2002 - Meldungen 3184-3221

Europa

Deutschland

  • (3184) Berlin. Das Vertrauen in die Kirchen ist in Deutschland auf einem stark absteigenden Ast. Das berichtet die Zeitung Die Welt unter Berufung auf eine Umfrage des Gallup-Instituts, die im Auftrag des Weltwirtschaftsforums in Davos vorgenommen wurde. Danach belegen die Kirchen unter den 17 großen öffentlichen Institutionen in der Bundesrepublik den letzten Platz, was das Vertrauen zu ihnen angeht. Parlament und Großunternehmen rangierten am Tabellenende nur knapp davor, hieß es. Die Umfrage unter Deutschen war Teil einer groß angelegten Untersuchung in 47 Ländern. Dem Blatt zufolge kommentierten die Auftraggeber die Ergebnisse mit der Erklärung: "Das Vertrauen in viele Schlüsselinstitutionen ist auf kritische Größenverhältnisse gesunken". Die jetzt erstmals veröffentlichten Ergebnisse für Deutschland deuteten auf eine massive Verschiebung von Autoritäten hin, schreibt die Zeitung. Während das Vertrauen in Polizei und Armee hoch oder zumindest vorhanden sei, schnitten die Kirchen in Deutschland am schlechtesten ab. Weltweit kommen die Kirchen allerdings auf einen guten vierten Platz. 36 Prozent der Deutschen hingegen sagen, sie hätten "nicht viel" Vertrauen, 38 Prozent haben "gar kein" Vertrauen in die Religionsgemeinschaften. (Rheinische Post, 11.11.02, Die Welt, 11.11.02)

    In einer Presseerklärung forderte der Internationale Bund der Konfessionslosen (IBKA) angesichts der deutlichen Ergebnisse der Gallup-Unmfrage endlich die längst überfällige Trennung von Staat und Kirche in Deutschland zu verwirklichen. Es sei eine Zumutung, wenn Konfessionslose mit ihren Steuergeldern kirchliche Krankenhäuser, Kindergärten und Altenheime mitfinanzieren müssten, wo sie zum Dank dafür grundsätzlich abgewiesen werden, wenn sie sich um eine Arbeitsstelle bewerben. Ebenso sei es nicht hinzunehmen, dass Steuergelder für einen Religionsunterricht ausgegeben werden, der in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt werde. Ein solcher Unterricht habe an einer staatlichen Schule ebenso wenig zu suchen wie parteipolitische Werbung.

  • (3185) München. Kardinal Faulhaber bleibt Ehrenbürger der Stadt München. Nachdem ein Antrag der Bündnisgrünen vom März 2002, in dem gefordert wurde, dem katholischen Würdenträger die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen und der nach ihm benannten Straße einen neuen Namen zu geben, seinerzeit bis zur Erschließung von dessen Nachlass zurückgestellt wurde, ist er Anfang Oktober mit den Stimmen von SPD, CSU, ÖDP und der Republikaner abgelehnt worden. Gestützt auf eine Ausarbeitung des Stadtarchivs wurde die Sache im Verwaltungs- und Personalausschuss und eine Woche später im Stadtrat diskutiert. Nach Auffassung des zuständigen Referenten lagen keine Erkenntnisse über eine etwaige Nähe des Kardinals zum NS-Regime vor; die Mehrheit schloss sich dieser Einschätzung an. Stadträtin Brigitte Wolf (PDS) betonte in einer Gegenstellungnahme, dass der Kardinal sehr wohl Kontakte zur NS-Spitze gepflegt habe, so bei seinem von der Öffentlichkeit stark beachteten Besuch bei  Hitler auf dem Obersalzberg 1936, und zu vielen der damals allgemein bekannten Verbrechen geschwiegen habe. Einer Ehrenbürgerschaft sei solches Verhalten nicht würdig gewesen. In der Münchner Presse wurde gemutmaßt, die SPD und Oberbürgermeister Ude hätten das Thema mit Blick auf die katholische Wählerschaft vom Tisch haben wollen. (Antifaschistische Nachrichten, 24.10.02)

  • (3186) Berlin/Bonn. Die Kündigungsdrohung für Beschäftigte katholischer Einrichtungen, die eine eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaft eingehen, hat scharfe Proteste ausgelöst. Die Grünen nannten die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz "ein Dokument der Diskriminierung und Scheinheiligkeit". Der Lesben- und Schwulenverband LSVD erklärte, die Bischöfe hätten mit der Ankündigung ihr wahres Gesicht gezeigt. Am Vortag hatten Medien eine entsprechende Erklärung des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz verbreitet. In der Erklärung vom Juni stellen die Bischöfe fest, dass das Eingehen einer Homo-Ehe gegen das kirchliche Arbeitsrecht verstoße. Mitarbeiter im kirchlichen Dienst, gleich ob katholisch oder nicht katholisch, verstießen dadurch gegen ihre Loyalitätsobliegenheiten. Das neue Rechtsinstitut der Lebenspartnerschaft widerspreche der Auffassung der katholischen Kirche über Ehe und Familie. Die Bischöfe verweisen weiter auf die Grundordnung des kirchlichen Dienstes. Demnach sei in einem solchen Fall grundsätzlich eine Kündigung gerechtfertigt. Volker Beck und Christa Nickels von der Grünen-Bundestagsfraktion forderten die katholische Kirche auf, die Gesetze anzuerkennen. Für Homosexuelle mit bestimmten sozialen Berufsausbildungen komme die Regelung faktisch einem Berufsverbot gleich. Die Erklärung mache auch moralisch keinen Sinn, da ein homosexueller Mensch, der in keiner offiziellen Partnerschaft lebe, nicht loyaler sei als einer, der dies öffentlich mache. Man wolle aber mit der Kirche und ihren Verbänden den Dialog suchen. LSVD-Sprecher Manfred Bruns sagte, die Bischöfe wollten offensichtlich lesbische und schwule Mitarbeiter wie "ansteckende Kranke" aussondern. Er kritisierte, dass das kirchliche Arbeitsrecht nicht nur bei Mitarbeitern im Verkündigungsdienst gelte, sondern auch für Beschäftigte in den Einrichtungen der Caritas, in katholischen Kindergärten, Krankenhäusern, Alters- und Pflegeheimen sowie Privatschulen oder Kirchenzeitungen. Diese Sozialarbeit finanzierten die Kirchen "nicht mit ihren Kirchensteuereinnahmen, sondern fast ausschließlich mit staatlichen Mitteln". Der Staat müsse deshalb die Beachtung der arbeits- und beamtenrechtlichen Diskriminierungsverbote zur Auflage machen. Der Sprecher des Bistums Limburg, Michael Wittekind, sagte, die Erklärung sei auf der Linie dessen, was die Bischöfe immer gesagt hätten. Es gebe ein eigenständiges Arbeitsrecht für die Kirche, und die Mitarbeiter wüssten, dass sie sich daran zu halten haben. Bereits im Juli habe das Bischöfliche Ordinariat Limburg in einem Schreiben alle Mitarbeiter ausdrücklich auf die Regelung hingewiesen. In anderen Bistümern werde ebenso verfahren, da die Erklärung der Bischofskonferenz einstimmig und bindend sei.

    Ein Jahr nach In-Kraft-Treten des Lebenspartnerschaftsgesetzes hatten bis Anfang August bundesweit insgesamt rund 4.400 Paare eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft eintragen lassen. Bei den Diözesen und dem Caritas-Verband ist allerdings kein Fall bekannt, in dem ein Kirchenmitarbeiter die Homo-Ehe einging. Offen ist, ob es einen strikten Kündigungsautomatismus gibt. Das Dienstrecht schließt die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung bei schwerwiegenden Loyalitätsverstößen aus, wenn es sich um pastoral, katechetisch oder leitend tätige Mitarbeiter und jene handelt, die eine kirchliche Lehrbefugnis, die so genannte Missio canonica, haben. (Berliner Zeitung, 9.8.02)

  • (3187) Leipzig. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen erneut bestätigt. Nach dem Urteil des 2. Senats haben staatliche Gerichte nicht das Recht, die Rechtmäßigkeit von kirchlichen Personal-entscheidungen zu überprüfen (Aktenzeichen: BVerwG 2 C 23.01). Im konkreten Fall habe ein Wormser Pfarrer gegen die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau geklagt. Die Kirche habe seine Amtsführung bemängelt und ihn deshalb in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Der Pfarrer wollte gegen diese Entscheidung vorgehen. Nach Auffassung des Gerichts gehört jedoch das kirchliche Amtsrecht und insbesondere das Dienstrecht zum Kernbereich der Kirche. Und dieser sei vom Selbstverwaltungsrecht der Kirchen im Grundgesetz besonders geschützt. Eine Einmischung des Staates sei von der Verfassung nicht vorgesehen, um damit die freie Entfaltung der Kirche zu gewährleisten, begründete das Bundesverwaltungsgericht sein Urteil. Zugriff auf Entscheidungen der Kirche habe der Staat nur bei Gesetzen, die jede Person und nicht den ureigenen Bereich der Kirche beträfen. Dazu gehörten beispielsweise strafrechtliche Belange. Personalentscheidungen seien aber eng an die Glaubensüberzeugung geknüpft. Damit gehörten sie zum inneren Bereich. Werde von diesem Grundsatz abgewichen, ermögliche dies einen Übergriff des Staates auf die Kirche, sagte der Vorsitzende Richter, Peter Silberkuhl, in seiner Urteilsbegründung. Zunehmende Bedenken gegen das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen könnten nur der Gesetzgeber und eine Änderung der Verfassung lösen. Auf der bestehenden Gesetzesgrundlage könne ein Pfarrer vor staatlichen Gerichten keinen Rechtsschutz erlangen.

