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(307) Mrz 1979. In einem Urteil der 1. Jugendkammer des Amtsgerichts Augsburg heißt es, bei einem
Schwangerschaftsabbruch liege es keineswegs in der Absicht des Gesetzgebers, "dem mit der Prüfung der Notlage befaßten Arzt
einen großzügigen Ermessensspielraum einzuräumen". Der Arzt müsse statt dessen eine "lebenserhaltende Tendenz" zum Ausdruck
bringen. Trotz dieses Tenors sprach das Gericht eine Mitarbeiterin der Augsburger Pro-familia-Beratungsstelle, die 1974 ein
Mädchen auf Adressen ausländischer Abtreibungskliniken hingewiesen hatte, von der Beihilfe zur Abtreibung frei.
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(308) Jul - Sep 1979. Kardinal, Josef Höffner ließ Ende Juli im Deutschlandfunk eine Äußerung des
CSU-Politikers Holzgartner unwidersprochen, daß die Nazis die Juden getötet hätten und die "internationalen Sozialisten
ungeborenes Leben töten". Was in der Bundesrepublik mit dem Schwangerschaftsabbruch geschehe, sei der Weg zurück nach
Auschwitz. Höffner unterstrich die These, Abtreibungen seien Massenmord. Darauf protestierte Bundesjustizminister Vogel (SPD)
in seiner Eigenschaft als katholischer Bundestagsabgeordneter (nicht als Justizminister!) bei Höffner. Mitte September 1979
bekräftigte der Kardinal in seiner Antwort an Vogel, daß der Schwangerschaftsabbruch auch dann als Massenmord anzusehen sei,
wenn der Gesetzgeber ihn legalisiere. Trotz dieser eindeutigen Antwort las Vogel aus der Stellungnahme Höffners "eine Reihe
bemerkenswerter Klärungen" heraus.
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(309) Aug 1979. Der am Tod der Studentin Anneliese Michel mitschuldige Exorzistenpater Ernst Alt
aus Ettleben soll mit Beginn des neuen Schuljahres in der Teilhauptschule Werneck auf Weisung des erzbischöflichen Ordinariats
Würzburg wieder im Schuldienst eingesetzt werden. Die bayerische FDP protestierte gegen diesen "unverständlichen Mißgriff". Das
bayerische Kultusministerium erklärte, es hätte auf diese Nominierung keinen Einfluß.
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(310) Aug 1979. Der "Wunderheiler" Josef Müller aus Dillingen erklärte auf einer Pressekonferenz in
Homburg/Saar, er könne dem schwer verletzten Handballnationalspieler Joachim Deckarm durch "übersinnliche Kräfte" bis
spätestens Weihnachten 1979 helfen. Über seine Lebensgefährtin, die ihm bei seiner parapsychogischen Tätigkeit als
"Schreib-Medium" diene, will Müller mit den Geistern verstorbener medizinischer Kapazitäten in Verbindung getreten sein, die
eine andere Diagnose als die behandelnden Ärzte gestellt hätten. Müller teilte den erstaunten Journalisten mit, daß der
Handballspieler bereits 28 "Behandlungen" von einer Dauer zwischen 15 und 60 Minuten bewältigt hätte, aber noch mindestens die
gleiche Anzahl dieser exorzismusartigen Sitzungen zur endgültigen Heilung benötige. (Anmerkung der MIZ-Redaktion: Es ist
eigentlich unvorstellbar, daß in einem bundesdeutschen Krankenhaus derartige Praktiken eines Verrückten zugelassen werden. Erst
nach dieser "Pressekonferenz" entschlossen sich die behandelnden Ärzte, wohl nach der "Ferndiagnose" ihrer verstorbenen
Kollegen, zu einer Gegenstellungnahme, und die Staatsanwaltschaft Saarbrücken hat endlich ein Ermittlungsverfahren wegen
Betrugs und Vergehen gegen das Heilpraktikergesetz eingeleitet.)
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(311) Aug 1979. Die Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) hat beim
Arbeitsgericht Stuttgart Klage gegen den Deutschen Caritasverband erhoben. Die Caritas-Zentrale in Freiburg hatte mit einem
Rundschreiben ihre Untergliederungen angewiesen, "jede gewerkschaftliche Betätigung von betriebsfremden wie Betriebsangehörigen
Gewerkschaftsmitgliedern oder -funktionären" zu untersagen. Die ÖTV sieht in diesem Vorgehen einen Verstoß gegen das im
Grundgesetz garantierte Koalitionsrecht der Arbeitnehmer. Sie beruft sich bei der Klage auf ein Urteil des
Bundesarbeitsgerichts vom 14. Februar 1978, das den Gewerkschaften Zutrittsrecht auch zu kirchlichen Einrichtungen zum Zweck
der Information und Werbung zuspricht.
