Politischer Leitfaden: 5. Selbstbestimmung

Die individuelle Selbstbestimmung hat unter den satzungsmäßigen Zielen des IBKA einen wichtigen Platz. Diese Selbstbestimmung findet ihre Grenzen in den Rechten anderer sowie in unserer Verantwortung vor künftigen Generationen.

Wenn hier von "individueller" Selbstbestimmung die Rede ist, dann soll das kein Ausdruck der Geringschätzung von zwischenmenschlichen Kontakten und zwischenmenschlicher Solidarität sein. Vielmehr soll durch den Zusatz "individuell" deutlich gemacht werden, dass der IBKA sich abgrenzt von der Vorstellung eines "kollektiven Selbstbestimmungsrechts" für kulturelle Gruppen, eines "Rechts", die kulturellen Normen der Gruppe allen Gruppenmitgliedern aufzuzwingen und dabei die individuellen Rechte der einzelnen Gruppenmitglieder zu missachten. Der IBKA ergreift Partei für den einzelnen Menschen: Seine individuelle Selbstbestimmung muss durchgesetzt werden, auch gegen überkommene Traditionen sowie religiöse und weltanschauliche Normen.

Die freie Entscheidung in weltanschaulichen Fragen ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Selbstbestimmung. Sie hat für den IBKA natürlich besondere Bedeutung. Ebenso gehört zur Selbstbestimmung die Freiheit, das eigene Leben entsprechend den eigenen Anschauungen und Wünschen zu gestalten. Diese Freiheit darf nicht durch Kirchen und andere religiöse Gemeinschaften in Frage gestellt werden, die sich zum Ziel gesetzt haben, ihre religiös begründeten Wertvorstellungen für die gesamte Gesellschaft verbindlich zu machen.

5.1 Kinder und Eltern

Die Menschenrechte gelten auch für Kinder. Nun sind Kinder nicht von Anfang an in der Lage, von allen ihren Menschenrechten selbst Gebrauch zu machen. Später könnten Kinder durch unverständigen Gebrauch von Rechten sich selbst oder anderen Schaden zufügen; beispielsweise könnte ein Kind sein Eigentum verschwenden und sich damit auf längere Sicht der Möglichkeit berauben, im eigenen Interesse über sein Eigentum zu verfügen. Aus solchen Gründen dürfen die Rechte von Kindern, rechtsgültige Entscheidungen zu treffen, im erforderlichen Maße eingeschränkt und auf andere Menschen übertragen werden. Vor allem auf die Eltern, denen in vielen Verfassungen und Menschenrechtsdokumenten weitgehende Rechte zugesprochen werden, die Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen.

Das Erziehungsrecht der Eltern ist kein Freibrief für Elternwillkür. Vielmehr haben Eltern die Pflicht, die Belange ihrer Kinder zu berücksichtigen. Unter anderem: "Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbstständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an." So ist es in einem deutschen Gesetz zutreffend beschrieben, in § 1626 Abs. 2 BGB.

Im weltanschaulich-religiös neutralen Staat steht den Eltern das Recht zu, die weltanschaulichen oder religiösen Vorstellungen zu bestimmen, mit denen ihre Kinder von klein auf vertraut gemacht werden sollen. Eltern können ihre Kinder selbst an diese Vorstellungen heranführen oder die Angebote von Weltanschauungs- oder Religionsgemeinschaften nutzen, ihren Kindern Unterricht in der jeweiligen Weltanschauung oder Religion zu erteilen.

Eltern haben jedoch kein Recht, ihre Kinder in einer künstlich geschaffenen geistigen Monokultur aufwachsen zu lassen, von der alles ferngehalten wird, was nicht den religiösen oder weltanschaulichen Auffassungen ihrer Eltern entspricht. Kinder und Jugendliche haben ein Recht darauf, ihre Fähigkeit zur weltanschaulichen und religiösen Selbstbestimmung zu entwickeln. Sie haben ein Recht auf vielfältige Anregungen (2. Jugend und Bildung).