    Damit blieb das Bundesverwaltungsgericht bei seiner bisherigen Rechtsprechung, die das Bundesverfassungsgericht bestätigt hatte. Auch die Karlsruher Richter hatten 1998 das im Grundgesetz garantierte Selbstverwaltungsrecht der Kirchen betont. Im Gegensatz dazu hatte das Oberverwaltungsgericht Koblenz im vorliegenden Fall grundsätzlich den Weg zu einem staatlichen Verwaltungsgericht geöffnet. Hintergrund war, dass der Kläger die Verletzung fundamentaler Rechtsgrundsätze bei den erfolglosen Verfahren vor dem Kirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgericht geltend gemacht hatte. So sei ihm nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden. Dies war in der Verhandlung von der Evangelischen Kirche eingeräumt worden. Dennoch schließt sich nach dem jetzigen Leipziger Urteil eine Einmischung eines staatlichen Gerichts aus. (Wormser Zeitung, 31.10.02)

  • (3188) Berlin. In Diensten der Kirchen stehen rund 1,3 Millionen Menschen - ohne Streikrecht, ohne Betriebsräte und mit ungewöhnlichen Loyalitätspflichten. Der Ex-Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling will das ändern. Als Vorstand der Humanistischen Union organisierte Kühling zum ersten Mal die "Berliner Gespräche zu Staat, Religion und Weltanschauung", Thema der Zusammenkunft: "Die Kirche und ihr Arbeitsrecht". Bisher haben Gesetzgeber und Gerichte das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen stets höher gewertet als entgegenstehende Rechte anderer. So darf die Kirche Beschäftigte entlassen, wenn sie aus der Kirche austreten, homosexuell sind, einen Geschiedenen heiraten oder Leserbriefe schreiben, die mit der kirchlichen Abtreibungspolitik nicht konform gehen. Wenn es nach Axel von Campenhausen, dem führenden deutschen Staatskirchenrechtler, ginge, soll sich der Staat auch künftig aus den inneren Angelegenheiten der Kirche heraushalten. "Wer Frauen als Priester will, soll evangelisch werden - aber nicht das bewährte Verhältnis von Staat und Kirche in Frage stellen", sagte er in Berlin.

    Der Streit entzündete sich allerdings weniger an den rund 36.000 Geistlichen in Deutschland, sondern vielmehr an den über eine Million Beschäftigten in den Sozialeinrichtungen von Diakonie und Caritas. (taz, 4.11.02)

  • (3189) Himmelkron. Erstmals seit 80 Jahren sind Beschäftigte des evangelischen Diakonischen Werks in den Streik getreten. Sie protestierten in Himmelkron nicht nur gegen die einseitige Arbeits- und Entlohnungspolitik ihres Arbeitgebers, sondern auch gegen ihre deutlich geringeren Rechte als Arbeitnehmer. Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, forderte die Diakonie auf, endlich in Tarifverhandlungen einzutreten, damit vor allem die Geringverdienenden im Kirchendienst eine menschenwürdige Entlohnung erhalten. Er kündigte auch eine Auseinandersetzung um die kirchlichen Sonderrechte an: "Möglicherweise wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen, ob das Autonomierecht der Kirchen höher zu bewerten ist als das im Grundgesetz verankerte Streikrecht." Der Rektor des bayerischen Diakonischen Werks beharrte hingegen darauf, dass das Kirchenrecht der Diakonie nicht erlaube, in Tarifverhandlungen einzutreten. Inzwischen sind die meisten kirchlichen Einrichtungen dazu übergegangen, die Gewerkschaften auszusperren (SüddeutscheZeitung, 18.10.02)

  • (3190) Fulda. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner hat schwere Vorwürfe gegen katholische Institutionen und Gremien erhoben. "Manche unserer Einrichtungen verdunkeln den katholischen Glauben", sagte Meisner bei der Bischofskonferenz in Fulda. Der kaum versteckte Angriff auf die Arbeit kirchlicher Verbände empörte das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Bei der Herbst-Vollversammlung der Bischöfe beklagte der Erzbischof, in die Kirche habe ein "selbst gezimmerter, ideologischer Glaube" Einzug gehalten, der nur noch dem Namen nach katholisch sei. Würde in einem Pisa-Test das Glaubenswissen der Katholiken untersucht, würde das Resultat noch schlechter ausfallen als die Schulstudie. In seiner Predigt ging Meisner auch Mitarbeiter katholischer Einrichtungen und Helfer in der Gemeinde hart an: Er habe von Kindergärtnerinnen gehört, die noch nicht zum katholischen Glauben gefunden hätten - das könne nicht gut gehen.

    "Blinde können doch nicht Führer von Blinden sein", sagte Meisner mit Blick auf die Kindererziehung. Er rechnete zudem mit katholischen Verbänden ab. Die Kirche drohe "vor lauter Strukturen, Statuten, Sekretariaten und Kommissionen" zur reinen Organisation zu erstarren. Die Apparate seien oft so mächtig, dass sich die Bischöfe "machtlos" fühlten und "gute Miene zum bösen Spiel machen". Das ZdK, das höchste Laiengremium, wertete die Predigt als Frontalangriff und warf dem Kardinal vor, den Dialog mit den Laien zu verweigern. Laut ZdK-Präsident Hans Joachim Meyer hat Meisner die Predigt gegenüber einer am Vorabend verbreiteten schriftlichen Fassung entschärft. In der ursprünglichen Version habe der Kardinal massiv ausdrücklich das ZdK, den Bund der Deutschen Katholischen Jugend, die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands, die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung sowie katholische Politiker angegriffen und den Verantwortlichen geringes Glaubenswissen attestiert. In dieser Hinsicht könnten sie es aber "getrost" mit dem Erzbischof aufnehmen, so Meyer. Ohne die Arbeit der Laien sei die Kirche eine "bedeutungslose Sekte". (Frankfurter Rundschau, 27.9.02, Berliner Zeitung, 26.9.02)

    Anm. MIZ: Das Argument des ZdK-Präsidenten ist schlichtweg falsch. Die Kirche kommt schon heute recht gut ohne eine nennenswerte Zahl von Gläubigen und engagierter Laien aus. Es müsste vielmehr heißen: Ohne die (u.a. durch das Reichskonkordat mit Hitler errungenen) staatlichen Privilegien wäre die Kirche (in Deutschland) eine "bedeutungslose Sekte". Kardinal Meisner hingegen muss zugute gehalten werden, dass er die christliche Botschaft noch Ernst zu nehmen scheint. In der Tat hat das in Deutschland weit verbreitete "Weichfilterchristentum" mit dem eigentlichen Glauben nur noch den Namen gemein. Das mag zwar vorteilhaft für die Gesellschaft sein, verdunkelt aber durchaus die Wahrnehmung des authentischen christlichen Glaubens, der längst nicht so harmlos ist, wie er uns von der großen Schar freundlich-zotteliger Religionslehrer verkauft wird.

  • (3191) Fulda. Die katholischen Bischöfe in Deutschland wollen einen härteren Kurs im Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Kirche einschlagen. Sie vereinbarten bei ihrer Herbst-Vollversammlung in Fulda gemeinsame Leitlinien, nach denen künftig jede Anzeige und jeder Verdacht gegen einen Priester umgehend geprüft werden soll. Bei einem erwiesenen sexuellen Vergehen soll gegen den Täter eine Kirchenstrafe bis hin zur Entlassung aus dem Klerikerstand verhängt werden. Den Opfern wollen die Bischöfe umfangreiche Hilfsangebote machen. Zugleich drückten sie ihr "Bedauern" über vergangene Versäumnisse in diesem Bereich aus.

