Betreff: Offener Brief zur Neutralitätsdebatte Von: Datum: 27.02.2017 18:21 An: Sehr geehrte Frau Kortmann, sehr geehrter Herr Mahnfitz, sehr geehrter Herr Fuhlbrück, ich spreche mich für eine Überprüfung des Neutralitätsgesetzes aus, da es dabei um die Wahrung der Religionsfreiheit und der gesetzlich vorgeschriebenen Neutralität des Staates sowie um die Vermeidung von Diskriminierung geht. Ich bin gegen ein Totalverbot religiöser Symbole etwa bei Lehrern. Staatliche Neutralität schließt nicht unbedingt ein, dass alle Bediensteten im Öffentlichen Dienst ihre Persönlichkeit verstaatlichen müssen. Ich habe kein Problem damit, wenn eine Lehrerin ein Kreuz um den Hals trägt. Ich finde, das gehört in einer offenen Gesellschaft dazu, das auszuhalten. Das gilt auch für andere religiöse Bekundungen von Lehrern an staatlichen Schulen, also etwa das Kopftuch. Anders sind die Dinge gelagert, wenn beispielsweise Kreuze in Klassenzimmer eine unmittelbare Parteinahme des Staates für bestimmte Religionen oder Religionsgemeinschaften intendieren. Bei einer Lehrerin, die ein Kreuz um den Hals trägt, komme ich aber nicht auf die Idee, dass dies bedeutet, dass der Staat sich in besonderer Weise für die christlichen Kirchen engagiert. Für individuelle religiöse Symbole gilt, dass es in einer offenen Gesellschaft Zumutungen gibt, die untereinander auszuhalten sind. Sie sind Ausdruck der Tatsache, dass ich beim Anderen das Anderssein respektiere. Gilt dies nicht, käme man relativ schnell in eine uniforme Gesellschaft, in der es nur eine Form von Lebensideal gibt, der sich alle anderen unterzuordnen haben. Das will ich nicht. Gleichwohl gibt es einige wenige und spezielle Bereiche, wo auf jede Art von religiösen Bekundungen verzichtet werden kann, etwa in Gerichtssälen, wo Richter*innen und Anwält*innen Roben tragen. Das muss dann aber für alle Religionen gleichermaßen gelten. Die strikten Regelungen des Berliner Neutralitätsgesetzes sind nach meiner Auffassung laut der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und dem Urteil des Landesarbeitsgerichtes nicht mehr aufrechtzuerhalten. Demnach braucht es die konkrete Gefahr von Konflikten, ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen ist mit der Verfassung nicht zu vereinbaren. Da besteht beim Staat eine Bringepflicht. Ich erwarte, dass auch in Berlin die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt wird. Das ist ohne eine Änderung des Berliner Gesetzes nicht zu machen. Aber hier gibt es keine schnelle A- oder B-Lösung. Dazu ist vielmehr eine ergebnisoffene Debatte nötig. Wenn wir nach dieser Debatte zu einer gemeinsamen Überzeugung kommen, dann werden wir das Neutralitätsgesetz lassen, wie es ist, oder wir werden es verändern. Wir werden jetzt nicht übereilt handeln. Wir brauchen noch mehr Studien und Erkenntnisse etwa darüber, ob Kopftuchverbote die Integration behindern oder sie fördern. Mit freundlichen Grüßen Dr. Klaus Lederer Senator für Kultur und Europa Brunnenstraße 188-190, 10119 Berlin Tel. +49 (0)30 90 228-200 Fax +49(0)30 90 228-459