Ferner haben Eltern kein Recht, sich bei der weltanschaulichen Erziehung ihres Kindes über dessen Wünsche und Überzeugungen nach Belieben hinwegzusetzen. Sie haben kein Recht, ihre Kinder zu religiösen Handlungen zu nötigen. Bei Meinungsverschiedenheiten haben Eltern die Pflicht, mit dem Kind gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, die den Interessen des Kindes gerecht wird.

Ein Problem stellen religiöse Handlungen dar, die Gültigkeit für das ganze Leben des Kindes beanspruchen, wie zum Beispiel die Taufe. Dennoch werden sie an Säuglingen vorgenommen, die nie den Wunsch danach geäußert haben, und an Kindern, deren Zustimmung nicht auf einer eigenständigen Entscheidung beruht, sondern auf vertrauensvoller Übernahme der religiösen Vorstellungen der Eltern.

Der weltanschaulich-religiös neutrale Staat kann es Eltern nicht verwehren, solche religiösen Handlungen an ihren Kindern vornehmen zu lassen. Das entbindet die Eltern nicht von der Frage: Können sie es ihrem Kind gegenüber verantworten, seinen Entscheidungen vorzugreifen und eine unwiderrufliche religiöse Handlung vornehmen zu lassen, bevor das Kind Gelegenheit hatte, sich mit dem Für und Wider ausführlich auseinander zu setzen und zu einer eigenständigen Entscheidung zu finden? Ihr Kind könnte ja später zu Überzeugungen gelangen, die in krassem Widerspruch zu dieser religiösen Handlung stehen. Es könnte es dann als belastend empfinden, wenn es als Säugling getauft wurde, ohne gefragt worden zu sein. Oder wenn es zwar gefragt wurde, aber viel zu früh, um dem Einfluss der Eltern eine eigenständige Meinung entgegenzusetzen.

Forderungen des IBKA:

  • Die weltanschauliche Selbstbestimmung des Kindes ist zu respektieren. Jede Nötigung des Kindes zu religiösen Handlungen hat zu unterbleiben.
  • Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf vielfältige Anregungen, um ihre Fähigkeit zur weltanschaulichen und religiösen Selbstbestimmung zu entwickeln.

5.2 Gesundheit und körperliche Unversehrtheit

Jeder Mensch hat ein Recht auf Gesundheit. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist die logische Konsequenz dieses Menschenrechts. Ein Recht, das leider allzu oft aus religiösen Gründen verletzt wird.

Eine der schlimmsten Verletzungen dieses Rechts ist die genitale Verstümmelung von Mädchen und Frauen, wie sie in einigen Gebieten Afrikas verbreitet ist. Diese "Beschneidung" wird häufig ohne Betäubung und ohne die einfachsten hygienischen Vorkehrungen vorgenommen. Nicht wenige Mädchen und Frauen sterben daran oder tragen ernste gesundheitliche Schäden davon. Alle verlieren weitgehend ihre Fähigkeit zur sexuellen Lust.

Vergleichsweise gering sind die Auswirkungen der Beschneidung von Jungen an der Vorhaut, wie sie im Islam, im Judentum und in christlich-puritanisch geprägten Ländern (z. B. USA) üblich ist. Dennoch: Wenn diese Beschneidung nicht aus medizinischen Gründen notwendig oder ratsam ist (Phimose), sondern allein aus religiösen Gründen vorgenommen wird, dann verletzt sie die Rechte von Kindern: von Kindern, an denen die Beschneidung ohne ihre Zustimmung vorgenommen wurde; von Kindern, die zur Zustimmung genötigt wurden; und von Kindern, die durch einseitige massive religiöse Beeinflussung zur Zustimmung verleitet wurden.