    Im Vorfeld der Bischofskonferenz hatten zwei Bischöfe, Joachim Meisner aus Köln und Reinhard Lettmann aus Münster, noch Zweifel an der Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens geäußert. Doch der öffentliche Druck war seit dem Bekanntwerden zahlreicher Missbrauchsfälle in den USA zu Beginn des Jahres so stark angewachsen, dass auch die deutschen Bischöfe sich zu dem Thema verhalten mussten. Die Initiative Kirche von unten schaltete im Juni ein Nottelefon und erfuhr seither von 27 verjährten und aktuellen Fällen, die bislang unbekannt waren - was darauf hindeutet, dass das ganze Ausmaß noch lange nicht bekannt ist. Kardinal Lehmann hingegen sprach bis in die jüngste Vergangenheit gerne von "einigen" oder "wenigen" Fällen.

    Im April wurde zunächst eine Arbeitsgruppe eingerichtet, doch bereits im Sommer wurde deutlich, dass das Thema so schnell nicht aus den Schlagzeilen verschwinden würde. Bereits im Juli schwante Lehmann, dass mit weiteren Enthüllungen gerechnet werden muss. Der Schock sitze besonders tief, weil es doch gerade die katholische Kirche sei, die "stets für Ordnung [sic!] in den sexuellen Beziehungen eintritt". Nun hat die Bischofskonferenz gewissermaßen die Notbremse gezogens und sich zu klaren Worten durchgerungen. Im Vorwort der Leitlinien räumen die Bischöfe ein, dass in der Vergangenheit "häufig unangemessen reagiert" worden sei auf Anzeigen von Missbrauch - freilich nicht aus bösem Willen, sondern "aus fehlenden Kenntnissen über die näheren Zusammenhänge sexuellen Missbrauchs". (Frankfurter Rundschau, 28.9.02)

  • (3192) Berlin. Drei Jahre nach ihrer Gründung hat sich die katholische Beratungsorganisation Donum Vitae bundesweit etabliert, aber die Lücke, die nach dem Ausstieg der katholischen Kirche aus der Schwangerschaftskonfliktberatung entstanden war, noch nicht ganz schließen können. "Unsere Beratung wird angenommen", sagte die Vorsitzende von Donum Vitae, Rita Waschbüsch, in Berlin. Im ersten Halbjahr 2002 sprachen die 201 Beraterinnen des Vereins, der vornehmlich von katholischen Laien getragen wird, mit 14.400 schwangeren Frauen. 6600 von ihnen kamen im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Schwangerschaftskonfliktberatung, erwogen also, die Schwangerschaft abzubrechen. Die Zahl der ausgegebenen Beratungsscheine wurde laut Donum Vitae nicht erfasst. Waschbüsch forderte mehrere Bundesländer auf, Beratungsstellen finanziell stärker zu unterstützen. Während Thüringen und Bayern die Kosten fast vollständig übernähmen, seien es etwa in Schleswig-Holstein, Hessen oder Niedersachsen maximal 25 Prozent. Zudem plädierte die Donum Vitae-Vorsitzende dafür, Schwangere besser zu beraten, bei deren ungeborenen Kindern eine Behinderung festgestellt wurde. Die Regelung, wonach es den Ärzten überlassen bleibt, den Frauen eine zusätzliche psychosoziale Beratung zu empfehlen, sei zu unverbindlich.

    1999 war die katholische Kirche auf Druck des Vatikan aus dem System der Schwangerschaftskonfliktberatung ausgeschert. Die Caritas und der Sozialdienst Katholischer Frauen stellen seitdem keinen Beratungsschein mehr aus, der als Voraussetzung für eine Abtreibung vorgelegt werden muss. Vor dem Ausstieg hatten katholische Stellen jährlich 20.000 Frauen in Schwangerschaftskonflikten beraten. Donum Vitae ist mittlerweile in 150 Orten vertreten. (Frankfurter Rundschau, 2./3.10.02)

  • (3193) Schweinfurt. Eine böse Überraschung erlebte in Schweinfurt die Mieterin einer Wohnung, die im Besitz einer katholischen Kirchenstiftung ist. Als sie beim Vorsitzenden der Kirchenstiftung einige in der Wohnung aufgetretene Mängel rügte - unter anderem regnete es in die Wohnung herein - und um Abhilfe bat, bekam sie zunächst drei Monate lang keine Antwort. Als sie den Mieterverein einschaltete, musste sie feststellen, dass es mit der Nächstenliebe des kirchlichen Vermieters schnell vorbei war. Die Kirchenstiftung berief sich nämlich darauf, dass ihre Mietverträge nur dann wirksam seien, wenn sie von der Aufsichtsbehörde (in diesem Fall dem Bischöflichen Ordinariat in Würzburg) genehmigt worden wären. Die Mieterin war jedoch von einer solchen Klausel nie informiert worden. Das Ordinariat beschied jedoch kühl: "Eine nachträgliche Genehmigung des Mietvertrags kommt wegen der jüngsten Vorkommnisse (gemeint war die Mängelrüge der Mieterin) nicht in Betracht." Stattdessen wurde die Mieterin zum Auszug aufgefordert. Dabei berief sich die Kirche auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Zweibrücken aus dem Jahr 1966. Das OLG hatte nämlich entschieden, dass ein Mieter, der mit einer Kirchenstiftung einen Mietvertrag abschließt, wissen muss, dass dieser von der Stiftungsaufsicht erst noch zu genehmigen ist und er daher selbst bei langjährigen Mietverhältnissen schutzlos ist, wenn die Stiftung später wegen der fehlenden Zustimmung auf die Unwirksamkeit des Vertrags pocht. Obwohl fraglich war, ob das Schweinfurter Amtsgericht dieser Auffassung angesichts der veränderten weltanschaulichen Situation folgen würde, schlossen die Parteien angesichts der unsicheren Rechtslage einen Räumungsvergleich. Der Anwalt des Mietervereins will auf diese versteckte Falle künftig stärker achten: "Allein in der Diözese Würzburg gibt es rund 600 kirchliche Stiftungen. Da kann sich jeder selbst ausrechnen, wie oft solche Fälle vorkommen". Auf Unwissen der Stiftungsvorstände könne man sich auf kirchlicher Seite nicht herausreden, weil nach seiner Kenntnis auf internen Seminaren durchaus auf die Genehmigungspflicht hingewiesen werde. (MieterZeitung, August 2002)

  • (3194) München. Gläubigerbanken und Kirchenvertreter haben sich über die Grundzüge einer Sanierung des Deutschen Ordens offenbar geeinigt. Demnach leistet die katholische Kirche einen Zuschuss von 20 Millionen Euro (also gerade mal ein Zehntel der mutmaßlichen Schuldenlast), außerdem hat der Orden seine Krankenhäuser verkauft. Die Bankenvertreter verzichteten dem Vernehmen nach auf etwa ein Drittel ihrer Forderungen. Streit gab es aber über die restlichen 28 Einrichtungen des Deutschen Ordens. Die grüne Haushaltsexpertin Kellner forderte deren Übernahme durch verlässlichere Träger, was auch im Interesse der Beschäftigten liege. Die CSU zeigte sich hingegen zuversichtlich, dass der Orden die restlichen Schulden noch zurückzahlen kann. Zu Details wollte sie jedoch unter Hinweis auf das Bank- und Geschäftsgeheimnis keine Auskunft geben.

    Heinz Kaiser (SPD), der das Geschäftsgebaren des Deutschen Ordens von Anfang an sehr genau unter die Lupe genommen und auch nach Stoibers Rolle im Ordens-Skandal gefragt hatte, bezweifelte, ob mit den Tagessätzen in den beim Deutschen Orden verbliebenen Altenheimen überhaupt Gewinne zu erzielen seien. Immerhin habe der Orden aus Geldmangel schon seit Jahren keine Investitionen mehr in seinen Einrichtungen getätigt. Außerdem bestehe ein hohes Prozessrisiko, das überhaupt nicht im Sanierungsplan berücksichtigt worden sei. Immerhin ließ die CSU durch Stimmenthaltung einen SPD-Antrag passieren, dass auch zwei Bischöfe als Zeugen vor den Landtags-Untersuchungsausschuss geladen werden, obwohl dies laut CSU nicht der "Würde des Bischofsamtes" gerecht werde. (Süddeutsche Zeitung, 5.6., 23.6. u. 11.7.02).

    Die Freigeistige Rundschau kommentierte: Selbst wenn der Staat nicht direkt zur Kasse gebeten wird, trägt er indirekt einen erheblichen Teil der Lasten, weil die Banken ihre Ausfälle von der Steuer absetzen und den Fiskus damit etwa zur Hälfte beteiligen. Und offenbar geht die Staatsregierung davon aus, dass die Tagessätze in den Seniorenheimen von vornherein so kalkuliert werden, dass dort Gewinne gemacht werden. Genau dies ist aber unzulässig. Der Seniorenschutzbund ist gut beraten, künftig den Altenheimen des Deutschen Ordens  genau auf die Finger zu sehen.

  • (3195) Karlsruhe. Religiöse Eltern sind mit dem Versuch gescheitert, den Kompromiss um das Schulfach Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde (LER) zu Fall zu bringen. Nach dem Vergleichsvorschlag des Bundesverfassungsgerichts bleibt LER staatliches Pflichtfach, doch wird auch der konfessionelle Religionsunterricht aufgewertet: Er wird benotet, doch sind die Zensuren nicht relevant für Versetzung und Abschluss (Aktenzeichen: 1 BvQ 25/02 - Beschluss vom 28.7.2002). Dies kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der LER-Kompromiss nur noch wenig mit dem ursprünglichen Fach zu tun hat. (taz, 19.12.01; Süddeutsche Zeitung, 2.8.02)

  • (3196) Düsseldorf. Das Land NRW plant als erstes Bundesland eine Liberalisierung des Bestattungsgesetzes. Unter anderem sollen der Friedhofs- und der Sargzwang aufgehoben werden. Nach dem Gesetzentwurf dürften Urnen auf Wunsch des Verstorbenen zu Hause aufbewahrt werden, solange Familienangehörige da sind. Auch das Ausstreuen der Asche auf Ausstreuwiesen soll möglich werden. Wohlgemerkt: Dies alles sind Alternativen, niemandem wird vorgeschrieben, dass er seine sterblichen Überreste nicht wie gehabt auf dem Friedhof - in Sarg oder Urne - bestatten darf. Trotzdem laufen die Kirchen Sturm gegen diese Änderung, die von vielen Menschen gewünscht wird. Sie warnen vor einem Verfall der Bestattungskultur, fürchten wohl, dass sie auch hier nicht mehr gebraucht werden. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschland und Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Kock, ließ sich dabei in einem Tagesschau-Interview zu einem besonders wahnwitzigen Vergleich hinreißen: "Wir brauchen eine Gedenkkultur. Wir müssen nicht die Leute verschwinden lassen. Das Verschwinden lassen, das spurlose Entsorgen erinnert an Krematorien in unheiligen Zeiten, in denen Menschen zu Millionen vergast worden sind, und damit man sie nicht mehr auffindet, wurden sie verstreut." (Tagesschau, 1.11.02, humanist.de, 11.11.02)

  • (3197) Bad Endbach/Wommelshausen. Im nordhessischen Wommelshausen wird der Vater eines fünfjährigen Kindes vor Gericht ziehen, um zu gewährleisten, dass sein Sohn im kommunalen Kindergarten nicht länger beten muss. Nach dem "Erziehungskonzept" des Wommelshausener Kindergartens werden Tischgebete, christliche Feste und biblische Geschichten in die Arbeit integriert. Gerechtfertigt wird dies mit einem Hinweis darauf, dass die überwiegende Mehrheit der 800 Einwohner "christlich gebunden" seien. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) geht in einer Stellungsnahme noch weiter und behauptet, nur wer die Chance bekomme, im Tischgebet "die Dankbarkeit für das tägliche Brot" zu lernen, werde später auch ein soziales Bewusstsein entwickeln können [sic!!]. Dies sei Teil der kulturellen Grundlagen unserer Gesellschaft. (epd-online, 29.10.02)

    Anm. MIZ: Angenommen, die Wommelshausener Eltern hätten tatsächlich mehrheitlich den Wunsch, dass ihre Kinder im Kindergarten religiös indoktriniert werden (was durchaus noch zu bezweifeln ist), so sollte man ihnen anraten, sich um den Aufbau eines kirchlich oder privat getragenen Kindergartens mit frei gewählter religiöser Propaganda zu bemühen. Kommunale Kindergärten hingegen unterliegen anderen rechtlichen Bestimmungen. Sie müssen weltanschaulich neutral sein, selbst dann, wenn die örtliche Eltern-Mehrheit gerne ein erzieherisches Programm verwirklicht sähe, das Minderheitsinteressen von vornherein ausschließt.

  • (3198) Düsseldorf. Die Düsseldorfer Bezirksregierung hat eine muslimische Referendarin von einer Hauptschule im Stadtteil Garath an eine Grundschule in Neuss versetzt. Die Lehramtsanwärterin, die aus einer türkischen Familie stammt und einen deutschen Pass besitzt, hatte sich aus religiösen Gründen geweigert, im Unterricht ihr Kopftuch abzulegen. Das führte zu Elternprotesten und Unruhe im Kollegium. An der alten Schule sei eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich gewesen, sagte ein Sprecher der Bezirksregierung. Wegen der Monopolstellung bei der Lehrerausbildung sei man verpflichtet, die junge Frau bis zum Ende ihres Referendariats zu beschäftigen. An der Neusser Grundschule habe man die Muslimin ohne Vorbehalte aufgenommen. Das NRW-Schulministerium vertritt die Auffassung, dass ein Kopftuch im Unterricht nicht ausreicht, um eine Beamtin aus dem Schuldienst zu entlassen. Es seien schwerwiegendere Gründe, wie zum Beispiel politische und religiöse Indoktrination, notwendig. Demnächst werde das Bundesverfassungsgericht in der strittigen Frage ein Urteil fällen, sagte eine Ministeriums-Sprecherin. (Süddeutsche Zeitung, 13.11.02)

  • (3199) Bergkamen. Im Falle des sog. "Kopftuchstreits von Bergkamen" kamen die Konfliktparteien des Dortmunder Arbeitsgerichtes zu keiner gütlichen Einigung. Die muslimische Kindergärtnerin Selma Gümüs stellte unmissverständlich klar, dass sie auf ihre Kopfbedeckung auch in Zukunft nicht verzichten werde. In diesem Fall, erwiderte Karl Peter Sikora, Sachgebietsleiter Personal bei der Stadt Bergkamen, werde man Frau Gümüs nicht wieder im Kindergarten arbeiten lassen.

    Der Kopftuchstreit beschäftigt die Stadt seit Anfang des Jahres. Da nämlich erschien Gümüs, seit 1996 in der Bergkamener Vorschulerziehung tätig, plötzlich mit Kopftuch zur Arbeit im Kindergarten. Als gläubige Muslimin lebe sie nach dem Koran, und der verlange von einer Frau, sich zu bedecken. Das sei ihr unbenommen, erwiderte Sikora, nur eben nicht während der Arbeit als Gruppenleiterin im Kindergarten. Das Tragen einer Kopfbedeckung aus religiösen Gründen verstoße gegen das Neutralitätsgebot, egal ob es sich um ein Kopftuch oder - wie von Gümüs ersatzweise angeboten - um eine Art Strohhut handele. Sikora berief sich auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das einer muslimischen Lehrerin das Tragen eines Kopftuches in staatlichen Einrichtungen untersagte. Nach zwei Abmahnungen war Gümüs im Sommer dieses Jahres gekündigt worden.

    Erboste Eltern hatten der Stadt daraufhin Fremdenfeindlichkeit vorgeworfen. Ein Vorwurf, den Sikora nicht stehen lassen wollte. Mit Vorbehalten gegen den Islam, so der Sachgebietsleiter, habe diese Kündigung nichts zu tun. "Wir würden auch keine Nonne in ihrer Tracht in einem städtischen Kindergarten arbeiten lassen." Gümüs' Anwalt Kaya Gercek hält dagegen, dass "im Kindergarten ja auch christliche Weihnachtslieder gesungen" würden. Eine Entscheidung wird für Januar 2003 erwartet. (NRZ, 16.10.2002)

  • (3200) Bremen. Auch Bremen hat seinen ersten Kopftuch-Fall. In den Sommerferien hatte die Schulbehörde angeordnet, dass eine Lehramtsstudentin aus Bremerhaven ihr vorgeschriebenes Praktikum nicht antreten dürfe - es sei denn, sie nehme während des Unterrichts ihr Kopftuch ab. Diese Verfügung löste jetzt auf der Bremer Islam-Woche Irritationen auf höchster Ebene aus.

