Erwin-Fischer-Preis 2006 für Nesin Vakfi

Am 21. Oktober 2006 wurde zum fünften Mal der Erwin-Fischer-Preis verliehen – erstmals nicht an eine Person, sondern an eine Organisation: die Nesin-Stiftung (siehe IBKA-Rundbrief Mai 2005, S. 39-41) in der Türkei. Der Humanistische Pressedienst berichtete.

Nesin Vakfi wurde im Jahre 1972 von dem offen sich als Atheisten beken­nenden türkischen Literaten Aziz Nesin gegründet. Die private Stiftung ist für Kinder und Jugendliche ohne Familien oder mit sol­chen Familien, die nicht in der Lage sind, für eine Ausbildung ihrer Kinder zu sorgen, konzipiert. Sie ist westlich von Istanbul angesiedelt, bei Çatalca auf einem Grundstück von ca. 5000 qm. Derzeit leben dort 40 Kinder und Jugend­liche beiderlei Geschlechts und jeden Schul-, Ausbildungs- und Studienalters (siehe www.nesinvakfi.org).

Die Nesin-Stiftung arbeitet nach den pädagogischen Prinzipien von Aziz Nesin auf säkular-laizistischer (nicht: atheisti­scher!) Grundlage. Religion gilt als Privatsache und nicht als Unterrichts­gegenstand. In Berlin-Kreuzberg gibt es seit eini­gen Jahren eine nach Aziz Nesin benann­te Grundschule. Es ist eine von 14 Eu­ropaschulen in Berlin, die in einem Schul­modell Schüler zweier Staaten gleich­berechtigt in beiden Sprachen unter­richten. Um die Namensgebung hatte es eine heftige Auseinandersetzung insbe­sondere mit fundamentalistischen Mus­limen gegeben, an deren Ende auch einige Schulwechsel standen. Der IBKA-Vorstand möchte mit der Vergabe des Erwin-Fischer-Preises an eine private türkische Sozialstiftung da­rauf aufmerksam machen, dass Säku­laristen ihren Beitrag zum praktischen Humanismus leisten.

Die kinderfreund­lichen Erziehungsprinzipien von Aziz Nesin stehen im Gegensatz zu neuerdings auch hierzulande wieder beliebten Rufen nach autoritärerer Pädagogik. Auf der Basis humaner und menschenrechtlicher Grundlagen können Menschen unter­schiedlicher Herkunft durchaus mitein­ander leben. All dies setzen wir dem Geschwätz vom „christlichen Abendland“ einerseits und dem religiös-politischen Islamismus anderseits entgegen.