Eltern, die ihren Kindern aus religiösen Gründen notwendige, ja lebensnotwendige medizinische Maßnahmen verweigern wollen (z. B. Blutaustausch), missachten das Recht ihrer Kinder auf Leben und Gesundheit.

Religiöse Erziehung kann sich verheerend auf die psychische Gesundheit von Kindern und jungen Menschen auswirken. Sie kann zur Ausbildung von Ängsten führen, von Angst vor göttlichen Strafen, oder zu einer unverhältnismäßigen Angst vor dem kleinsten Versagen. Religiöse Erziehung kann zu Minderwertigkeitsgefühlen führen und zu Schuldgefühlen, die teilweise völlig unbegründet sind, teilweise in keinem Verhältnis zum Anlass stehen. Viel Schaden entsteht durch religiöse Verbote im Bereich der Sexualität, wie z. B. ein Verbot der Masturbation.

Religiös bedingte Schäden an der psychischen Gesundheit können Schäden an der körperlichen Gesundheit nach sich ziehen. Kinder und junge Menschen brauchen Schutz vor psychischen und und psychosomatischen Schäden, bei religiösen Ursachen ebenso wie bei weltlichen Ursachen.

Doch obwohl moderne Gesellschaften im Allgemeinen über ein Instrumentarium verfügen, um Kinder nach Möglichkeit davor zu schützen, durch verfehlte Erziehungsmaßnahmen ihrer Eltern zu Schaden zu kommen, werden schädliche Praktiken der religiösen Erziehung zumeist in Folge eines verfehlten Verständnisses von Religionsfreiheit toleriert. Selbst vor einer konsequenten Anwendung gesetzlicher Ge- und Verbote schreckt man zurück, soweit religiös motivierte Praktiken betroffen sind.

Forderungen des IBKA:

  • Aufklärung und Werbung für den Verzicht auf religiös begründete Körperverletzung müssen unterstützt werden.
  • Zumindest gegen schwere Körperverletzungen aus religiösen Gründen, wie die genitale Verstümmelung von Mädchen und Frauen, muss mit allen geeigneten Mitteln vorgegangen werden, auch mit dem Mittel des Strafrechts.
  • Schwer schädigende religiöse Erziehungsmaßnahmen sind ebenso zu unterbinden wie andere schwer schädigende Erziehungsmaßnahmen.
  • Soweit Vorkehrungen zum Schutz der Kinder vor Schädigungen durch die Eltern getroffen sind, in Form von Aufklärungsmaßnahmen, Eingriffsmöglichkeiten der Jugendfürsorge bis hin zu gesetzlichen Ge- und Verboten, sind diese konsequent anzuwenden, auch dann, wenn es um religiös begründete Erziehungsmaßnahmen geht.
  • Soweit erforderlich, sind zusätzliche gesetzliche Möglichkeiten zu schaffen, um Kinder vor Erziehungsmaßnahmen zu schützen, die nachweislich ihre psychische Gesundheit erheblich gefährden.
  • Soweit Eltern durch staatliche Stellen Beratung oder Unterstützung in Erziehungsfragen erhalten, ist auf die Einstellung schädlicher Maßnahmen der religiösen Erziehung hinzuwirken.
  • Wissenschaftliche Forschung, Information und Diskussion über die Folgen religiöser Erziehung müssen gefördert werden. Einen Schwerpunkt von Forschung, Information und Diskussion müssen die Aspekte der religiösen Erziehung bilden, die Schäden an der psychischen Gesundheit verursachen oder im Verdacht stehen, solche Schäden zu verursachen.
  • Homöopathie und andere nicht-evidenzbasierte Behandlungsmethoden sollen nicht von den Krankenkassen übernommen werden.
  • Apotheken sollen über die fehlende Wirksamkeit von Globuli, Bachblüten etc. aufklären.

