§ 166 StGB - Der Ermittlungsausschuß informiert

Aus: MIZ 1/96

Das Kruzifix-Urteil findet nun auch sein strafrechtliches Nachspiel. Nein, soweit sind wir noch nicht, daß irgendjemand auf die Idee gekommen wäre, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes als einen Verstoß gegen den § 166 StGB zu werten. Aber wer die Reaktionen der klerikalen Funktionäre und Politiker mit satirischen Mitteln darstellen oder kommentieren wollte, bekam sofort aufgezeigt, daß die Sache bierernst ist. Die Tatsache, daß es mit "Titanic" und "taz" zwei "Große" trifft, bestätigt unsere seit kurzem gemachte Beobachtung, daß die Schraube in Sachen "Gotteslästerung" derzeit angezogen wird. Auch daß wir zum ersten Mal seit langem wieder von einer Verurteilung berichten müssen, paßt ins Bild.


Frankfurt

Titanic wartet auf Anzeige

Gegen den Chefredakteur des Satiremagazins Titanic, Oliver Schmitt, ist Anzeige erstattet worden und zwar von der Zentralstelle Medien der Deutschen Bischofskonferenz. Anlaß war die Oktoberausgabe von Titanic, die mehrere Vorschläge enthielt, welche "Betätigungsfelder für den Gekreuzigten" nach dem Kruzifix-Urteil noch vorhanden seien. Ihre auch bildlich dargestellten Ideen, Jesus als Klorollenhalter, Türstopper oder Flaschenöffner wieder einen Platz im Alltag zurückzugeben, stießen bei Reinhold Jacobi, dem Leiter der Zentralstelle Medien, auf wenig Gegenliebe. In "unannehmbarer Weise" sei das Kreuz dargestellt, die Christusverehrung, die im Zentrum des katholischen Glaubens stehe, sei angegriffen. Obwohl Jacobi selbst seiner Klage kaum Erfolgschancen einräumt, habe er keine andere Möglichkeit gesehen, denn eine "dauernde Duldung verschärfter Angriffe auf wichtige Inhalte oder Zeichen unseres Glaubens gibt Mißverständnissen Raum".

In seinem blinden Eifer ist ihm allerdings ein kleiner Fehler unterlaufen: die Anzeige ging in Berlin und nicht bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Frankfurt ein. In der Titanic-Redaktion laufen nun die Wetten, ob es Jacobi im zweiten Anlauf schafft, seine Anzeige formgerecht zu erstatten. Gelassenheit dürfte vor allem deshalb herrschen, weil Titanic vor kurzem erst einen Erfolg gegen klerikale Zensurversuche verbuchen konnte. Nachdem der Erzbischof von Fulda, Johannes Dyba, Anfang 1993 erfolgreich gegen eine Fotomontage vorgegangen war, hat das Landgericht Frankfurt nun die Geldstrafe für den damaligen Chefredakteur aufgehoben. Das Bild, das Dyba zeigt, als er auf gezeichnete Föten deutet und ihm den Satz unterschiebt, "Klasse! Das sind ja ganz seltene Fötusfotos!" (vgl. MIZ 1/93, S. 42), müsse im Zusammenhang mit Dybas "extremen Äußerungen" zur Frage des Schwangerschaftsabbruches gesehen werden. Auch der Kommentar des einmontierten früheren hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner, "Und jetzt soll ich Dir wohl auch noch eine Erektion verschreiben, Kinderschänder!", sei nicht als Schmähkritik zu werten.

Eine wohl kaum erwartete Reaktion auf die Anzeige findet sich in der evangelischen Wochenzeitung Das Sonntagsblatt. Dort verweist der Kommentator auf die bei der Bischofskonferenz offensichtlich bloßliegenden Nerven und schließt aus dem Verhalten der obersten deutschen Katholiken, daß bei "zentralen Glaubensfragen die Verunsicherung groß" sein müsse. Die Bischofskonferenz stelle sich damit zudem in eine "voraufklärerische Tradition", die dem Strafrecht mehr vertraue als der Souveränität des einzelnen, auf eine Verletzung seiner religiösen Empfindungen angemessen zu reagieren.

Quellen: Weltbild 23/95; Sonntagsblatt vom 1.12.1995; Titanic 1/96; Der Spiegel 5/96


Berlin

Wieder mal: Ermittlungsverfahren gegen taz eingestellt

Wieder einmal ist gegen die Berliner Tageszeitung taz ein Verfahren wegen Verstoßes gegen den § 166 eingeleitet worden - und wieder einmal ist es recht schnell eingestellt worden. Als die taz am 11.August zum Bundesverfassungsgerichtsurteil über die Zulässigkeit der Passage der bayerischen Volksschulordnung, die die Anbringung von Kreuzen in Klaßzimmern zwingend vorschrieb, titelte: "Kruzifix! Bayern ohne Balkensepp", erstattete ein Bürger Anzeige. Allerdings erwies sich die Formulierung als ebensowenig strafbar wie die Bezeichnung des gekreuzigten Jesus als "Lattengustl".

Quelle: Main-Echo vom 23.9.1995


Regensburg

Rache fürs Kruzifix-Urteil

Der Mann, der sich in einem jahrelangen Rechtsstreit in der Frage der Schulkreuze gegen den bayerischen Staat durchsetzen konnte, hat erneut Schwierigkeiten mit der Justiz im Freistaat. Das Amtsgericht Regensburg erließ im Januar gegen Ernst Seler einen Strafbefehl wegen Religionsbeschimpfung. Er soll DM 1200 zahlen oder für 30 Tage ins Gefängnis gehen. Ihm wird zur Last gelegt, auf einer Pressekonferenz am 30.August geäußert zu haben, daß ein von Demonstranten mitgeführtes Kruzifix auf ihn gewirkt habe "wie ein erigierter Penis, aber eben ein toter". Auf einen Zeitungsbericht hin wurden dann mehrere Anzeigen erstattet.

Dieses Urteil, das so wohl vor keinem außerbayrischen Gericht zustandegekommen wäre, darf als Fingerzeig der christlich-sozialen Amigos verstanden werden, daß es teuer werden kann, in Bayern auf seinen Bürgerrechten zu bestehen. Ernst Seler hat bereits Widerspruch gegen den Strafbefehl angekündigt.

Quelle: Main-Echo vom 15.1.1996


Düsseldorf

Zensur ohne § 166

Auf einer Krisensitzung des Comitee Düsseldorfer Carneval wurde entschieden, daß der Rosemontagszug dieses Jahr um einen Wagen kürzer sein wird als geplant. Getroffen hat es den Motivwagen zum "Kruzifix-Urteil"; vorgesehen waren drei Narren, die unter dem Motto "Karneval in Bayern" am Kreuz hängen sollten. Obwohl damit nach Aussage der Jecken ein Protest gegen das Bundesverfassungsgerichtsurteil angestrebt war, hätten sie sich aufgrund der bundesweiten Protestwelle dazu veranlaßt gesehen, die Finger von dem Thema zu lassen.

Quelle: Kinzigtal-Nachrichten vom 20.1.1996.