Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Ethikunterricht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

BVerwG 6 C 11.97
VGH 9 S 1126/95

Verkündet
am 17. Juni 1998
Klebba
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle


In der Verwaltungsstreitsache

1. des Herrn Joachim Neumann,
2. der Frau Ursula Neumann,
3. des Herrn Prof. Dr. Johannes Neumann,
...,

Kläger, Berufungskläger, und Revisionskläger,

- Prozeßbevollmächtigter:
Prof. Dr. Ludwig Renck,
... -

gegen

das Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Oberschulamt Freiburg, Eisenbahnstraße 68, 79098 Freiburg,

Beklagten, Berufungsbeklagten und Revisionsbeklagten,

Beteiligter:

Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht,

hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 17. Juni 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Niehues, die Richter Albers, Dr. Henkel, die Richterin Eckertz-Höfer und den Richter Büge

für Recht erkannt:

Das in der Hauptsache erledigte Verfahren der Kläger zu 2 und 3 wird eingestellt. Die Urteile des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 8. März 1995 und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 1. Juli 1997 sind hinsichtlich der Kläger zu 2 und 3 wirkungslos.

Die Revision des Klägers zu 1 gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 1. Juli 1997 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen das Fach Ethik für nicht am Religionsunterricht teilnehmende Schüler in Baden-Württemberg als ordentliches Unterrichtsfach vorgeschrieben werden darf.

Der inzwischen 18 Jahre alte Kläger zu 1, Sohn der Kläger zu 2 und 3, besucht das Hans-Furler-Gymnasium (HFG) in Oberkirch. Am Religionsunterricht nimmt er nicht teil. Seit dem Schuljahr 1993/94 mußte der Kläger zu 1 den ab der 9. Klasse eingerichteten Ethikunterricht besuchen. Derzeit besucht er die 13. Klasse seines Gymnasiums und wird den Grundkurs im Fach Ethik voraussichtlich mit der Abiturnote "sehr gut" abschließen. Der Ethikunterricht beruht auf § 100 a des baden-württembergischen Schulgesetzes. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:

§ 100 a
Ethikunterricht

(1) Für Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, wird das Fach Ethik als ordentliches Unterrichtsfach eingerichtet.

(2) Ethikunterricht dient der Erziehung der Schüler zu verantwortungs- und wertbewußtem Verhalten. Sein Inhalt orientiert sich an den Wertvorstellungen und den allgemeinen ethischen Grundsätzen, wie sie in Verfassung und im Erziehungs- und Bildungsauftrag des § 1 niedergelegt sind. Der Unterricht soll diese Vorstellungen und Grundsätze vermitteln sowie Zugang zu philosophischen und religionskundlichen Fragestellungen eröffnen.

(3) Das Ministerium für Kultus und Sport stellt bei Vorliegen der personellen und sachlichen Voraussetzungen durch Rechtsverordnung fest, ab welchem Zeitpunkt der Unterricht im Fach Ethik in den einzelnen Schularten und Klassen zu besuchen ist.

Mit Schreiben vom 1. März 1994 wandten sich die Kläger gegen die Verpflichtung des Klägers zu 1 zur Teilnahme am Ethikunterricht. Sie führten aus, die Einführung dieses Unterrichts als ordentliches Lehrfach sei verfassungswidrig, weil er als Ersatzfach nur für solche Schüler vorgesehen sei, die keinen Religionsunterricht besuchten. Der Ethikunterricht stelle damit eine Strafmaßnahme gegen die Ausübung des Grundrechts dar, den schulischen Religionsunterricht nicht zu besuchen. Dieser Strafcharakter werde besonders deutlich dadurch, daß die Lehrkräfte für den Ethikunterricht nicht qualifiziert seien und in diesem Fach - anders als im Religionsunterricht - auch ein Leistungskurs nicht belegt werden könne.

Mit Bescheiden vom 3. März und vom 28. April 1994 wies der Schulleiter der Schule die Kläger auf die Pflicht zum Besuch des Ethikunterrichts hin. Ein Ausnahmefall, der eine Befreiung von diesem Unterricht erlaube, liege nicht vor. Den Bescheiden war eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt. Die Kläger erhoben unter dem 19. März und dem 12. Mai 1994 Widerspruch. Über den Widerspruch hat das Oberschulamt Freiburg nicht förmlich entschieden.

Mit ihrer am 23. Juni 1994 erhobenen Klage beantragten die Kläger, die Bescheide vom 3. März und vom 28. April 1994 aufzuheben sowie das beklagte Land zu verpflichten, den Kläger zu 1 von der Teilnahme am Ethikunterricht zu befreien. Die Kläger machten dazu geltend, § 100 a bwSchulG verstoße gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1, 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 Satz 1, 7 Abs. 2, 33 Abs. 3 Satz 2 GG sowie gegen Art. 136, 137 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 8. März 1995 ab (NVwZ 1996, 507 ff.).

Die Berufung, mit der die Kläger zuletzt sinngemäß beantragt haben, festzustellen, daß der Kläger zu 1 nicht verpflichtet sei, den Ethikunterricht am Hans-Furler-Gymnasium Oberkirch zu besuchen, und hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, den Kläger zu 1 von der Teilnahmepflicht am Ethikunterricht zu befreien, hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 1. Juli 1997 (vgl. NVwZ 1998, 309 ff. = VBlBW 1998, 15 ff.) zurückgewiesen. Er hat § 100 a bwSchulG für verfassungsgemäß angesehen. Ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1, 7 Abs. 2 (in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG), 3 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs, 2 GG liege nicht vor. Den Grundrechten der Kläger stehe der aus Art. 7 Abs. 1 GG zu folgernde staatliche Erziehungsauftrag gegenüber, der umfassend und den Grundrechten der Kläger gleichgeordnet sei. Es sei Aufgabe des Landesgesetzgebers, die unterschiedlichen Positionen zu einem Ausgleich zu führen. § 100 a bwSchulG stelle einen angemessenen Ausgleich dar. Art. 7 Abs. 2 GG begründe zudem nur ein Recht zur Abmeldung vom Religionsunterricht, äußere sich jedoch zum Ethikunterricht nicht. Die Einrichtung dieses Unterrichts bedeute im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG keine diskriminierende Benachteiligung, sondern die Herstellung von Pflichtengleichheit für die Schüler, die auf Grund ihrer Teilnahmeentscheidung den Religionsunterricht besuchen müßten, und diejenigen, die dieser Pflicht nicht unterlägen.

Mit ihrer Revision vertiefen die Kläger ihr bisheriges Vorbringen: Der obligatorische Ethikunterricht als Ersatz für einen konfessionellen Bekenntnisunterricht nach baden-württembergischem Schulrecht sei verfassungswidrig. Die gesetzliche Regelung stehe in Widerspruch insbesondere zu Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG und zu Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Hielte man die Regelung für verfassungsgemäß, so werde jedenfalls ihr Vollzug auf untergesetzlicher Ebene den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen Ersatzunterricht nicht gerecht. Der Landesgesetzgeber dürfe "Ethik" als ordentliches, d.h. für alle Schüler obligatorisches Lehrfach oder als Wahlfach einführen. Dies sei allerdings nur dann zulässig, wenn es sich hierbei um einen bekenntnisungebundenen Unterricht handele, der keinen Wahrheits- und Geltungsanspruch für die vermittelten Inhalte fordere. Der Gesetzgeber dürfe aber nicht Ethikunterricht zum Ersatzfach für Religionsunterricht machen. Eine auf Teilnehmer am Bekenntnisunterricht beschränkte Befreiungsmöglichkeit vom Ethikunterricht sei sachwidrig und willkürlich. Denn beide Unterrichtsfächer seien nach Thematik, Unterrichtsgegenstand, Erziehungsziel und Lehrverantwortung nicht vergleichbar. Jedenfalls sei das Fach Ethik dem Religionsunterricht in der Schule auch in tatsächlicher Hinsicht nicht gleichgestellt. Die curriculare Minderbewertung und Minderausstattung des Ethikunterrichts im Verhältnis zum Bekenntnisunterricht und die fehlende universitäre Ausbildung der Lehrer in diesem Fach gäben ihm den Charakter einer Beschäftigungstherapie. Solange der tatsächlich erteilte Ethikunterricht in seiner erforderlichen Qualität und Ausstattung kein dem Religionsunterricht vergleichbares ordentliches Lehrfach sei, bestehe auch keine Rechtspflicht zur Teilnahme.

