Die Atheistische Perspektive - 2. Teil

Daniel Dörr und Carlos Zydorek / Fotos: Evelin Frerk

Bericht vom zweiten Tag der internationalen Convention in Köln

Ohne Gott ist alles erlaubt?

Lukas MihrHäufig werde Atheisten vorgeworfen, ohne Gott frei von jeglicher ethischer und sozialer Verantwortung zu sein - "Ohne Gott ist alles erlaubt". Lukas Mihr, der Geschichte studiert und sich insbesondere mit der Rolle der katholischen Kirche im Nationalsozialismus auseinandersetzt, führte in seinem Vortrag ausführlich die Argumente und Motivationen derjenigen auf, die solche unbegründeten und widersinnigen Behauptungen aufstellen. Insbesondere würden da im Zusammenhang immer die Namen der größten Diktatoren, Völker- und Massenmörder des vergangenen Jahrhunderts aufgeführt: Hitler, Stalin, Mao, Pol Pot und Kim Yong Il.

Abgesehen von der Tatsache, dass viele der genannten Personen oftmals keine Atheisten gewesen seien, müsse man aber auch hinterfragen, ob sie auch aus atheistischen Motiven gehandelt hätten. Hitler (der bekanntlich kein Atheist war) sei zum Beispiel auch Vegetarier und Nichtraucher gewesen. Zu behaupten, dass er aus atheistischer Ideologie den Völkermord an der jüdischen Bevölkerung verübt habe, wäre genauso falsch, wie diese mit seiner Ernährungsweise in Verbindung zu bringen. Was sei eigentlich eine atheistische Motivation? Im Atheismus gäbe es keine höhere Autorität, die vorgeblich Befehle austeile. Um den Unterschied zwischen Korrelation und Ursache zu verdeutlichen, brsachte Lukas Mihr ein weiteres Beispiel: 90% der Kriminalität in Deutschland werde von Männern verübt, dennoch könne man nicht behaupten, dass die Mehrheit der Männer kriminell sei.

Dabei würde auch versucht, die eindeutig christlich Motivierten Verbrechen und Vergehen zu relativieren, fuhr Lukas Mihr fort: So seien zum Beispiel nur 10% aller Kriege religiös motiviert, während die große Mehrheit nationalistischen Ideologien, wirtschaftlichen Interessen oder Hegemonie unterlägen. Mit der gleichen Logik ließe sich behaupten, dass zwar nur 10% aller Autounfälle mit Alkohol in Verbindung gebracht würde, während die große Mehrheit wegen "Nüchternheit am Steuer" verursacht werden würde. Auch die Inquisition habe weniger Tote gefordert als das kommunistische Regime in China. "Aber ist ein Mörder von elf Menschen böser als einer von zehn?" fragte Lukas Mihr die Tagungsteilnehmer, die sich zahlreich am Samstagmorgen ins Comedia-Theater einfanden. Solche Diskussionen seien sinnlos, und damit beantwortete der Geschichtsstudent seine provozierende Frage.

Im Folgenden zeigte Lukas Mihr die Motivationen von vermeintlich atheistischen Diktatoren und Massenmördern detailliert auf. So habe zum Beispiel Stalin die orthodoxe Kirche auslöschen wollen und deren Anhänger verfolgt, weil er alle Elemente des zaristischen Staates vernichten wollte. Dass allerdings viele Christen keine Skrupel hätten, in kommunistischen Regimen mitzuwirken, sehe man auch am Beispiel der DDR. Dort habe es auch eine christliche Partei gegeben, deren Mitglieder zwar als Marionetten der Regierung betrachtet werden müssten, jedoch auch wichtig waren um den Schein der Demokratie zu wahren.

Wenn es christlichen Staaten tatsächlich um ihre vermeintlichen "christlichen Werte" ginge, dann würde man erwarten, dass sie ungerne mit totalitären, vorgeblich atheistischen Staaten kooperieren würden. Die Vergangenheit zeige aber alles andere als das: Wann immer sie sich damit einen Vorteil erhofften, hätten westliche Länder mit skrupellosen Regimen zusammengearbeitet, und sich durch geflissentliches Ignorieren, aber auch aktives Vertuschen mitschuldig an Massenmord und Verfolgung gemacht.

