Der "Bund gegen Anpassung"

Aus: MIZ 2/91 und 3/91

Die Zahl derer, die kontinuierlich Kirchen- und Religionskritik üben, ist in der Bundesrepublik nicht eben hoch. Deshalb ist eine Zusammenarbeit der verschiedenen Organisationen geradezu Voraussetzung dafür, überhaupt etwas zu erreichen. Trotzdem reicht ein gemeinsamer Gegner nicht immer als Grundlage gemeinsamer politischer Arbeit aus, der "Feind meines Feindes" muß nicht automatisch mein Bündnisgenosse sein. Sollte es uns als "Atheisten" doch darum gehen, diese weltanschauliche Position auch mit einer politischen Verbindlichkeit zu belegen.

Unter diesem Aspekt haben wir auch die antiklerikalen Aktivitäten der Marxistisch-Reichistischen Initiative (MRI), später des Bundes gegen Anpassung (BgA) seit Mitte der achtziger Jahre kritisch betrachtet. Der Kampf gegen den §166 StGB, begleitet von einer Flut von Anklagen und Schlagzeilen, hat das Problembewußtsein hinsichtlich klerikaler Zensur sicherlich geschärft. Gottfried Niemietz kann als versiertester Strafverteidiger in "Gotteslästerungs"-Prozessen angesehen werden, der auch in einigen anderen Verfahren Rechte von Konfessionslosen auf dem Gerichtswege durchgesetzt hat.

Im Zuge des Krieges am Golf trat der Bund gegen Anpassung wieder verstärkt in Erscheinung, warb mit einer entschieden antiimperialistischen Position auf den großen Friedensdemonstrationen für seine Ziele. Die Stellungnahme für Saddam Hussein erregte Aufsehen, verschaffte die erwünschte Aufmerksamkeit.

Auch in Kleinstädten waren Mitglieder des BgA präsent, weckten Interesse für ihre Arbeit, luden schließlich Leute aus der Friedensbewegung zu einem Gruppentreffen ein. Der folgende Erfahrungsbericht einer der angesprochenen Personen gibt den ganz persönlichen Eindruck, den ein solcher Gesprächsabend, vor allem aber der "Referent", hinterlassen hat, wieder.


Es gibt immer talentierte Halb-Psychotiker, die bereit sind, die Bedürfnisse einer narzißtischen Masse zu befriedigen.

Erich Fromm

"Stoppt den Krieg am Golf!" - das war zu Beginn des Jahres das Motto von zahlreichen Demonstrationen und Protestveranstaltungen, die, von breiten Bevölkerungskreisen getragen, in fast jeder bundesdeutschen Stadt organisiert wurden. Auf einer dieser Demos in Frankfurt kam ich zum ersten Mal mit dem "Bund gegen Anpassung" in Berührung, der dort seine Flugblätter verteilte. Bereits wenige Textproben zeigten mir, daß der BgA oftensichtlich mit Saddam Hussein sympathisierte; zumindest heroisiert der Verfasser den Diktator, wenn er ihn "fast tollkühn, aber mit Würde und Rückgrat der Großmacht (USA, A. L.)" entgegentreten läßt. Ein Tyrann wird stilisiert zum letzten einsamen, aufrecht gehenden Menschen. Ich wurde den Eindruck nicht los, der Geburt eines Helden beizuwohnen, eines Vorbildes, das sich alleine dadurch auszeichnet, "unangepaßt" zu sein, was auch sonst immer gegen ihn vorliegen mag.

Gleichzeitig fiel mir die verächtliche Haltung gegenüber der Friedensbewegung auf. Überheblich schreibt der Verfasser von unseren "Friedenstäubchen", die sich erst "wie die Maiglöckchen im Winter" rar gemacht hätten, später dann "wie die Kaninchen in Australien" auf den Demonstrationen wuselten. Nicht nur, daß der BgA-ghostwriter offensichtlich als einziger weiß wie der Krieg zu verhindern gewesen wäre, von allen Andersdenkenden spricht er auch noch in einer menschenverachtenden Sprache. Denn die Assoziation vom australischen Kaninchen zum vermehrungsfreudigen Ungeziefer liegt zu nahe, als daß sie unbeabsichtigt sein könnte. So wie bei Saddam Hussein nur eine positive Eigenschaft hervorgehoben wird, werden die zu Vergleichen herangezogenen Tiere nur auf ein negatives Merkmal reduziert. Der Hund ist nur noch hündisch und devot, das Schaf ein verachtenswertes Herdentier. Dieses Denkmuster erschien mir nicht allzu unangepaßt: Solche Vereinfachungen, die auf einem Denken in Freund-Feind-Kategorien basieren, benutzten Politiker dazu, den Golfkrieg zu rechtfertigen und die Friedensbewegung zu diffamieren. Der BgA entlarvt dieses Denken nicht als Ideologie. Stattdessen belegt er seine Unangepaßtheit damit, daß er einfach den Spieß umdreht, den Feind zum Freund macht und visa versa.