Im Hinblick auf die nach Verkündung des berufungsgerichtlichen Urteils eingetretene Volljährigkeit des Klägers zu 1 haben die K1äger zu 2 und 3 die Erledigung der Hauptsache erklärt. Dem hat sich der Beklagte angeschlossen.

Der Kläger zu 1 beantragt,

unter Aufhebung der Urteile des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 8. März 1995 und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 1. Juli 1997 festzustellen, daß er nicht verpflichtet ist und war, am Ethikunterricht des Hans-Furler-Gymnasiums in Oberkirch teilzunehmen.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, und verteidigt das angefochtene Urteil.

Er hält es für verfassungsrechtlich zulässig, daß der Gesetzgeber in § 100 a bwSchulG Ethikunterricht nur für nicht am Religionsunterricht teilnehmende Schüler vorsehe. Im übrigen liege im Ermessen des Landes, wie es die Ausgestaltung des Faches Ethik im Verhältnis zu anderen Unterrichtsfächern bestimme. Ethiklehrer würden in Fortbildungsveranstaltungen hinreichend ausgebildet. Tatsächlich hätten sich nur besonders engagierte und interessierte Lehrerinnen und Lehrer bereit erklärt, dieses Fach zu unterrichten.

Der Oberbundesanwalt beteiligt sich an dem Verfahren. Er verteidigt ebenfalls das angefochtene Urteil. In Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie und dem Bundesministerium des Innern trägt er vor, daß mit der Befreiung religiös gebundener Schüler vom Ethikunterricht keine Rechtsungleichheit geschaffen, vielmehr die auch im Religionsunterricht vermittelte Unterweisung in der Ausrichtung des Handelns an sittlichen Grundsätzen berücksichtigt werde. § 100 a bwSchulG vermeide ein Bildungsdefizit für die nicht am Religionsunterricht teilnehmenden Schüler.

II.

Das Klageverfahren hinsichtlich der Kläger zu 2 und 3 ist einzustellen. Diese Kläger haben ihre Klage für erledigt erklärt. Der Beklagte hat sich der Erledigungserklärung angeschlossen. Eine Sachprüfung hat demgemäß zu unterbleiben. Die Urteile des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 5. März 1995 und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 1. Juli 1997 werden hinsichtlich der Kläger zu 2 und 3 für wirkungslos erklärt (vgl. § 92 Abs. 3 VWGO, § 269 Abs. 3 ZPO).

III.

Die Revision des Klägers zu 1 ist zulässig, aber unbegründet. Als Schüler eines baden-württembergischen Gymnasiums ist und war der Kläger verpflichtet, den obligatorischen Ethikunterricht seiner Schule zu besuchen.

Diese Verpflichtung hat das Berufungsgericht in Anwendung irrevisiblen Landesrechts festgestellt. Die dabei zugrunde gelegte Rechtsgrundlage hält bundesverfassungsrechtlicher Prüfung stand. § 100 a Abs. 1 des baden-württembergischen Schulgesetzes - bwSchulG - i.d.F. vom 1. August 1983 (GBl S. 397), dieses zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. Dezember 1997 (GBl S. 535), ist mit dem Grundgesetz, vor allem mit Art. 4 Abs. 1 und 2, 7 Abs. 1, 2 und 3 GG und Art 3 Abs. 1 und 3 Satz 1 GG, vereinbar.

Allerdings ist - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - eine verfassungskonforme Auslegung und Anwendung des § 100 a bwSchulG dahin gehend möglich und erforderlich, daß Ethikunterricht nur als ein dem Fach Religion inhaltlich und organisatorisch gleichwertiges Fach eingerichtet und unterrichtet werden darf. Soweit der untergesetzliche Vollzug in Baden-Württemberg dem Ergebnis der gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 100 a bwSchulG widerspricht, beeinträchtigt dies die hier geltend gemachten Rechte des Klägers zu 1 nicht.

1. Das Land Baden-Württemberg ist von Verfassungs wegen nicht gehindert, überhaupt ein hier als Ethikunterricht bezeichnetes Fach mit dem Ziel einzuführen, alle Schüler in vergleichbarer Weise zu verantwortungs- und wertbewußtem Verhalten zu erziehen. Dazu ermächtigt Art. 7 Abs. 1 GG in Verbindung mit landesrechtlichen Vorschriften. Art. 7 Abs. 1 GG regelt nicht nur die Aufsicht des Staates über das gesamte Schulwesen. Vielmehr ist ihm auch das umfassende Recht zur Gestaltung des Schulwesens zu entnehmen. Das betrifft zum einen die organisatorische Gliederung der Schule. Es betrifft zum anderen auch die Festlegung der Unterrichtsziele und der Ausbildungsgänge, die dem Schulunterricht vorgegeben sind (vgl. BVerfGE 34, 165, 182; 41, 29, 44; 47, 46, 71 f.; 52, 223, 236; 53, 185, 196; 59, 360, 377). Dabei legt das Grundgesetz diese Inhalte nicht im einzelnen fest, sondern gewährt - auch aus bundesstaatlichen Gründen - bei der Bestimmung der Unterrichtsziele als Erziehungsziele und des Unterrichtsstoffes eine weitgehende Gestaltungsfreiheit (Urteil vom 29. Juni 1957 - BVerwG II C 105.56 - BVerwGE 5, 156 = Buchholz 11 Art. 6 Nr. 2, Beschlüsse vom 13. März 1973 - BVerwG VII B 107.71 - und vom 30. Mai 1973 - BVerwG VII B 25.72 - Buchholz 11 Art. 7 Abs. 1 Nrn. 15 und 17). So darf der Staat verbindliche Pflichtfächer für alle Schüler festlegen (BVerWGE 64, 308, 312). Ihm steht daher auch eine Befugnis zur Schaffung neuer Unterrichtsfächer und damit neuer Bildungsinhalte zu. Diese Grundsätze sind nicht umstritten. Auch die Revision geht von ihnen aus.