Mit seinem detailreichen und mit vielen Beispielen illustrierten Vortrag widerlegte Lukas Mihr systematisch die Mär vom bösen Atheisten und von heldenhaften Christen, die immer noch in unserer Gesellschaft populären Zuspruch findet.

Armes Europa

Rolf BergmeierRolf Bergmeier referierte in seinem Vortrag "Armes Europa. Wie die christliche Staatskirche das mittelalterliche Europa arm machte." über die Gründe des kulturellen, geistigen und wirtschaftlichen Niedergangs Europas im Mittelalter.

Er begann mit der Feststellung, dass fundamentalistische radikalreligiöse Strömungen heute in Deutschland wie auch in anderen Teilen der Welt immer mehr Zulauf erhalten und auf dem Weg seien, sich zu Großsekten zu entwickeln. Währenddessen erleben wir, so Bergmeier, die Lobpreisung einer angeblichen christlich-abendländischen Kultur durch (politische) sogenannte "Eliten". Es mache den Anschein, dass Deutschland auf dem Marsch in die Voraufklärungszeit sei.

Dass die Bezeichnung der europäischen Kultur als christlich-abendländisch ein Irrtum sei, zeigte Bergmeier anhand eines historischen Rückblicks auf die Entwicklung der gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse in Europa. Unsere Kultur sei vielmehr geprägt von der antiken griechisch-römischen Kultur, die erst in der Renaissance wiederentdeckt und in der Zeit der Aufklärung weiterentwickelt worden war. Dem sei ein völliger Verfall dieser Kultur, bedingt durch die religiösen Strukturen, im Mittelalter zuvor gegangen. Die antike griechisch-römische Kultur habe enorme, heute als modern anerkannte Werte und Strukturen hervorgebracht: Zahlreiche Bildungs- und Kultureinrichtungen hätten dafür gesorgt, dass über die Hälfte der Bevölkerung lesen und schreiben konnte. Während es im römischen Reich in praktisch jedem Dorf eine öffentliche Schule gegeben habe, existierten im mittelalterlichen Europa überhaupt keine öffentlichen Schulen, stattdessen nur Klosterschulen. Öffentliche, kostenlose Bäder und Theater wie im Imperium Romanum suchte man in den christlichen Staaten vergebens, sodass der Großteil der europäischen Bevölkerung unter mangelnder Hygiene litt und das kulturelle Leben auf den sonntäglichen Kirchgang reduziert worden sei. Bildung sei unter der "gottgegebenen" Herrschaft der Kleriker und Fürsten nicht nur vernachlässigt, sondern sogar als der Religion feindlich gegenüberstehend verurteilt und erstickt worden.

Resultiert sei eine materiell und geistig verarmte (Land-) Bevölkerung, die unter den feudalen Strukturen litt. Während Wirtschaft und Handel in der Antike geblüht hätten, sei die geringe Produktivität des mittelalterlichen Europa noch vom Klerus und den kirchlichen Einrichtungen verzehrt worden. Klöster seien wie Pilze aus dem Boden gesprossen und die unzähligen Mönche und Priester hätten von Zwangsabgaben und Frondiensten der Bevölkerung gelebt, ohne einen wirtschaftlichen oder kulturellen Beitrag zu leisten.

Als nicht zu vernachlässigenden weiteren Grund für den Verfall Europas nannte Bergmeier noch die religiös bedingte Abkapselung Europas vom wirtschaftlich und kulturell prosperierenden Großarabischen Reich, das sich über den südlichen Mittelmeerraum erstreckte. Der Außenhandel sei durch den religiös begründeten Hass der christlichen Geistlichen auf den Islam nahezu vollständig zum Erliegen gekommen.

Das offene Wort und seine Feinde

Gunnar SchedelGunnar Schedel, Autor und langjähriger Redakteur der vom IBKA herausgegebenen Zeitschrift MIZ, hat selbst schon einmal Erfahrung mit dem Gotteslästerungsparagraphen §166 StGB gemacht. Er definiere Grenzen der Religionskritik und baue somit ein Tabu auf. Aber was genau ist Religionskritik?