    Bürgermeister Henning Scherf will sich nun persönlich dafür einsetzen, dass die angehende Deutsch- und Geografielehrerin ihre Ausbildung auch mit Kopftuch fortsetzen darf. Darauf hatte in den vergangenen Wochen auch die Beauftragte der Bundesregierung für Integration und Immigration, Marieluise Beck, in einem längeren Schriftwechsel mit der Bremer Bildungsbehörde gepocht. Beck, die durchaus auch problematische Aspekte im Zusammenhang mit dem Tragen eines Kopftuches sieht, hatte im Falle der Bremerhavenerin auf das Ausbildungsmonopol des Staates hingewiesen. Der Fall der 21-Jährigen sei nicht mit dem der ausgebildeten religiösen Lehrerin Fereshta Ludin zu vergleichen. Deren Klage auf Einstellung als Beamtin war vom Bundesverwaltungsgericht abgelehnt worden.

    Bildungssenator Willi Lemke hatte Marieluise Beck entgegengehalten, durch das Tragen eines religiösen Symbols werde zumindest indirekt ein Einfluss ausgeübt, um so mehr noch, als eine erwachsene Lehrerin für die Schüler auch eine gewisse Vorbildfunktion habe. Dies widerspreche aber der Neutralitätspflicht des Staates. Aufgrund des noch ausstehenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts und der anstehenden Diskussionen in den Gremien der nächsten Kultusministerkonferenz bezeichnete Lemke seine bisherige Haltung zu dem aktuellen Fall jedoch als "vorläufig". Oberschulrat Werner Wilker, der zugleich bei der Behörde als Referent für die Förderung von Unterricht für Migranten zuständig ist, deutete nun eine vorläufige Lösung an. "Die örtliche Schulbehörde in Bremerhaven darf so entscheiden. Wenn aber die junge Studentin zu uns kommen würde, wäre ich bereit, ihr bei der Suche nach einer Schule in Bremen zu helfen." Voraussetzung sei jedoch, dass das Kopftuch nicht in missionarischer Absicht getragen werde. (Weser-Kurier, 4.11.02)

  • (3201) München. Die evangelische Kirche hat der Stadt München angeboten, eine städtische Schule zu übernehmen und als kirchlich geprägte Einrichtung weiterzuführen. Während die Schulreferentin Weiß-Söllner die Offerte angesichts der städtischen Finanznot "wohlwollend" prüfen will, sind die Betroffenen skeptisch. Die Überführung in kirchliche Trägerschaft bedeutet nämlich, dass alle nicht konfessionszugehörigen Beschäftigten entweder in die Kirche eintreten oder an eine andere Schule wechseln müssen. Da sie städtische Angestellte oder Beamte bleiben, steht noch gar nicht fest, ob sich die Stadt wirklich so viel einspart. Pikanterweise handelt es sich bei dem Objekt der kirchlichen Begierde ausgerechnet um ein Gymnasium, das nach dem marxistisch-atheistischen Schriftsteller Bertolt Brecht benannt ist. (Wahrscheinlich würde der "arme B.B." im Grabe rotieren, wenn er von der christlichen Übernahme erfahren würde!) Die Schülerinnen des Gymnasiums überlegen sich bereits Texte für Demo-Transparente und die Eltern planen eine groß angelegte Unterschriften-Aktion. Ganz so einfach, wie die Kirche sich das gedacht hat, dürfte die Übernahme kaum vonstatten gehen. (Süddeutsche Zeitung, 2.8.02 und 14.11.02)

    Der Bund für Geistesfreiheit (bfg) wies in einer Stellungnahme darauf hin, dass die evangelische Kirche eine Notlage der Stadt ausnutzen wolle, die sie in der Vergangenheit selbst verschärft habe, indem sie z.B. für Kindergärten oder für Kirchentage freiwillige Zuschüsse der Kommune gefordert (und erhalten) habe, deren Folgen nunmehr die Stadt offenbar nicht mehr bewältigen könne. Außerdem kritisierte der bfg das Millionengeschenk an die Israelitische Kultusgemeinde beim Bau von deren Zentrum am Jakobsplatz, zu dem die Stadt nicht - und schon gar nicht in der Höhe von 40 Millionen DM - verpflichtet gewesen wäre. Nun solle die Stadt zuerst einmal alle freiwilligen Zuschüsse an die sehr viel reicheren Kirchen einstellen, ehe sie ihre sozialen Verpflichtungen meistbietend versteigere.

  • (3202) München. Auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Arten stehen sie noch nicht, aber es könnte bald dazu kommen: katholische Priester. Ganze drei Priesterweihen verzeichnete die Erzdiözese München 2002, in ganz Bayern sind es 31 einschließlich der Ordensgeistlichen. Das ist die niedrigste Zahl seit 50 Jahren. Die Kirche sucht die Schuld dafür nicht in einem verfehlten Gesamtkonzept (z.B. fehlende demokratische Strukturen) oder in unmenschlichen Vorschriften (z.B. Zölibat), sondern in dem "berufungsfeindlichen Klima der Gesellschaft". (dpa, 24.6.02, SZ, 28.6.02)

  • (3203) Karlsruhe/Kiel. Die Nordelbische Kirche ist im langjährigen Kirchensteuerstreit endgültig unterlegen und muss nun rund 5000 Mitgliedern zügig ein Prozent der gezahlten Kirchensteuer zurückerstatten. Die Kirche hatte die Auszahlung bisher verweigert, weil man ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) in Karlsruhe abwarten wollte. Doch das Gericht hat die Annahme der kirchlichen Beschwerde abgelehnt (Az: 2 BvR 443/01). Gleichzeitig stellten die Karlsruher Richter fest, dass die Kirche bei ihrer Steuerfestsetzung an das Grundgesetz gebunden ist - eine Aussage, die der Kirche nun wohl weitere Klagen bescheren wird. Der Streit begann 1993, als Elfriede Reth aus Schönwalde gegen die Kirchensteuer vor Gericht zog. Begründung: Es widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz, dass Mitglieder in Hamburg acht Prozent Kirchensteuer, Schleswig-Holsteiner neun Prozent zahlen müssten. Das Oberverwaltungsgericht in Schleswig und das Bundesverwaltungsgericht in Berlin gaben Elfriede Reth Recht und stellten fest, dass jedem, der einen rechtskräftigen Widerspruch gegen die ungleiche Kirchensteuer einlege, rückwirkend bis zum Jahr 1994 das zuviel gezahlte Prozent zurückerstattet werden müsse. Rund 5000 Schäfchen sollen daraufhin Widerspruch eingelegt haben. Die Kirche glich daraufhin zwar den Hamburger Steuersatz an den schleswig-holsteinischen an, bearbeitete die Widersprüche aber nicht: Das müsse warten, bis die Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht entschieden sei.

    Es stellte sich nun heraus, dass die Kirche sich möglicherweise mit ihrem Gang nach Karlsruhe selbst einen Bärendienst erweisen hat. Nicht nur, dass das BVG die Beschwerde nicht angenommen hat und damit die Kirche endgültig zur Auszahlung von einer sechsstelligen Eurosumme gezwungen ist. Die Richter schrieben der Kirche auch ins Stammbuch, dass sie an die Grundrechte gebunden ist und die Kirchensteuer den Rang einer Satzung habe. Das beflügelt nun die Steuer-Kritiker: Nach ihrer Ansicht war die gesamte Kirchensteuer von 1977 bis Ende 2000 rechtswidrig. Deshalb müsse die gesamte Steuer und nicht nur ein Prozent zurückgezahlt werden. Die Kirche muss sich jetzt auf eine erneute Runde durch die Verwaltungsgerichte einstellen, die sie möglicherweise wesentlich teurer zu stehen kommt als das jetzige Urteil. (Kieler Nachrichten, 18.9.02)