Schließlich gibt das Flugblatt inhaltlich wenig her. Die lnformationsmenge steht in einem kuriosen Gegensatz zur bombastischen Sprache. Zum Golfkrieg liest man kaum etwas Neues. Das Ergebnis des dreiseitigen Flugblattes ist die banale Parole: "Welcher Zacken bricht uns eigenlich aus der Krone, wenn wir ihn (den Golfkrieg, A. L.) einfach aufhören ? Stellt euch vor es ist Krieg und Bush darf nicht hin !" Als ob nicht alle Pazifisten gerade diese Frage schon längst für sich beantwortet hätten; eine politische Perspektive bildet solch ein Allgemeinplatz jedoch nicht.

Altbekanntes wird nur wiedergekäut und dazu noch als eigene gedankliche Leistung verkauft. Der Presse wird unterstellt, sie hätte mit ihrer Darstellung des irakischen Raketenangriffs auf Israel den Eindruck erweckt, er wäre "ernst gemeint gewesen". Dagegen beglückt uns der Verfasser mit der Einsicht, die Scud-Raketen seien nur als ein taktisches Manöver Husseins anzusehen, mit dem Ziel die Allianz zu spalten. Diese Analyse ist weder neu, noch unterscheidet sie sich von dem, was in allen Massenmedien verbreitet wurde. Neu ist dagegen die Einschätzung der "Kriegslist" als harmlos. Gespeist werden solche extremen Positionen zum Golfkrieg, wie das nicht anders zu erwarten ist, von flachen politischen "Einsichten". Hinter der Ablehnung des Golfkrieges steckt nicht einmal eine (z. B. pazifistische) Grundposition. Besitzansprüche "der Engländer" genügten dem BgA, um den Falklandkrieg als gerechtfertigt hinzustellen. Beim Golfkrieg dagegen jammerte man, daß der Irak keinem seiner Angreifer jemals das Geringste getan hätte und schloß daraus messerscharf, daß man sich gegen diesen Krieg aussprechen müsse. Bei derartigen "Argumenten" konnte ich beim besten Willen keine "linken" Positionen ausmachen. So waren die Flugblätter für mich erledigt und nur weil ich Material zum Golfkrieg sammelte, warf ich sie nicht gleich in den Papierkorb, sondern heftete sie ab unter der Rubrik "Kuriosa".

Dort wären sie auch verblieben, wenn nicht der Zufall zu Hilfe gekommen wäre: der BgA tauchte plötzlich auch an meinem Heimatort auf. Während des Golfkrieges organisierte die örtliche Friedensbewegung zahlreiche Veranstaltungen, entwarf Flugblätter und bereitete Demonstrationen vor. Hier trafen sich alle, die nicht bereit waren, tatenlos dem Mord an Tausenden von Menschen zuzusehen, der auf einmal nicht mehr zu verhindern gewesen sein soll. Naturgemäß wurde bei diesen Treffen auch über die aktuelle Situation am Golf diskutiert. Einmal erregte eine etwa dreißigjährige Frau unsere Aufmerksamkeit mit ungewöhnlichen Stellungnahmen. Der Irak sei, so führte sie aus, trotz alledem immer noch das fortschrittlichste Land im Nahen Osten, insbesondere im Vergleich zu den beiden mittelalterlichen Feudalstaaten Saudi-Arabien und Kuwait. Nach etwa einer halben Stunde nutzte sie eine unruhige Phase in der Diskussion, um sich kurz mit einigen Teilnehmern zu besprechen. Ich beobachtete, daß sie hartnäckig bei jedem einige Zeit verweilte, bevor sie abgewimmelt wurde. Mehr Glück hatte sie, als sie zu mir kam. "Willst Du nicht mal mitkommen auf eine unserer Veranstaltungen?" Ihre Argumentation war mir die ganze Zeit bekannt vorgekommen und deshalb fragte ich sie direkt, ob sie vom Bund gegen Anpassung sei. Etwas erstaunt bejahte sie, woraufhin ich erklärend hinzufügte: "Ich kenne eure Flugblätter." Jetzt ließ sie nicht mehr locker, bis ich ihr zusagte, auf die nicht näher bezeichnete Diskussionsveranstaltung zum Golfkrieg mitzukommen.