Um dies herauszufinden müsse das Verhältnis zwischen Kritik und Tabu näher beleuchtet werden. In jeder Gesellschaft gebe es gewisse "heilige" Personen, die nicht beleidigt werden dürfen. Dies habe nichts mit Religion zu tun, so Gunnar Schedel. Tabubrüche seien aber auch keine Selbstläufer. Denn manchmal könne daraus keine Diskussion entstehen, sondern der Tabubruch erlaube der herrschenden Macht, die Rechte der Unterdrückten noch weiter einzuschränken. Aufgrund der voranschreitenden Säkularisierung in Deutschland ist der Paragraph §166 1969 reformiert worden und die immer noch geltende Fassung beziehe sich nicht mehr auf "Gott". Stattdessen ziele der Paragraph darauf ab, die öffentliche Ordnung zu erhalten. Damit konnte er als "Repressionsinstrument im politischen Meinungskampf" eingesetzt werden, so Schedel. Während vor der Reform vereinzelt Künstler mit diesem Gotteslästerungsparagraphen in Konflikt geraten seien, würden nun eher viele Unbekannte dem Gesetz zum Opfer fallen, obwohl es schlussendlich zu wenigen Verurteilungen komme. Heutzutage habe der Paragraph an politischer Bedeutung verloren.

In den letzten Jahren wandere Religionskritik in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Dabei stehe der Islam, eine Minderheitenreligion, unter Beschuss. Während jahrelang klar gewesen sei, auf welcher Seite wir stehen, müssten nun die Grenzen neu gezogen werden. Denn die neue Religionskritik trage teilweise rassistische Elemente in sich, und auf der Gegenseite sei eine relevante Anzahl an fundamentalistischen Muslimen bereit, den öffentlichen Frieden zu stören. Dabei zeigte Gunnar Schedel ein Foto eines Pro-NRW Aktivisten, der eine Mohammed-Karikatur mit gestreckten Armen in den Händen hält. Dies Foto stammte von einer erst kürzlich stattgefundenen Salafisten-Demonstration.

Am Ende sei letztendlich auschlaggebend was Religionskritik bewirken solle. "Wenn sie wirklich der Befreiung des Individuums dient, darf Religionskritik eigentlich alles!", schloss Gunnar Schedel seinen Vortrag.

Blasphemy Laws

Michael NugentMichael Nugents Vortrag handelte von Blasphemiegesetzen und ihren Implikationen für die Gesellschaft. Seine Ausführungen waren motiviert von der Tatsache, dass sein Heimatland Irland der einzige westliche Staat sei, der ein Blasphemiegesetz im 21. Jahrhundert erlässt, wofür er Scham empfinde.

Solche Gesetze seien unsinnig und gefährlich zugleich. Das Mittelalter habe Gesetze gegen Blasphemie hervorgebracht, um die Gesellschaft vor dem Zorn Gottes zu schützen. Unter heutigen Erkenntnissen ergäben diese Bestimmungen keinen Sinn. Eine Schwierigkeit sei zudem, dass nie klar sei, wann diese Gesetze Anwendung finden. Die Gefahr, die davon ausgehe, zeigte Nugent an konkreten Beispielen auf. Dabei fokussierte er auf islamische Staaten, in denen das Gefahrpotential von Gesetzen gegen Gotteslästerung besonders hoch sei. So erwähnte er den Fall von Alexander Aan im islamischen Indonesien, der auf einer Facebook-Seite bekannt gab, Gott existiere nicht. Als Folge davon sei er angefeindet und attackiert worden. Nicht die Angreifer seien festgenommen worden, sondern Aan. Nugent lieferte weitere Beispiele aus Pakistan und Kuwait, die ebenfalls verdeutlichten, dass Islamkritiker sowohl durch Lynchjustiz als auch durch offizielle Durchsetzung gesetzlicher Bestimmungen bedroht seien.

Dass islamistische Kräfte versuchen, ihre Gesetze auch in westlichen Ländern durchzusetzen, wurde anhand seiner Schilderungen diverser Vorfälle in Europa und Amerika gezeigt. Beispielsweise sei die New York Times wegen angeblicher Beleidigung des Islam angegriffen worden, nachdem sie ein Bild mit dem Erzengel Gabriel und dem Propheten Mohammed veröffentlicht hatte. Signifikant sei, dass solche Forderungen stets mit der Gefahr von Gewaltanwendung einhergingen.

Michael Nugent schloss mit dem Plädoyer ab, eine Grenze zu ziehen zwischen dem Hass auf Individuen einerseits und Religionskritik auf der anderen Seite, die im Gegensatz zu Hass legitim sind.

