BVG zu einer Überprüfung seiner Rechtsprechung zwänge.
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Von Anfang an blieb die Besucherzahl enttäuschend. Schon bei der Ankunft in Paderborn erschienen nur 4000 statt 10.000 Zuschauer. Auch ins Berliner Olympiastadion kamen statt der erwarteten 130.000 nur (kirchenoffiziell) 90.000 Besucher. Die Pleite wäre noch deutlicher ausgefallen, wären nicht 30.000 Polen aus dem nahen Nachbarland angereist. Rechnet man hinzu, daß ein weiteres Drittel auf extra eingeladene "Berufskatholiken" und etwa 10.000 auf anders- und nichtgläubige Schaulustige entfielen, dann zeigt sich das ganze Ausmaß des Desinteresses unter den insgesamt 400.000 katholischen Berlinern und Brandenburgern.
Inhaltlich stieß der Papst fast alle Andersdenkenden vor den Kopf. Bei der Seligsprechung zweier von den Nazis verfolgter Priester ging der Papst nicht auf die teils passive, teils sogar zustimmende Rolle seiner Kirche im Nationalsozialismus ein. Den Satz im Manuskript, in dem er Kritikern des Papstes Pius XII. "billige Polemik" vorwarf, trug er nur aus Zeitgründen nicht vor. Dafür attackierte er Ungläubige und warf sie pauschal mit kommunistischen Machthabern in einen Topf: "Im Osten haben atheistische Regime geistig-seelische Wüsten in den Herzen vieler Menschen und insbesondere bei der Jugend hinterlassen". Beim neuen Fach LER in Brandenburg reklamierte er eine "Dienstfunktion des Staates" gegenüber der Kirche und meinte: "Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Deutschland ist auf Kooperation hin angelegt und nicht auf Trennung." Ehrliche Worte fand er hingegen zum RU, wobei er die Existenz des Fachs LER ungewollt rechtfertigte: "Neutral ist der Staat und nicht der Religionsunterricht."
Führende evangelische Vertreter zeigten sich ernüchtert über die Aussagen des Papstes zu ihrer Kirche. Der Berliner Landesbischof Huber bemängelte, in den entscheidenden Fragen habe es keine Fortschritte gegeben. Der westfälische Präses Sorg nannte die Papstaussagen "unverbindlich" und sprach von "Schneckentempo". Der Rat der EKD rügte außerdem die Schlußzeremonie des Besuchs. Der gemeinsame Gang von Papst und Bundeskanzler durch das Brandenburger Tor sei eine "zu enge und zu machtvolle Demonstration" der Verflechtungen von Staat und katholischer Kirche gewesen. Dadurch sei der "verzerrte" Eindruck erweckt worden, allein die Bundesregierung und die katholische Kirche hätten die Wende von 1989 herbeigeführt.
Auch bei Katholiken regte sich Kritik. Vor allem Jugendvertreter bedauerten die mangelnde Bereitschaft des Papstes zum Dialog über kontroverse Themen sowie den überzogenen Aufwand. Unter den kirchenoffiziell mindestens drei Millionen DM Kosten (nicht gerechnet die vielen kostenlos vom Staat erbrachten Dienstleistungen, z.B. für die Sicherheitsvorkehrungen incl. der Aufstellung von Scharfschützen und der Untersuchung der Berliner Kanalisation) entfielen allein 500.000 DM auf den Aufbau eines Altars bei Paderborn, der drei Stunden später wieder abgebaut wurde. Nach einer Erhebung der Wochenzeitung Die Woche dachten 26% der Katholiken wegen des Papstes an Kirchenaustritt.
Eine breite Koalition kirchenkritischer Kräfte veranstaltete eine medienwirksame Gegendemonstration mit der Krönung einer schwarzen Gegenpäpstin "Joy Anna II." und zahlreichen satirischen Einlagen. Dies führte auch zu einem Strafantrag wegen Religionsbeschimpfung nach § 166 StGB - bezeichnenderweise nicht durch die Kirchen, sondern durch drei CSU/CDU-Hinterbänkler, die bisher im Bundestag noch nie aufgefallen waren und dies nun auf intelligenzschonende Weise nachholen wollten. Empörung bei Fanatikern erntete auch das ARD-Magazin Monitor, das einen "Pater" verkünden ließ, der Papstbesuch im "sündigen Deutschland" falle aus. Einige gläubige Anrufer ereiferten sich derart, daß laut Moderator Bednarz "manche auch gleich den Papst mit dem lieben Gott verwechselten." Die Humanistische Union erinnerte in einer öffentlichen Erklärung an das noch immer existierende Hitlerkonkordat von 1933.
Auch die Presse kommentierte den Papstbesuch kritisch, aber vor allem aus innerkirchlicher Warte. So meinte die Badische Zeitung (Freiburg): "Was der Papst an die Adresse der Evangelischen sagte, ist vor allem Vertröstung"; die Braunschweiger Zeitung ergänzte diesen Gedanken: "Natürlich hat auch das Oberhaupt der katholischen Kirche nichts gegen die Ökumene - aber nur als Rückkehr in den Schoß seiner Kirche." Die Dernières Nouvelles d'Alsace (Straßburg) bemängelte: "Der slawische Papst erscheint wie der Hüter einer moralischen Ordnung, die einen guten Teil der Gläubigen ausschließt." Auf die massive Kritik ging die Pariser Ausgabe des Herald Tribune ein: "Die Proteste waren eine der stärksten Demonstrationen von Feindseligkeit gegen den Papst, die ihm während seiner insgesamt 72 Auslandsreisen entgegengeschlagen sind." (KNA, 20., 22. u. 24.6. 96; Süddeutsche Zeitung, 4. u. 25.6.96; Frankfurter Rundschau, 19., 20., 22., 24., 25.6. u. 1.7.96)
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In der katholischen Kirche sanken die Kirchensteuereinnahmen 1995 hingegen um 114 Millionen (=1,3%) auf 8,391 Milliarden DM. (MIZ-Eigenrecherchen)
Anm. MIZ-Red.: Zwischen 1970 und 1992 hatten die Kirchen ihre Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen mehr als vervierfacht, seitdem stagnieren sie.
Großbritannien
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Anm. MIZ-Red.: Wenn der Begriff "Hölle" in diesem neutralisierten Sinne den Tod als definitives Ende des Menschen (ohne irgendein Weiterleben einer Seele) festlegt, entfallen der bisherige Drohcharakter und die Diffamierung Nichtgläubiger. Dies ist anzuerkennen. Gleichzeitig fragt sich aber, ob der Begriff "Hölle" dann nicht zu einer Banalität wird, die mit dem sehr weltlichen Satz "Nach dem Tod ist alles aus" viel greifbarer ausgedruckt wird. Die Hölle als "Realität" zu retten, indem sie zur beliebigen Leerformel gemacht wird, ist letztlich untauglich für jede Auseinandersetzung.
Italien
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Am 6.8.1982 war das 1893 gegründete Bankinstitut in Konkurs gegangen und hatte seinen Gläubigern rund 1 Milliarde Dollar Schulden hinterlassen, nachdem es sich mit Hilfe der Vatikanbank auf zahlreiche komplizierte (und großenteils illegale) Kapitaltransfers ins Ausland eingelassen hatte. Die Vatikanbank unter Erzbischof Marcinkus, die zunächst kräftig verdient hatte, akzeptierte später eine Erstattung von 243 Millionen Dollar an diverse Gläubigerbanken. Ungeklärt blieb trotz einiger Indizien, wieweit über die Bank auch Drogengeld und Gewinne der Mafia gewaschen wurden, zumal Banco Ambrosiano-Chef Roberto Calvi kurz vor dem Zusammenbruch, am 18.6.1982, in London ermordet wurde.
Gegen 33 Angeklagte war damals eine Gesamtstrafe von knapp 324 Jahren ausgesprochen worden. Die höchsten Strafen erhielten die fahrenden Köpfe der Geheimloge P 2, die neben der Vatikanbank Hauptdrahtzieher der Finanzmanipulationen war. Ihr einstiger Chef Licio Gelli erhielt 18 Jahre und sechs Monate, sein Stellvertreter Ortolani 19 Jahre, der frühere Chef des Verlagshauses Rizzoli, Bruno Tassan Din (der Calvi bei der Eroberung der Zeitung Corriere della Sera unterstützt hatte) bekam 14 Jahre. Giuseppe Ciarrapico, einst Pressechef der Ambrosiano-Bank und enger Freund des mehrmaligen Ministerpräsidenten Andreotti, sprach angesichts seiner fünfeinhalbjährigen Strafe von einem "stalinistischen" Urteil, weil er wegen seiner Beziehungen mit Freispruch gerechnet hatte.
Beobachter rechnen mit einem langwierigen Verfahren durch alle Instanzen, bei dem noch völlig offen ist, ob es wirklich zu Haftstrafen kommt. Während der zweijährigen Hauptverhandlung mußte nämlich keiner der Angeklagten einsitzen, und auch nach dem ersten Urteilsspruch blieben sie auf freiem Fuß. Außerdem blieben sämtliche kirchlichen Mittäter, allen voran Paul Marcinkus, ehemaliger Chef der Vatikanbank IOR und Erzbischof, der Anklagebank fern, weil sie von höchster vatikanischer Stelle gedeckt wurden, so daß eine Auslieferung trotz gültigen Haftbefehls unterblieb. Auch Marcinkus' Rückkehr in die USA änderte daran nichts. (Süddeutsche Zeitung, 20.11.95; vgl. MIZ 2/92, Meldung 1615)
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Aufsehen erregte ein couragierter Student, der im Petersdom während einer Adventsmesse, statt ein Gebet zu verlesen, Kritik an der Haltung des Papstes übte: "Ich bitte den Heiligen Vater um Vergebung, aber ich fühle mich verpflichtet, mein Unverständnis über den warmherzigen Empfang zum Ausdruck zu bringen, den er Senator Andreotti bereitet hat." Dann zitierte er Auszüge aus dem Vermächtnis des ermordeten Ministerpräsidenten Aldo Moro, der sich kritisch zu Andreotti geäußert hatte, verlas sein Gebet und verließ wortlos den Dom. Der Papst reagierte in keiner Weise. (Süddeutsche Zeitung, 27.1 1. u. 14.12.95)
Irland
Niederlande
Österreich
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Anm. MIZ-Red.: Mit einer Austrittsquote von 0,75% binnen eines Jahres liegt der österreichische Wert sogar über dem Höchststand der deutschen Katholiken, die 1992 genau 0,69% und in den drei folgenden Jahren konstant um 0,55% erreichten. (Diese Austrittsraten mögen auf den ersten Blick gering erscheinen, müssen aber im längerfristigen Zusammenhang gesehen werden: Wenn der seit 1990 erkennbare österreichische Jahresdurchschnitt von etwa zwei Dritteln eines Prozents konstant bleibt, bedeutet das binnen 15 Jahren einen Exodus von einem Zehntel aller Mitglieder. Der tatsächliche Schwund ist sogar noch größer, weil die Austretenden überdurchschnittlich jung sind.)