  • (3204) Bonn. Angesichts der Auslands-einsätze der Bundeswehr klagt die evangelische Kirche über "Personalprobleme". Die Zahl der Pfarrstellen sei trotz der größeren Belastung durch die steigende Zahl von Einsätzen der Bundeswehr außerhalb Deutschlands nicht erhöht worden, sagte der Militärgeneraldekan des Evangelischen Kirchenamtes für die Bundeswehr, Erhard Knauer, in Bonn. Im Inland könne die seelsorgerische Betreuung der Soldaten durch die Zusammenarbeit mit den zivilen Pfarrgemeinden gewährleistet werden. Dieses Modell löse jedoch nicht das Problem der geistlichen Fürsorge bei Auslandseinsätzen. Gerade dort aber brauchten die Soldaten dringend einen Ansprechpartner, sagte Knauer. Angesichts der zunehmenden Zahl der Bundeswehr-Einsätze im Ausland und einer möglichen Ausweitung der Einsatzmöglichkeit im Inneren stoße die evangelische Militärseelsorge "personell an eine logische Grenze". Zwar sinke bei den Soldaten - wie in der gesamten Gesellschaft - das Interesse an der Kirche. Doch zeige sich gerade bei Kriseneinsätzen wie jüngst in den ostdeutschen Hochwassergebieten, wie wichtig und unverzichtbar die Arbeit der Seelsorger für die Soldaten der Bundeswehr sei. (dpa, 5.9.2002)

    Anm. MIZ: Angesichts des geringen Vertrauens, das die Kirche bei den Menschen genießt (siehe Meldung 3184), sollten sich die politisch Verantwortlichen überlegen, die Militärseelsorge ganz abzuschaffen, anstatt sie - wie von der evangelischen Kirche hier mit Blick auf die staatlichen Geldtöpfe gefordert - weiter auszubauen. Professionelle Psychologen sollten ohnehin weit besser in der Lage sein, Soldaten in Krisensituationen zu beraten, als Priester, die sich um eine metaphysische "Seele" sorgen, die nach dem Stand der Wissenschaft überhaupt nicht existiert.

Österreich

  • (3205) Wien. Die Zahl der Katholiken nimmt in Österreich weiter ab. Machten bei der Volkszählung 1991 noch rund 78 Prozent ihr Kreuzchen bei "römisch-katholisch", waren es bei der Volkszählung 2001 nur mehr 73,6 Prozent. Auch die evangelische Kirche ist geschrumpft, sie bleibt aber weiterhin die zweitstärkste Religion vor dem Islam. Die eigentlich zweitstärkste Gruppe ist mittlerweile die der Personen "ohne Bekenntnis" (12 Prozent). Diese neuesten Daten der Volkszählung 2001 gab Johann Ladstätter von der Statistik Austria bekannt.

    In absoluten Zahlen leben 5,92 Millionen Katholiken in Österreich. Zehn Jahre zuvor waren es noch 6,08 Millionen. Mit dem Rückgang setzt sich ein jahrzehntelanger Trend fort. Vor 30 Jahren gaben noch 87,4 Prozent an, Katholiken zu sein. 1981 waren es immerhin noch 84,3 Prozent. Die Anhängerschaft der evangelischen Kirche hat sich von 5,0 Prozent im Jahr 1991 auf nunmehr 4,7 Prozent verringert. Die Zahl der Muslime hat sich hingegen in der letzten Dekade mehr als verdoppelt. Sie stieg von 2 Prozent im Jahr 1991 auf 4,2 Prozent an, was 338.000 Personen entspricht. Den Anstieg bei den Muslimen führt Ladstätter auch auf die höhere Bekenntnisfreudigkeit bei den in Österreich lebenden Türken zurück. Stark angewachsen ist auch die Gruppe der Menschen "ohne Bekenntnis". Es handelt sich mittlerweile um fast eine Million Personen, ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung stieg von 1991-2001 von 8,6 auf 12 Prozent.

    In Wien liegt der Katholikenanteil erstmals sogar unter 50 Prozent. Zehn Jahre zuvor lag er noch bei über 57 Prozent. 25,6 Prozent gaben in der Bundeshauptstadt an, ohne Bekenntnis zu sein. Die zweitstärkste Religion in Wien ist mit 7,8 Prozent der Islam. Der Rückgang bei den Katholiken sei aber nicht nur auf die Kirchenaustritte zurückzuführen, meinte Ladstätter. Auch der Zuzug aus dem Ausland spiele hier eine Rolle. (Standard, 17.10.02)

Schweiz

  • (3206) Zürich. Eine Umfrage des Zürcher GfS-Forschungsinstituts im Februar hat ergeben, dass rund zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung kaum noch oder gar keine Erwartungen mehr an die Kirchen haben. Befragt wurden 718 Personen aus 70 Gemeinden, 75 Prozent aus der Deutschschweiz und 25 Prozent aus der Romandie. Die Resultate sehen für die Kirchen nicht allzu verheißungsvoll aus. So antworteten über 50 Prozent der Befragten, dass sie von den Kirchen überhaupt nichts erwarteten. Über weitere 20 Prozent beantworteten die entsprechende Frage nicht. "Zusammen ergibt dies gut 70 Prozent, die eigentlich keine Erwartungen gegenüber den Kirchen äußern", schreibt das Institut. Die Umfrage zeige auch, dass Protestanten noch weniger von ihren Kirchen erwarten als Katholiken oder Mitglieder anderer Konfessionen. Frauen äußerten mehr Erwartungen gegenüber den Kirchen als Männer, Westschweizer erwarten öfter überhaupt nichts von den Kirchen als die Deutschweizer. Die Stadt-Land-Unterschiede seien eher gering. Nehme man die Werte für "keine Antwort" und "erwarte nichts" zusammen, dann zeige sich, dass auch ältere Menschen kaum mehr von den Kirchen erwarten als die jüngeren Generationen, schreibt die GfS.

    Doch gibt es auch noch die Minderheit, von der 16 Prozent von den Kirchen mehr Offenheit und Toleranz erwartet. Etwa 10 Prozent wünschen sich mehr kirchliches Engagement in der Jugendarbeit oder der "Übernahme sozialer Aufgaben durch die Kirchen", etwas seltener wurden eine bessere Seelsorge sowie mehr Anpassung an modernes Denken genannt. Kaum auf Interesse stoßen Engagement in der Entwicklungshilfe, in der Asylpolitik sowie Unterstützung und Betreuung alter Menschen. Anstoß zur Umfrage gab nach Angaben des Instituts die in verschiedenen Kantonen zur Diskussion stehende Neuregelung des Verhältnisses von Staat und Kirche und die Frage nach der staatlichen Abgeltung gesamtgesellschaftlicher Leistungen der Kirchen. In diesem Zusammenhang sei die Frage von Interesse, in welchen Aufgabenbereichen die Bürger mehr Engagement der Kirchen erwarteten. (Reformierte Nachrichten, 29.3.02)

Frankreich

  • (3207) Paris. Der französische Autor Michel Houellebecq darf auch weiterhin den Islam als "dümmste Religion" bezeichnen, wenn er denn will. Ein Gericht in Paris sprach den Schriftsteller vom Vorwurf der rassistischen Beleidigung frei. Gleich vier muslimische Verbände Frankreichs hatten Houellebecq, Autor der provokanten Bestseller Elementarteilchen und Plattform verklagt. Rassistische Beleidigung und Beihilfe zur Anstiftung zum Rassenhass lauteten die Anklagepunkte, von denen der 44-Jährige nun frei gesprochen wurde. Houellebecq wurde vor einem Jahr in einem Interview mit den Worten zitiert: "Die dümmste Religion ist doch der Islam." Er empfinde nur Hass dem Islam gegenüber, er sei "eine gefährliche Religion". Diese Einschätzung rief die muslimischen Institutionen auf den Plan. Der Rektor der Pariser Moschee, Daniel Boubakeur, sah in den ­Äußerungen eine Erniedrigung der Muslime und eine Beleidigung seiner Religion. Die Staatsanwaltschaft schloss sich Mitte September in der mündlichen Verhandlung jedoch der Auffassung Houellebecqs an, die Äußerungen richteten sich gegen den Islam, nicht gegen einzelne Gläubige.