Anne WeissNach den ersten vier Vorträgen des Tages fanden sich die Teilnehmer zum gemeinsamen Mittagessen im Restaurant zusammen. Im Anschluss führte die Autorin Anne Weiss als Moderatorin souverän durch den Nachmittag. Gemeinsam mit Stefan Bonner schrieb sie die Bücher "Generation Doof", "Doof it yourself" und zuletzt "Heilige Scheiße". In letzterem fragen beide, wozu wir Glaube, Religion und Kirche noch brauchen.

Kritisch interviewten sie Gläubige und Atheisten, Theologen und Wissenschaftler um eine Antwort auf die Frage zu finden: "Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?"

Atheistische Enzyklopädie: ATHEODOC

Paul SchulzIn dem Moment, als Paul Schulz seinen Vortrag begann, ging das Onlineportal ATHEODOC online. Es handelt sich dabei um eine atheistische Enzyklopädie, die er im Folgenden vorstellte.

Vorbild von ATHEODOC sei die Enzyklopädie von Denis Diderot, die geschaffen worden sei, um alle Menschen in einen Bildungsstand zu versetzen, sodass sie die Demokratie und ihre Prozesse verstehen. Das Portal solle, wie einst Diderots Werk die französische Aufklärung, die atheistische Aufklärung fördern. Diese verstehe er nicht so sehr als Freiheit, denken zu können, was man wolle, sondern vielmehr als "magnus consensus". Der magnus consensus müsse als demokratischer Erkenntnisprozess auf Basis naturwissenschaftlichen Denkens mit dem Zweck eines gemeinsamen Erkenntnisziels aufgefasst werden. Atheistisches Denken gründe immer auf einem Vernunftdenken. Keinesfalls dürfe der magnus consensus als autoritäres Dogma verstanden werden.

ATHEODOC sei in eineinhalb Jahren inhaltlicher Arbeit entstanden und bestehe aus 16 "Büchern". Dabei seien folgende drei zentrale Aspekte herauszustellen:

  • Jedes der Bücher thematisiert einen Wahrnehmungsbereich des menschlichen Denkens und
  • besteht aus Diskursen,
  • über die in einem Forum diskutiert werden kann.

Zusätzlich dazu würden aktuelle Themen behandelt und in regelmäßigen Abständen sogenannte Erkenntnisduelle veranstaltet, bei denen die zwei Duellanten ihre gegensätzlichen Positionen in Form von These und Antithese darstellen. Abschließend forderte er Michael Schmidt-Salomon, der im Publikum saß, heraus, mit ihm das erste Duell - zum Thema "Gibt es einen freien Willen?" - aufzunehmen. Schmidt-Salomon nahm die Einladung dankend an.

Atheismus in der Kunst

Joachim KahlJoachim Kahl, freier Philosoph und Schriftsteller, zeigte in seinem Vortrag "Atheismus in der Kunst", dass auch auf einer kognitiven Ebene Kunst plausibel gemacht werden kann. Ihre Deutung sei schlüssiger, man könne sie einleuchtender erklären, wenn man keinen Gott, keine höhere Gewalt voraussetze. Nicht zuletzt sei Atheismus in der Kunst eine Form der Religionskritik, ohne die säkularer Humanismus ärmer wäre. Heute wollte Joachim Kahl zwei herausragende Werke vorstellen: Ein Bild von Max Ernst, "Die Jungfrau züchtigt den Jesusknaben vor drei Zeugen" und das Gedicht von Bertolt Brecht "Gegen Verführung".

Das von dem großen Surrealisten Max Ernst 1926 geschaffene Bild "Die Jungfrau züchtigt den Jesusknaben vor drei Zeugen" hängt heute im Museum Ludwig in Köln, nicht weit von der Hauptattraktion der Stadt, dem Kölner Dom.

Es zeigt die Jungfrau Maria, welche mit hochgestrecktem Arm den nackten Jesusknaben mit dem Rücken zum Betrachter auf ihrem Knie liegen hat. Der nackte Hintern des Jesusknaben ist schon von mehreren Schlägen gerötet und sein Heiligenschein ist auf den Boden gefallen. Im Hintergrund stehen kulissenartige Hauswände. Auf der linken Seite betrachten drei Personen durch ein kleines Fenster das Geschehen.