Einige Tage später saß ich mit ihr im Auto auf der Fahrt nach Frankfurt, dem Ort der Veranstaltung. Zwar wußte ich ungefähr auf was ich mich da eingelassen hatte, doch interessierte mich nach wie vor, wer hinter dieser ominösen Vereinigung steht und wer auf ihre Parolen hereinfällt. Meine Begleiterin begann während der Fahrt, mich in einige Inhalte des BgA einzuweihen, während sie sich an jenem Abend auch auf Nachfragen hin sehr zugeknöpft gegeben hatte. So erfuhr ich unter anderem, daß es der deutschen Linken bis auf den heutigen Tag an der richtigen Interpretation der Schriften von Marx und Reich ermangele; daß durch AIDS die Langeweile in das menschliche Liebesleben eingekehrt sei und um Abhilfe zu schaffen, alle AIDS-lnfizierten an unübersehbarer Stelle tätowiert und in Sanatorien eingewiesen werden müßten; daß sich der BgA Angriffen von Antifaschistischen Bündnissen ausgesetzt sieht, obwohl er doch immer für Meinungsfreiheit eintrete; daß ein wesentliches politisches Ziel darin zu sehen sei, denen, die es verdienen, ein Leben in Luxus zu ermöglichen.

Nach alledem überraschte es mich kaum mehr, als ich in Frankfurt von meiner Begleiterin in eine Privatwohnung geführt wurde. Dies ist nicht gerade der übliche Ort für eine öffentliche Veranstaltung und mir kam es so vor, als ob der BgA gar nicht beabsichtigte, seine Ideen einer breiten Offentlichkeit vorzustellen. Der ganze Abend verlief dann auch weniger wie eine offene Diskussionsrunde, sondern glich fast schon dem Treffen einer Geheimloge. Über allem schwebte ein Hauch von Konspirativität und Elitebewußtsein. Und die ausgewählten Gäste wurden von den Auserlesenen, die ansonsten gerne unter sich bleiben, begutachtet, ob sie denn rekrutierungswürdig seien.

So waren nicht viel mehr "Neue" eingeladen worden, als Gruppenmitglieder anwesend waren. In einer angenehmen, lockeren Atmosphäre plauderten wir über Belanglosigkeiten. Das vorgegebene Thema "Golfkrieg" spielte nur am Rande eine Rolle. Meine Begleiterin wiederholte dazu nur, was in den Flugblättern stand. In der Situation, in der ich mich jetzt befand, formulierte ich meine Kritik an besonders unsinnigen Punkten weniger schroff als es angebracht gewesen wäre. Überraschenderweise gingen die Gruppenmitglieder auf meine Einwände nicht ein. Eine Person zeigte sich mir gegenüber sogar wohlwollend. Schließlich sei es ja immer richtig, Kritik zu üben.

Über eine Stunde hockten wir so zusammen und warteten auf den angekündigten Diskussionsleiter, der extra aus Freiburg anfahren müsse und sich verspätet habe. Als er endlich kam, hatten die BgA-Jünger jenen schmachtenden Blick in den Augen, den man an Teenagern, die erstmals ihrem Idol begegnen, beobachten kann. Ihr ehrfurchtsvolles Verhalten dem Neuankömmling gegenüber machte mir vollends deutlich, daß mit ihm die ranghöchste Person auf der Bildfläche erschienen war. Neben dem spindeldürren Guru, dessen schulterlange Haare seine Unangepaßtheit symbolisierten, nahm sich seine aufgedonnerte Begleiterin, braungebrannt und bunt geschminkt, eher unscheinbar aus. Entsprechend seiner Position stellte er sich selbst als "Eric" vor, während seine Begleiterin begann, sich selbstmitleidig anzubiedern: "Ihr müßt schon entschuldigen für unser Auftreten und für unsere Ausfälle, wir haben jetzt schon vier Wochen nicht mehr richtig geschlafen...". Hier unterbrach sie Eric barsch: "Du nicht, bei dir sind es erst zwei Wochen, du warst zwei Wochen im Urlaub. - Seit vier Wochen tue ich genau das, was ich hier heute abend auch wieder mache... und bei drei Stunden Schlaf pro Nacht ...ihr wißt ja.. ach nein, das wißt ihr nicht." Nach dieser eindrucksvollen Vorstellung entschloß ich mich, für den Rest des Abends nur noch die Rolle eines Zuschauers zu übernehmen. Auch den anderen sah ich an ihren betretenen Gesichtern an, daß sie sich unwohl fühlten. Mit so einem Theater, bei dem Arroganz offen zur Schau gestellt wurde, hatte niemand gerechnet. Gleichzeitig verunsicherte die Aggression, die einem entgegenschlug so sehr, daß ein Gespräch nicht zustande kam. Es war also nur noch eine Frage der Zeit, bis den Gästen die Sache zu dumm werden würde. Sie wären aufgestanden und gegangen, wenn Eric nicht die Frechheit besessen und den Spieß umgedreht hätte: "Also ich habe gar keine Lust mehr heute. Am liebsten würde ich gehen." Wie es nicht anders zu erwarten war, wirkte sich dies nicht eben kommunikationsfördernd aus, was Eric dazu veranlasste meiner Begleiterin vorzuhalten, daß es ihm nicht zuzumuten sei, sich auf das Niveau der anderen Gesprächsteilnehmer herabzulassen. Dazu hatte er sie beiseite genommen, sprach jedoch so laut, daß er sicher sein konnte, daß wir es hören würden.