5.3 Sexuelle Selbstbestimmung

Jeder Mensch hat das Recht, sein Sexualverhalten nach seinen Wünschen zu gestalten, soweit er nicht die Rechte anderer Menschen verletzt. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Jedoch noch immer ist die Ansicht verbreitet, dass bestimmte Formen der Sexualität sittlich minderwertig wären, obwohl sie niemanden in seinen Rechten verletzen.

Die christliche Religion bestärkt solche Ansichten: Im Alten Testament wird der homosexuelle Verkehr zwischen Männern als "Gräuel" bezeichnet und unter Todesstrafe gestellt (Levitikus = 3. Mose 20,13). Im Neuen Testament beschimpft Paulus den homosexuellen Verkehr als "widernatürlich", als "entehrend" und als "Verirrung" (Römer 1,26-27). Die katholische Kirche vertritt noch immer die Auffassung, homosexuelle Handlungen wären "in sich nicht in Ordnung"; den Homosexuellen predigt sie "Keuschheit" (Katechismus der Katholischen Kirche, Absatz 2357-2359).

Der IBKA tritt solchen Ansichten entgegen. Sie dürfen weder die öffentliche Meinung bestimmen noch die Gesetzgebung.

Eine häufige Diskriminierung besteht darin, dass homosexuellen Paaren die Möglichkeit vorenthalten wird, die Rechte von Eheleuten zu erwerben. Diese Rechte sind für manche Paare sehr wichtig, um ihren Wunsch nach Zusammenleben verwirklichen zu können. Ein Beispiel aus Deutschland: Nur so können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis kündigen, um dem Partner/der Partnerin nachzuziehen, ohne für zwölf Wochen ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld zu verlieren. Für Menschen, die ihren Partnerinnen oder Partnern auf das Gebiet eines anderen Staates nachziehen wollen, ist der Ehegattennachzug oft die einzige Möglichkeit, diesen Wunsch gegenüber Behörden durchzusetzen.

Das Recht zu bestimmen, dass man mit einem geliebten Menschen zusammenleben will, ist ein wichtiger Bestandteil der Selbstbestimmung. Darum ist es wichtig, dass dies Recht keinem Paar willkürlich vorenthalten wird.

Forderungen des IBKA:

  • Alle Menschen, die in ihrem Sexualverhalten die Rechte anderer Menschen achten, haben Anspruch auf den gleichen Respekt und auf die gleichen Rechte. Niemand darf diskriminiert werden, weil er oder sie z. B. homosexuell (d. h. lesbisch oder schwul), bisexuell oder transsexuell ist.
  • Die Rechte von Ehepaaren dürfen kein Privileg von heterosexuellen Paaren sein. Alle Paare von erwachsenen Menschen, ob Mann/Frau, Mann/Mann oder Frau/Frau, müssen frei entscheiden können, ob sie den Status von Eheleuten und die damit verbundenen Rechte und Pflichten erlangen wollen oder nicht.

5.4 Prostitution

Prostituierte müssen noch immer darunter leiden, dass eine Gesellschaft, die teilweise noch von christlichen Moralvorstellungen geprägt ist, ihre ganze Abneigung gegen die Prostitution an den Prostituierten auslässt. Prostituierte werden verachtet, Rechte und soziale Absicherung werden ihnen vorenthalten. Damit wird den Prostituierten unverdientes Unrecht zugefügt.

Mündige Menschen, die freiwillig der Prostitution nachgehen, machen in zulässiger Weise Gebrauch von ihrem Recht auf Selbstbestimmung. Jede Nötigung zur Prostitution jedoch ist eine schwere Beeinträchtigung der Selbstbestimmung.