Als es zum ersten Mal in einem Pariser Salon gezeigt worden sei, habe es einen Skandal ausgelöst. Nicht so sehr wegen der Züchtigungsszene und der Tatsache, dass der Jesusknabe blasphemisch-provokativ seinen nackten Hintern dem Betrachter ins Gesicht streckt, sondern weil Jesus' Heiligenschein auf den Boden gefallen sei. Wenn der Betrachter genauer hinsehe, würde er auch erkennen, dass der Künstler seinen Namen in den Heiligenschein hineingeschrieben habe, um ihn in dieser Weise einzurahmen. Das Bild sei sehr geometrisch aufgebaut, "Es ist viel mit dem Lineal gearbeitet worden", erläuterte Joachim Kahl. Dennoch sei die Geometrie nicht stimmig, gerade Linien und Kanten würden ins Leere führen. Maria, dargestellt als üppige Schönheit mit tiefem Dekolleté.

Mit seinem Bild, welches eine erfundene Episode aus Jesus' Leben darstellt, thematisiere Max Ernst das Gewaltpotential der christlichen Religion.

Bertolt Brecht, der das Gedicht "Gegen Verführung" in seiner "Sturm und Drang"-Zeit verfasste, sei das Gedicht sehr wichtig gewesen. So sehr, dass er es nicht nur mehrmals unter unterschiedlichen Titeln veröffentlicht, sondern auch empfohlen habe, dass es auf der Rückseite jeder Hauspostille gedruckt stehe. Das Gedicht, welches Brechts Schaffen wesentlich geprägt habe, illustriert den Zusammenhang zwischen Lebensgenuss und Lebenskampf. Er ermutige uns "Nein!" zu sagen zu falschem Trost, und verführe uns selbst zu einem tiefen "Ja!" zum Leben. Statt zu sagen, dass das Leben sinnlos sei, sage er, es sei "am größten". Er appelliere an den Lebensdurst, der in "vollen Zügen geschlürft" werden solle. "Aber", gab Joachim Kahl zu bedenken, "kann nur geschlürft werden, wenn es etwas Genießbares zum Trinken gibt". Daher sollten wir uns vor Ausbeutung und Verschleiß wahren. Letztendlich müsse auch eine materialistische Philosophie die tragische Realität diskutieren, auf der sie basiert. Atheismus könne nicht mit den Heilsversprechen und unerfüllten Vertröstungen aufwarten, die christliche Religionen zu bieten hätten. Daraus aber eine nihilistische Einstellung abzuleiten, sei verlogen. Der Tod, der nun mal jeden von uns ereilen würde, sei nicht nur trostlos, sondern auch trostreich: schließlich würden wir auch von allen Widrigkeiten des Lebens erlöst. "Bertolt Brecht empfiehlt Lebenslust ohne Lebenslüge", so schloss Joachim Kahl seinen Exkurs in die Welt der Künste.

Grußwort der Laizistinnen und Laizisten in der SPD

Ellen Kühl-MurgesEllen Kühl-Murges ist Mitglied des Bundessprecher/innen/kreises der Laizistinnen und Laizisten in der SPD.

Dass die strikte Trennung von Staat und Religion angesichts der Verpflichtung des Staates zu weltanschaulicher und religiöser Neutralität geboten sei, verdeutlichte sie durch Nennung des Artikel 4 des Grundgesetzes, wonach die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich seien. Jedoch werde die Neutralitätspflicht des Staates durch zahlreiche Privilegien, vor allem der beiden großen Kirchen, verletzt. Um auf die weltanschauliche Neutralität hinzuwirken, hätten sich Mitglieder der SPD zusammengefunden, um einen laizistischen Arbeitskreis zu gründen. Ein erheblicher Anteil an der Errungenschaft von aufgeklärter Staatsbildung in Deutschland sei schließlich der Sozialdemokratie zuzuschreiben. Dass dieses wertvolle sozialdemokratische Erbe von der Parteiführung der SPD nicht geschätzt werde, zeige die Tatsache, dass die Gründung eines offiziellen Arbeitskreises "Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten für die Trennung von Staat und Religion – Laizistinnen und Laizisten in der SPD" vom Parteivorstand einstimmig abgelehnt worden sei.