Die staatliche Gestaltungsfreiheit besteht auch, sofern mit dem schulischen Unterricht eine "wertgebundene" Erziehung nicht nur verbunden, sondern gerade beabsichtigt wird. Dazu zählt auch der schulische Ethikunterricht. Inhalt und Ziel dieses Faches ist die schulische und fachpädagogisch vermittelte Erziehung der Schüler zu "verantwortungs- und wertbewußtem Verhalten", wie es § 100 a Abs. 2 bwSchulG umschreibt. Damit werden verfassungslegitime Ziele verfolgt, da das Grundgesetz als wertgebundene Ordnung verstanden werden muß (so das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung, vgl. nur BVerfGE 49, 24, 56; 39, 1; 36, 41, 65; 7, 198, 205). Bereits hieraus ergibt sich, daß der Lehr- und Erziehungsauftrag der Schule nicht darauf beschränkt ist, Wissensstoff zu vermitteln. "Dieser Auftrag des Staates, den Art. 7 Abs. 1 GG voraussetzt, hat vielmehr auch zum Inhalt, das einzelne Kind zu einem selbstverantwortlichen Mitglied der Gesellschaft heranzubilden" (BVerfGE 47, 46, 72). Dem entspricht es, daß das staatliche Schulwesen sich auch der Erziehung der Schüler in ethischen Fragen annehmen darf (vgl. auch BVerfG, Beschluß vom 15. September 1987 - 1 BvR 967 und 1102/87 - unveröff. Kammerentscheidung zum Ethikunterricht in Bayern). Auch ein Staat, der die Glaubensfreiheit umfassend gewährleistet und sich damit selber zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichtet, kann die kulturell vermittelten und historisch verwurzelten Wertüberzeugungen und Einstellungen nicht abstreifen, auf denen der gesellschaftliche Zusammenhalt beruht und von denen auch die Erfüllung seiner eigenen Aufgaben abhängt. Die Überlieferung der insoweit maßgeblichen Denktraditionen, Sinnerfahrungen und Verhaltensmuster kann dem Staat nicht gleichgültig sein. Das gilt in besonderem Maß für die Schule, in der die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft vornehmlich tradiert und erneuert werden (vgl. BVerfGE 93, 1, 22). Ob darüber hinaus auch eine entsprechende staatliche Verpflichtung besteht, wie das erstinstanzliche Gericht erwogen hat, bedarf keiner Entscheidung.

Damit ist allerdings nicht gesagt, da8 die Ziele eines Ethikunterrichts nur in einem gesondert dafür eingerichteten Unterrichtsfach erreicht werden könnten. Auch vor Einrichtung eines derartigen Faches wurden im Schulunterricht ethische Fragen behandelt, jedoch nur als Teil und im Zusammenhang mit anderen Schulfächern. In Betracht hierfür kamen am Gymnasium schon immer die Schulfächer Deutsch, Geschichte, Philosophie, Gemeinschaftskunde und Biologie, aber auch andere. Verfassungsrechtlich ist ein besonderes Fach Ethik gleichwohl nicht zu beanstanden und hält sich im Rahmen der durch Art. 7 Abs. 1 GG begründeten Gestaltungsfreiheit.

2. Die Ausgestaltung des Ethikunterrichts in § 100 a Abs. 2 bwSchulG verstößt auch inhaltlich nicht gegen das Grundgesetz. Das gilt namentlich für das Recht des einzelnen Schüler auf Glaubens- und Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie seines Rechts auf allgemeine Entfaltungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG. Auch das elterliche Erziehungsrecht des Art. 6 Abs. 2 GG wird durch die gesetzlichen Zielvorgaben des baden-württembergischen Ethikunterrichts nicht grundgesetzwidrig zurückgedrängt.

2.1 § 100 a Abs. 2 bwSchulG greift in den Schutzbereich der durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleisteten Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht ein. Insoweit ist das Berufungsgericht, das von einem - wenn auch gerechtfertigten - Eingriff ausgeht, in seiner rechtlichen Beurteilung zu korrigieren.

2.1.1 Art. 4 Abs. 1, 2 GG gestattet nur einen glaubens- und bekenntnisneutralen Ethikunterricht. Er verbietet jede staatliche Indoktrination. Er schützt die Freiheit, keinen Glauben oder kein Bekenntnis zu haben, und darüber hinaus die Freiheit, sein Leben nicht nach bestimmten, der eigenen Überzeugung widersprechenden Glaubens- und Bekenntnisinhalten ausrichten zu müssen (vgl. BVerfGE 32, 98, 106). Dem entspricht ein grundgesetzliches Gebot staatlicher religiös-weltanschaulicher Neutralität. Dieses ergibt sich auch aus einer Zusammenschau der Garantie der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit in Art. 4 GG, dem Verbot der Staatskirche in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 1 WRV, der damit angeordneten Trennung von Staat und Kirche und schließlich aus dem Verbot der Diskriminierung aus religiösen Gründen nach Art, 3 Abs. 3 Satz 1 und 33 Abs. 3 GG (vgl. von Campenhausen, HdbStKirchR T 1994, § 2, 47, 77).

2.1.2 Die landesgesetzliche Regelung des § 100 a Abs. 2 bwSchulG sieht einen Unterricht in dem Fach Ethik vor, der weltanschaulich und religiös neutral ist. Der Ethikunterricht hat der Erziehung der Schüler zu verantwortungs- und wertbewußtem Verhalten zu dienen. Hierzu hat sich sein Inhalt an den Wertvorstellungen und den allgemeinen ethischen Grundsätzen auszurichten, wie sie in Verfassung und im Erziehungs- und Bildungsauftrag des § 1 des Schulgesetzes näher niedergelegt sind. Der Unterricht soll diese Vorstellungen und Grundsätze vermitteln sowie den Zugang zu philosophischen und religionskundlichen Fragestellungen eröffnen. Diese allgemeinen Zielsetzungen des Unterrichts umfassen nicht einen an religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnissen ausgerichteten Ethikunterricht. Dem Landesgesetzgeber geht es um einen Ethikunterricht, der einen Wahrheits- und Geltungsanspruch bestimmter ethischer oder weltanschaulicher Richtungen nicht behauptet und insbesondere keinen Absolutheitsanspruch erhebt. Vielmehr sieht § 100 a Abs. 2 bwSchulG die Vermittlung ethischer Vorstellungen und Grundsätze in ihrer pluralistischen Vielfalt vor. Der auf Pluralismus gründende Staatsgedanke schließt seinerseits einen ethischen Minimalkonsens nicht aus, sondern setzt diesen als Bedingung des Zusammenhalts des Gemeinwesens voraus. Das Gesetz will lediglich den Zugang zu den dafür maßgeblichen philosophischen und religionskundlichen Fragestellungen fördern.

Das stimmt mit grundgesetzlichen Prinzipien überein. Das Grundgesetz legt sich auf keinen bestimmten "ethischen Standard" im Sinne eines Bestandes von bestimmten weltanschaulichen Prinzipien fest. Der ethische Standard des Grundgesetzes ist vielmehr "die Offenheit gegenüber dem Pluralismus weltanschaulich-religiöser Anschauungen angesichts des Menschenbildes, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung bestimmt ist. In dieser Offenheit bewährt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität" (BVerfGE 41, 29, 50). Geht es um die nach dem Grundgesetz und seinem Menschenbild für das Zusammenleben essentiellen und unerläßlichen Grundwerte, erlaubt das Grundgesetz allerdings in diesen Fragen einen Unterricht mit verbindlichen Aussagen, wenn es ihn im Sinne des Erhalts der eigenen Geltungsbedingungen nicht sogar nahelegt. Dies wird aber auch von der Revision nicht in Frage gestellt. Es stellt dies zudem auch keine Besonderheit eines speziellen Ethikunterrichts dar.