    Intellektuelle und Künstler sahen ob des Gerichtsverfahrens gegen den Autor die Meinungsfreiheit gefährdet. In einer Petition für Houellebecq hieß es: "Eine Meinung über die Religion zu haben, eine der anderen vorzuziehen oder alle abzulehnen fällt unter das Recht auf freie Meinungsäußerung." Die Unterstützer des in Irland lebenden Autors erklärten weiter, in dem Interview in der Zeitschrift Lire seien abschwächende Sätze Houellebecqs nicht wiedergegeben worden. Zudem habe sich das Gespräch um Romanfiguren gedreht. (Spiegel online, 22.10.02)

Großbritannien

  • (3208) London. Mehr als drei Monate vor der Amtseinführung des neuen Erzbischofs von Canterbury ist in der anglikanischen Kirche ein heftiger Streit über die theologischen Positionen von Rowam Williams entbrannt. Evangelikale Gruppen verlangen von dem künftigen geistlichen Oberhaupt der Anglikanischen Kirche, dass er traditionelle Lehrsätze bekräftigt, sich gegen Sex außerhalb der Ehe ausspricht und verspricht, keine Homosexuellen als Priester zu weihen. In einem Antwortbrief an die konservative Kirchengruppe Reform schrieb Williams jetzt: "Ich werde pflichtgemäß festhalten, was die mehrheitlich vertretene Lehre der Kirche darstellt. Aber ich kann nicht darüber hinausgehen und sagen, dass ich etwas glaube, was ich nicht glaube." Im Juli hatte Williams zugegeben, einen Priester geweiht zu haben, von dem er wusste, dass er in einer homosexuellen Partnerschaft lebt. In der Zeitschrift Churchman rief der anglikanische Theologe Gerald Bray dazu auf, sich dem neuen geistlichen Oberhaupt nicht zu beugen. Der "Fan-Club" von Williams sei "infiltriert von Feministen und homosexuellen Aktivisten", schrieb Bray. Widerstands ist bereits auszumachen. So kündigte der Priester der evangelikalen Gemeinde von St. Helen im Zentrum von London, William Taylor, an, er werde aus Protest keine Mittel der Kirche von England für die Bezahlung von Priestern mehr annehmen. Williams ist bisher Erzbischof von Wales. Er wurde im Juli von Premierminister Tony Blair zum Nachfolger von George Carey ernannt, der mit 66 Jahren in den Ruhestand geht. Der Erzbischof von Canterbury ist traditionell das Oberhaupt der anglikanischen Kirche mit weltweit 70 Millionen Mitgliedern (Yahoo, 10.11.02)

  • (3209) London. Das Terrornetzwerk El Kaida hat offenbar zwei Mal versucht, Papst Johannes Paul II. auf den Philippinen zu ermorden. Das berichtete die Zeitung Sunday Times. Der erste Versuch sei 1995 gescheitert; 1999 habe der Papst seinen Besuch in Manila abgesagt. In beiden Fällen seien die Anschläge von Chalid Scheich Mohammed, einem engen Vertrauten von Osama bin Laden, vorbereitet worden. Die Zeitung berief sich dabei auf philippinische Geheimdiensterkenntnisse. (Yahoo, 10.11.02)

Italien

  • (3210) Viterbo. Einen Strafantrag wegen der "Nichtexistenz von Jesus" hat der Buchautor Luigi Cascioli am 13. September 2002 gestellt. Die Anzeige beim Gericht von Viterbo richtet sich gegen den Gemeindepfarrer Don Enrico Righi, der im Gemeindeblättchen die Existenz von Jesus behauptet hatte. Mit der Vorspiegelung, bei dem illusionären Jesus handele es sich um eine reale Person, sieht Cascioli Bestimmungen des italienischen Strafgesetzbuchs verletzt: über den Missbrauch des guten Glaubens (Vertrauensbruch) und über die Vertauschung von Personen/Kindesunterschiebung.

    Als Beweis übergab Cascioli dem Gericht sein Buch Das Märchen von Christus (La fable du christ), welches er in seinem Selbstverlag in italienischer, englischer und französischer Sprache herausbrachte. Darin stellt er den Behauptungen der Bibel die historischen Wahrheiten gegenüber. In seiner historischen Studie führt er allerdings, außer der Bibel, keinerlei Literaturangaben an. Seine Zusammenschau der wenigen gesicherten Fakten, die die Geschichtsschreibung aus der Zeit verfügt, in der Jesus gelebt haben soll, bietet wenig Neues. Neu ist allerdings sein Versuch, die Auseinandersetzung darüber mit der Kirche strafrechtlich zu führen. Seine Anzeige hatte Cascioli lange zuvor angekündigt und sich um internationale Unterstützung bei Freidenkern und Atheisten bemüht. Auf der Website www.anti-religions.org wird laufend über den Fortgang des Strafantrags informiert. (www.antireligious.org, Oktober 2002)

  • (3211) Rom. In Italien haben Juden, Muslime und die Mitte-Links-Opposition gegen den Plan des Bildungsministeriums protestiert, in Schulklassen wieder Kruzifixe aufzuhängen. Der Präsident der jüdischen Gemeinden Italiens, Amos Luzzatto, sagte, er habe sich in seiner Jugend von Kreuzen an Schulen diskriminiert gefühlt. Für die Grünen verletzt das Vorhaben die Trennung von Kirche und Staat. Bildungsministerin Letizia Moratti will das Kreuz als Symbol für die Wurzeln der europäischen Kultur wieder einführen. Die rechtspopulistische Liga Nord brachte gleichzeitig einen Gesetzentwurf ein, nach dem in allen öffentlichen Räumen Kruzifixe aufgehängt werden sollen. Wer sich weigert, in öffentlichen Gebäuden das Kreuz aufzuhängen, soll danach eine Geldstrafe zahlen. In Italien wurden Kruzifixe nie per Gesetz aus den Schulen verbannt. Sie wurden jedoch in den vergangenen Jahren aus den meisten Schulen stillschweigend entfernt. (neue bildpost, 26.9.02)

Vatikan

  • (3212) Vatikanstadt. Der Vatikan bekräftigte seine kompromisslose Haltung in der Bekämpfung der Immunschwächekrankheit AIDS. Monsignore Javier Lozano Barragan, Präsident des Pontifical Council for Health Workers, meinte, dass - auch wenn manchen die Position des Vatikans "lächerlich" erscheine - nur ein Weg wirklich Wirkung zeigen würde: Keuschheit. Die kirchliche Argumentation hat auf den unzureichenden Schutz von Kondomen (Pearl Index) hingewiesen. Sie würden, so Monsignore Barragan, nur eine "pan-sexuelle" Gesellschaft fördern, die den geschlechtlichen Akt auf Lust reduziere und von der Zeugung völlig trenne. (Kath.net, 7.11.02)

  • (3213) Vatikanstadt. Josemaria Escriva hat es geschafft: Der Opus Dei-Gründer ist ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod in die exklusive Loge der Heiligen der Katholischen Kirche aufgenommen worden. Die Feierlichkeiten fanden Anfang Oktober im Vatikan statt. Am Vormittag des 6. Oktober feierte Papst Johannes Paul II. mit Hunderttausenden von Pilgern auf dem Petersplatz die Eucharistiefeier zur Heiligsprechung. Nach Angaben der Berichterstatter handelte es sich um eine der größten Heiligensprechungszeremonien, die jemals stattgefunden haben. In 15 Sprachen feierten Kardinäle und Bischöfe Danksagungsmessen für die Heiligsprechung Escrivás. Allein am 8. und 9. Oktober fanden 29 Danksagungsmessen in verschiedenen römischen Kirchen statt. (Frankfurter Rundschau 6/7.10.02, Trierischer Volksfreund 6.11.02, ZDF-online 6.11.02)

    Anm. MIZ: Es ist zu befürchten, dass die Anhänger des heiligen Bußgürtelfetischisten nun ihre bereits errungene Machtposition innerhalb der Katholischen Kirche noch ungestörter ausbauen können. Entsprechend enthusiastisch feierte das "Werk Gottes" die Heiligsprechung des Ordensgründers. In der deutschen Medienlandschaft hingegen wurde überwiegend kritisch berichtet. Es scheint so, als ob die massive Aufklärungsarbeit zu Opus Dei, an der sich auch die MIZ beteiligt hat (siehe beispielsweise MIZ 1/00 und 2/02), erste Früchte tragen würde. Hier gilt es im Falle der anstehenden Seligsprechung von Mutter Teresa anzusetzen, denn bisher herrscht noch das Meinungsbild vor, der vermeintliche "Engel von Kalkutta" habe ein vorbildliches Leben im Dienste der Armen und Kranken geführt. Dass sie in Wahrheit eine Freundin menschenverachtender Diktatoren war, die die gespendeten Millionen nicht für die Armen verwendete, sondern für den Vatikan hortete etc., wird man der deutschen Öffentlichkeit erst mühsam beibringen müssen.