Die laizistische Bewegung in der SPD habe inzwischen 1500 Unterstützer, die für eine klare Trennung von Staat und Religion eintreten und die große Tradition des Humanismus, der Aufklärung und der Arbeiterbewegung der SPD pflegen. Ziel sei es, die Gruppe von der Basis her zu festigen und zu vergrößern und zugleich Kontakte zu säkularen Vereinigungen und Organisationen zu pflegen. Die Einladung der Laizistinnen und Laizisten in der SPD zur internationalen atheistischen Tagung mache deutlich, dass das Anliegen der Zusammenarbeit auf Gegenseitigkeit beruhe.

Zum Schluss betonte Kühl-Murges, wie wichtig ein weltanschaulich neutraler Staat für das friedliche und selbstbestimmte Zusammenleben der Menschen sei und motivierte das Publikum so, sich weiter für die Trennung von Staat und Religion einzusetzen.

God-Fixation Will Fix No Nation

Annie Laurie GaylorAnnie Laurie Gaylor, Co-Präsidentin der "Freedom From Religion Foundation" (FFRF), referierte über die Ziele und aktuellen Aktivitäten ihrer Stiftung.

Die Freidenkervereinigung FFRF, von Gaylor und ihrer Mutter 1979 ursprünglich als Opposition gegen religiöse Abtreibungsgegner gegründet, ist mit rund 18.000 Mitgliedern heute einer der größten säkularen Verbände der USA. Die FFRF betrachtet Religion als größtes Hindernis für moralischen, sozialen und wissenschaftlichen Fortschritt. Insbesondere in den USA ist dieser negative Einfluss der Religion deutlich zu sehen: Aufgrund der religiösen Indoktrination (insbesondere bei Kindern) hält z.B. die Hälfte der Bevölkerung die Evolutionstheorie für unwahr. Zentrale Forderung der FFRF ist daher die vollständige Trennung von Staat und Kirche: Keep dogma out of government!

Die Ablehnung von Atheismus und Atheisten ist in den USA erstaunlich hoch. Während die Sympathiewerte der meisten diskriminierten Minderheiten, Bevölkerungsgruppen, Glaubensgemeinschaften etc. in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen sind, werden Atheisten noch immer als das personifizierte Übel betrachtet. Der Grund hierfür laut Umfragen: Die meisten Amerikaner haben noch nie (bewusst) einen Atheisten gesehen. Die FFRF hat daher eine große Anzeigen-Kampagne gestartet, um dem Atheismus ein Gesicht zu verleihen: Mit Foto und einem Spruch ihrer Wahl präsentieren sich atheistische Menschen aus allen Gesellschaftsschichten der Öffentlichkeit: This is what an atheist looks like.

Neben der ausgedehnten säkularen Öffentlichkeitsarbeit agiert die FFRF gegen religiöse Einflussnahme auf staatliche Ebenen aktiv mit Verbandsklagen.

Gaylor informierte das erstaunte Publikum darüber, dass hinsichtlich religiöser Einflussnahme auf den Staat derzeit die katholische Kirche das größte Problem in den USA darstelle. Während die fundamentalistischen protestantischen Strömungen in viele unterschiedliche Gruppierungen zerfielen, trete die katholische Kirche als geschlossener Block auf. So sind derzeit sechs der neun Richter des Obersten Gerichts (Supreme Court) katholisch – und für ihre ultrakonservativen Ansichten und Entscheidungen bekannt.

Als Muslimin geboren und aufgewachsen - zur Atheistin geworden

Taslima NasrinTaslima Nasrin ist Menschenrechtsaktivistin und Schriftstellerin, die von Mut nur so strotzt und ihr Leben riskiert, um sich für die Rechte von Frauen in muslimischen Ländern einzusetzen. Dadurch hat sie international viel Anerkennung erhalten und ihre Arbeit ist mit zahlreichen Preisen und Ehrendoktortiteln gewürdigt worden. Heute war sie hier um ihre Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, die viele Facetten hat, aber vor allem ermutigend ist. Aber auch eine Geschichte von vielen Frauen, die leiden und systematisch unterdrückt werden. Denn Taslimas Leben begann wie das von vielen Mädchen in Bangladesch.