Forderungen des IBKA:

  • Prostitution, Nutzung und Unterstützung von Prostitution sollten nicht generell illegalisiert und kriminalisiert werden. Nicht, wenn mündige Prostituierte sich freiwillig mit ihren Kunden einigen.
  • Prostituierte müssen die gleichen Möglichkeiten der sozialen Absicherung haben wie andere Erwerbstätige, z. B. Zugang zu gesetzlichen Krankenkassen.
  • Die rechtliche Diskriminierung von Prostituierten, z. B. durch die mangelnde Rechtsgültigkeit von Verträgen über ihre Dienstleistungen, ist zu beseitigen.
  • Prostituierte haben Anspruch darauf, dass man so respektvoll mit ihnen umgeht wie mit allen anderen Menschen.
  • Niemand soll zur Prostitution genötigt werden können, niemand soll sich durch eine Notlage zur Prostitution genötigt sehen. Für Menschen, die nicht oder nicht mehr der Prostitution nachgehen wollen, muss es andere Möglichkeiten geben, den Lebensunterhalt zu verdienen.

5.5 Familienplanung

Ob und wann ein Kind geboren werden soll, das ist eine der wichtigsten Fragen im Leben jeder Frau und ihrer Familie. Darum ist Selbstbestimmung in der Familienplanung einer der wichtigsten Aspekte der Selbstbestimmung.

Während selbstbestimmte Familienplanung in reicheren Ländern mit gutem Erfolg eingesetzt wird, fehlt es daran gerade in ärmeren Ländern. Immer noch kommen dort viele Kinder zur Welt, obwohl ihre Eltern lieber kein oder noch kein (weiteres) Kind gehabt hätten. Aber es fehlt an Aufklärung und an wirksamen Verhütungsmitteln, nicht zuletzt durch den unheilvollen Einfluss von Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften.

Dabei nehmen die Kirchen und Religionen die daraus resultierende Massenverelendung in Kauf. Bei einer verelendeten, ungebildeten Bevölkerung lassen sich religiöse und kirchliche Hierarchien ungleich einfacher verankern als in modernen Industriegesellschaften.

Forderungen des IBKA:

  • Umfassende Aufklärung über Möglichkeiten einer wirksamen Empfängnisverhütung, und über Vermeidung von Infektionen (u.a. HIV), muss allgemein zugänglich sein. Allen Schülerinnen und Schülern muss diese Aufklärung in einem weltanschaulich neutralen Sexualkundeunterricht angeboten werden.
  • Sachlich kompetente, weltanschaulich neutrale Beratungsstellen für sexuelle Fragen, Familienplanung, Schwangerschaft und Schwangerschaftskonfliktberatung müssen flächendeckend bereitgestellt werden.
  • Wirksame Verhütungsmittel, sowie Mittel zur Vermeidung von Infektionen (u.a. HIV), müssen für alle Menschen zugänglich sein, die sie brauchen.

5.6 Schwangerschaftsabbruch

Die beste Verhütung kann nicht jede ungewollte Schwangerschaft verhindern. So ist es für schwangere Frauen wichtig, selbst bestimmen zu können, ob sie ihre Schwangerschaft fortsetzen oder abbrechen (lassen) wollen.

Forderungen des IBKA:

  • Frauen müssen die Möglichkeit haben, zumindest in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft frei zu entscheiden, ob sie die Schwangerschaft fortsetzen oder abbrechen (lassen) wollen.
  • Jede Schwangere, die ein Kind haben möchte, muss einen Anspruch darauf haben, ihre Entscheidung zu verwirklichen, ohne in ernsthafte materielle Schwierigkeiten zu geraten.
  • Jede Schwangere, die sich für einen legalen Schwangerschaftsabbruch entscheidet, muss diesen wohnortnah und unter zumutbaren Bedingungen vornehmen lassen können.
  • Überall ist eine flächendeckende Versorgung mit qualifizierten Einrichtungen für ambulante Schwangerschaftsabbrüche bereitzustellen.
  • Schwangere, die einen legalen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, sollen die Methode wählen können, die für sie am besten geeignet ist. Wenn für eine Schwangere ein medikamentöser Abbruch gut geeignet ist, dann soll sie diese Methode wählen können.
  • Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen lassen, dürfen nicht entwürdigend behandelt und nicht als "Mörderinnen" diffamiert werden.
  • Das Strafrecht soll kein Mittel zur Verhinderung von Schwangerschaftsabbrüchen sein, die auf ausdrücklichen Wunsch der Schwangeren medizinisch einwandfrei durchgeführt werden. Gesetze, die solche Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellen, sind abzuschaffen oder dahingehend zu ändern, dass sie eine Strafe nur noch für Schwangerschaftsabbrüche gegen den Willen der Schwangeren vorsehen.