Ein Verstoß gegen das Gebot staatlicher Neutralität liegt auch nicht darin, daß die Erziehungsziele des § 1 bwSchulG, auf die § 100 a Abs. 2 bwSchulG Bezug nimmt, die Verpflichtung enthalten, die Schüler in staatlichen Schulen "in Verantwortung vor Gott, im Geiste christlicher Nächstenliebe" zu erziehen. Hieraus folgt keine spezifische religiöse Prägung des Faches Ethik. Denn daneben und gleichberechtigt stehen andere ethisch fundierte Erziehungsziele wie Menschlichkeit, Friedensliebe, Achtung der Würde und der Überzeugung anderer, sittliche; soziale und politische Verantwortlichkeit. Der positive Bezug auf Elemente christlicher Religionen ist in diesem Zusammenhang einschränkend dahin zu verstehen, daß er den prägenden Kultur- und Bildungswert der christlichen Religionen, nicht aber christliche Glaubenswahrheiten und ein entsprechendes Bekenntnis als Erziehungsziel meint.

Diese Auslegung des Landesrechts durch das Berufungsgericht, die im Revisionsverfahren zugrunde zu legen ist, (vgl. § 137 Abs. 1, § 173 VwGO, § 562 ZPO), stimmt - für sich gesehen - mit dem Grundgesetz überein. Der Staat ist auch von Verfassungs wegen nicht gehalten, auf jegliche christlichen Bezüge in der Schule zu verzichten. Die überragende Prägekraft des christlichen Glaubens und der christlichen Kirchen als Quelle und Überlieferung breit anerkannter Wertüberzeugungen muß er nicht distanziert verschweigen (vgl. BVerfGE 93, 1, 22). Untersagt ist ihm dagegen eine "missionarische" und die Verbindlichkeit christlicher Glaubensinhalte beanspruchende Schule (BVerfGE 41, 29, 51; 41, 65, 85 f.). Die staatliche Schule darf und muß Raum für eine sachliche Auseinandersetzung auch mit christlichen Glaubensinhalten bieten. Weder aus der positiven oder negativen Bekenntnisfreiheit noch aus dem Gebot staatlicher Neutralität folgt ein Anspruch, in der Schule von der Konfrontation mit christlichen Glaubensinhalten überhaupt verschont zu bleiben. Den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG würde, die gesetzliche Einführung und Ausgestaltung eines Ethikunterrichts erst dann berühren, wenn er von vornherein nicht bekenntnis- und weltanschauungsneutral angelegt wäre. Dies ist, wie dargelegt, durch die gesetzliche Regelung weder intendiert noch begünstigt. Auch der entsprechende Lehrplan bestätigt die berufungsgerichtliche Auslegung des § 100 a Abs. 2 bwSchulG (vgl. "Bildungsplan für das Gymnasium", Kultus und Unterricht 1994, S. 37 f., 297 ff.)

2.2 § 100 a Abs. 2 bwSchulG ist auch mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar. Aus dem Recht des einzelnen Schülers aus Art. 2 Abs. 1 GG auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit folgt nicht, daß er einen Ethikunterricht mit dem durch § 100 a Abs. 2 bwSchulG vorgegebenen Inhalt nicht besuchen müßte.

Art. 2 Abs. 1 GG gewährt die allgemeine Handlungsfreiheit in einem umfassenden Sinne. Jede beschränkende Norm muß formell und materiell mit der Verfassung im Einklang stehen (vgl. BVerfGE 80, 137, 152 ff.; 6, 32, 36 ff.) In materieller Hinsicht bietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im wesentlichen den Maßstab, nach dem die allgemeine Handlungsfreiheit eingeschränkt werden darf (vgl. BVerfGE 80, 137, 153; 75, 108, 154 f.). § 100 a Abs. 2 bwSchulG entspricht diesen Anforderungen. Der Ethikunterricht verfolgt, wie dargelegt, verfassungslegitime Ziele, ohne durch seinen Inhalt den einzelnen Schüler übermäßig oder auch nur mehr als andere schulische Pflichtfächer zu belasten oder in seiner Entfaltungsfreiheit unzumutbar einzuschränken.

2.3 Auch das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG steht dem mit dem Ethikunterricht verfolgten Erziehungsziel nicht entgegen.

Der Staat kann in der Schule grundsätzlich unabhängig von den Eltern eigene Erziehungsziele verfolgen. Der allgemeine Auftrag der Schule zur Bildung und Erziehung der Kinder ist dem Elternrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet. Weder dem Elternrecht noch dem Erziehungsauftrag des Staates kommt ein absoluter Vorrang zu (vgl. BVerfGE 41, 29, 44; 47, 46, 72; 52, 223, 236). Die individuelle und individualisierende Erziehung zu verantwortungs- und wertbewußtem Verhalten gehört allerdings in erster Linie zu dem natürlichen Recht der Eltern im Sinne des Art. 6 Abs. 2 GG. Schulischer Ethikunterricht schließt indes elterliche Moralerziehung - auf welcher weltanschaulichen oder religiösen Grundlage sie auch immer erfolgen mag - keineswegs aus, sondern ergänzt sie. So hat die Schule Möglichkeiten der Unterrichtung, die über das im Elternhaus Vermittelbare hinausgehen können. Die gesellschaftlichen und historischen Bezüge ethischer Fragestellungen können in aller Regel in der Schule sachkundiger, wissenschaftlich fundierter und pädagogisch zielgerichteter vermittelt werden. Etwaige Kollisionen mit dem elterlichen Erziehungsrecht wären wegen der Befugnis des Staates zur Einrichtung eines derartigen Unterrichts und wegen des hohen Ranges der beschriebenen Erziehungsaufgabe für die Bewährung der Grundlagen eines weitgebundenen demokratischen Gemeinwesens zugunsten des staatlichen Erziehungsauftrags zu lösen.

3. § 100 a Abs. 1 bwSchulG sieht Ethikunterricht nur für solche Schülerinnen und Schüler vor, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Auch diese Pflicht ist nach Inhalt und gesetzlicher Ausgestaltung von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

3.1 Die Beachtung des Gleichbehandlungsgebotes verwehrt es dem Landesgesetzgeber nicht, für das Unterrichtsfach Ethik ein anderes Fach als Alternative vorzusehen. Die darin liegende Wahlmöglichkeit hat dem Grundsatz der Gleichwertigkeit hinsichtlich der mit diesen Fächern verfolgten allgemeinen Erziehungs- und Bildungsziele und ihrer für den Schulerfolg maßgeblichen Ausgestaltung zu entsprechen, die in den Einzelheiten dem erziehungs- und bildungspolitischen Gestaltungsermessen des Gesetzgebers obliegt. Das Kriterium der Gleichwertigkeit läßt dabei Raum für sachlich vertretbare Differenzierungen. Da der Gesetzgeber das Fach Religion bei Einführung des Ethikunterrichts als durch das Grundgesetz vorgegeben (Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG) vorfand, mußte er das neue Fach Ethik aber zu einem dem Religionsunterricht in dem zuvor genannten Sinne gleichwertigen Fach ausgestalten, wenn er die am Religionsunterricht teilnehmenden Schüler von der Pflicht zur Teilnahme am Ethikunterricht befreien wollte.

3.2 Der Landesgesetzgeber wäre nicht gehindert, Ethikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler vorzusehen und in Kauf zu nehmen, daß die am Religionsunterricht teilnehmenden Schüler im Verhältnis zu den anderen Schülern zusätzliche Schulstunden haben. Andererseits ist er aber auch nicht gehindert, die Fächer Ethik und Religion von den Erziehungszielen her als gleichwertig einzustufen und, wie dies § 100 a Abs. 1 bwSchulG vorschreibt, Ethikunterricht nur für solche Schüler vorzusehen, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Die Freiwilligkeit der Teilnahme am Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 2 GG wird dann nicht in erheblicher Weise beeinträchtigt, wenn "Ethik" und "Religion" gleichwertige Fächer sind.