Sie wurde in eine muslimische Familie hineingeboren und wuchs in einem sehr konservativen Umfeld auf. So war es zum Beispiel in ihrer Kindheit verboten mit Jungen außerhalb ihrer Familie zu sprechen. Dort wo, sie aufgewachsen ist, gelten Frauen als minderwertig, und Gewalt an ihnen wird nicht als Verbrechen angesehen. Sie werden missbraucht, und die Täter werden nicht bestraft. Dabei hat Taslima Glück gehabt, denn ihr Vater war gebildet und arbeitete als Arzt in einem Krankenhaus. Er wollte, dass Taslima auch eine gute Ausbildung erhält, bevor sie heiratet. Als ihre Mutter ihr den Koran vermitteln wollte, verstand sie die Suren nicht, die ihre Mutter ihr vorlas. Wie konnte sie auch? Ihre Muttersprache ist bengalisch, der Koran war aber arabisch geschrieben. Erst einige Jahre später, als junges Mädchen, habe sie eine bengalische Ausgabe beschaffen können. Nachdem sie den Koran las, wurde sie Atheistin.

Taslima Nasrin studierte Medizin und begann schließlich in einem bengalischen Krankenhaus zu arbeiten. In ihrer Freizeit schrieb sie Poesie, in der sie häufig die Unterdrückung von Frauen thematisierte. Es dauerte nicht lange, bis ihre Bücher von der Regierung verboten wurden und Fundamentalisten Kopfgeld auf sie aussetzten. Bald randalierte auch ein wütender Mob vor ihrem Haus und verlangte ihre Exekution durch Erhängung. Anstatt dass die Regierung Maßnahmen gegen die Fundamentalisten ergriff, wurde ihr Reisepass konfisziert und sie wurde aufgefordert mit dem Schreiben aufzuhören, wenn sie ihren Job als Ärztin behalten wolle. Aber anstatt sich mundtot machen zu lassen, kündigte Taslima Nasrin ihre Arbeitsstelle im Krankenhaus und begann ihre Karriere als Schriftstellerin. Nachdem mehrere Fatwas von Fundamentalisten gegen sie ausgesprochen wurden, flüchtete sie nach Schweden. Doch im Westen möchte sie nicht leben, denn es ist nicht ihre Heimat. Nach einem 10-jährigen Exil zog sie nach Kolkata in Indien, wo sie drei Jahre lebte. Indien gilt als viert-gefährlichstes Land für Frauen. Auch dort würden Frauen als minderwertig betrachtet und seien häufig Opfer brutaler Verbrechen, von Vergewaltigung und Versklavung, ohne dass die Täter zur Rechenschaft gezogen würden. Auch hier formierten sich schnell Fundamentalisten, die ihre Bücher verbrennen und sie töten wollten. Im Jahr 2008 musste Taslima Nasrin das Land verlassen und lebt seitdem in Schweden.

Taslima Nasrin hat Hoffnung. Denn schließlich werden viele Irrtümer der Vergangenheit, die in Heiligen Büchern niedergeschrieben sind, von unserer heutigen Gesellschaft abgelehnt. So sei auch in der Bibel Sklaverei und Konkubinat erlaubt, was heutzutage per Gesetz verboten ist. Der Konflikt zwischen Säkularisten und Fundamentalisten wäre einer, der sich zwischen rationaler Logik und irrationalem blinden Glauben, zwischen Humanismus und Barbarei, zwischen Innovation und Tradition, zwischen denjenigen, die Freiheit schätzen und denjenigen die es nicht tun, abspielt.

In einem ist Taslima Nasrin sich sicher: diesen Konflikt will sie in der muslimischen Welt austragen und den Kampf für die Gleichstellung der Frau bis zu ihrem Tod weiterführen.

Willkommen in der Matrix - Auch Dummheit will gelernt sein!

Michael Schmidt-SalomonMichael Schmidt-Salomon erörterte Ursachen der kollektiven Dummheit, die er als die große Konstante der menschlichen Geschichte ansieht, und schlug Auswege aus dieser Misere vor.

Das Problem manifestiere sich nicht etwa in der Dummheit einzelner Individuen, sondern müsse als Irrsinn ganzer Gruppen und Völker interpretiert werden. Als "Gefangene der kulturellen Matrix" sei es uns im Normalfall nur dann möglich, diese unsinnigen Denkstrukturen als solche zu erkennen, wenn wir sie mit ausreichendem räumlichen oder zeitlichen Abstand betrachteten. Sie seien als der Hauptgrund für den hohen politischen Einfluss religiöser (bzw. "religiotischer") Kräfte aufzufassen.