In diesem Moment war mir klar geworden, daß Eric mit seinen Provokationen einen Zweck verfolgte, nämlich die Gäste an ihn zu fesseln. Und genau das ist ihm auch gelungen, keiner hatte genug Selbstbewußtsein, um einfach aufzustehen. Eric spekulierte darauf, daß niemand den Raum verlassen würde, wenn er durchscheinen ließ, daß er mit seinem Verhalten die Absicht verfolgt, uns eine Botschaft zu übermitteln. Wer jetzt einfach gehen würde, hätte sich ja damit eine Blöße gegeben. Es war auch viel leichter zu glauben, daß es sich bei Erics aggressivem Verhalten um ein Spiel handelte und nicht um einen echten Angriff (ob echt oder gespielt, ist aber nie die wirkliche Frage gewesen). Tatsächlich gelang es Eric damit, die Gäste psychisch in die Zange zu nehmen. Nur ein ganz selbstbewußter Mensch hätte sich dem aggressiven Verhalten Erics sofort entzogen, indem er gegangen wäre. Die Anwesenden jedoch manövrierten sich, derart in die Enge getrieben, immer weiter in eine ausweglose Situation hinein. Jeder ihrer Versuche nämlich, mit dem Aggressor klarzukommen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ein Vermitteln zwischen der äußeren Aggression und der eigenen Identität war unmöglich länger durchzuhalten.

Wer eine argumentative Auseinandersetzung suchte, wurde von Eric einerseits zwar wohlwollend behandelt, aber im gleichen Moment vor den Kopf gestoßen, wenn er Fragen als dummes Zeug abqualifizierte, den Fragesteller damit vor den anderen lächerlich machte, Einwände der anderen einfach überging, etc.

Überhaupt war die Diskussion inhaltlich vollkommen unbefriedigend. Wer erwartet hatte, eine politische Linie des BgA zu erkennen, wurde enttäuscht. Kurz blitzten Feindbilder und Ideen auf, ansonsten blieben Erics Außerungen zusammenhanglos und verworren. Der Chefideologe kam vom Hundertsten ins Tausendste, sprach von Europäern, die alle dekadent und pubertär seien, von Arabern, die dagegen noch Mut und Rückgrat besäßen, verstieg sich im nächsten Augenblick in dubiose Theorien über die Entstehung von Meinungen, um dann schließlich bei den Nürnberger Gesetzen zu landen. Gemäß dem Motto "Viel Feind, viel Ehr", zog er über alle und jeden her. Der Linken warf er ihre Inkonsequenz vor, am Christentum bemäkelte er die Sexualisierung der Folter, einen deutschen Politiker wollte er sogar wegen der Berufsverbote in Öl gebraten wissen. Die nicht vorhandene Utopie soll in einem kleinen Kreis von Auserwählten durchgesetzt werden, die an solchen Abenden gefunden werden. Freilich blieb völlig im unklaren wie das auf der realpolitischen Ebene zu bewerkstelligen sei. Diese Einstellung erinnerte mich fatal an die Heilserwartung religiöser Sekten. Erics euphorisches Auftreten glich dem eines Predigers, der in beschwörenden Worten für seine Gemeinde einen paradiesischen Zustand herbeizureden versucht. Der ganze prophetische Sprachgestus bis hin zu einzelnen Redewendungen könnte der Bibel entnommen sein (ein Beispiel aus seinem Repertoire: "Wehe dem, um den wir uns hier bemühen und der sich trotzdem als unwürdig erweist ..."). Bei seinen fanatischen Monologen drückte sich Eric immer feierlich aus. Seine Sprache wirkte gekünstelt und gespreizt und erinnerte mich an die der Flugblätter, die ich gelesen hatte. Genau wie der ghostwriter der Flugblätter verfiel auch Eric gelegentlich in eine vulgäre Ausdrucksweise. Formulierungen wie "ohne ein Arschrunzeln" oder Worte wie "Arschkriecher" fallen besonders aus dem Rahmen, wenn man sich sonst gewählt ausdrückt. Seine Jünger waren von Erics rhetorischen Stilbrüchen stets fasziniert, ich empfand sie dagegen als plump und abstoßend. Angegriffen fühlte ich mich auch durch gelegentlich einsetzendes Stakkato bei Erics Reden, welches untermauert wurde durch die Marotte Erics, ständig mit dem Zeigefinger auf die Tischkante zu klopfen. Dieses "Taktschlagen" war mir besonders unangenehm aufgefallen; es machte ein für allemal deutlich, wer hier etwas zu sagen hatte. Auch sein Sprechtempo und die Lautstärke variierte Eric so, daß man sich permanent angegriffen fühlte. Durch Längung von Lauten drohte er; ohne inhaltlich wirklich eine Drohung auszusprechen, nutzte er jedoch die Mittel der Rhetorik, um ähnliche bedrohliche Gefühle zu erzeugen. Besonders unangepaßt an die Gepflogenheiten im Umgang mit anderen Gesprächsteilnehmern, war Erics Art, anderen kein Gehör zu schenken, selbst aber pausenlos zu reden.

Gegen all diese Aggressionen konnten die Gäste keine Abwehrhaltung entwickeln, weil Eric uns im unklaren ließ über seine Absichten. Er nannte es "Brücken bauen", wenn er durchscheinen ließ, daß sein Theater einem bestimmten Zweck dient. So erklärte Eric einmal, daß ein gewisser Pawlow bei Tierversuchen herausgefunden hätte, daß Reflexe antrainiert seien. Dies gelte auch beim Menschen in Bezug auf Gedanken. So seien nicht alle Gedanken gleichrangig, weil sie mit unterschiedlichen Gewalterlebnissen zusammenhängen würden. Weiter führte er aus, seien Menschen durch Argumente allein nicht zu beeinflussen. Die Argumente nämlich, die zu ihrer angepaßten, unterwürfigen Haltung gegenüber den Mächtigen führen würden, seien ihnen mit Gewalt antrainiert worden. Neue Argumente könne man demzufolge nur dann an die Stelle der alten setzen, wenn man die Diskussion mit einem Gewalterlebnis verknüpfe. Hier hatte Eric die Karten also sogar offen auf den Tisch gelegt. Da aber das offensichtliche für die Gäste in diesem Moment unsichtbar bleiben mußte, nahmen sie Erics Erklärungen nicht mehr richtig wahr (die Jünger nickten und lächelten wissend). Jeder verstand diese "Brücken" als Botschaft und glaubte endlich eine Erklärung für Erics aggressives Verhalten zu haben. Daß er sie längst zu Objekten seiner Dressur gemacht hatte, bemerkten die Gäste nicht. Keiner von ihnen sah darin einen Widerspruch zum sonst vom BgA propagierten mündigen, unangepaßten Menschen. Niemand empörte sich über das Vorhaben Erics, die Menschen im Sinne des BgA dressieren zu wollen. Die Dressur ist gerechtfertigt, denn ihr Ziel ist ja der unangepaßte Mensch.

Nachdem sich Eric im Laufe des Abends Bier, Wasser, Wein, Kaffee hatte servieren lassen, orderte er jetzt, als er seine Ausführungen beendet hatte, Sekt. Mit den Worten "der kriegt nichts, der hat auch nichts gesagt" verweigerte er mir das Glas. "So, jetzt mußt Du sagen, was Du denkst. Du hast den ganzen Abend mitgeschrieben und kein Wort gesagt", griff er mich an. Ich antwortete: "Ich habe deshalb nichts gesagt, weil ich mich nicht in eine Rolle drängen lasse..." Eric ließ mich nicht ausreden und fiel mir ins Wort: "Du Unwürdiger, hör auf zu grinsen, das kannst Du draußen vor der Tür... ein Besserwisser bist Du... ein mieser Besserwisser... Du solltest sagen, was Du denkst... ich habe dauernd Brücken für Dich gebaut." Ich entgegnete ihm, daß es für mich keine "Brücke" zu ihnen gäbe, worauf er mir sofort wieder ins Wort fiel und ausfallend wurde: "Schweig! Du Unwürdiger... Du hast unsere Gastfreundschaft mißbraucht... gehe!" Eric wurde richtig wütend und packte mich am Oberarm. "Halt den Mund und geh, geh!" Für mich war das das Zeichen, meine Sachen schleunigst zu packen und zu sehen, daß ich hier wegkomme. "Ja, ich gehe und Du trinkst deinen Sekt weiter", sagte ich während mir immer mulmiger wurde. Als Bodyguard fühlte sich ein breitschultriger Kerl berufen, der mit mir aufstand und mich zur Tür führte. Derweil schimpfte Eric unablässig weiter und sparte auch mit Beleidigungen nicht.

Ich war heilfroh, als ich in dieser Nacht in der U-Bahn neben angepaßten Menschen saß. Das beklemmende Gefühl, mit dem ich die Wohnung verlassen hatte, mischte sich mit Frustration. Enttäuscht war ich darüber, daß ich nicht in der Lage gewesen war, den psychischen Druck an meiner Oberfläche abprallen zu lassen. Am nächsten Morgen, als die Gefühle etwas abgeklungen waren, versuchte ich mich wieder mit den Fragen zu beschäftigen, die mich bewogen hatten, zu dieser Veranstaltung mitzugehen. Die erste grobe Einschätzung, die ich aus den Flugblättern gewonnen hatte, bestätigte sich auf dem Diskussionsabend. Der BgA hat keine kohärenten politischen Ideen vorzuweisen. Das Programm "Würde und Rückgrat" erweist sich als Mogelpackung, weil es im Belieben des Gurus liegt, welche konkreten Handlungsformen darunter zu verstehen sind. Es wird suggeriert, daß es durch einen Beitritt zum BgA möglich ist, mündig zu werden. "Mündigwerden" ist aber ein langwieriger und nie abgeschlossener Prozeß; eine Schwelle, die man nur überschreiten müßte, um sich im "Land der Unangepaßten" zu befinden, gibt es einfach nicht. Im Gegenteil deutet gerade die hierarchische Struktur der Gruppe nicht auf eine "Erziehung zur Mündigkeit" hin. Vor allem aber sind die Begriffe "Unangepaßtheit" und "Mündigkeit" nicht äquivalent, wie das der BgA unterstellt. Mit dieser angeblichen Äquivalenz rechtfertigt der BgA dann auch, daß es sekundär ist, wie man Rückgrat und Würde zeigt. Ein Diktator darf seine Unangepaßtheit unter Beweis stellen, indem er Tausende in den Tod schickt. Dieses Beispiel zeigt, wie gefährlich es sein kann, aus "Unangepaßtheit" eine Primärtugend zu machen (Jemand, der mündig "ist" käme dagegen nicht einmal auf die Idee, danach zu fragen, ob seine Handlungen unangepaßt sind oder nicht; so einen geringen Stellenwert hätte diese Tatsache bei ihm).

Interessant für den BgA sind Menschen, die nicht fest sozialisiert sind und ein übersteigertes Geltungsbedürfnis haben. Der BgA bietet neue Rollen sowie Führer- und Vaterfiguren an und weist sich in diesen Punkten daher als Sekte aus. Auch wenn viele Inhalte skurril und lächerlich erscheinen, wäre es falsch daraus zu folgern, man hätte es beim BgA mit einem Haufen harmloser Spinner zu tun. Auch wenn der BgA zur Zeit politisch bedeutungslos ist, kann nicht ausgeschlossen werden, daß Demagogen wieder einmal Konjunktur haben werden. Dann könnten auch talentierte Halb-Psychotiker gesellschaftliche Wirkung entfalten. Denn es gibt, um noch einmal Erich Fromm sprechen zu lassen, "für den in seinem Narzißmus Bedrohten noch eine andere Lösung, die für ihn persönlich befriedigender, für die anderen aber um so gefährlicher ist. Diese Lösung besteht in dem Versuch, die Wirklichkeit so umzuformen, daß sie bis zu einem gewissen Grad zu seinem narzißtischen Selbstbild paßt, indem der Betreffende die Zustimmung einer anderen Person oder möglichst die Zustimmung von Millionen zu gewinnen versucht...".

A.L.


Mit der Marxistisch-Reichistischen Initiative und ihrem Umfeld beschäftigt sich seit Jahren die Zentralstelle zur Erfassung von MRI-Aktivitäten in Mainz. Mit ihren Mitarbeitern führte der Antiklerikale Arbeitskreis im Libertären Forum ein schriftliches Interview, das es erleichtert, den persönlichen Erfahrungsbericht einzuordnen.

AKAK: "Marxistisch-Reichistische Initiative", "Bund gegen Anpassung" - was verbirgt sich dahinter ? Welche organisatorischen Zusammenhänge, welche Weltanschauung?

Zentralstelle: Die "Marxistisch-Reichistische Initiative" existiert nicht mehr. Ihr Rechtsnachfolger ist laut Satzung der "Bund gegen Anpassung". Aus diesem Grunde ist es auch falsch zu sagen, der BgA wäre eine ,Tarnorganisation der MRI', wie auch wir es anfangs behauptet haben. Tarnorganisationen allerdings sind weiterhin die "Claude-Helvetius-Gesellschaft", der Ahriman-Verlag, der "Bund zur Verbreitung unerwünschter Einsichten", die "BI gegen Berufsverbote" Freiburg, die "Bunte Liste Freiburg", der "Verein zur AIDS-Verhütung" Frankfurt/Main. Insgesamt scheint dieses Kartell ein Spektrum von 100-150 Männern und Frauen zu umfassen, die vor allem in Freiburg leben.

Entstanden ist die alte MRI aus dem Zerfall der Außerparlamentarischen Opposition, sie ist lange Zeit eine typische K-Gruppe gewesen (statt Marx/Engels/Trotzki und/oder Stalin und/oder Enver Hoxda und/oder ... begnügte sich dieses Grüppchen der dogmatischen Linken mit Marx/Freud/Reich). Sie hat auch die "Kritik" der dogmatischen K-Gruppen an der APO geteilt: "Obwohl sie (d.h. die Studentenbewegung) auf der Grundlage psychoanalytischer Einsichten gelegentlich beachtliche Erfolge errungen hatte, konnte sie, schlecht organisiert und undiszipliniert, wie sie war, diese Erfolge auch nicht länger halten." (MRI: Der Ödipuskomplex und seine politischen Folgen, Freiburg 1980). Auch die Übernahme der "Bunten Liste Freiburg" im Jahr 1979 ist noch als ein rein stalinistisch-machtpolitisches Manöver zu werten. Vollkommen durchgeknallt scheint die Gruppe (ähnlich wie die Bhagwans) erst nach der AIDS-Hysterie 1985 zu sein, die das von der MRI/BgA vertretene issue der absoluten Promiskuität in Frage zu stellen schien. Die Forderung der Gruppe nach administrativen Maßnahmen hat allerdings auch noch nichts mit ihrem geistigen Zustand oder mit ihrer Leitung durch charismatische Führer zu tun, die die von ihnen geführte Gruppe zum Vehikel persönlicher Marotten machen. Sie ist ebenfalls strikt stalinistisch: der Stalinismus übernimmt einfach die Regulations- und Normalisierungsmechanismen der bürgerlichen Disziplinargesellschaft des 19. Jahrhunderts, ohne die in ihr angelegten Machtmechanismen kritisch zu hinterfragen. Internierung, flächendeckende medizinische Rasterung der gesamten Bevölkerung, Pathologisierung der Homosexuellen, Hysterisierung der Frauen (Michel Foucault) sind konstitutive Elemente einer solchen Disziplinargesellschaft, die von den Stalinisten als Mittel der Politik akzeptiert und angewendet wurden und in den "Analysen" des Marxismus-Leninismus nie problematisiert worden sind.

AKAK: Die MRI, aber auch die von Euch erwähnten Nachfolge- und Tarnorganisationen, treten häufig mit kirchen- und religionskritischen Veranstaltungen hervor. Wie sieht der Antiklerikalismus, der dort vertreten wird, aus ? Welche Argumentationsmuster werden verwendet, welche Zielrichtung hat die Kritik?

Zentralstelle: Der "Antiklerikalismus" - schreckliches Wort übrigens - des Bundes gegen Anpassung wird ideengeschichtlich aus zwei Quellen gespeist: zum einen aus der Religionskritik der vulgärmaterialistisch-empiristischen Fraktion der Aufklärung und zum anderen aus der Religionskritik Sigmund Freuds. Im Anschluß an Freud wird die Religion als Massenneurose definiert, in der "die Vaterimago nicht mehnur auf existierende Personen und Institutionen übertragen (werden), sondern als Phantasiegebilde verselbständigt und mit eigener Realität ausgestattet wird." (MRI, a.a.O.) Gegen die Religion und als ihr funktionales Aquivalent wird "Wissenschaft" gesetzt, eine "Wissenschaft" allerdings, die "ein System von Beobachtungen und logischem Schluß (ist), dessen Aussagen ausschließlich aus der Beobachtung hervorgehen dürfen." (MRI a.a.O.) Diese Wissenschaftsdefinition ist wahrlich ein epistemologischer Schlag ins Wasser, wissen wir doch mindestens seit Hegel, daß die unmittelbare sinnliche Erfahrung "in Wahrheit die ärmste" Erfahrung ist, weil begriffslos, um einen Theoretiker zu zitieren, der dem BgA bekannt sein müßte, von moderneren wissenschaftstheoretischen Ansätzen ganz zu schweigen.

AKAK: Welche ideologischen Wurzeln könnt Ihr erkennen? Bestehen Querverbindungen oder Affinitäten zum völkischen Antiklerikalismus?

Zentralstelle: Der BgA bezieht sich - und das teilt er mit dem Marxismus-Leninismus vulgärster Form - auf zwei große Erzählungen: naturwissenschaftlicher Materialismus vulgärster Abart vermengt mit Bruchstücken des "dialektischen Materialismus", dem die Dialektik allerdings ziemlich ausgetrieben worden ist. Dazu kommt eine mechanistisch-energetizistische Relektüre von Sigmund Freud und Wilhelm Reich (Psychoanalyse als "Naturwissenschaft", physikalistische Triebtheorie, Freud als "Empirist" etc.).

Zum völkischen Antiklerikalismus bestehen unserer Meinung nach keine Querbeziehungen.

AKAK: Sind die MRI-Anhänger Atheisten? Oder welche Funktion hat ihr Antiklerikalismus?

Zentralstelle: Wer Religion im Anschluß an Freud zur "Massenneurose" erklärt, dürfte wohl kaum selbst an Gott glauben. Allerdings ist der "Antiklerikalismus" des BgA nicht nur als strategischer Einsatz zu verstehen, der sich einen der ideologischen Staatsapparate (Althusser) der bürgerlichen Welt, nämlich die Kirchen, zum Ziel nimmt. Dieser "Antiklerikalismus" ist mit konstitutiv für den Wahn der Gruppe, die letzten Unangepaßten zu sein, die in einem der Irrationalität und dem Mittelalter verfallenden Europa den letzten Vorposten der "Aufklärung" bilden. Nur indem der BgA so tun kann, als sei die christliche Ideologie die herrschende Ideologie dieser Gesellschaft - was sie nicht ist: herrschende Ideologie dieser Gesellschaft sind die "kapitalistischen Technowissenschaften" (Lyotard) bzw. der "wissenschaftliche Positivismus" (Horkheimer/Adorno) - kann er sich als rationale Opposition zu einer irrationalen Welt mißverstehen. Zum anderen ist der "Antiklerikalismus" des BgA strategisch auf ihr wesentliches Ziel zu verstehen: die Anwerbung neuer Mitglieder. Eine in spontaneistischer Art und Weise gegen die Kirchen agierende Gruppe, die zudem noch die "freie Sexualität" auf ihre Fahne geschrieben hat, ist attraktiv etwa für Schülerinnen und Schüler aus klerikalen Gegenden, eine der Zielgruppen des BgA - attraktiver zumindest als sagen wir die Grüne Partei.

Mit dieser Antwort wollen wir allerdings nicht die Notwendigkeit antiklerikaler Arbeit überhaupt negieren, es kommt auch hier wieder darauf an, aus welchen Gründen man es tut. Die Forderung nach Trennung von Staat und Kirche und die Denunziation der Kirchen als ideologische Staatsapparate sowie die Kritik der christlichen Ideologie sind Essentials einer linken Politik. Dies gerade, da sich Christinnen und Christen in den alternativen Bewegungen breitmachen.

AKAK: Wie gefährlich ist die Vereinigung eigentlich ? Würdet Ihr sie als Sekte bezeichnen?

Zentralstelle: Wer einmal mit Mitgliedern des BgA persönlich und politisch zu tun bekommen hat, würde diese Frage spontan bejahen. Nicht nur, daß die BgA-Mitglieder nicht kommunikationsfähig sind, ihr militaristisches Auftreten, ihre Provokation gewaltsamer Zwischenfälle, ihre stalinistische Kaderpolitik, auch ihre Veranstaltungen, die angefüllt sind mit Ritualen aus dem Arsenal des Stalinismus (ZK-Applaus, Kameraüberwachung, unkritische Bejahung der von den Führern ausgegebenen Parolen) machen den BgA zu einer der gefährlichsten Gruppen der westdeutschen Trümmerlinken. Auch ohne die zusätzlichen psychologischen Repressalien innerhalb der Gruppe, wäre der BgA als Sekte anzusehen, in dem Sinne, daß alle stalinistischen Organisationen notwendig autistisch, realitätsfremd und hierarchisch organisiert sind.


Gegendarstellung

In der Zeitschrift "MIZ - Materialien und Informationen zur Zeit. Politisches Journal der Konfessionslosen und Atheisten" Nr. 2/91 ist auf der Seite 42 unter dem Titel "Der Bund gegen Anpassung - 'Bundes'-Genosse oder Politsekte?" eine unwahre Behauptung über den Ahriman-Verlag enthalten, die wie folgt richtiggestellt wird: Es wird behauptet, der Ahriman-Verlag sei eine Tarnorganisation des Bundes gegen Anpassung. Dies ist unwahr. Wahr ist, daß der Ahriman-Verlag ein selbständiges und unabhängiges Verlagsunternehmen ist.

Freiburg, den 26. Juni 1991

Ursula Dunkern
Ahriman-Verlag

Anmerkung der MIZ-Redaktion:

Nach §10 des Pressegesetzes sind wir prinzipiell zum Abdruck von Gegendarstellungen verpflichtet, unabhängig von deren Wahrheitsgehalt.

Der Begriff Tarnorganisation ist im Duden(1) folgendermaßen definiert:

"Organisation mit vorgeschobenen Zielen, durch die anderweitige Aktivitäten verdeckt werden sollen."

Angesichts der weitgehenden Personalunion von Ahriman-Verlag und Bund gegen Anpassung sind wir auch zu der Auffassung gelangt, daß man nicht mehr von einer "Tarnorganisation" sprechen kann.

(1) Duden. Das große Wörterbuch der Deutschen Sprache, Bd. 6, Mannheim u. a., 1991, S. 2565.