  • (3214) Vatikanstadt. Der Vatikan will alle Akten der Berliner Nuntiatur von 1922 bis 1939 zugänglich machen. In dieser Zeit war der Kardinal Eugenio Pacelli, der 1939 zum Papst Pius XII. gewählt wurde, Nuntius in Deutschland. Die Dokumente könnten ab Januar kommenden Jahres eingesehen werden, kündigte der für die vatikanische Bibliothek zuständige Kardinal Jorge Maria Mejia auf einer Pressekonferenz an. Pius XII. wird von vielen Historikern vorgeworfen, seit seiner Zeit in Deutschland dem Nationalsozialismus wohlwollend begegnet zu sein. Der Vatikan weist hingegen diese Vorwürfe zurück und hat ein Verfahren zur Seligsprechung von Pius XII. eingeleitet. Papst Johannes Paul II. hatte im Februar alle Dokumente aus der Zeit des Pontifikats von Pius XI. (1922-1939) zur Veröffentlichung freigegeben. Die Sichtung und Katalogisierung aller Dokumente aus dieser Zeit könnten nicht vor 2005 abgeschlossen werden, betonte Kardinal Mejia. Alle vatikanischen Dokumente ab 1939 bleiben weiter unzugänglich. (Newsbote, 29.10.02)

Spanien

  • (3215) Madrid. Gewalt durch den Ehepartner ist nach Ansicht der katholischen Kirche in Spanien kein Grund, eine Ehe zu annullieren. Die Kirche verurteile zwar "kategorisch" Misshandlungen, das Kirchenrecht sehe darin aber keinen Grund, das Ehebündnis aufzuheben, teilte der Sprecher des spanischen Episkopats, Juan José Asenjo, mit. In Spanien wurden nach Regierungsangaben in der ersten Hälfte dieses Jahres 26 Frauen von ihren Ehemännern getötet und zwölf Männer von ihren Ehefrauen. Mehr als 16.000 Personen zeigten nach Angaben des Sozialministeriums in diesem Zeitraum ihre Partner wegen Gewaltbereitschaft an, die meisten Anzeigeerstatter waren Frauen. (Frankfurter Rundschau, 19.9.02)

Weißrussland

  • (3216) Minsk. In Weißrussland hat die russisch-orthodoxe Kirche nun auch offiziell eine Vormachtstellung gegenüber allen anderen Religionsgemeinschaften. Deren Handlungsspielräume werden in einem neuen Gesetz, das Präsident Alexander Lukaschenko unterzeichnete, erheblich eingeschränkt. Zur Begründung hieß es, der Verbreitung destruktiver Sekten und des Okkultismus müsse Einhalt geboten werden. Menschenrechtsgruppen sprachen indessen von der restriktivsten Religionsgesetzgebung in ganz Europa. Beobachter werten die Privilegien für die russisch-orthodoxe Kirche als Schachzug Lukaschenkos, um die Bevölkerung noch stärker für seine autokratische Politik zu gewinnen. Religiöse Minderheiten dagegen könnten von dem Präsidenten, der sich selbst als "russisch-orthodoxen Atheisten" bezeichnet, jetzt noch massiver unterdrückt werden. Dem neuen Gesetz zufolge dürfen etwa Religionsgemeinschaften mit weniger als 20 Mitgliedern in einer bestimmten Region keine Gottesdienste mehr abhalten. Auch dürfen sie überhaupt nicht mehr öffentlich in Erscheinung treten, wenn sie nicht schon länger als 20 Jahre in Weißrussland verankert sind. Vor allem Protestanten und Juden wehrten sich gegen diese Vorschriften. (Yahoo 1.11.02)

Nordamerika

Kanada

  • (3217) Ottawa. Ein kanadisches Gericht hat die anglikanische Kirche des Landes von der Verantwortung für in kirchlichen Schulen oder Heimen erfolgten sexuellen Missbrauch von Ureinwohnern freigesprochen. Die Kirchenleitung könne für die zwischen 1916 und 1983 begangenen Taten nicht zur Rechenschaft gezogen werden, da die Einrichtungen im Auftrag der Regierung betrieben worden seien, so das Gericht. Gegen diesen Spruch will die Regierung in Ottawa Einspruch einlegen. Tausende ehemalige Schüler oder Heimbewohner haben in den vergangenen Monaten Klage auf Entschädigung eingereicht. Die Regierung fürchtet, durch den Gerichtsentscheid allein für derartige Zahlungen, die sich auf eine Milliardensumme belaufen, verantwortlich zu sein. Die anglikanische Kirche wiederum würde durch Zahlungsverpflichtungen in den Bankrott getrieben. Das Gericht in Alberta erklärte, eine kirchliche Verantwortung könne nur der damals direkt für die Schulen und Heime zuständigen Missionary Society zugewiesen werden, einer kleinen selbstständigen Organisation ohne finanzielle oder andere Rücklagen. Daher sei allein die Regierung für Entschädigungszahlungen zuständig. (Frankfurter Rundschau, 28.10.02)

Lateinamerika

Chile

  • (3218) Santiago de Chile. Die katholische Kirche in Chile hat die Opfer sexuellen Missbrauchs durch Priester um Vergebung gebeten. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Francisco Javier Errazuriz Ossa, sagte, die Kirche schäme sich für ihren "nicht angemessenen Umgang mit dem Problem", berichteten lateinamerikanische Zeitungen am Wochenende. Bereits vor Jahren sei der Fall eines jetzt wegen sexuellen Missbrauchs angezeigten Priesters in der Kirche bekannt geworden. Man habe den Fall jedoch intern zu regeln versucht, erklärte der Erzbischof weiter. Vor wenigen Wochen war dem Geistlichen einer Gemeinde nördlich von Santiago de Chile zur Last gelegt worden, mehrere Kinder sexuell missbraucht zu haben. (Frankfurter Rundschau, 28.10.02)

Brasilien

  • (3219) Rio de Janeiro. Es sollte der schönste Tag im Leben des Brautpaares werden. Leider wurde nichts daraus, da der Pfarrer die Trauung unmittelbar vor Beginn der Zeremonie verweigerte. Die Braut sei "übertrieben" geschminkt gewesen, meinte der Geistliche erklärend. Jetzt muss er umgerechnet knapp 17.000 Euro Schadenersatz zahlen. Der Geistliche habe dem Brautpaar durch die Absage der Heirat kurz vor Beginn der Zeremonie "moralische Schmerzen und Angstgefühle" zugefügt und es in "Verlegenheit gebracht", erklärte der Richter in seiner Urteilsbegründung in Sao Paulo. Medienberichten zufolge handelt es sich um "eine einmalige Entscheidung in der Geschichte der brasilianischen Justiz".

    Der Pfarrer Carlos Trevisan habe im Sommer 2000 die weinende Braut Simara Azevedo (22) sehr schlecht behandelt und das Brautpaar sowie die 250 Hochzeitsgäste regelrecht aus der evangelischen Kirche in Sao Paolo verjagt, sagte Anwalt Walter Wolmes. "Wenn Sie so heiraten wollen, gehen sie zur katholischen Kirche, die ist gleich um die Ecke!", habe der Pfarrer geschrieen und auch den "tiefen Halsausschnitt am Kleid" bemängelt. Der Richter ließ sich indes vom Beweismaterial überzeugen. Fotos hätten gezeigt, dass sowohl das Make-up als auch der Halsausschnitt in Ordnung gewesen seien, hieß es. (Rheinische Post, 31.10.02)

Asien

Kambodscha

  • (3220) Phnom Penh. Drei Anhänger einer buddhistischen Gruppe haben sich in Kambodscha auf grausame Weise das Leben genommen: In Badewannen übergossen sie sich mit 60 Litern Benzin und verbrannten sich. Daraufhin wurde der Anführer der Gruppe festgenommen. Der 54 Jahre alte Anführer, der nach den Selbstmorden geflohen war, wurde in Handschellen zum Verhör geführt, teilte die Polizei in der im Osten des Landes gelegenen Provinz Prey Veng mit. Er habe sich für unschuldig erklärt. "Ich habe nichts Falsches getan, ich habe sie nicht gezwungen. Es war ihr Fehler", zitierte ihn die Polizei. Drei weitere Mönche, die sich durch Messerstiche töten wollten, konnten gerettet werden. Der Anführer der Gruppe sagte der Polizei zufolge, er habe keinen Selbstmord begangen, da er schon heilig genug sei. In den Abschiedsbriefen der Opfer hieß es nach Angaben der Beamten, der rituelle Freitod sei der einzige Weg in den Himmel: "Bitte lacht nicht über uns. Wir begingen im Interesse Gottes Selbstmord." (Spiegel online, 2.10.02)

Afghanistan

  • (3221) Herat. Ein Jahr nach dem Sturz der Taliban in Afghanistan ist die Provinz Herat zum Verbot von Hochzeitsfeiern mit Musik und Tanz zurückgekehrt. Feste in Hotels, bei denen Männer und Frauen miteinander reden, gelten von nun an wieder als gesetzeswidrig. (Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 14.11.02)