Zur Situation in Deutschland:

Schwangerschaftskonfliktberatung kann für ungewollt schwangere Frauen eine willkommene und nützliche Einrichtung sein. In Deutschland aber wird ein Zwang daraus: Wenn Frauen eine Schwangerschaft legal abbrechen lassen wollen, dann müssen sie, ob sie wollen oder nicht, vorher zur Beratung bei einer anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle erscheinen. Erst mit einem Schein von dieser Beratungsstelle können Frauen eine Schwangerschaft legal abbrechen lassen.

Forderungen des IBKA für Deutschland:

  • Wie Pro Familia, so fordert auch der IBKA: "... dass (ungewollt schwangere) Frauen als mündige und grundsätzlich auch ohne staatliche Einflussnahme zu verantwortungsbewusster Entscheidung fähige Bürgerinnen anerkannt werden."
  • Der Beratungszwang ist abzuschaffen.
  • Beratung in Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen sollte ein Angebot sein, das Frauen bei Bedarf nutzen können, ohne jeden Zwang.
  • Die Beratung hat ergebnisoffen zu erfolgen, keine Frau soll zu einer bestimmten Entscheidung gedrängt werden.
  • Auf keinen Fall dürfen Frauen genötigt werden, gegen ihren Willen die Gründe für ihren Wunsch nach Abbruch ihrer Schwangerschaft offen zu legen.
  • § 218 StGB ist abzuschaffen oder zu reduzieren auf eine Regelung für Schwangerschaftsabbrüche gegen den Willen der Schwangeren.
  • Nicht erforderlich sind besondere gesetzliche Bestimmungen zu Schwangerschaftsabbrüchen, bei denen Leben oder Gesundheit von Frauen durch unsachgemäße Durchführung in Gefahr gebracht wurden; die Ahndung kann und sollte nach den gleichen Regelungen erfolgen wie bei allen anderen unsachgemäß durchgeführten medizinischen Behandlungen.

5.7 Kriegsdienstverweigerung

Der IBKA wendet sich gegen Zwangsdienste aller Art. Insbesondere soll niemand zu Zwangsdiensten genötigt werden, die mit seinem Gewissen nicht zu vereinbaren sind.

Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist ein Menschenrecht. Die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen hat das Recht jedes einzelnen anerkannt, aus Gewissensgründen den Wehrdienst zu verweigern (Quelle: Dokument des Kopenhagener Treffens der Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE, Nr. 18).

Das Recht, in einer so wichtigen Frage dem eigenen Gewissen zu folgen, kommt Atheisten ebenso zu wie Christen, nichtreligiösen Menschen ebenso wie religiösen.

Forderungen des IBKA:

  • Jegliche Zwangsdienste sind abzuschaffen, einschließlich der Wehrpflicht.
  • Das Menschenrecht jedes einzelnen, aus Gewissensgründen den Kriegsdienst zu verweigern, muss weltweit verwirklicht werden.
  • Kriegsdienstverweigerer, die ihre Gewissensentscheidung nicht religiös begründen, müssen die gleichen Aussichten auf Anerkennung haben wie Kriegsdienstverweigerer, die sich auf religiöse Gründe berufen.