3.2.1 Die Verfassung nimmt es in Art. 7 Abs. 3 GG hin, daß diejenigen Schüler, welche am Religionsunterricht teilnehmen, eine zusätzliche Belastung auf sich nehmen. Das ist eine Folgerung aus der Entscheidung der Verfassung, den Religionsunterricht einerseits als ein ordentliches und damit zugleich als ein für den schulischen Bildungsgang erhebliches Lehrfach anzusehen und andererseits - im Sinne negativer Bekenntnisfreiheit - niemanden zur Teilnahme am Religionsunterricht zu zwingen. Die Beachtung des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG führt damit zu einer äußeren Belastungsungleichheit, soweit damit die zeitliche Belastung der am Religionsunterricht teilnehmenden Schüler in den Blick genommen wird. Das Grundgesetz nimmt dies als eine Folgewirkung des Art. 7 Abs. 2 GG hin.

Im übrigen muß es nicht nur als Nachteil, sondern kann auch als Vorteil betrachtet werden, sich in einem freiwillig angenommenen Unterrichtsfach zu bewähren, das zugleich ordentliches Lehrfach ist. Von Verfassungs wegen ist nicht zu beanstanden, wenn sich dieser Vorteil aus der Belastung mit einer zusätzlichen Stundenzahl ergibt. Die Schöpfer des Grundgesetzes betrachteten die für einen auf Neutralität verpflichteten Staat durchaus atypische Möglichkeit der religiösen Unterweisung im staatlichen Raum, nämlich in der Schule, als Privileg für die Schüler und die Religionsgemeinschaften, und nicht von vornherein etwa als Belastung (vgl. zur Entstehungsgeschichte des Art. 7 in: Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, Bd. 1 (1951), S. 101 ff.; ferner Bader, NVwZ 1998, 256). Das Grundgesetz überläßt es daher den Eltern oder religionsmündigen Schülern zu entscheiden, ob diese zusätzliche Belastung als Vorteil oder als Nachteil angesehen wird: Nach seinem Wortlaut entscheiden nach Art. 7 Abs. 2 GG die Erziehungsberechtigten über die Teilnahme am Religionsunterricht. Nach dem als Bundesrecht weitergeltenden § 5 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 1921 (RGBl 1921, 939, zuletzt geändert durch Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige - Betreuungsgesetz - vom 12. September 1990, BGBl 1990, 3002, 2023) trifft ab dem 14. Lebensjahr diese Entscheidung der Jugendliche selbst.

3.2.2 Erst die Wahrnehmung der in Art. 7 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisteten Freiheit führt hinsichtlich der Zahl von Unterrichtseinheiten zu einer Ungleichheit im Verhältnis zu jenen Schülern, die an einem Religionsunterricht - aus welchen Gründen auch immer - nicht teilnehmen. Die so entstehende Ungleichheit nimmt die Verfassung selbst um der Freiheit der Religionsausübung willen hin, um ein anderes Ziel, nämlich die Ausübung der Religionsfreiheit ausnahmsweise auch innerhalb einer staatlichen Institution - hier der staatlichen Schule - zu ermöglichen. Diese mithin von Verfassungs wegen hingenommene Ungleichheit hinsichtlich der Zahl von Unterrichtseinheiten erlaubt dem Gesetzgeber hingegen nicht, diese mit der Teilnahme am Religionsunterricht verbundene Belastung durch allein die Zahl der Unterrichtseinheiten angleichende Maßnahmen für andere Schüler aufzuheben. Dem Berufungsgericht ist hinsichtlich seiner entgegenstehenden Auffassung hier nicht zu folgen. Soweit dem Beschluß des seinerzeit noch zuständigen 7. Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Mai 1973 (- BVerwG VII B 25.72 - Buchholz 11 Art. 7 Abs. 1 GG Nr. 17) etwas anderes zu entnehmen sein sollte, hält der nunmehr zuständige Senat daran nicht fest. Der Gesetzgeber hat vielmehr zu berücksichtigen, daß ein Ausgleich der die Religionsschüler treffenden erhöhten Zahl an Unterrichtsstunden durch Belastung der anderen Schüler mit einem anderen Fach nicht zu einem faktischen Eingriff in die Freiwilligkeit der Teilnahme am Religionsunterricht führen darf. Entscheidet sich der Landesgesetzgeber dafür, die nicht am Religionsunterricht teilnehmenden Schüler mit zusätzlichen Unterrichtsstunden zu belasten, so ist er folglich in der Wahl seiner dazu eingesetzten Mittel nicht gänzlich frei. Er muß das Gebot der Neutralität wahren. Das bedeutet: Der Gesetzgeber darf weder positiv noch negativ auf die Wahl der Teilnahme am Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach Einfluß nehmen. Nur die mittelbare Einflußnahme ist ihm gestattet, die darin liegen kann, daß er die zusätzliche zeitliche Belastung, die in der Teilnahme am Religionsunterricht liegt, vermindert oder ganz beseitigt. Auch insoweit darf er aber den Grundsatz der Freiwilligkeit, den Art. 7 Abs. 2 und 3 GG voraussetzt, nicht beeinträchtigen.

Eine in diesem Sinne unstatthafte Einflußnahme läge vor, wenn der Gesetzgeber den Schülern anstelle des Religionsunterrichts ein diesem Lehrfach nach dem Lehrplan nicht gleichwertiges "Ersatzfach" zur Pflicht machen würde. Das wäre nicht nur dann der Fall, wenn es sich hierbei um ein Pflichtfach handelte, das thematisch völlig andere Erziehungs- und Bildungsziele verfolgt. Nichts anderes müßte gelten, wenn anstelle des Religionsunterrichts ersatzweise eine curricular nicht gleichwertige Unterrichtung als eine Art - wie der Kläger zu 1 meint - "zweitklassige Beschäftigungstherapie" zur Pflicht gemacht würde. Wer einen derartigen "Ersatzunterricht" bei Abmeldung vom Religionsunterricht besuchen muß, wird möglicherweise genötigt, Überlegungen anzustellen, die mit der Freiwilligkeit der Teilnahme am Religionsunterricht selbst nichts zu tun haben. Dabei kann es keine Rolle spielen, ob diese Überlegungen den Inhalt des "Ersatzfaches" oder die erwartete Verbesserung der Chancen für den schulischen Erfolg betreffen.

Das Gebot der Neutralität bleibt indes gewahrt, wenn der Gesetzgeber für nicht am Religionsunterricht teilnehmende Schüler, gleichgewichtige Unterrichtsfächer im Sinne einer gleichwertigen Auswahlmöglichkeit vorsieht. Dies hat der baden-württembergische Landesgesetzgeber - wie noch darzulegen ist - mit dem Fach Ethik im Vergleich zum Religionsunterricht getan. Die gesetzliche Regelung ist allerdings in verfassungskonformer Auslegung auf diesen Sinngehalt zu beschränken.

3.3 § 100 a Abs. 2 bwSchulG gestaltet das Unterrichtsfach Ethik als ein Fach aus, das dem Fach Religion gleichwertig ist. Dies ist der Sache nach der berufungsgerichtlichen Auslegung des Landesrechts zu entnehmen. Es werden schwerpunktmäßig vergleichbare Erziehungs- und Bildungsziele, wie die Erziehung zu verantwortungs- und wertbewußtem Verhalten (§ 100 a Abs. 2 Satz 1 bwSchulG), verfolgt. Beide Fächer sind darauf angelegt, ethische Mindeststandards zu überliefern und auch mit pädagogischen Mitteln zu festigen. Trotz der unterschiedlichen Ausgangslage sind in weiten Bereichen thematische Überschneidungen als unvermeidbar zu erwarten. In beiden Fächern werden jedenfalls auch ethische Grundfragen behandelt. Zu einer entsprechenden Einschätzung durfte der Landesgesetzgeber gelangen.

