(202) Okt 1978. Am 16. Oktober 1978 wurde der Erzbischof von Krakau, Kardinal Karol Wojtyla, als
265. Nachfolger Petri unter dem Namen Johannes Paul II. zum neuen Papst gewählt. Der 58 Jahre alte Wojtyla ist der erste
nichtitalienische Papst seit dem Holländer Hadrian VI. (1522-1523), der erste Papst aus einem slawischen Land, der erste Papst
aus einem kommunistischen Staat und einer der konservativsten und reaktionärsten Bischöfe der katholischen Weltkirche. - W.
wurde am 18.Mai 1920 in Wadowice bei Krakau am Fuß der Beskiden als Sohn eines "Arbeiters" (Eisenbahner? Berufssoldat?)
geboren. Mit neun Jahren verlor Karol seine Mutter. Über seine Schul- und erste Studienzeit gibt es so gut wie keine Angaben.
Angeblich studierte er zunächst Polonistik und Philosophie. Während der deutschen Besatzungszeit soll W. tagsüber vier Jahre
lang in einem Steinbruch, danach in einer chemischen Fabrik gearbeitet haben. Abends soll er in einem 1938 von ihm
mitbegründeten Untergrundtheater aufgetreten sein, wo verbotene polnische Autoren auf dem Spielplan standen. Während des
Krieges starben sein Vater und sein 14 Jahre älterer Bruder. Um 1943 hat W. offenkundig mit dem heimlichen Studium begonnen:
"Irgendwann gibt es eine Wende. Fürstbischof Sapieha von Krakau hat in seinem Palais ein geheimes (weil verbotenes)
Priesterseminar eingerichtet. Hier wird W. für den Priesterberuf vorbereitet." (Hansjakob Stehle, in: Salzburger Nachrichten
vom 21.Oktober 1978, Seite 3.) Am 1.November 1946 erhielt W. die (geheime?) Priesterweihe. Anschließend ging er für zwei
Studienjahre nach Rom an die päpstliche Universität Gregoriana, die er als Doktor der Ethik (Promotion: "Das Problem des
Glaubens beim Heiligen Johannes vom Kreuz") verließ; danach war er für kurze Zeit im Rahmen der katholischen Jugendbewegung in
Frankreich und Belgien tätig. So las er in Brügge auf flämisch die Messe. Ende 1948 kehrte W. nach Polen zurück, wo er eine
Stelle als Dorfpfarrer in der Gemeinde Niegowice bei Bochnia in der Nähe von Krakau annahm. Am Zentrum der antikommunistischen
Klerikalen, an der Jagiellonen-Universität von Krakau, setzte W. seine philosophischen Studien fort und habilitierte mit einer
Schrift über die "Möglichkeiten der Entstehung der katholischen Ethik in Anlehnung an das System von Max Scheler". Mitte der
fünfziger Jahre erhielt W. den Lehrstuhl für Philosophie an der Katholischen Universität Lublin. 1958 wurde er Titularbischof
von Ombi und Weihbischof von Krakau - mit 38 Jahren jüngster Bischof Polens. In den folgenden Jahren veröffentlichte er
zahlreiche moraltheologische Werke. Anfang 1964 wurde W. zum Erzbischof von Krakau ernannt. Im Juni 1967 verlieh ihm Papst Paul
VI. die Kardinalswürde, die bis zu diesem Zeitpunkt nur Primas Wyszynski innehatte. Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil warnte
W. vor übertriebenen Reformen, die "Liberalismus und Indifferentismus" fördern würden. 1974 referierte er auf der
Bischofssynode in Rom über den katholisch-doktrinären Teil des Themas "Evangelisierung der Völker". Im gleichen Jahr besuchte
er zum ersten Mal die BRD und traf mit Kardinal Döpfner zusammen. 1975 hielt er als erster katholischer Priester einen Vortrag
vor den Professoren der Harvard Universität. Neben den Vereinigten Staaten besuchte er Australien, Kanada und Frankreich. 1977
hielt W. sich zum zweiten Mal in der BRD auf; die Mainzer Universität verleih ihm die Ehrendoktorwürde. Kurz vor seiner Wahl
zum Papst reiste er zum dritten Mal in die Bundesrepublik. Vor dem Konklave in Rom hatte er an der Katholischen Universität in
Lublin ein Oberseminar für Moraltheologie geleitet.
Wojtylas Auffassungen über Moral, Ehe und Familie weichen prinzipiell kaum von der "Pillen-Enzyklika" "Humanae vitae" seines
Vorgängers Paul VI. ab. Auch in Fragen des Zölibats, der Frauengleichberechtigung und der Geburtenregelung vertritt er
unerbittlich den dogmatischen Standpunkt der Kirche. Politisch ist er ein Repräsentant des harten, konservativsten Kerns der
katholischen Kirche. Zwar hat er schärfere Töne gegenüber seinen kommunistischen Widersachern bisher vermieden, doch kann diese
Haltung nicht als Zeichen von Schwäche gedeutet werden. Wojtyla ist ein kühler Rechner und Stratege, der seine Züge im Stillen
vorbereitet und zu gegebener Zeit hart und kompromißlos handelt.