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(312) Aug 1979. Der 5. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat die Berufungsklage einer
verheirateten Frau, die über kein persönliches Einkommen verfügt, gegen die Zahlung einer Kirchensteuer verworfen. Die
evangelische Klägerin, deren Unterhalt von ihrem konfessionslosen Ehegatten bestritten wird, hatte sich gegen das 1968 vom
hessischen Gesetzgeber beschlossene "besondere Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe" zur Wehr gesetzt. Das "besondere
Kirchgeld" wird nach einer Tabelle erhoben, die von dem Einkommen ausgeht, Über das eine Familie verfügen kann: So sind bei
einem jährlichen Familieneinkommen von 100.000 bis 149.900 Mark in Hessen 996 Mark Kirchensteuer zu zahlen. Die Wiesbadener
Ehefrau machte vor Gericht geltend, daß diese Tabelle die besondere Belastung der einzelnen Familien völlig außer acht lasse
und sich letztlich gegen den konfessionslosen Ehemann richte. Die hessische Regelung verstoße gegen die Artikel 3, 4 und 6 des
Grundgesetzes. Niemand dürfe danach wegen seiner religiösen Anschauung benachteiligt werden. Das weltanschauliche Bekenntnis
sei ungesetzlich. - Der Verwaltungsgerichtshof berief sich dagegen bei seiner Abweisung auf ein Urteil des
Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1965 (BVG 19, 268/2927), das nahegelegt habe, in konfessionsverschiedenen Ehen ein
Kirchgeld entsprechend der Lebensführung der betroffenen Ehefrau zu erheben. (Anmerkung der MIZ-Redaktion: Die Beziehung
zwischen einer evangelischen Ehefrau und ihrem konfessionslosen Ehegatten als "konfessionsverschiedene Ehe" auszulegen, ist in
der Tat eine juristische Meisterleistung! Dieses Beispiel zeigt einmal mehr, daß Konfessionslose in der Bundesrepublik als
Bürger zweiter Klasse behandelt werden.)
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(313) Aug 1979. Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß und eine 250köpfige CSU-Gruppe des
bayerischen Landtags startete zu einem "Fraktionsausflug" nach Ungarn. Der gerade gekürte Kanzlerkandidat Strauß, einer der
energischsten Fürsprecher Otto von Habsburgs, wurde mit seiner Delegation von Staats-, Partei- und Kirchenführern der
ungarischen Volksrepublik betont herzlich empfangen.
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(314) Sep 1979. Ein Gynäkologe aus Furtwangen in Baden-Württemberg mußte sich auf Betreiben einer
Provinzoberin der katholischen Kreuzschwestern verpflichten, im Städtischen Krankenhaus Schwangerschaften nur noch aus
medizinischen Gründen abzubrechen. Die Oberin der Ordensschwestern hatte in einem Brief an den Bürgermeister von Furtwangen
gedroht, ihre Untergebenen aus dem Krankenhaus abzuziehen, wenn dort weiterhin Abtreibungen vorgenommen würden.
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(315) Sep 1979. Während die Parlamentarier im Bonner Bundestag über die Zukunft der Kernenergie
debattierten, bekannten sich am 13. September der Präsens der Evangelischen Kirche im Rheinland, Immer, und der Bischof des
Ruhrbistums, Hengsbach, in einer Studie "Energie und Umwelt" eindeutig zum Ausbau der Kernenergie. Diese sei, wenn sie "mit
Umsicht und Vorsicht" weiterentwickelt werde, unerläßlich. Das Risiko des einzelnen Bürgers bei einem Reaktorunfall verletzt
oder getötet zu werden, sei sehr viel geringer als alle übrigen Risiken, denen man täglich freiwillig oder unfreiwillig
ausgesetzt sei. (Anmerkung der MIZ-Redaktion: Der frühere Militär- und heutige Ruhrbischof Hengsbach unterhält vertrauliche
Beziehungen zu zahlreichen Industriellen und Bankiers an Rhein und Ruhr. Er gehörte zu den ersten Befürwortern der
Bundeswehr.)