Die Annahme der Gleichwertigkeit beider Fächer wird nicht bereits dadurch in Frage gestellt, daß - wie die Revision meint - es sich bei "Ethik" und "Religion" um schlechterdings unvergleichbare Materien handelte. Dies soll nach Auffassung der Revision deshalb zutreffen, weil "Ethik" ein wissenschaftliches Fach, "Religion" hingegen als "Bekenntnis"-Unterricht dies nicht sei. Dem ist nicht zu folgen. Das Grundgesetz sieht Religionsunterricht in Art. 7 Abs. 3 GG als ordentliches Lehrfach vor; es fingiert nicht nur ein solches, wie die Revision meint, sondern es unterstellt dies von neutraler Warte her als auf wissenschaftlicher Grundlage möglich und hält die Religionsgemeinschaften daran fest. Auf den Unterricht als ordentliches Lehrfach erstreckt sich das staatliche Aufsichtsrecht des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG. Ein "ausschließlich der Verkündigung und Glaubensunterweisung" dienender Unterricht entspräche jedenfalls nicht dem Erfordernis, daß es sich um "Unterricht" im Rahmen eines ordentlichen Lehrfachs zu handeln hat (vgl. BVerfGE 74, 244, 253). Als ordentliches Lehrfach ist Religion - nach Maßgabe landesgesetzlicher Regelung und in den genannten Grenzen - versetzungserheblich und demgemäß auch leistungsbezogen; versetzungserheblich kann Bekenntnisunterricht aber nur wegen der Anteile sein, die ihn zu einem auch wissenschaftlichen Unterricht machen (vgl. BVerwGE 42, 346, 350).

3.4 § 100 a Abs.1 bwSchulG ist verfassungskonform dahin auszulegen, daß es nicht nur auf die Gleichwertigkeit beider Fächer ankommt, sondern eine Gleichbewertung der Fächer Ethik und Religion auch in ihrer tatsächlichen Ausgestaltung geboten ist. Ein anderes Verständnis wäre mit Art. 7 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Das gilt auch im Hinblick auf die Chancengleichheit aller Schüler. Diese müssen mit jedem der genannten Fächer in vergleichbarer Weise den vorgesehenen Schulerfolg erreichen können. Bei der berufseröffnenden Prüfung "Abitur" läge zugleich ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG vor.

3.4.1 Das Gesetz (§ 100 a Abs. 1 bwSchulG) regelt insofern lediglich, daß für Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, das Fach Ethik als ordentliches Unterrichtsfach eingerichtet wird. Die Durchführung des Gesetzes durch eine entsprechende Verordnung und die vom Berufungsgericht seiner Beurteilung zugrunde gelegte Schulpraxis verstehen diese gesetzliche Regelung als die eines "Ersatzunterrichts".

Der Verordnungsgeber, das Ministerium für Kultus und Sport, hat den Ethikunterricht in der Verordnung über die Jahrgangsstufen 12 und 13 sowie über die Abiturprüfung an Gymnasien der Normalform und Gymnasien in Aufbauform mit Heim vom 20. April 1983 - NGVO - (Kultus und Unterricht 1983, S. 367) mit Änderungen vom 5. Juli 1985 (GBl S. 234) und vom 16. Juni 1992 (GBl S. 438) näher ausgestaltet. Die Verordnung ist auf die in § 100 a Abs. 3 bwSchulG gegebene Ermächtigungsgrundlage gestützt. Sie gibt den Fächern Ethik und Religionslehre ein erheblich unterschiedliches Gewicht. So erlaubt die "Anrechnungsvorschrift" des § 15 Abs. 1 Satz 4 NGVO (i.d.F. vom 16. Juni 1992), bis zu zwei Grundkurse der Fächer Geschichte, Erdkunde und Gemeinschaftskunde durch das Fach Religion, nicht aber durch das Fach Ethik zu ersetzen. Ferner ermöglicht § 9 Abs. 4 Nr. 2 NGVO, Leistungskurse in Evangelischer und Katholischer Religionslehre einzurichten. Eine entsprechende Möglichkeit für das Fach Ethik fehlt. Dieses kann ferner - insoweit anders als das Fach Religion - noch nicht einmal als Grundkursfach Prüfungsfach im Abitur sein (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 3 NGVO i.d.F. vom 5. Juli 1985).

Diese curriculare Minderausstattung des Faches Ethik gegenüber dem Fach Religion auf untergesetzlicher Ebene ist offenkundig geeignet, die Entscheidung der religionsmündigen Schüler in der Oberstufe eines Gymnasiums über die Teilnahme am Religionsunterricht erheblich zu beeinflussen. Damit räumt der Verordnungsgeber dem Fach Religion als ordentlichem Lehrfach ersichtlich eine schulische Besserstellung ein. Das entspricht auch dem eigenen Verständnis des Verordnungsgebers, wie sich aus der im baden-württembergischen Landtag abgegebenen Stellungnahme des zuständigen Ministers vom 17. Februar 1993 ergibt (vgl. LTDrucks 11/1439). Das Anrechnungsprivileg des § 15 Abs. 1 Satz 4 NGVO i.d.F. vom 16. Juni 1992 kann sich auf die Chancengleichheit von Schülern auswirken. Für den Notendurchschnitt eines durchschnittlichen Schülers kann es von Gewicht sein, ob er zwei Grundkurse der Fächer Geschichte, Erdkunde und Gemeinschaftskunde durch das Fach Religion, nicht aber durch das Fach Ethik ersetzen kann, insbesondere wenn seine Fähigkeiten und Neigungen gerade beim Fach Ethik liegen.

3.4.2 Das der Verordnung zugrundeliegende Verständnis des § 100 a Abs. 1 bwSchulG in dem Sinne, den Ethikunterricht als nicht gleichwertigen "Ersatzunterricht" aufzufassen, bedarf der verfassungskonformen Korrektur. Diese ist angesichts der Auslegungsfähigkeit der gesetzlichen Regelung auch ohne weiteres möglich (vgl. BVerfGE 8, 28, 34). Das Gesetz ist demgemäß dahin zu verstehen, daß Ethikunterricht als ein dem Religionsunterricht gleichwertig auszugestaltendes ordentliches Lehrfach anzubieten ist. Nur ein derartiges Gesetzesverständnis wird den sich aus Art. 7 Abs. 2 und 3 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ergebenden Anforderungen des Grundgesetzes gerecht.