Die Erklärung für das Phänomen der kollektiven Dummheit müsse im perfekten Nachahmungsverhalten des Menschen gesucht werden, was im Kindesalter von entscheidender Bedeutung sei. In einem Kurzfilm wurde ein Experiment beschrieben, bei dem sowohl Schimpansen als auch Kindern ein spezieller Kasten vorgelegt wurde, aus dem bei richtiger Handhabung eine Süßigkeit entnommen werden konnte. Beiden Gruppen wurden die nötigen Handgriffe zunächst präsentiert, und beide Gruppen führten den Ablauf aus, um an die Belohnung zu gelangen. Danach wurde eine transparente Version des gleichen Kastens zur Verfügung gestellt. Sie ließ eindeutig erkennen, dass ein Großteil der Handgriffe nicht nötig war, um die Süßigkeit zu erhalten. Während die Schimpansen dies erkannten und nur noch die notwendigen Bewegungen ausführten, ahmten die Menschenkinder auch alle unnötigen Handgriffe weiterhin nach.

Dieses perfekte Imitationsverhalten, das unabhängig vom Kulturkreis durchgehend beobachtet werden könne, sei laut Schmidt-Salomon eine entscheidende Eigenschaft, die den Menschen von anderen Tieren unterscheide. Dieser Verhaltensweise liege eine gewisse Ambivalenz zu Grunde: Auf der einen Seite sei sie Voraussetzung für die Weitergabe von sozialen Lernerfahrungen, wodurch erst das Erlernen komplexer Kulturtechniken wie des Lesens, Schreibens und Rechnens, sowie darauf aufbauender Konzepte ermöglicht werde. Auf der anderen Seite führe diese Eigenschaft aber auch zur Imitation von Irrtümern, da evolutionär bedingt auf die Richtigkeit der Aussagen der jeweiligen Bezugspersonen vertraut werde. Alle Kulturen, die der Mensch hervorbrachte, hätten großen Wert darauf gelegt, ihren Nachwuchs möglichst früh nach dem eigenen Bilde zu formen. So sei es auch kein Wunder, dass selbst die unsinnigsten religiösen Vorstellungen breite Anerkennung fänden, zumal mit der systematischen religiösen Erziehung bei wehrlosen Kindern früh begonnen werde.

Als unhaltbar prangerte Schmidt-Salomon den Umstand an, dass mit der religiösen, kreationistischen Indoktrination oft schon im Kindergarten begonnen werde, während die wissenschaftlich überprüfbare Tatsache der Evolution in der Regel erst in der zehnten Schulklasse behandelt werde. Damit das religionsfreie, aufgeklärte Denken eine Zukunftsperspektive haben könne, müsse Einfluss gewonnen werden auf die Kopierprogramme, die das Denken, Empfinden und Handeln der Menschen von klein auf prägen. Denn würden Kinder von Anfang an lernen, Vorgegebenes kritisch zu hinterfragen, hätten "religiotische Hirnwürmer" in ihren Köpfen keine großen Überlebenschancen. Ferner sehe er keine Perspektive darin, im Sinne eines puren Atheismus Glaubensvorstellungen bloß zu negieren. Eine säkulare Perspektive ergebe sich erst, wenn aus der Negation eine Position werde, nämlich die positiven Inhalte von Humanismus und Aufklärung.

Da es bisher an einer Übersetzung der säkular-humanistischen Antworten in eine kindgerechte Sprache fehle, entwickle die Giordano-Bruno-Stiftung Ansätze, bereits Grundschulkindern das kritische Denken und im Speziellen die Evolutionstheorie näherzubringen, z.B. mit dem Projekt "EvoKids – Evolution in der Grundschule". Ferner solle das Aushandeln ethischer Werte im Mittelpunkt des schulischen Werteunterrichts stehen, weil sie nicht vorgegeben seien und absolute, religiöse Werte nicht allgemeinverbindlich für die gesamte (auch nichtreligiöse und andersgläubige) Gesellschaft gelten könnten.

Abschließend rief Michael Schmidt-Salomon dazu auf, die Voraussetzungen zu schaffen, dass die "Macht der Doofen" gebrochen werden könne. Eines sei klar: "Nicht nur Dummheit – auch Klugheit will gelernt sein!"

Die Atheistische Perspektive – Bericht 3. Teil

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alle Fotos © Evelin Frerk