5.8 Informationelle Selbstbestimmung

Religionszugehörigkeit oder auch das Fehlen einer solchen ist eine schützenswerte Information. Dies trifft ebenfalls auf Daten zu, aus denen eine Religionszugehörigkeit abgeleitet werden kann. Die einzigen Daten, deren missbräuchliche Verwendung ausgeschlossen werden kann, sind diejenigen, die gar nicht erfasst oder weitergegeben werden. Daher fordern wir in allen Verfahren grundsätzliche Datensparsamkeit. Insbesondere Familienstand, Geschlecht, Religions- und Konfessionszugehörigkeit sollen zukünftig nicht oder nur in begründeten Einzelfällen, aber dann ohne Speicherung erhoben werden.

5.9 Sterben

Die Medizin kann die Menschen heute sehr lange am Leben halten, selbst bei schwersten Beeinträchtigungen der Gesundheit. Das ist nicht in jedem Falle ein Grund zur Freude. Menschen fürchten sich davor, vielleicht viele Monate lang hilflos im Bett zu liegen und ein Leben zu führen, das für sie jeden Sinn verloren hat. Sie fürchten sich vor Schmerzen und anderen quälenden körperlichen Beschwerden.

Dieselbe moderne Medizin kann Schmerzen und körperliche Beschwerden lindern. Und sie kann den Menschen, die sterben wollen, zu einem humanen und menschenwürdigen Sterben verhelfen.

Die Möglichkeiten der modernen Medizin machen die Selbstbestimmung in der letzten Phase des Lebens wichtiger als je zuvor.

Jedoch diese Möglichkeiten werden nicht immer im Interesse der Patienten genutzt. Immer wieder werden Menschen, die sterben wollen, weil ihnen das Leben zur Last geworden ist, von der Medizin allein gelassen: Aktive Sterbehilfe wird verweigert, manchmal sogar die "passive Sterbehilfe", d. h. der Abbruch oder die Unterlassung von lebenserhaltenden Maßnahmen. Menschen, die ihrem Leben selbst ein Ende setzen wollen, finden dazu keine ärztliche Unterstützung, werden teilweise sogar daran gehindert.

Dieser Zwang zum Leben entsteht, wo Menschen mit Hilfe des Staates ihre eigenen Wertvorstellungen anderen Menschen aufzuzwingen suchen: sei es ihre eigene panische Angst vor dem Tode, seien es christliche Vorstellungen, nach denen alles Leiden gottgewollt und menschliches Leben unantastbar sei. Solche Bestrebungen finden in den christlichen Kirchen noch immer teilweise einflussreiche Fürsprecher.

Das Verbot der aktiven Sterbehilfe wird vielfach mit dem Argument begründet, es dürfe nie wieder so etwas geben wie die - beschönigend "Euthanasie" genannten - Morde an körperlich und geistig Behinderten im Dritten Reich. Dabei wird außer Acht gelassen, dass Hilfe zu einem selbstgewählten Sterben etwas völlig anderes ist als Morde an Menschen, die leben wollten.

Forderungen des IBKA:

  • Das Selbstbestimmungsrecht des Menschen schließt die selbstverantwortete Willensentscheidung über den Zeitpunkt des eigenen Todes ein. Dieser Grundsatz muss allgemein anerkannt werden.
  • Todkranke und unheilbare Patientinnen und Patienten dürfen nicht gegen ihren erklärten Willen durch intensivmedizinische Methoden am Leben erhalten werden. Vorausverfügungen von Patientinnen und Patienten, in denen unter bestimmten Voraussetzungen lebensverlängernde medizinische Maßnahmen abgelehnt werden, sind von den Ärztinnen und Ärzten vorbehaltlos zu respektieren.
  • Die wohlüberlegte Entscheidung eines Menschen, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen, muss respektiert werden. Ein Selbsttötungsversuch darf nicht gegen den erklärten und wohlüberlegten Willen des Betroffenen durch "Rettungsmaßnahmen" vereitelt werden.
  • Die wohlüberlegte Entscheidung für den eigenen Tod muss auch dann respektiert werden, wenn ein Mensch zur Herbeiführung seines Todes die Hilfe eines anderen Menschen benötigt. Wenn aktive Sterbehilfe für einen Menschen auf dessen ausdrückliche und wohlüberlegte Bitte hin geleistet wird, so muss diese aktive Sterbehilfe straffrei bleiben.
  • Beruht die Entscheidung, das eigene Leben zu beenden, auf einer schweren und unheilbaren Krankheit oder einer schweren Behinderung, so soll der leidende Mensch bei der Umsetzung seiner Entscheidung Anspruch auf ärztliche Unterstützung haben: auf ärztliche Hilfe zur Selbsttötung, oder, wenn nötig, auch auf aktive Sterbehilfe durch einen Arzt.
  • Durch geeignete Genehmigungsverfahren ist der Gefahr entgegenzuwirken, dass ärztliche Unterstützung von Selbsttötungen oder aktive Sterbehilfe eingesetzt werden könnten, wo sie nicht dem Selbstbestimmungsinteresse der Patientinnen und Patienten entsprechen. Zum Beispiel dann, wenn der Wunsch zu sterben eine Kurzschlussreaktion war, oder wenn er auf falschen Annahmen über Behandlungsmöglichkeiten und Heilungsaussichten beruhte; oder wenn gar Missbrauch vorliegt, wenn jemand zum Sterben gedrängt wurde.
  • Das Selbstbestimmungsrecht über den Zeitpunkt des eigenen Todes schließt selbstverständlich das Recht ein, auch unter schwersten Beeinträchtigungen der Gesundheit mit ärztlicher Hilfe am Leben zu bleiben.
  • Auch schwerkranke und schwerbehinderte Menschen sollen nach Möglichkeit ein lebenswertes Leben führen können, Aktivitäten ausüben können und menschliche Kontakte haben. Niemand soll durch Vernachlässigung seiner Bedürfnisse oder durch menschenunwürdige Lebensbedingungen in den Tod getrieben werden.
  • Schmerzen und quälende Beschwerden müssen nach Möglichkeit beseitigt oder gelindert werden. Sofern dies nur unter erheblichen Nebenwirkungen möglich ist - von Müdigkeit und Konzentrationsschwäche bis hin zu Suchtgefahr und der Gefahr, dass der Tod früher eintritt - haben Patientinnen und Patienten das Recht zu entscheiden, welche Nebenwirkungen sie in Kauf nehmen wollen.
  • In allen Krankenanstalten sind die personellen und räumlichen Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Sterben zu schaffen.
  • Professionelle psychische Betreuung in Krankenanstalten und Pflegeheimen darf kein Monopol von religiöser Seelsorge sein. Für alle Patientinnen und Patienten müssen menschlich und fachlich qualifizierte Kranken- und Sterbebeistände bereitstehen. Geistliche dürfen nur auf ausdrücklichen Wunsch der Patientinnen und Patienten tätig werden.

Zur Situation in Deutschland:

Defizite in der Schmerzbekämpfung sind besonders in Deutschland ein Problem. Übermäßige Furcht vor Drogenmissbrauch führte zu Gesetzen, die die Anwendung von hochwirksamen Schmerzmitteln erschweren, insbesondere von Opiaten. Obwohl Morphine, richtig dosiert, nicht einmal süchtig machen. Die Anwendung von Cannabis-Produkten zur Linderung der Beschwerden von schwerkranken Menschen stößt ebenfalls auf juristische Hindernisse.

Forderungen des IBKA für Deutschland:

  • Eine ausreichende Versorgung mit Medikamenten, die zur Bekämpfung von Schmerzen und quälenden Beschwerden erforderlich sind, muss möglich sein. Gesetze, die diese Versorgung erschweren oder verhindern, müssen geändert werden.
  • Die Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten in Schmerztherapie muss verbessert werden.