Ein entgegenstehender historischer Wille des Landesgesetzgebers ist nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit zu ermitteln. Es ist insbesondere nicht davon auszugehen, daß Ethikunterricht im wesentlichen deshalb eingeführt worden ist, um einer Häufung von Abmeldungen vom Religionsunterricht entgegenzuwirken. Ein derartiges Motiv wird zwar vielfach vermutet. Indes fehlen für eine entsprechende Annahme ausreichende Anhaltspunkte. Der Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung vom 30. September 1982 (Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Baden-Württemberg - LTDrucks 8/3080) läßt sich insoweit nichts entnehmen. Allerdings verband der damalige Kultusminister mit der Einführung des Faches Ethik die Hoffnung, daß damit "manche Abmeldung vom Religionsunterricht" vermieden würde (vgl. LT-Prot. 56. Sitzung vom 11. November 1982, S. 4336 f.). Auf eine derartige Äußerung läßt sich ein eindeutiger gesetzgeberischer Wille allein noch nicht zurückführen. Ein sieben Jahre zuvor gestellter Antrag auf "Einrichtung eines Ersatzfaches für den Religionsunterricht" durch eine Gruppe von Abgeordneten (LTDrucks 6/7199 - Antrag vom 20. Februar 1976) knüpfte ebenfalls an die Möglichkeit der Abmeldung vom Religionsunterricht an. Der damalige Antrag, der nicht Gesetz geworden ist, forderte gleichwohl einen Fächerkanon für die Schule, der alle Schüler berücksichtige. Bei dieser Vorgeschichte muß letztlich entscheidend der Wortlaut des § 100 a bwSchulG sein. Dieser steht einer Auslegung im Sinne der Gleichwertigkeit und der Chancengleichheit aller Schüler nicht entgegen. Er knüpft in § 100 a Abs. 1 bwSchulG nur tatbestandlich an die Nichtteilnahme am Religionsunterricht an. Dies schließt ein Verständnis des Ethikunterrichts als eines für alle Schüler für erforderlich gehaltenen Unterrichts, der deshalb im Verhältnis zum Religionsunterricht zwar ein Komplementär-, nicht aber ein "Ersatzunterricht" ist, nicht aus. Jedenfalls kann dem Wortlaut des § 100 a bwSchulG eine gesetzgeberische Vorgabe, die Unterrichtsfächer Ethik und Religion in der konkreten Ausgestaltung nicht als gleichwertig zu behandeln, nicht entnommen werden.

3.5 Ist von Gesetzes wegen der Grundsatz der Gleichwertigkeit zwischen Ethikunterricht und Religionsunterricht gewahrt, so wird das grundsätzliche Gebot der Gleichbehandlung der Schüler nicht durch die Vorgabe mißachtet, die am Religionsunterricht teilnehmenden Schüler vom Besuch des Ethikunterrichts zu "befreien". Bei einer verfassungskonformen Auslegung kommt die Regelung über die "Befreiung" einer Wahlbefugnis für diese Schüler nahe. Bei objektiver Betrachtung zielt die gesetzliche Regelung des § 100 a Abs. 1 bwSchulG somit nicht darauf ab, die nicht am Religionsunterricht teilnehmenden Schüler durch die Verpflichtung zur Teilnahme[im Original: Teilnehme - wohl ein Tippfehler, Anm.] am Ethikunterricht zu diskriminieren; sie läßt sich ohne eine solche Diskriminierung umsetzen.

Der Staat darf aufgrund von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG im Sinne eigener qualifizierender Bewertung gestatten, daß ein Teil seines primären Erziehungsauftrages in der Schule durch Religionsgemeinschaften erfüllt wird, da Ethik- und Religionsunterricht insoweit unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Gleichwertigkeit schwerpunktmäßig thematisch vergleichbare Erziehungs- und Bildungsziele verfolgen. Für diese verfassungsrechtliche Würdigung kommt es allein auf die willkürfreie gesetzgeberische Bewertung an. Unerheblich ist es, welchen Standpunkt insoweit die beteiligten Religionsgemeinschaften einnehmen oder diejenigen, die sie ablehnen bzw. ihnen kritisch gegenüberstehen. Ist die inhaltliche Gleichwertigkeit allerdings objektiv nicht oder nicht mehr gegeben, schließt dies eine fakultative Verlagerung staatlicher Erziehungsziele in den Religionsunterricht aus.

Die Einbeziehung der Religionsgemeinschaften und des von ihnen verantworteten Religionsunterrichts in die staatlichen Erziehungs- und Bildungsziele begegnet als solche keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar haben die Religionsgemeinschaften im allgemeinen keinen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, ihrer Glaubensüberzeugung im staatlichen Raum Ausdruck zu verleihen (vgl. BVerfGE 93, 1, 16). Jedoch begründet Art. 7 Abs. 3 GG hiervon insofern eine Ausnahme, als die Religionsgemeinschaften den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach durchführen dürfen und zu verantworten haben. Den Religionsgemeinschaften wird damit nicht nur ein "staatlicher Raum" eröffnet. Das Grundgesetz traut den Religions- oder den ihnen gleichgestellten Weltanschauungsgemeinschaften auch zu, Religion als ordentliches Lehrfach, also in Erfüllung eines legitimen Erziehungs- und Bildungsauftrags, zu unterrichten. Das verbleibende staatliche Aufsichtsrecht gewährleistet, daß mit dem erteilten, inhaltlich transparenten Religionsunterricht legitime Erziehungs- und Bildungsziele verfolgt werden, welche mit den eigenen staatlichen, für alle Schüler für maßgebend und richtig erachteten Erziehungs- und Bildungszielen nicht in Widerspruch stehen (vgl. BVerfGE 74, 244, 253). Insoweit zieht der Landesgesetzgeber lediglich eine Folgerung aus der in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG bereits grundgesetzlich entschiedenen Privilegierung. Demgemäß darf der Landesgesetzgeber durch Freistellung vom Ethikunterricht respektieren, daß sich Schüler bekenntnismäßig gebunden haben und am schulischen Religionsunterricht teilnehmen wollen. Eine verfassungswidrige Diskriminierung liegt darin nicht. Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG geht insofern Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG vor, als er bereits eine verfassungsunmittelbare Differenzierung enthält, die an einen bekenntnisgebundenen Tatbestand anknüpft.

§ 100 a Abs. 1 bwSchulG fordert in verfassungskonformer Auslegung und Handhabung nach allem, daß Ethikunterricht nicht nur als ordentliches Lehrfach erteilt, sondern im Verhältnis zum Religionsunterricht auch als eine gleichwertige und deshalb uneingeschränkt frei wählbare Alternative angeboten wird. Soweit dies in Baden-Württemberg faktisch anders gehandhabt worden sein sollte, könnte dies nicht die Verfassungswidrigkeit des § 100 a Abs. 1 bwSchulG begründen. Die Feststellungen im berufungsgerichtlichen Urteil, die von einem von Religionsgemeinschaften organisierten und vom Staat kontrollierten Bekenntnisunterricht bestimmter Religionsgemeinschaften (Neuapostolische Kirche, Mormonen, jüdische Gemeinden) sprechen, erlauben insoweit keine Beurteilung, ob auch dieser Unterricht die Qualität eines ordentlichen Lehrfachs im Sinne von Art. 7 Abs. 3 GG hat. Hierauf kommt es indes nicht an. Etwaige Mängel des Vollzugs berühren jedenfalls die Verfassungsgemäßheit der Vorschrift selbst nicht.

4. Der Kläger zu 1 war trotz des bestehenden Umsetzungsdefizites des baden-württembergischen Schulgesetzes bei der untergesetzlichen Normierung wie auch in der Schulpraxis nicht berechtigt, dem Ethikunterricht seiner Schule fernzubleiben.

4.1 Der einzelne Schüler kann eine ihn belastende Maßnahme der Schulverwaltung, die unberechtigt ist, abwehren. Dieses Recht vermittelt ihm jedenfalls Art. 2 Abs. 1 GG, soweit nicht gar der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG in Betracht kommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 1974 - BVerwG 7 C 12.74 - BVerwGE 47, 201, 206).