Schweiz
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Im gesamten Kanton Zürich verzeichnete die evangelisch-reformierte Kirche 1995 mit 3778 Austritten eine Zunahme von 434 gegenüber dem Vorjahr. Dort gehörten noch 78,5% einer Kirche an: 32,9% der katholischen, 45,4% der ev.-reformierten und 0,2% der christkatholischen Kirche, die in Deutschland als altkatholisch bezeichnet wird. (Neue Züricher Zeitung, 5.3.96, Freidenker Schweiz 7/96)
Nordamerika
USA
Lateinamerika
Brasilien
Afrika
Ägypten
Kenia
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Dafür hinterließ der Pontifex seiner Landeskirche ein weiteres Problem: 10.000 Erinnerungs-T-Shirts, die keiner haben wollte.(Süddeutsche Zeitung, 19.u.22.9.95)
Uganda
Asien
Iran
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Die iranische Polizei hatte im August 1995 verordnet, daß Hochzeitsfeiern strikt nach islamischen Regeln abzulaufen hätten. Männer und Frauen müßten in getrennten Räumen sitzen und dürften nicht miteinander tanzen. (Süddeutsche Zeitung, 6.9.95)
Israel
Japan
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Die (vergeblichen) Bemühungen, die Japaner zur massenhaften Rückkehr zur rechten Lehre zu bewegen, verband "Aum Shintiky“" (so ihr Name seit 1987) mit einer scharfen Kritik am politischen und gesellschaftlichen System Japans sowie dem verkrusteten Buddhismus. Die Gesellschaft antwortete mit Ablehnung gegenüber der Sekte, die wiederum mit Einigelung, Verhärtung und Militarisierung reagierte. Asaharas Äußerungen wurden radikaler und pessimistischer; vor dem für 1997 vorausgesagten Weltuntergang wollte er nun nicht mehr die Allgemeinheit, sondern nur mehr die eigene Gruppe retten, was zu einer weiteren Selbstabschließung und Realitätsentfremdung und schließlich zum Aufbau eines "Staates im Staate" führte. Hinzu kamen interne Rivalitäten, die Asahara zu einem brutalen, mit Symptomen des Verfolgungswahns einhergehenden Durchgreifen gegen Aussteiger veranlaßten.
Der Polizei war diese Entwicklung bekannt, weshalb sie bereits Razzien geplant hatte. Umgekehrt hatte die Sekte von diesen Plänen erfahren und bereitete als vorbeugende Gegenmaßnahme Giftgasanschläge u.a. im Regierungsviertel von Tokio vor. Vermutlich war auch dies der Polizei bekannt, doch griff sie nicht zu, sondern wartete die Ausführung ab, um das Versagen des Staates nach dem Erdbeben von Kobe im Januar 1995 durch eine "Erfolgsstory" Wettmachen zu können: So wurde die Öffentlichkeit bereits ab dem übernächsten Tag nach dem Anschlag mit einer Serie von "Fahndungserfolgen" im Begeisterungsrausch gehalten - eine Taktik, die mindestens ein Dutzend Menschenleben gekostet hat.
Die Verschärfung der Religionsgesetze ist auch darin begründet, daß eine Reihe anderer Sekten ein ähnlich autoritäres (und meistens gleichzeitig auch rechtsextremes) Weltbild aufweisen und ähnlicher Terroraktionen für fähig gehalten werden. Dazu zählen die rechtsnationale K“fuku no Kagaka("Wissenschaft vom Glück"), deren Chef Okawa Ry–h“ sich als gleichzeitige Inkarnation von Jesus, Buddha Gautama, Lao Tse und Kun Fu-tse betrachtet, sowie die "Vereinigungskirche" (Mun-Sekte), die in Japan ihren stärksten Zweig hat, und die relativ große Söka Gakkai, die einst wegen aggressiver Missionierungsmethoden in Verruf geraten war und nun beschuldigt wird, das neue "Gesetz über religiöse Gemeinschaften" mit Gewalttaten gegen kritische Politiker zu unterlaufen. (Materialdienst der EZW, 2/96, S. 43-49)
Am 24.4.96 begann der erste einer Reihe von Prozessen gegen Asahara, die vermutlich Jahre dauern werden. Zum Auftakt herrschte riesiger Andrang. Die 48 Besucherplätze mußten unter 12.000 Neugierigen verlost werden. (Frankfurter Rundschau, 25.4.96)