Bildungsziel: Mythos statt Wissen!

Pressemitteilung vom 30.03.2006

Konfessionslosenverband wendet sich gegen das geplante staatliche Bildungsziel "Ehrfurcht vor Gott" im NRW-Schulgesetz

Ein Gesetzesentwurf der nordrhein-westfälischen Landesregierung beabsichtigt die folgende Neuformulierung für den §2 des Schulgesetzes: "Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung."

Hierzu erklärt der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA):

Die beabsichtigte Gesetzesänderung verletzt die durch Artikel 4 des Grundgesetzes garantierte Weltanschauungsfreiheit. Dem Staat als 'Heimstatt aller seiner Bürger' ist die religiös-weltanschauliche Neutralität strikt vorgeschrieben. Er darf dazu weder normieren noch dekretieren. Er missioniert und vertritt weder einen Glauben noch einen Nichtglauben. Der Staat mischt sich nicht in die religiös-weltanschaulichen Belange seiner Bürger ein. Dem Staat fehlt jede Kompetenz, über Gott positiv oder negativ etwas auszusagen. Die Nennung Gottes in der Präambel des Grundgesetzes ist eine unverbindliche Deklamation, nur Dekor und nicht mal Programm. Sie stellt keinesfalls ein Bekenntnis des Staates zu einem persönlichen Gott dar. Im staatlichen Schulwesen können sich Bekenntnisse nur insoweit entfalten, wie dies das Grundgesetz per explizite Ausnahmeregelung für den konfessionellen Religionsunterricht zulässt.

Vor diesem Hintergrund wäre es die Pflicht der Landesregierung, darzulegen, inwiefern die Religionsfreiheit es erlauben sollte, die "Ehrfurcht vor Gott" außerhalb des konfessionellen Religionsunterrichtes als staatliches Bildungsziel auszuweisen und welche konkrete Folge dies denn für das Schulwesen haben soll. Wenn das staatliche Bildungsziel "Ehrfurcht vor Gott" weiterhin nur eine unverbindliche Deklamation sein soll, wieso wird dann ein derlei mystisch- (all)mächtiges Konstrukt jetzt neu ins Schulgesetz eingefügt? Wenn der Zusatz eine konkrete Bedeutung haben soll - und nicht bloß rückschreitender Traditionalismus ist -, welche könnte dies unter der Berücksichtigung der weltanschaulichen Neutralität dann legitimerweise noch sein? Inwiefern sollten Bildungsgegenstände jenseits des konfessionellen Religionsunterrichtes dem geforderten Bildungsziel entsprechen? Welcher faktische Gewinn überwiegt nachweislich die unbestreitbare Verletzung der weltanschaulichen Neutralität?

"Wer - wie die Autoren des Schulgesetzes - 'Achtung vor der Würde des Menschen' proklamiert, darf nicht selbst dieses erstrebenswerte Ziel mit einer unzulässigen religiösen Ausrichtung 'Ehrfurcht vor Gott' verletzen" - so der IBKA-Vorsitzende Rudolf Ladwig.

Dass die geplante Formulierung nahe an jener in der Landesverfassung ist, spricht nicht etwa für die Neuformulierung des Schulgesetzes, sondern legt die Überprüfung nahe, ob die Landesverfassung überhaupt grundgesetzkonform ist. Im Übrigen darf die Landesverfassung nur unter der Berücksichtigung des Vorranges der Grundrechtsartikel des Grundgesetzes ausgelegt werden. Die NRW-Landesregierung scheint derzeit zu versuchen, nicht nur den Kirchenaustritt durch Einführung einer Austrittsgebühr zu erschweren, sondern über das Schulgesetz die Schüler jenseits des Religionsunterrichtes als Objekte einer staatlich-religiösen Missionierung missbrauchen zu wollen und dazu die Lehrer als Missionare.

Es ist abzusehen, dass christlich-fundamentalistische Gruppen die Neuregelung nutzen werden, um beispielsweise Kreationismus im Biologieunterricht zu etablieren. Andere werden die Verweigerung der Teilnahme an Sexualkundeunterricht, Sportunterricht usw. mit Berufung auf ihre Interpretation der "Ehrfurcht vor Gott" begründen und sich dabei dann ausgerechnet noch auf das neue Schulgesetz berufen können! Auffällig ist, dass die ehemalige Bürgerrechtspartei FDP die Formulierung gutheißt, da es angeblich um eine "Werteerziehung" ginge. Was "Ehrfurcht vor Gott" mit allgemeinverbindlicher staatlicher Werteerziehung in einer pluralen Gesellschaft zu tun hat, dafür bleiben die 'Liberalen' weiterhin jede Erklärung schuldig. Wir fordern die Landtagsabgeordneten auf, die Grundrechte der Bürger zu wahren und die von der Landesregierung beabsichtigte weltanschauliche Nötigung der Schüler, Eltern und Lehrer zu unterlassen. Allmählich sollte die staatliche Zurückhaltung in Weltanschauungsfragen und Achtung vor der religiös-weltanschaulichen Selbstbestimmung des Menschen als hoher verfassungsethischer Wert doch allseits begriffen werden. Weiterführende Texte: