Zwangsheirat und Ehrenmorde an Migrantinnen in Deutschland

Bericht von der Tagung "Leitkultur Humanismus und Aufklärung" 2005 in Köln

Am Sonntagabend war Collin Schubert von Terres des Femmes einge­laden, zu dem Thema Zwangsheirat und Ehrenmorde als Beispiel für die Ausbil­dung von Parallelgesellschaften zu sprechen. Collin Schubert berichtete, dass sich in letzter Zeit verstärkt junge Frauen wegen des Problems der Zwangsheirat und der Bedrohung durch die Familie an Terres des Femmes wenden würden. Durch die internationale Stärkung des Fundamentalismus sei das Thema wieder in den Blickpunkt geraten.

In diesem Zusammenhang hält Collin Schubert eine Trennung von Staat und Kirche für sehr wichtig, zumal schon von Scharia – also der Einführung des islami­schen Rechts – in Deutschland gespro­chen worden sei. Sie zitierte den Imam einer Moschee in Hamburg, der behauptet hätte: „Deutschland ist das islamischste Land. Wir haben hier Freiheiten, die wir in der Türkei nicht haben.“

Collin Schubert liest dem Publikum verschiedene authentische Berichte zum Thema Zwangsheirat vor. Auch in Deutschland sollen jedes Jahr mehrere tausend Ehen arrangiert sein bzw. durch Zwang zustande kommen. (Allerdings existieren dazu bislang leider keine empirischen Studien. Oft behauptete konkrete Zahlenangaben sind also nicht überprüft!) Viele junge Frauen fühlen sich bedroht, nur ein Teil von ihnen aber wagt sich an TDF oder andere Organisationen zu wenden, weil das Nach-außen-Gehen weitere Gewalttätigkeit innerhalb der Familie nach sich ziehen könnte.

Der Einfluss der Tradition wurde auch an den Äußerungen der türkischen Schüler nach dem Berliner „Ehrenmord“ an Hatin Sürücü deutlich. Der Mord hat eine seit Jahren andauernde politische Diskussion um Integration von Aus­ländern in Deutschland wieder entfacht. Aber es war die Reaktion von ein paar Berliner Schülern, die die Öffentlichkeit entsetzte. Während einer Klassendiskus­sion über den Mord sagte einer von ihnen: „Sie war doch selbst schuld“, während ein weiterer sagte: „Sie hat das doch verdient – die Hure lebte wie eine Deutsche.“ Allein in Berlin wurden von November 2004 bis März 2005 sechs Mädchen „aus verletzter Ehre“ ermordet.

Schubert führt die heutigen Probleme auf fehlende Integrationskonzepte in den 60er Jahren während der ersten Einwan­derungswelle zurück. Junge Menschen, die keine Perspektive sehen, flüchten in Ersatzwelten. Dies kann die Religion sein. Der politische Islam als Jugend­bewegung wächst.

Kommunen unterstützen teilweise fundamentale Gruppen, weil diese sich sozial um Ausländer kümmerten, berich­tete Schubert. Seit einiger Zeit entsteht eine neue, intellektuelle Elite mit weib­lichen Akteurinnen, die „Nadelstreifen­islamistinnen“. Das sind ausgebildete, sehr eloquente Frauen, die bei allen relevanten Debatten auftreten. Einerseits vertreten diese Karrierefrauen ein neues islamisch-feministisches Selbstbewusst­sein von Frauen und spielen eine aktive Rolle bei der „Missionierung“. Anderer­seits postulieren sie, dass Frauen in ihrer traditionellen Rolle verbleiben sollen.

Die deutsche Konvertitin Fatima Grimm publiziert im Bavaria-Verlag. In einem ihrer Aufsätze bemängelt die fünffache Mutter: „Wenn wir mit der Erziehung unserer Kinder so weiter­machen wie bisher, werden sie im Laufe der Zeit usw. Masse von halbgebildeten Nationalisten, Kommunisten oder Huma­nisten und das Gebäude des Islam wird in den nächsten fünfzig Jahren bis zur Unkenntlichkeit auseinander fallen und zerbröckeln. Wenn jedoch diese Kinder durch unsere Erziehung zu durch und durch überzeugten Muslimen und wahren Kämpfern für den Islam werden, haben wir eine echte Chance, die islamische Ordnung in allen Lebensbereichen wiederherzustellen und an dieser großen Aufgabe selbst über unseren Tod hinaus noch mitzuwirken.“

Viele Jungen und Mädchen werden bereits als Minderjährige zwangsverhei­ratet. Mädchen müssten so früh heiraten, weil sie verführerisch seien und die Männer vor ihnen geschützt werden müssten. Brüder werden verspottet, wenn sie auf die Schwester nicht aufpassen können.

Als falsch prangert Schubert einen Kulturrelativismus an. Islamische Organi­sationen würden in letzter Zeit eine Opferhaltung zur Schau tragen und von Islamophobie reden, wenn Menschen­rechtsverletzungen wie die Zwangs­heiraten und Morde thematisiert würden. Islamische Organisationen würden sich in das Leben der Migranten einmischen, die zu wenig Schutz von der Politik erhalten würden. Die Politik müsse eine kon­sequente Trennung von Staat und Kirche durchsetzen, so Collin Schubert, damit Islamisten keine Sonderrechte mehr bean­spruchen könnten.

Nach dem Vortrag von Collin Schubert sahen wir den SWR-Dokumentarfilm von Susanne Babila „Türkische Hochzeitsreisende – Familien­ehre vor Liebe?“ Der Film begleitet zwei in Deutschland lebende Frauen türkischer Herkunft, die nur knapp einer Zwangs­verheiratung entgehen konnten. Fatma Bläser und Seyran Ates engagieren sich seitdem für die Selbstbestimmung türki­scher Frauen und Mädchen in Deutsch­land. Susanne Babila ist bei der Doku­mentation auf eine entwurzelte Diaspora-Gesellschaft gestoßen, in der Normen und Werte aus der Zeit der Einwanderung von vor vierzig Jahren konserviert wurden.

Daran schloss sich eine lebhafte Diskussion unter dem zahlreichen Publi­kum und mit der Referentin an. Der Abend wurde im Bistro fortgesetzt.