Eine derartige Lage besteht hier nach den berufungsgerichtlichen Feststellungen nicht. Der Kläger zu 1 sieht zwar den Ethikunterricht in seiner tatsächlichen Ausgestaltung als qualitativ ungenügend an. Dazu verweist er unter anderem auf die nach seiner Behauptung ungenügende Ausbildung der Lehrkräfte, wovon er allerdings die ihn persönlich unterrichtende Lehrkraft ausnimmt. Demgegenüber hebt das beklagte Land nicht nur auf den im konkreten Fall des Klägers zu 1 qualitätsvollen Ethikunterricht des besuchten Gymnasiums ab, sondern betont darüber hinaus, es habe gerade in der vergangenen Zeit erfolgreich erhebliche Anstrengungen unternommen, um die benötigten Ethiklehrer namentlich im Gymnasialschulbereich zu qualifizieren. Das mag hier dahinstehen. Jedenfalls ist nichts dafür festgestellt, daß der konkrete Ethikunterricht dem Kläger zu 1 mit einem Inhalt vermittelt worden wäre, der einem unverzichtbaren Mindeststandard an einen gymnasialen Ethikunterricht nicht hätte entsprechen oder den übrigen schulischen Bildungs- und Leistungserfolg des Klägers zu 1 ernsthaft hätte gefährden können. Für den Kläger zu 1 ist daher nicht von einer nicht mehr tragbaren Belastung durch einen, den allgemeinen Erziehungs- und Bildungsvorstellungen zuwiderlaufenden Unterricht auszugehen. Nur unter diesen Voraussetzungen hätte aber auch der einzelne Schüler ein durch Art. 2 Abs. 1 GG vermitteltes und gegenüber der staatlichen Schulaufsicht durchsetzbares Abwehrrecht. In einem derartigen Fall wäre auch Art. 6 Abs. 2 GG verletzt (vgl. BVerfGE 34, 165, 182 f.).

4.2 Im Prinzip nichts anderes gilt für die verordnungsrechtliche Umsetzung des baden-württembergischen Schulgesetzes trotz einer Verletzung des Gebotes, Ethikunterricht und Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach gleichwertig zu behandeln. Verletzt wird dieses Gebot - wie oben dargelegt - durch den Ausschluß des Faches Ethik als Leistungs- und Prüfungsfach (§ 19 Abs. 1 NGVO i.d.F. vom 5. Juli 1985) und durch die Nichterstreckung des Anrechnungsprivilegs nach § 15 Abs. 1 Satz 4 NGVO (i.d.F. vom 16. Juni 1992) auch auf das Fach Ethik. Hier ist das beklagte Land seinen verfassungsrechtlichen Verpflichtungen bislang nicht nachgekommen. Daraus folgt gleichwohl nicht, daß der Kläger zu 1 ein Recht besitzt, bis zur Herstellung des Verfassungsmäßigen Zustandes der Gleichwertigkeit seine Teilnahme am eingerichteten Ethikunterricht zu verweigern. Dazu zwingt auch keine verfassungskonforme Handhabung des schulrechtlich vorgesehenen "Befreiungsrechtes" (vgl. § 3 Abs. 1. Satz 2 der Verordnung des Ministeriums für Kultus und Sport über die Pflicht zur Teilnahme am Unterricht und an den sonstigen Schulveranstaltungen - Schulbesuchsverordnung - vom 21. März 1982, Kultus und Unterricht 1982, S. 387). Der Kläger zu 1 hätte nämlich gesondert um Rechtsschutz nachsuchen können und müssen, wenn er sich durch die Anwendung der fraglichen untergesetzlichen Regelungen konkret beeinträchtigt gesehen hätte. Der allein um die Möglichkeit des Fernbleibens von diesem Unterricht geführte Rechtsstreit schließt dies nicht ohne weiteres ein.

Insoweit hätte eine gerichtliche Entscheidung darüber angestrebt werden können, ob der gegebene Zustand in seiner verordnungsrechtlichen Ausgestaltung des Ethikunterrichts rechtswidrig war. Eine entsprechende, auch inzidenter getroffene gerichtliche Feststellung hätte den Verordnungsgeber und andere zuständige Stellen der Verwaltung des beklagten Landes veranlassen müssen, die gleichwertige Ausgestaltung von Ethikunterricht und Religionsunterricht als jeweils ordentliches Lehrfach alsbald herzustellen. Mit einer Klage auf Feststellung der Rechtmäßigkeit des Fernbleibens vom Unterricht kann dieses Ziel nicht erreicht werden. Zwar erlaubt Art. 2 Abs. 1 GG dem Schüler, nur solche Eingriffe in seine allgemeine Handlungsfreiheit hinzunehmen, welche die verfassungsmäßige Ordnung wahren. Bei einem Gleichheitsverstoß, wie hier, steht hingegen nicht von vornherein fest, welche normative Regelung am Ende der verfassungsmäßigen Ordnung entspricht. Denn es geht dabei um eine relative Rechtsverletzung: Wie die festgestellte Ungleichbehandlung zu beseitigen ist, bleibt von Verfassungs wegen in solchen Fällen regelmäßig offen. Verfassungsrechtlich vorgegeben ist nur, daß ein verfassungsgemäßer Zustand herzustellen ist. Dieser kann nicht nur dadurch hergestellt werden, daß die curriculare Ausstattung des Ethikunterrichts an die des Religionsunterrichts angepaßt wird, sondern auch dadurch, daß der Religionsunterricht - unter Beachtung des Art. 7 Abs. 3 GG - insoweit dem Ethikunterricht angepaßt wird. Hieraus ergibt sich, daß erst eine evidente Verletzung eines Anspruches auf Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes mit nicht ausgleichsfähigen Folgen es erörterungsbedürftig erscheinen ließe, ob eine teilweise Verweigerung des Schulbesuchs berechtigt ist, bis der Staat seinen verfassungsrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen ist. Eine derartige evidente Verletzung liegt hier nicht vor. Die gesetzlichen Bestimmungen haben sich auf der Grundlage einer verfassungskonformen Auslegung als verfassungsgemäß erwiesen. Nach dieser Klärung darf erwartet werden, daß das festgestellte Umsetzungsdefizit alsbald beseitigt wird.

Der Kläger hat ein etwaiges Leistungs- oder Feststellungsbegehren zur Klärung der untergesetzlichen Rechtslage nicht verfolgt. Es mag im Hinblick auf § 142 Abs. 1 VwGO dahinstehen, ob dies im Sinne einer Klageänderung noch im Revisionsverfahren möglich gewesen wäre. Nachdem der Kläger zu 1 im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht im Grundkurs Ethik bereits positiv bewertete Leistungen erbracht und den Kurs zudem mit der bestmöglichen Note abgeschlossen hatte und ein Scheitern des Abiturs trotz der einen noch ausstehenden mündlichen Prüfung nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen war, bestand jedenfalls kein gesondertes Rechtsschutzinteresse (mehr), die erörterte Rechtswidrigkeit des früheren Zustandes festzustellen. Auch ein etwaiges Interesse an einer anderweitigen Kostenentscheidung wäre nicht geeignet gewesen, ein derartiges Feststellungsinteresse zu begründen (vgl. auch § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO).

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2, § 159 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO, § 161 Abs. 2 VwGO.

Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, entspricht es der Billigkeit, den Klägern zu 2 und 3 die Kosten aufzuerlegen. Ihre Revision hätte aus den entsprechenden Gründen wie beim Kläger zu 1 keinen Erfolg gehabt.


Niehues   Albers   Henkel
  Eckertz-Höfer   Büge